aus nzz.ch, 4.10.2019
Liebe Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer: Wie halten Sie es mit der Sexualisierung der Sprache von oben? Die
Suche nach einer Sprache der Gleichberechtigung hat nicht zur
gewünschten Genderneutra- lität geführt, sondern zu einem neuen
Kulturkampf unter den Geschlechtern. Es ist höchste Zeit, das Projekt
der gegenderten Ausdrucksform zu begraben – und die Sprache ihren
Benutzern zurückzugeben.
In der sich so fortschrittlich dünkenden Schweiz herrscht das Patriarchat. Wer das abstreitet, der möge so gut sein und auf seinen eigenen Sprachgebrauch achten – die männliche Form dominiert noch immer, nicht nur im mündlichen, auch im schriftlichen Ausdruck. Und wo keine sprachliche Gleichbehandlung von Mann und Frau gegeben ist, da kann von Gleichstellung, wie Artikel 8 der Bundesverfassung sie festsetzt, vernünftigerweise nicht die Rede sein. Oder will das im Jahre 2019 jemand ernsthaft bestreiten?
Wer
sich öffentlich äussert, muss also auf der Hut sein. Der Umgang mit
Sprache ist voller Fallstricke und ziemlich schwierig geworden. Wie
schwierig, zeigte jüngst eine Debatte im Zürcher Gemeinderat, die weit
über die Stadtgrenzen hinaus für Aufsehen sorgte. Was wie eine Posse auf
den Politbetrieb anmutet, ist der politlinguistische Ernst- bzw.
Normalfall in einem demokratisch gewählten Parlament: Die Gemeinderätin
Susanne Brunner (svp.) erfrecht sich, eine Interpellation zu einem
unbewilligten Festival einzureichen, in der sie das generische
Maskulinum verwendet.
Sie
spricht von «Besetzern» statt von «Besetzerinnen und Besetzern» oder
«Besetzenden». So müsste es gemäss den «Ausführungsbestimmungen zur
Geschäftsordnung des Gemeinderates» korrekt heissen, die wiederum auf
den «Städtischen Richtlinien zur Rechtschreibung» beruhen, die
ihrerseits ein «Reglement für die sprachliche Gleichstellung» enthalten.
Ob die Politikerin nun also gezielt eine Provokation platzierte, eine
PR-Aktion in eigener Sache lancierte oder bloss unerschrocken handelte,
ist nicht aktenkundig und spielt hier keine Rolle. Fakt ist, dass der
Vorstoss zuerst vom Ratsbüro zurückgewiesen wird, weil er interne
Richtlinien verletzt, «insbesondere was die sprachliche
Gleichberechtigung von Frauen und Männern betrifft».
Also
bessert Susanne Brunner nach und weist in einer Fussnote explizit
darauf hin, das generische Maskulinum umfasse auch «weibliche Individuen
und solche, die sich keinem Geschlecht zuordnen». Doch das Büro bleibt
konsequent und lehnt die Interpellation ein zweites Mal ab. Und die
rot-grüne Parlamentsmehrheit stützt später voller Wonne und Wiehern den
Entscheid.
Linke und Bürgerliche: verkehrte Rollen
Was
die Votanten im Plenum vorbringen, ist in der Tat höchst illustrativ.
Die sich gerne locker gebende Ratslinke pocht unisono auf Einhaltung der
Regeln. Und die sonst gesetzestreuen Bürgerlichen murren zwar, geben
sich in ihren Voten aber erstaunlich zahm. Viele scheinen vor dem Diktat
der politischen Korrektheit kapituliert zu haben und sehen in der
«genderneutralen Sprache» einen «unumkehrbaren gesellschaftlichen
Trend», wie es ein Vertreter der FDP zu Protokoll gibt.
Wer
will sich schon die Finger verbrennen, während es um das hohe Gut der
Gleichberechtigung geht, wer will schon auf Lesbarkeit, Verständlichkeit
und sprachliche Schönheit pochen, wenn er dabei Gefahr läuft, als
Frauenverächter dazustehen? Heiter angesichts der bedeutungsschweren
Tristesse bleibt bloss ein Vertreter der Alternativen Liste, der sich
die gute Laune partout nicht verderben lässt. Er begrüsst die
Parlamentskollegen mit «Mitglieder und Mitvaginas».
