Der Bonus im Kopf.
aus Die Presse, Wien, 7. 3. 2015Das Gehirn bestimmt das Geschlecht
Wiener Hirnforscher konnten nachweisen, wie die Geschlechtsidentität im Gehirn festgeschrieben ist. Männer und Frauen unterscheiden sich in der Verschaltung ihrer Hirnregionen.
von Petra Paumkirchner
Ob wir uns als Frau oder Mann sehen, wird durch die Geschlechtschromosomen – zwei X-Chromosomen bei den Frauen, ein X- und ein Y-Chromosom bei den Männern – und die Geschlechtsorgane bestimmt. Gleichzeitig ist die Geschlechtsidentität, also ob wir uns in unserem Körper als Frau oder als Mann fühlen, entscheidend. Liegt keine Übereinstimmung zwischen dem körperlichen Geschlecht und der persönlichen Geschlechtsidentität vor, können wir uns als Mann in einem weiblichen Körper oder umgekehrt fühlen. Die Mediziner sprechen von Transgender oder Transsexualität.
Mehrere Forschungsinstitutionen sind weltweit auf der Suche nach der Repräsentation der individuellen Geschlechtsidentität im Gehirn. In einer vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten Studie gelang es dem Hirnforscher Georg S. Kranz von der Uni-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Wien zu zeigen, dass sich die ganz persönliche Geschlechtsidentität jedes Menschen in der Vernetzung zwischen Hirnregionen widerspiegelt und nachweisbar ist. Die in Kooperation mit dem Niederländischen Institut für Neurowissenschaften in Amsterdam sowie Kollegen der Med-Uni entstandenen Erkenntnisse wurden kürzlich im Journal of Neuroscience veröffentlicht .
Vernetzungen untersucht
„Das Gehirn ist für unser Denken, Fühlen und Handeln verantwortlich“, so Kranz. Daher sei man logischerweise davon ausgegangen, dass auch die Geschlechtsidentität im Gehirn repräsentiert sein muss. „Uns gelang es, neuronale Korrelate, also Entsprechungen in der Gehirnaktivität, für das Geschlechtsempfinden in den Vernetzungen des Gehirns festzustellen“, sagt der Forscher.
Alle Regionen im Gehirn sind durch Millionen Nervenfasern verbunden und verschaltet. Die Mikrostruktur dieser Verbindungen lässt sich mittels diffusionsgewichteter Magnetresonanz-Tomografie (siehe Lexikon) im lebenden menschlichen Gehirn darstellen.
In der Studie wurden sowohl weibliche und männliche Personen als auch Transgenderpersonen untersucht. Dabei fanden sich signifikante Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Mikrostruktur der Hirnverbindungen. Transgenderpersonen nahmen eine Mittelstellung zwischen beiden Geschlechtern ein.
Worauf die gemessenen Unterschiede zurückzuführen sind, kann derzeit von den Forschern noch nicht nachgewiesen werden. Es könnte die ungleiche Anzahl, eine unterschiedliche Dicke oder Dichte von Nervenfasern oder eine unterschiedlich dicke Isolationsschicht verantwortlich sein. Dafür sind noch zahlreiche Folgestudien notwendig.
Weiters fanden die Forscher einen starken Zusammenhang zwischen den Mikrostrukturverbindungen untereinander und dem im Blut gemessenen Testosteronspiegel. „Diese Ergebnisse legen nahe, dass sich die Geschlechtsidentität in der Struktur von Hirnnetzwerken widerspiegelt. Diese entwickeln sich, unter dem modulierenden Einfluss von Geschlechtshormonen, im Nervensystem“, sagt Projektleiter Rupert Lanzenberger.
Diese Ergebnisse bestätigen eine lang bestehende Theorie. Bei einem männlichen Fötus kommt es während der Schwangerschaft zu zwei Anstiegen des Testosteronspiegels. Bei weiblichen Föten bleiben diese Anstiege aus. Der erste Testosteronanstieg ist für die Anlage der männlichen Geschlechtsorgane verantwortlich. Der zweite, später erfolgende Anstieg sorgt für die Vermännlichung des Gehirns. Stimmen diese beiden Prozesse nicht überein, kann es zur Ausbildung von Transidentität kommen.
LEXIKON
Diffusionsgewichtete Magnetresonanz-Tomografie (DW-MRI) ist ein bildgebendes Verfahren, das die Diffusionsbewegung von Wasser in Körpergeweben misst. Es wird vor allem zur Untersuchung des Gehirns verwendet, da man aufgrund der Diffusion von Wassermolekülen auf den Verlauf von Nervenfaserbündeln schließen kann. Einige neuronale Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Epilepsie lassen sich so nachweisen.
Nota. - Sag ich's doch längst: Das weibliche Gehirn ist die Standardversion. Das männliche ist ein Bonus.
JE
Hirngeschlecht.
aus: scinexx
„Der kleine Unterschied“ im menschlichen Gehirn
Können Männer wirklich nicht zuhören, und sind Frauen tatsächlich unfähig einzuparken? Vorurteile dieser Art sind weit verbreitet und in den meisten Fällen falsch. Doch manchmal findet sich darin ein wahrer Kern.
So sind Frauen tatsächlich bei verbalen Fähigkeiten überlegen, bei denen es auf das schnelle Nennen von Zielwörtern ankommt. Männern dagegen fallen manche Aufgaben leichter, die besonders das räumliche Vorstellungsvermögen fordern.
Wissenschaftler suchen seit einiger Zeit nach Gründen für diese unterschiedliche kognitive Leistungsfähigkeit. Sie sind dabei auf funktionelle Unterschiede zwischen den Hirnhälften und zwischen den Gehirnen beider Geschlechter gestoßen, für die wenigstens zum Teil Hormone verantwortlich sind…
Mehr als ein Dutzend Unterschiede…
Gehirne von Mann und Frau sind nicht völlig gleich
Die individuellen Leistungsunterschiede bei Männern und Frauen sind zwar größer als zwischen beiden Geschlechtern, trotzdem kommt es bei bestimmten kognitiven Aufgaben zu recht konstanten Unterschieden zwischen Männern und Frauen, die auch wissenschaftlich belegt sind.
So fallen Frauen beim „Wortflüssigkeitstest“ in einer Minute mehr Wörter ein, die z.B. mit einem „A“ oder einem „M“ beginnen als Männern. Dagegen schneiden Männer im Durchschnitt bei Tests besser ab, bei denen Vergleichsfiguren gefunden werden sollen, die mit der Zielfigur identisch sind.
Geschlechtsspezifische Unterschiede des Sprachvermögens und der visuellen Raumkognition sind also kein bösartiges Vorurteil, sondern wissenschaftliche Tatsache. Sie könnten das Ergebnis unterschiedlicher Erziehungsstile und/oder biologischer Faktoren sein. Für Letzteres spricht, dass sich weibliche und männliche Gehirne in ungefähr einem Dutzend anatomischer Merkmale unterscheiden.
Auf biologische Faktoren deuten auch spezielle Testergebnisse hin, in denen Geschlechtsunterschiede nicht nur in verschiedenen Nationen, sondern auch über die letzten 30 bis 40 Jahre hinweg recht konstant nachgewiesen werden, obwohl sich die Erziehungsstile in diesen Ländern und Zeitspannen extrem unterscheiden.
Zudem erhöhen sich bei Männern, die nach einer Geschlechtsumwandlung zu Frauen werden, unter Einnahme weiblicher Sexualhormone die Sprachkompetenzen auf Kosten der Raumkognitionen. Genau die umgekehrte Entwicklung machen Frauen durch, die zu Männern werden.
Sind die Hormone schuld?
Botenstoffe sorgen für geschlechtsspezifische Hirnmechanismen
Aus Sicht der Wissenschaftler spricht viel dafür, dass die kognitiven Unterschiede zwischen Männern und Frauen zumindest zum Teil durch unterschiedliche hormonelle Faktoren entstehen können, die dann wahrscheinlich geschlechtsspezifische Hirnmechanismen nach sich ziehen. Doch müssten dann nicht auch die hormonellen Schwankungen während des weiblichen Monatszyklus Veränderungen von kognitiven Leistungen erzeugen?
Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) um die Biopsychologen Professor Dr. Onur Güntürkün und Dr. Markus Hausmann sowie den Neurologen Dr. Martin Tegenthoff sind dieser Frage nachgegangen und haben weiblichen Testpersonen, die keine Hormonpräparate wie beispielsweise die Pille einnehmen, zweimal während ihres Zyklus Aufgaben – zum Beispiel einen Rotations-Test – gestellt, bei denen Frauen meist schlechter abschneiden als Männer.
Ein Testzeitpunkt lag während der Menstruation (2. Tag), wenn alle Sexualhormone auf dem Tiefpunkt sind. Die zweite Aufgabe stellten wir in der Lutealphase (22. Tag), in der der Hormonspiegel an Östradiol und Progesteron sehr hoch ist. Die Ergebnisse waren eindeutig: Wenn die weiblichen Sexualhormone ihren Tiefpunkt erreichten (2. Tag), war die Leistung der Frauen beim mentalen Rotations-Test ähnlich gut wie die der Männer.