Was
sich im Zürcher Gemeinderat abspielt, hat eine Vorgeschichte, die rund
dreissig Jahre zurückreicht. Sie lässt sich in einem amtlichen Dokument
mit dem Titel «Geschlechtergerechte Sprache» studieren, das von der
Schweizerischen Bundeskanzlei in Zusammenarbeit mit der Zürcher
Hochschule für Angewandte Wissenschaften 2009 in überarbeiteter Fassung
publiziert wurde.
Hier
lässt sich en détail nachlesen, wie sich Bundesbern seit den 1990er
Jahren um eine gleichsam gleichberechtigte Sprache bemüht – und der
Leitfaden illustriert zugleich, wie kompliziert und unfreiwillig komisch
der Umgang mit Sprache wird, wenn man sich ihrer eigenen Logik
widersetzt. Um das generische Maskulinum zu ersetzen, gibt es Dutzende
von Seiten mit Vorschlägen für geschlechtergerechte Formulierungen, die
zuweilen geradezu selbstparodistisch wirken (zumal wenn man sie laut
vorliest).
Die
sprachphilosophische Prämisse im Leitfaden der Bundeskanzlei ist
dieselbe wie in Zürichs Städtischen Richtlinien zur Rechtschreibung.
Beide gehen davon aus, dass Gleichstellungspolitik über Sprachpolitik
läuft: Wer es mit gesellschaftlicher Gleichstellung ernst meint, muss
mit sprachlicher Gleichberechtigung beginnen.
Der politische Kurzschluss
Klingt
gut. Nur liegt diesem Ansatz ein grundlegender Kategorienfehler
zugrunde. Genus und Sexus, sprachliches und biologisches Geschlecht
haben zunächst einmal nichts miteinander zu tun. «Der» Käse ist nicht
männlich, «die» Milch nicht weiblich, «das» Kind nicht sächlich. Und hat
sich schon jemand darüber beklagt, dass das Deutsche bloss ein
Personalpronomen in der dritten Person Plural kennt: «sie»? Nein, wir
denken dabei nicht ständig an Frauen.
Sprachen
wurden zwar von Menschen erfunden, aber nicht auf dem Reissbrett
geplant – es handelt sich um ein arbiträres Zeichensystem, das auf
Konventionen beruht und sich im täglichen Gebrauch zu bewähren hat. Und
so gibt es eben Sprachen mit zwei Genera, wie die meisten romanischen
Sprachen, oder auch solche ohne Genus, wie das Englische. Die
Rollenmuster und Stereotype von Frauen und Männern unterscheiden sich in
Spanien und England jedoch nicht wesentlich von jenen in der Schweiz,
was eigentlich genügen müsste, um einzusehen: Sie haben mit der
sprachlichen Struktur nichts zu tun.
Die
Endung -er im Deutschen, die so viel zu reden gibt, ist bloss eine
Markierung: Sie macht aus einem Menschen, der lehrt, einen Lehrer.
«Lehrer» ist, sprachwissenschaftlich betrachtet, erst mal nichts anderes
als eine reine Funktionsbezeichnung, ohne allen Bezug zum biologischen
Geschlecht. Das generische Maskulinum setzt also nicht Mann und Mensch
gleich (und erniedrigt Frauen zu Un- oder Untermenschen), sondern es
verhält sich gerade umgekehrt: Mit «Lehrer» ist ohne kontextuelle
Angaben erst mal nur der Beruf gemeint. Ist hingegen von einer
«Lehrerin» die Rede, sind zwingend sowohl Beruf als auch das biologische
Geschlecht genannt.
Das philosophische Missverständnis
Doch
wie konnte dann das Missverständnis entstehen, dass das generische
Maskulinum die Frauen unsichtbar mache, also ausschliesse, also
diskriminiere? Es geht um einen Kurzschluss – und eine zweifelhafte
sprachphilosophische Prämisse. Ja, bis vor kurzem waren Frauen in vielen
Bereichen unsichtbar. Aber nicht aufgrund mangelnder Wortformen,
sondern wegen sozialer Konventionen. Und nein, wer die Sprache per
Dekret verbiegt, ändert dadurch nicht die soziale Wirklichkeit, sondern
betreibt bloss Machtpolitik im Dienste der eigenen Agenda.
In
den 1970er Jahren hat sich ein bis heute einflussreicher
Radikalfeminismus mit einem folgenreichen philosophischen
Konstruktivismus vermählt. Die Fetischisierung der Sprache mündet in ein
Bonmot des Semiologen Roland Barthes aus dem Jahre 1977: «Die Sprache
als Performanz aller Rede ist ganz einfach faschistisch.» Ganz einfach,
denn: Wer spricht, handelt und bildet die Wirklichkeit nicht ab, sondern
schafft sie erst – er will seine Weltsicht durchsetzen. Jeder Satz ist
letztlich nichts anderes als eine autoritäre Setzung in einem sozialen
Machtspiel, gemäss der Gleichung: Sprache = Sein = Macht.
Ein
zweites Moment gesellt sich hinzu. Dieselbe französische Philosophie
eines Roland Barthes oder Jacques Derrida übte sich in einer vehementen
Kritik der abendländischen Vernunft, die sich amerikanische Akademiker
seit den 1970er Jahren im Nachgang zu der Bürgerrechtsbewegung neu
aneigneten: Was als die menschliche Vernunft, Wirklichkeit oder eben
Sprache gilt, wird nun als Konstruktion des weissen männlichen
Machtstrebens «entlarvt».
Das
klingt wie eine Karikatur seriöser Geisteswissenschaft, ging jedoch
unter dem Titel «French Theory» in die jüngere Geistesgeschichte ein,
wurde von den europäischen Universitäten aus den USA über verschiedene
Formen der Cultural Studies reimportiert – und hat zu einer drastischen
Verarmung des akademischen Diskurses beigetragen. Die neue
Wissenschaftsfeindlichkeit lässt sich ebenfalls in einer Gleichung
darstellen: Vernunft = Logik = Patriarchat.
Die Lösung
Die
Vernunft ist also unter Geisteswissenschaftern in Verruf. Doch sollte
man ihr nicht gänzlich abschwören, wenn man die Folgen des «betreuten
Sprechens» (Joachim Gauck) bedenkt, das von höheren Bildungsanstalten
und Verwaltungen mit staatlicher Billigung erzwungen wird. Durch die
Doppelnennung von Frauen und Männern findet nämlich gerade keine
Gleichberechtigung statt, sondern eine Politisierung und Sexualisierung
der Lebenswelt, als würde das Geschlecht in allen menschlichen
Angelegenheiten eine primäre Rolle spielen. Der Bürger als Wesen, das an
der einen gemeinsamen menschlichen Vernunft teilhat, verschwindet, und
es stehen sich plötzlich Frauen und Männer wie in einer Art permanentem
Kulturkampf nackt gegenüber.
Zugleich
melden sich all jene zu Wort, die sich weder dem Sexus «weiblich» oder
«männlich» zugehörig fühlen. Und es werden stets neue Schreibweisen auf
dem Reissbrett erfunden, die niemals alle zufriedenstellen können (mit
Binnen-I, mit Sternchen, mit x) – und die sich für den alltäglichen
Gebrauch auch nicht eignen. Eine Ideologie mit Geburtsfehler scheitert
hier an ihren eigenen Widersprüchen: Jede Differenz bringt neue
Differenzen hervor, jeder Versuch der Inkludierung erzeugt neue
Exklusionen.
So liegt die Absurdität des radikalfeministischen Unterfangens für alle längst offen zutage. Darum wäre es an der Zeit, das generische Maskulinum neu zu entdecken: Es ist von schlichter Eleganz, weil es niemanden aus-, dafür aber alle einschliesst. Die Sprache gehört nicht höheren Genderbeauftragten oder Verwaltungsbeamten. Sie gehört allen, die sie tagtäglich mit Freude und Feingefühl benutzen.
Nota. - Es sei daran erinnert, dass auch das Arabische - das Arabische! - ein grammatisches Geschlecht nicht kennt. - Es ist mit dem sprachlichen Gendern wie mit allen andern Varianten des Feminismus: Es ist kein Anliegen von Frauen, son- dern ein Interesse der Quotenperson*innen in den Medien und der öffentlichen Verwaltung; es genderiert Arbeitsplätze.
JE
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