Stiegen aber die Hormone zum 22. Tag an, dann sank die Leistung dramatisch ab. Die untersuchten Frauen waren demnach in ihrer visuell-räumlichen Fähigkeit nicht prinzipiell schlechter als die Männer – es kam nur drauf an, wann man sie testete.
Auf den Zeitpunkt kommt es an
Sexualhormone beeinflussen Hirnfunktionen
Da Sexualhormone vielfältige Einflüsse auf Hirnfunktionen haben, ist es nicht einfach, herauszufinden, welche dieser Funktionen bei den Versuchspersonen verändert wurden. Ein „aussichtsreicher Kandidat“ sind aus Sicht der RUB-Forscher die so genannten cerebralen Asymmetrien – die Funktionsunterschiede zwischen der linken und der rechten Hirnhälfte. Die linke Hirnseite zeigt bei Menschen eine Überlegenheit verbaler Fähigkeiten, während die rechte eine Dominanz für visuell-räumliche Funktionen besitzt.
Diese funktionellen Links-Rechts-Unterschiede sind bei Männern ausgeprägter als bei Frauen. Könnte es sein, dass Frauen und Männer sich kognitiv unterscheiden, weil die Asymmetrien ihrer Gehirne unterschiedlich sind? Doch dann müssten sich mit der Kognition auch die Hirnasymmetrien während des Monatszyklus verändern.
Die Wissenschaftler untersuchen die Asymmetrien beim Menschen mit einem speziellen Experiment – Visuelle Halbfeldtechnik -, das es ermöglicht, quasi nur einer Hirnhälfte Bilder zu zeigen: Wenn eine Versuchsperson ein Kreuz in der Monitormitte betrachtet, wird die Figur links vom Fixationskreuz nur von ihrer rechten Hirnhälfte gesehen. Sobald die Versuchsperson nach links blickt und die Figur zentral ansieht, nehmen natürlich beide Hirnhälften diesen Stimulus wahr. Für eine solche Blickbewegung brauchen Menschen circa 200 Millisekunden.
Verschwindet die seitliche Figur aber nach nur 180 Millisekunden vom Monitor, während die Versuchsperson noch auf das zentrale Fixationskreuz blickt, dann wird dieser lateralisierte Reiz nur von der rechten, das heißt contralateralen Hemisphäre wahrgenommen.
Menstruation verändert Gehirnasymmetrien
Im nächsten Schritt vergleichen die Testpersonen verschiedene Figuren: Zunächst prägen sie sich eine zentral dargebotene abstrakte Figur einige Sekunden lang ein, sodass beide Hirnhälften diesen Reiz speichern. Dann erscheint anstelle der zentralen Figur kurz das Fixationskreuz. Anschließend wird seitlich links oder rechts für 180 Millisekunden die gleiche oder eine andere Figur eingeblendet, während der Blick auf das Kreuz gerichtet bleibt. Die Testperson entscheidet nun so schnell wie möglich per Tastendruck, ob es sich um die gleiche (G) oder eine ungleiche Figur (U) handelt.
In der Regel folgt die Antwort schneller und korrekter, wenn die zweite Figur auf dem Monitor links erscheint, da die rechte Hemisphäre bei visuell-räumlichen Aufgaben überlegen ist. Dieses Ergebnis bestätigten unsere männlichen Versuchspersonen sowie Frauen während der Menstruation. Dagegen war bei denselben Frauen die Leistung ihrer beiden Hirnhälften während der Lutealphase seitengleich. Die cerebralen Asymmetrien für visuell-räumliche Aufgaben hatten sich tatsächlich während des Menstruationszyklus radikal verändert.
Eine Reduktion der weiblichen Sexualhormone führt also sowohl zu einer Leistungssteigerung bei der mentalen Rotation als auch zu einer asymmetrischen Hirnorganisation. Auch bei Frauen nach der Menopause fanden die Forscher Links-Rechts-Unterschiede für visuell-räumliche Reize, die denen von Männern wie auch von Frauen während der Menstruation entsprachen.
Die Untersuchungen der RUB-Wissenschaftler zeigen, dass sich die Asymmetrie vor allem mit der Fluktuation des Hormons Progesteron veränderte. Progesteron steigt zum 22. Tag des Monatszyklus an und fällt dann wieder ab. Im Gehirn erhöht Progesteron die Effektivität der Rezeptoren für den hemmenden Botenstoff GABA und reduziert gleichzeitig die Aufnahme und Umsetzung des aktivierenden Botenstoffs Glutamat.
Insgesamt sollte Progesteron somit auf viele Hirnprozesse dämpfend wirken. Dabei könnte Progesteron die cerebralen Asymmetrien vor allem durch die Modulation des Informationsaustausches zwischen den beiden Hirnhemisphären über die große Faserverbindung (Corpus callosum) verändern.
„Brücke“ zwischen den Hirnhälften
Das Corpus callosum
Das Corpus callosum besteht aus über 200 Millionen Fasern und verbindet beide Hirnhälften miteinander. Die Nervenzellen, die das Corpus callosum bilden, verwenden fast ausschließlich Glutamat. Während der Lutealphase könnte das Progesteron somit die Effizienz dieser Verbindung und damit zugleich die cerebralen Asymmetrien verringern. Wenn diese Überlegungen stimmen, müsste während des Menstruationszyklus die gesamte Erregbarkeit innerhalb der Hirnrinde schwanken. Doch wie kann man das nachweisen?
Mit Hilfe der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) lässt sich die Erregbarkeit des menschlichen Gehirns schonend untersuchen. Diese neurophysiologische Methode wird seit mehr als zehn Jahren in der Neurologie als Diagnoseverfahren eingesetzt.
Das technische Grundprinzip besteht darin, dass sich durch einen starken Stromfluss innerhalb einer Rundspule ein Magnetfeld aufbaut, das ungehindert und schmerzfrei die Schädeldecke durchdringt und durch elektromagnetische Induktion innerhalb der Hirnsubstanz einen elektrischen Strom erzeugt und somit einzelne Gehirnzellen erregt.
Wie erregbar sind die verschiedenen Hirnregionen?
Durch eine spezielle Reiztechnik, bei der ein unterschwelliger TMS-Reiz wenige Millisekunden vor einem überschwelligen Testreiz gegeben wird, lässt sich die Erregbarkeit der Zielregionen im Gehirn untersuchen. Diese Methode stützt sich auf die Existenz von Zellverbänden innerhalb der Hirnrinde, die über ihre Synapsen einen hemmenden (inhibitorischen) Einfluss auf die nachgeschalteten Areale haben, während andere Neuronenverbände in der Nachbarschaft die nachgeschalteten Funktionsbereiche des Gehirns eher erregen (exzitieren).
Beträgt der zeitliche Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Reiz nur ein bis vier Millisekunden, werden hauptsächlich die inhibitorischen GABA-Zellverbände aktiviert. Bei einem größeren zeitlichen Abstand von acht bis 20 Millisekunden sind es dagegen die exzitatorischen Neuronenverbände, die Glutamat als Botenstoff einsetzen.
Sexualhormone dämpfen Nervenaktivität
„Kleiner Unterschied“ im Gehirn hormonabhängig
Die standardisierte zeitliche Abfolge einer Doppelreizmethode erlaubt eine differenzierte Aussage bezüglich der aktuellen hemmenden und erregenden Zellaktivität in einer bestimmten Hirnregion. Mit einer vergleichbaren TMS-Technik untersuchen die Forscher die Signalübertragung zwischen den beiden Hemisphären über das Corpus callosum.
Diese TMS-Doppelreiz-Methode wurde nun bei Frauen in unterschiedlichen Phasen des Menstruationszyklus eingesetzt. Die Aktivität der hemmenden und erregenden Neuronenverbände zeigte dabei in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Zyklusphasen deutliche Schwankungen. So verringerte sich die Aktivität der erregenden Zellverbände bei hoher Konzentration der Sexualhormone Östradiol und Progesteron in der Lutealphase deutlich, während die hemmenden Zellverbände gleichzeitig aktiviert wurden. Hieraus resultierte nach Angaben der Wissenschaftler insgesamt eine verminderte Aktivierbarkeit bestimmter Hirnregionen.
Dies ist genau der Effekt, den die Forscher für Progesteron durch die Reduktion der Glutamat- und die Erhöhung der GABA-Übertragungseffizienz erwartet hatten.
Gleichzeitig war eine Veränderung des Informationsaustausches zwischen den beiden Hemisphären über das Corpus callosum nachweisbar: In der Lutealphase verringerte sich die Signalvermittlung, was den Test-Ergebnissen der Visuellen Halbfeldtechnik entspricht. Damit konnten die RUB-Wissenschaftler ihre Hypothese einer im Verlauf des Menstruationszyklus wechselnden Erregbarkeit der Hirnrinde und einer Modulation der Interaktion zwischen den Hemisphären bestätigen.Die mit sehr unterschiedlichen Verfahren gewonnenen Untersuchungsergebnisse belegen eindrucksvoll eine im Verlauf des weiblichen Zyklus vorhandene hormonvermittelte wechselnde Asymmetrie der Hirnfunktion. Diese Schwankungen schlagen sich in tagtäglichen Funktionen nieder.
Die Ergebnisse der RUB-Forscher zeigen nicht nur, dass sich „der kleine Unterschied“ im Gehirn des Menschen objektiv begründen lässt, sondern dass dieser Unterschied hormonabhängig schwankt.
Der Unterschied wird immer größer (und tiefer).
aus Der Standard, Wien, 3. 12. 2013 Meister PM, Adam und Eva
Gehirne von Frauen und Männern sind verschieden verdrahtet
US-Forscher untersuchten Gehirnverbindungen
US-Forscher untersuchten Gehirnverbindungen
Washington – Die Forschungen über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern haben sich in den vergangenen Jahren in das Gehirn verlagert. Neurowissenschafter wollen dort allerlei Belege gefunden haben, warum Frauen und Männer unterschiedliche Begabungen aufweisen.
Eine der gründlichsten Studien dieser Art legen nun Forscher um Madhura Ingalhalikar von der University of Pennsylvania in Philadelphia im Fachblatt "PNAS" vor. Sie untersuchten an knapp tausend Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen acht und 22 Jahren die Verbindungen zwischen den beiden Gehirnhälften.
Dabei zeigte sich, dass männliche Gehirne offenbar für eine Kommunikation innerhalb der Hirnhälften optimiert sind, da sie mehr lokale Verbindungen mit kurzer Reichweite aufweisen. Bei Frauen hingegen fanden die Forscher mehr längere Nervenverbindungen vor allem zwischen den beiden Gehirnhälften.
Nur im Kleinhirn dürfte es genau umgekehrt sein.
Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verstärkten sich laut den Forschern im Laufe der Altersentwicklung. (APA, red.)
Abstract
PNAS: Sex differences in the structural connectome of the human brain
Abstract
Sex differences in human behavior show adaptive complementarity: Males have better motor and spatial abilities, whereas females have superior memory and social cognition skills. Studies also show sex differences in human brains but do not explain this complementarity. In this work, we modeled the structural connectome using diffusion tensor imaging in a sample of 949 youths (aged 8–22 y, 428 males and 521 females) and discovered unique sex differences in brain connectivity during the course of development. Connection-wise statistical analysis, as well as analysis of regional and global network measures, presented a comprehensive description of network characteristics. In all supratentorial regions, males had greater within-hemispheric connectivity, as well as enhanced modularity and transitivity, whereas between-hemispheric connectivity and cross-module participation predominated in females. However, this effect was reversed in the cerebellar connections. Analysis of these changes developmentally demonstrated differences in trajectory between males and females mainly in adolescence and in adulthood. Overall, the results suggest that male brains are structured to facilitate connectivity between perception and coordinated action, whereas female brains are designed to facilitate communication between analytical and intuitive processing modes.
Frauen können mit Gefühlen 'umgehen', aber dafür sind die gar nicht da.
aus derStandard.at, 16. Oktober 2014, 15:53
Evolution der Emotion: Große Gefühle, kleine Unterschiede
Wie stark werden unsere Gefühle von urzeitlichen Mechanismen gesteuert? Inwieweit spielen Herz und Hirn zusammen, wenn wir emotional handeln? Und fühlen Frauen anders als Männer?
von
Grünau/Wien - "Frauen sind das sozialere, angepasstere Geschlecht. Sie scheinen virtuoser mit Gefühlen umgehen zu können, während Männer schweigen oder aggressiv reagieren, wenn sie mit starken Gefühlen konfrontiert sind." Barbara Schweder scheut keine Geschlechterklischees. Die Anthropologin greift bewusst zu drastischen Bildern, wenn es darum geht, gefühlstechnische Unterschiede zwischen Frau und Mann zu illustrieren.
Was nach überholten Stereotypen und populären Mars-Venus-Vergleichen klingt, begründet Schweder mit uralten stammesgeschichtlichen Veranlagungen: "Ein typisches Beispiel ist die Anbindung des Stammhirns, des entwicklungsgeschichtlich ältesten Teils des Gehirns, an das Großhirn. Dort sind höhere Gehirnfunktionen wie das Sprachzentrum beheimatet", sagt Schweder. "Männer verarbeiten Emotionen eher mit dem älteren Teil, der mit Sex, Flucht und Aggression in Verbindung steht. Frauen nutzen eher den jüngeren Teil des Stammhirns, der stärker mit dem Sprachzentrum verknüpft ist."
Flucht, Kampf und Freundschaft
Männer seien bei emotionalen Herausforderungen evolutionär bedingt also eher auf das Prinzip "fight or flight" (Flucht oder Kampf) konditioniert, während Frauen auf "tend and befriend" (sich kümmern und sich befreunden) eingestellt seien. Heutige Wertvorstellungen und Rollenbilder würden die urzeitlichen Verhaltensmuster verstärken.
Natürlich sei das Gehirn flexibel, seien in jedem Menschen "männliche" und "weibliche" Muster mehr oder weniger vorhanden - dennoch dürften Ungleichheiten nicht ignoriert werden. Und zwar ganz im Sinne der Gleichberechtigung: "Die Gehirnforschung hat gezeigt, dass bei Frauen und Männern etwa bei der Objekterkennung verschiedene Gehirnareale aktiv sind. Die Ergebnisse sind aber die gleichen, sie werden nur auf unterschiedlichem Weg erzielt", sagt Schweder.
Lebenserhaltende Systeme
Die Biologin war eine der Vortragenden des ersten "Biologicum Almtal", das vergangene Woche im oberösterreichischen Grünau stattfand. Unter dem Titel Die Biologie der Emotionen lud Kurt Kotrschal, Wolfsforscher und Chef der in Grünau ansässigen Konrad-Lorenz-Forschungsstelle für Verhaltensbiologie, ins Almtal. Rund 200 Besucher nahmen an den Vorträgen und Workshops teil, die sich Gefühlen aus der Sicht von Verhaltens-, Evolutions- und Neurobiologie, Psychologie und Philosophie annäherten.
Emotionen sind evolutionär entstandene Systeme, die ursprünglich lebenserhaltende und vermehrungsfördernde Funktionen hatten, stellte Kotrschal fest. "Im Grunde dienen die negativen, mit den Stresssystemen verbundenen Emotionen dazu, schädliche Situationen zu vermeiden oder sie zu bewältigen. Dagegen sind positive Emotionen mit den Belohnungssystemen verknüpft, sie steuern letztlich das Verweilen in günstigen Lebensbedingungen", sagt der Verhaltensforscher. Ausgangspunkt für die Evolution der Emotionen seien wahrscheinlich die selbst bei Einzellern vorhandenen Anziehungs- und Vermeidungsreaktionen. "Daraus entwickelte sich beim Menschen, dem am radikalsten sozial agierenden Tier, das komplexeste Gefühlsleben im Artenspektrum."
Herz mit Hirn
Inwieweit das Gefühlsleben des Menschen über uralte Muster hinausgeht, erforscht Claus Lamm am Institut für psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden der Uni Wien. "Im Alltag geht man immer noch davon aus, dass Gefühle ein biologisch determiniertes Programm sind, das schwer in den Griff zu bekommen ist", sagt Lamm. "Die Realität aus wissenschaftlicher Sicht ist aber: Es gibt keine Emotion ohne Verstand und keinen Verstand ohne Emotion." Herz und Hirn sind also zwei Seiten derselben Medaille. Ohne ihre Verknüpfung sind keine sinnvollen Entscheidungen, ist kein soziales Handeln möglich.
Emotionen dienen nicht nur dazu, dem Gehirn entscheidende Signale dafür zu liefern, welchen Reizen wir uns zu- und von welchen wir uns abwenden sollten. Sie können auch flexibel durch kognitive Prozesse reguliert werden. "Wenn jemand vor einer steilen Felswand steht, wird ein erster Reflex Angst auslösen. Dieses automatische Gefühl wird aber im Gehirn bewertet. Überwindet man sich und klettert die Wand hinauf, kann die ursprüngliche Angst energetisierend wirken und durch ihre Bewältigung sogar ein Glücksgefühl bringen", gibt Lamm ein Beispiel für die Formbarkeit der Gefühle und ihre ständige Interaktion mit dem Gehirn. So wie ein Kletterer lernt, die Angst zu überwinden, könnten auch Menschen mit einer Angststörung lernen, negative Gefühlsregungen anders zu interpretieren.
Stressreaktionen
Wirklich ausgeliefert, wie es manchmal scheint, sind wir unseren Gefühlen nicht, meint Lamm. "Es ist alles eine Frage des Lernprozesses." Dennoch gibt es Faktoren, die die Fähigkeit, Gefühle rational einzuordnen, stark einschränken. Der häufigste: Stress. Steht man unter Druck, lösen Stresshormone Reaktionen aus, die ursprünglich auf eine potenzielle Bedrohung vorbereiten sollten. Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Wahrnehmung fokussiert sich. Diese Angsterscheinung kann konstruktiv genutzt werden, indem man etwa eine Aufgabe schneller und besser löst. Kann man das Gefühl weniger gut regulieren, tritt eine Art Schockstarre ein, man würde sich am liebsten verkriechen - das alte Schema von Kampf oder Flucht tritt zutage.
Genauso wie die eigenen Stimmungen lassen sich auch die Gefühle anderen Menschen gegenüber kognitiv steuern. Die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzufühlen, besteht nicht nur in einem automatischen Mitfühlen - indem etwa bei der Beobachtung eines schmerzhaften Vorgangs im Gehirn dieselben Aktivitätsmuster ablaufen, wie wenn man selbst verletzt würde. Wie empathisch wir reagieren, hängt auch davon ab, wie gut unsere Beziehung zum Gegenüber ist - und inwieweit wir eigene und fremde Gefühle voneinander trennen können. Grenzt man sich nämlich zu wenig ab, ist man schneller überfordert und wendet sich eher ab.
Empathisch oder egozentrisch
In einer im Frühjahr veröffentlichten Studie zeigte Lamm, dass Frauen unter Stress besser zwischen eigenen und fremden Emotionen unterscheiden konnten und selbst unter Druck empathischer auf andere Personen reagierten als Männer. Die verhielten sich eher egozentrisch. Belegen also die Neurowissenschaften alte Rollenklischees? "Eine Metastudie, in der wir vergangene Arbeiten zu dem Thema analysiert haben, hat ergeben, dass Frauen tatsächlich empathischer zu sein scheinen, aber der Unterschied ist minimalst", ist Claus Lamm skeptisch. "Meistens sind die individuellen Unterschiede innerhalb einer Gruppe viel größer als die zwischen den Geschlechtern."
Abgesehen von biologischen Ursachen wie unterschiedlicher Hormonausschüttungen, würden vor allem Stereotype vermeintliche Geschlechterunterschiede in Sachen Emotionalität zementieren, ist Lamm überzeugt. "Mich interessiert: Wie fühlt der Mensch?" Und da gibt es noch einiges zu tun: Denn das Wissen um die Verankerung der Gefühle im Gehirn kann dazu dienen, Emotionen positiv zu nutzen - und uns gefühlsmäßig weiterbringen.
Link
www.biologicum-almtal.at
Nota.
"Frauen sind das intrigante und berechnende Geschlecht, sie können mit Gefühlen umgehen, ganz nach Bedarf. Der Mann kann das nicht. Er muss sie so ausdrücken, wie sie sind - oder schweigen; er kann sich nicht verstellen. (Die geben sich nichtmal Mühe!)" - Das ist sachlich genau dasselbe, aber trotzdem klingt es ganz anders, nicht wahr?
Ja, was so'n bisschen gerechte Sprache ausmachen kann.
JE
Besser vernetzt? Nur nicht an der richtigen Stelle.
Caravaggio aus scinexxFrauen empfinden negative Gefühle stärker
Schwächere Verknüpfung zweier Hirnareale dämpft rationale Verarbeitung
Die Verknüpfung ist schuld: Frauen reagieren stärker auf negative Gefühle als Männer – sowohl im subjektiven Empfinden als auch neuronal. Denn ihre "Angstzentrale" im Gehirn ist schwächer mit dem rationalen, präfrontalen Cortex verknüpft als bei Männern, wie Forscher herausgefunden haben. Je niedriger der Testosteronspiegel, desto schwächer ist demnach diese Verbindung. Das könnte auch erklären, warum Frauen anfälliger für Depressionen und Angststörungen sind.
Frauen gelten oft als das emotionalere Geschlecht. So erinnern sie sich besser an gefühlsintensive Eindrücke erinnern und lassen sich durch schlechte Nachrichtenstärker stressen als Männer. Zudem leiden Frauen häufiger unter Depressionen Aber woran liegt das? Und lässt sich die unterschiedliche Reaktion der Geschlechter auf Emotionales auch am Gehirn festmachen?
Frauen reagieren stärker auf Trauer und Angst
Um das zu testen, führten Adrianna Mendrek und ihre Kollegen von der University of Montreal ein Experiment im Hirnscanner durch. Sie zeigten dafür 25 Frauen und 21 Männern Bilder mit unterschiedlichem emotionalen Gehalt – von fröhlich und lustig über neutral bis zu furchteinflößend oder traurig. Währenddessen zeichneten sie die Hirnaktivität der Versuchspersonen mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) auf und baten die Teilnehmer, die durch die Bilder geweckten Gefühle zu beschreiben.
Tatsächlich zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Zum einen stuften die Frauen die Bilder, die Trauer, Angst oder Wut darstellten, negativer ein als die Männer – sie empfanden die negativen Emotionen stärker. Diese Sensibilität war dabei umso ausgeprägter, je mehr weibliche Hormone und je weniger Testosteron das Blut der Probanden enthielt, wie die Forscher berichten.
Die Amygdala ist ein Zentrum für die Gefühlsverarbeitung im Gehirn
Neuronale Verknüpfung bei Männern stärker
Diese Unterschiede spiegelten sich auch in den Gehirnen wieder: Bei beiden Geschlechtern waren zwar ein Teil des präfrontalen Cortex und die Amygdala aktiv, wenn sie die Bilder betrachteten. Die Amygdala gilt als Gefühls- und Angstzentrum des Gehirns, sie reagiert vor allem auf potenziell bedrohliche Reize. Der präfrontale Cortex ist dagegen die Vernunftzentrale: Hier werden Eindrücke und Emotionen rational bewertet und soziale Situationen eingeordnet.
Das Auffallende: Bei den Frauen war die Verbindung zwischen diese beiden Hirnarealen deutlich schwächer als bei den Männern. "Das ist die wichtigste und interessanteste Beobachtung unserer Studie", sagt Koautor Stéphane Potvin. "Denn die stärkere Verbindung zwischen diesen Arealen bei den Männern spricht dafür, dass sie einen eher analytischen als emotionalen Ansatz gegenüber negativen Gefühlen haben."
Frauen reagieren demnach tatsächlich sensibler und emotionaler auf negative Gefühle, weil sie unmittelbarer auf den Gefühlsgehalt der Eindrücke reagieren. "Männer dagegen bleiben distanzierter, weil sie die emotionalen Reize und ihre Wirkung stärker rational analysieren", sagt Potvin. Dabei ist diese unterschiedliche Herangehensweise keineswegs bewusst, sondern ein Effekt der verschieden engen Verknüpfung zweier Hirnareale.
Die Analyse der Hormonspiegel ergab zudem, dass präfrontaler Cortex und Amygdala umso enger verknüpft waren, je höher der Testosterongehalt der Probanden war. Das galt sowohl zwischen Männern und Frauen als auch innerhalb der Geschlechter, wie die Forscher betonen. "Es gibt demnach sowohl biologische als auch kulturelle Faktoren, die unsere Sensibilität für negative Gefühle beeinflussen", sagt Mendrek. Ihrer Ansicht nach könnte die Wirkung der Hormone auf die Verarbeitung von Gefühlen im Gehirn auch erklären, warum Frauen häufiger an Depressionen und Angststörungen erkranken als Männer. (Psychoneuroendocrinology, 2015; doi: 10.1016/j.psyneuen.2015.08.012)
(University of Montreal, 25.09.2015 - NPO)
Nota. - In den Siebzigerjahren begann die Forschung, sich für die Unterschiede zwischen den Beiden Ghirnhälften zu interessieren. Hemisphärologie wurde Mode, und schon bald ging ein Lauffeuer um die Welt: Frauem denken mit rechts, Männer mit links. Doch da war gar nichts dran, das erfuhr man schon bald. Danach hieß es, der "Balken", Corpus callosum, der beide Hälften verbindet, sei bei Frauen viel dicker, beide Hälften wären viel besser "vernetzt", so dass Frauen 'ganzheitlich' an die Dinge herangehen und nicht, wie die Männer, vorwiegend analytisch.
Dann hat sich ergeben, dass der Unterschied am Balken doch nur ein kleiner ist; aber ein bisschen, das ist wahr, ist dran. Nüchterne Denken meinten stets, dass Logik und analytisches Denken einerseits und Emotionen andererseits ihren eigenen Bereich auch im Gehirn haben, wäre nur von Vorteil, denn was nützte es der Logik, wenn sie alle Nasen lang von Gefühlen verwirrt würde, und was den Gefühlen, wenn sie allenthalben vom Kalkül unterlaufen werden?
Und nun erfahren wir, dass die Verbindung gerade an der Stelle, wo es besonders drauf ankäme, bei Frauen schwächer, bei den Männern stärker ist. Da wurde wiedermal viel zu früh gefeiert.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen