Mittwoch, 30. Juli 2014

Nichtmal die Quote hilft.

Corbis

Frauenquote in Norwegen hat wenig gebracht 

Mark Fallak 
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut zur Zukunft der Arbeit 

30.07.2014 11:33 

Die seit 2008 geltende Frauenquote in norwegischen Unternehmen hat für weibliche Beschäftigte unterhalb der Führungsebene keine Karriere- oder Einkommensvorteile gebracht. So lautet das Fazit einer aktuellen Studie, die das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) veröffentlicht hat. Ein Team aus vier internationalen Ökonominnen zieht darin eine gemischte Bilanz: Einerseits hat die Quote die männlichen Seilschaften an den Konzernspitzen erfolgreich aufgebrochen. Andererseits hat sich an der Situation von hochqualifizierten Frauen in der Wirtschaft insgesamt praktisch nichts geändert. Die Wissenschaftlerinnen warnen daher vor zu hohen Erwartungen an eine gesetzliche Frauenquote.

Im Jahr 2003 hatte die norwegische Regierung eine Quotenregelung beschlossen, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen und die Einkommensnachteile gegenüber Männern abzubauen. Damals waren kaum mehr als fünf Prozent der Posten in den Verwaltungsräten börsennotierter Unternehmen mit Frauen besetzt. Ab 2008 musste der Anteil auf mindestens 40 Prozent steigen. Entsprechend groß war der Widerstand in der Wirtschaft. Einige Unternehmen änderten sogar ihre Rechtsform, um der Reform zu entgehen.

Die IZA-Studie der Ökonominnen Marianne Bertrand, Sandra Black, Sissel Jensen und Adriana Lleras-Muney entkräftet zunächst das Argument der Quotengegner, es mangele an qualifizierten Frauen für die höchsten Führungspositionen. Das formale Qualifikationsniveau der weiblichen Mitglieder in den Verwaltungsräten liegt heute sogar höher als vor der Reform. Auch gingen die Einkommensunterschiede innerhalb dieser Gremien deutlich zurück.

In der restlichen Belegschaft der Unternehmen hatte die Quote allerdings keine Auswirkungen. Der Frauenanteil im mittleren Management blieb nahezu unverändert. Auch der Einkommensunterschied zwischen hochqualifizierten Männern und Frauen unterhalb der Führungsebene liegt nach wie vor bei rund 15 Prozent. Offenbar sorgt die Frauenquote also nicht wie erhofft dafür, dass der weibliche Führungsnachwuchs gezielt gefördert wird.

Die Autorinnen geben zwar zu bedenken, dass seit der Reform erst wenige Jahre vergangen sind. Allerdings sprechen ihre Befragungen unter Hochschulabsolventinnen nicht dafür, dass sich in absehbarer Zeit viel ändern wird: Weder strömen vermehrt Frauen in Business-Studiengänge, noch haben sich die Einstiegsgehälter der Absolventinnen denen ihrer männlichen Kollegen angepasst. Hier klafft je nach Studiengang noch immer eine Lücke von 22 bis 27 Prozent. Zwar erhofft sich ein Großteil der hochqualifizierten jungen Frauen Einkommens- und Karrierevorteile durch die Quote. Doch die wenigsten von ihnen haben vor, ihre Familienplanung zugunsten der Karriere zurückzustellen.

Weitere Informationen und den Link zur Studie finden Sie unter: http://newsroom.iza.org/de/2014/07/30/frauenquote-in-norwegen/



 

Montag, 28. Juli 2014

Das Eigentor der Frauenversteher.

Hercules bei Omphale
aus Süddeutsche.de,


Attraktivität
Kühl macht sexy 
Wenn Frauen zuhören und an den Problemen von Männern teilhaben, erhöht das ihre Attraktivität. Aber funktioniert das auch andersherum? Forscher fanden eine eindeutige Antwort.
 
Von Sebastian Herrmann

Empfindsame Menschen zählen zu den positiven Ausnahmen unter den Wirbeltieren. Wer am Schicksal anderer teilhat, der sollte doch auch selbst in positivem Licht erscheinen, oder? 
 
Nicht immer. Empfindsame Männer kommen bei Frauen nämlich nicht besonders gut an. Das berichten Psychologen aus Israel und den USA um Gurit Birnbaum im Fachmagazin Personality and Social Psychology Bulletin (online). Andersherum steigert es die Attraktivität von Frauen, wenn sie sich für die Widrigkeiten im Leben der Männer interessieren.
Die Forscher ließen ihre Probanden jeweils mit einem Teilnehmer des anderen Geschlechts über negative Erlebnisse diskutieren - entweder in einem tatsächlichen Gespräch mit Blickkontakt oder anonym über ein Chat-System. Dabei wurde bewertet, wie sehr die Teilnehmer versuchten, den anderen aufzumuntern und ihm den Rücken zu stärken.

Anschließend holten die Psychologen Bewertungen zum jeweiligen Gesprächspartner ein; wurde nur gechattet, legten sie dazu ein Foto des vermeintlichen Gegenübers vor. Die Männern bewerteten zugewandte Frauen im Schnitt eher femininer als die kühlen Gesprächspartnerinnen. Sie galten auch als sexuell attraktiver. Die Frauen fanden nette Männer hingegen weder besonders maskulin noch sexy.


Nota.

"Du gehst überhaupt nicht auf mich ein!" - Sind Sie ein Mann? Dann kennen Sie das. Männer können nicht zuhören: Nichtmal diese Klage ist ehrlich gemeint. Tatsächlich haben sie über hunderte, tausende Generationen durch Zuchtwahl selber dafür gesorgt, dass es so ist - um sich heute besser beklagen zu können.
JE


 

Mittwoch, 23. Juli 2014

Die Väter kommen wieder.



Mehr väterlicher Familiensinn

Dr. Paul Stoop  
Informations- und Kommunikationsreferat
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH 

07/22/2014 09:50  

Viele Väter reduzieren nach der Elternzeit ihre Arbeitszeit und kümmern sich stärker um ihre Kinder

Immer mehr Männer nehmen nach der Geburt ihres Kindes Elternzeit in Anspruch. Das wirkt sich positiv auf die partnerschaftliche Betreuung der Kinder in den Familien aus. Denn Väter, die Elternzeit genommen haben, reduzieren ihre Arbeitszeit nach der Rückkehr in den Job durchschnittlich um 4,5 Stunden pro Woche und beteiligen sich stärker an der Kinderbetreuung. Dies zeigt Mareike Bünning vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in einer Analyse.

Insgesamt hat die Familie für Väter nach der Elternzeit eine größere Priorität. Um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben, reduzieren Väter nicht nur ihre Arbeitszeit, sondern auch ihre Freizeit und verbringen nach der Elternzeit durchschnittlich eine Stunde pro Werktag mehr mit ihren Kindern. Anders sieht es bei der Hausarbeit aus. Hier erhöhen Männer ihr Engagement nach der Elternzeit seltener. Nur Väter, die in Elternzeit waren, während ihre Partnerin erwerbstätig war, übernahmen später mehr Hausarbeit.

Mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen, ist für viele Väter die Hauptmotivation, Elternzeit zu nehmen. „Bereits in zwei Monaten Elternzeit können Väter eine enge Bindung zu ihrem Kind aufbauen, die sie dann längerfristig beibehalten wollen. Eine stärkere Beteiligung bei der Hausarbeit streben die Väter dagegen nicht konkret an. Sie entwickelt sich meist nur dann, wenn Väter Elternzeit nehmen, während ihre Partnerin arbeitet, und sie so eine Zeit lang die volle Verantwortung zu Hause haben“, sagt WZB-Wissenschaftlerin Mareike Bünning.

Seit der Reform der Elternzeit 2007 teilen sich immer mehr Paare die Elternzeit. 2012 nahmen 29,3 Prozent der Väter Elternzeit; 75 Prozent davon nehmen zwei Monate in Anspruch, 25 Prozent bleiben länger zu Hause. Um herauszufinden, ob Männer sich auch nach der Elternzeit mehr Zeit für Kinderbetreuung und Hausarbeit nehmen und dafür ihre Arbeitszeit reduzieren, analysierte Mareike Bünning Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) von 2006 bis 2012 und aus dem Datensatz „Familien in Deutschland“ (FID) von 2010 bis 2012.

Das Erwerbsverhalten von Vätern steht im Mittelpunkt des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten WZB-Forschungsprojekts „Partnerschaft, Elternschaft und Erwerbstätigkeit: Auswirkungen familialer Übergänge auf das Erwerbsverhalten von Männern im Ländervergleich“.

Pressekontakt

Mareike Bünning
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
der Projektgruppe der Präsidentin
Telefon: 030 254 91 297
mareike.buenning@wzb.eu

Kerstin Schneider
Pressestelle
Telefon: 030 254 91 506
kerstin.schneider@wzb.eu

more information: http://www.wzb.eu

Montag, 21. Juli 2014

Der große Unterschied sitzt im Gehirn.

aus Die Presse, Wien, 5.12.2013                                                                                             Graphik von Ragini Verma

Kleiner Unterschied, im Gehirn ganz groß: Frauen denken quer  
Auch Gehirne sind geschlechtsspezifisch, man realisiert es seit einigen Jahren. Die Differenzen sind nicht auf Regionen beschränkt, sie beherrschen die ganze Struktur.


Sind Männer und Frauen gleich? Na ja, äußerlich zeigen sich Differenzen, aber im Kern, also im Gehirn, finde sich allenfalls ein ganz kleiner Unterschied: „Sex differences in the brain“, gebe es nur dort, wo es um „Sex“ gehe, ansonsten seien die Gehirne beider Geschlechter deckungsgleich. So fasste vor nicht gar so langer Zeit, 1966, der Psychologe Seymour Levine den Stand seiner Zunft zusammen. Der kleine Unterschied lebe nur dort, wo die Produktion von Sexualhormonen – vor allem: Östrogen – gesteuert wird, im Hypothalamus, der für die Kontrolle von basalem Verhalten – Essen, Trinken, Sex – zuständig ist. Und von dort schlage das Geschlechtsspezifische dann auf das Balzen etc. durch. Im Rest des Gehirns gebe es hingegen keine Differenzen, zumindest von der Natur her nicht.

Mädchen mögen Puppen, Buben Autos

Das hielt bald 50 Jahre, dann zeigten sich Unterschiede, allerorten: Manche Hirnregionen sind bei Männern größer, andere bei Frauen. Und kleine Mädchen greifen lieber nach Puppen, kleine Burschen bevorzugen Spielzeugautos. Das mag zum Teil kulturelle Gründe haben, aber im Experiment wählten auch kleine Meerkatzen geschlechtsspezifisch. Mädchen wieder schauen lieber in Gesichter, Buben auf mechanische Geräte. Das tun selbst Babys, die gerade einen Tag alt sind. Simon Baron-Cohen (Cambridge) hat es bemerkt, und er ist dem Geschlecht im Gehirn auch anderswo auf der Spur: Mit Autismus sind vornehmlich Männer geschlagen, bei vielen anderen Leiden des Gehirns ist ebenfalls überwiegend ein Geschlecht betroffen.


Natürlich prägt die Differenz auch den Alltag. Jeder Stammtisch weiß es, und sicher ist zumindest, dass Männer besser in Geometrie sind und eine bessere Orientierung im Raum haben. Mit einer Ausnahme: Wenn Frauen einmal auf einem Markt waren, erinnern sie sich das nächste Mal, wo sie gut eingekauft haben. Da mag die Natur mitspielen: Die Erinnerung an Orte wird gefördert von Oxytocin, einem Hormon, das Frauen beim Gebären hilft und ihre Bindung zu den Kindern stärkt. Ihre Kinder mussten die Mütter aber erst wieder finden, als sie in Zeiten des Jagens und Sammelns herumschweiften.

Auch für die Entscheidung darüber, wo sie herumschweifen sollten, brauchten diese Frauen eine gute Erinnerung an Raum und Zeit: Wo gab es das letzte Mal Früchte? Und wann waren die reif? Die Männer hatten andere Sorgen: Sie waren über große Distanzen Wild hinterher, das brauchte abstrakteren Umgang mit Raum, daher die gute Geometrie. Ein anderes Problem hingegen teilen die Geschlechter, beim Werben haben sie es mit Rivalen bzw. Rivalinnen zu tun. Da geht es unter Männern eher grob zu, Frauen bevorzugen es feiner: Sie nutzen soziale Information, sind bessere Beobachter, und ihre Gedächtnisse speichern Details besser, die von Gesichtern etwa. Das hat Ragini Verma (University of Pennsylvania) gezeigt. Aber wo sitzen die Differenzen? Bisher konzentrierte man sich auf einzelne Hirnregionen, nun hat Verma das ganze Gehirn ins Visier genommen bzw. sein „Konnektom“, das ist die Gesamtheit der Verbindungen im Gehirn. Die sehen bei Kindern gleich aus, aber mit Beginn der Pubertät entwickeln sie sich unterschiedlich: Bei Männern laufen die Bahnen bevorzugt in jeder Gehirnhälfte von hinten nach vorn. Hinten sitzt die Wahrnehmung, vorn die koordinierte Aktion, die Verschaltung beider bringt rasches Handeln. [s. Graphik oben]

Bei Frauen geht es eher quer: Da kommuniziert die linke Hirnhälfte, in der analysiert wird, mit der rechten, in der die Intuition haust. „Bei Aufgaben, die Logik und Intuition brauchen, sind Frauen besser“, schließt Verma (Pnas, 2.12.). Ist also der kleine Unterschied doch riesengroß, sind „Männer vom Mars“ und „Frauen von der Venus“, wie der Therapeut John Gray in seinem Bestseller 1992 vermutete? „Natürlich sind immer auch Individuen unterschiedlich“, mildert Verma.

 
Nota.

Um Intuition und Verstand kombinieren zu können, muss man sie zuerst einmal auseinanderhalten. Werden sie von vornherein vermengt, gibt es weder die eine noch den andern, sondern nur das, was der Volksmund von Alters her "weibliche Logik" nennt. - "Was ist der Vorteil", fragte ich vor Jahren, "wenn sich z. B. bei der Lektüre von Kant jederzeit das Gefühl und in die Empfindungen jederzeit Berechnung einmischen könnte? Dieses ist sachlich, jenes ist menschlich unerwünscht." 

Und Querdenken muss man sich erstmal leisten können - sobald man nämlich das Geradeausdenken hinlänglich beherrscht.
JE

 

Freitag, 18. Juli 2014

Ehen mit Söhnen halten besser.

aus scinexx

Warum werden mehr Ehen mit Töchtern geschieden?
Forscher decken biologische Basis eines kuriosen Phänomens auf

Seltsames Phänomen: Es werden mehr Ehen mit Töchtern als solche mit Söhnen geschieden. Aber warum? Liegt es etwa daran, dass Väter noch immer Söhne bevorzugen? US-Forscher haben diese These nun überprüft. Ihr Resultat: Alles Quatsch. Der wahre Grund liegt darin, dass Töchter zäher sind: Sie überstehen auch Schwangerschaften, die schon durch eine kriselnde Ehe und Stress geprägt sind.

Viele Ehen mit Kindern scheitern – doch dabei gibt es eine seltsame statistische Besonderheit: Paare mit Töchtern haben eine etwas höhere Scheidungswahrscheinlichkeit als solche mit Söhnen. "Viele haben vermutet, dass die Mädchen einen negativen Effekt auf die Stabilität der Beziehung ihrer Eltern haben", erklärt Amar Hamoudi von der Duke University. Nach dieser Hypothese sind es nicht die Töchter selbst oder ihr Verhalten, sondern die Tatsache, dass sie Mädchen sind: Psychologen vermuteten, dass Männer instinktiv noch immer Söhne bevorzugen und sich daher zögerlicher trennen, wenn ein solcher vorhanden ist.

Stress schon vor der Geburt

"Wir aber sagen: Nicht so schnell", so Hamoudi. Er und seine Kollegin Jenna Nobles von der University of Wisconsin-Madison halten diese Erklärung für voreilig. Sie haben daher nun nach einer möglichen biologischen Erklärung gesucht und die ganze Frage dafür quasi von hinten aufgerollt. Dafür werteten die Daten zu Geburten, Beziehungszustand und Scheidung des US National Longitudinal Survey of Youth, einer nationalen Erhebung, aus.

Dabei stießen die Forscher auf einen interessanten Zusammenhang: Die Paare, die bereits vor der Geburt ihres ersten Kindes Konflikte in ihrer Beziehung hatten, bekamen häufiger Mädchen als diejenigen in einer guten Beziehung. Der Grund ist nach Angaben von Hamoudi und Nobles kein psychologischer, sondern ein biologischer: Schon im Mutterleib haben männliche Embryos eine geringere Überlebenschance als weibliche, sie sind sensibler gegenüber Störungen und enden leichter in Fehlgeburten.

Mädchen sind zäher

"Mädchen überleben daher möglicherweise auch stressige Schwangerschaften, die Jungs nicht überleben würden", sagt Hamoudi. Dadurch werden sie statistisch häufiger in angespannte Ehen geboren, die wiederum oft mit einer Scheidung enden, so die Erklärung. Töchter verursachen demnach also keine höheren Scheidungsraten, sondern sind ein Nebeneffekt von Eheproblemen.

Nach Ansicht der Forscher ist diese Geschichte in schönes Beispiel dafür, dass Statistiken und Korrelationen eine Sache sind, die tatsächlichen Ursache-Wirkungs- Zusammenhänge aber unter Umstände eine andere als man zunächst denkt. Im konkreten Fall heißt die Botschaft: „Wer die dynamischen Prozesse von Familien und Populationen untersuchen will, muss den Untersuchungsrahmen weiter stecken“, sagt Hamoudi: „Die Uhr beginnt nicht erst ab der Geburt zu ticken“. (Demography, 2014; doi: 10.1007/s13524-014-0305-x)

(Duke University / Demography, 18.07.2014 - NPO/MVI)


Nota.

Männlich sein ist riskant ab ovo und will gepflegt werden. Das Weibliche kommt irgendwie überall durch.
JE

Montag, 14. Juli 2014

Der Beitrag der Frauen wird immer noch kleingeredet.

aus Der Standard, Wien, 9. Juli 2014

Hitlers kaltblütige Furien aus Wien
Eine US-amerikanische Historikerin zeichnet ein grausames Bild von Frauen in der NS-Zeit: Viele waren nicht bloß Mitwisserinnen, sondern "women killers" ohne offizielle Funktion
 
Sie saß in der Ukraine vor unzähligen Kisten, wahllos gefüllt mit Berichten, Fotos, Filmmaterial und anderen Zeugnissen der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie, als in Wendy Lower der Gedanke keimte, dass unsere Geschichtsschreibung eine verheerende Lücke aufweist. Denn was die amerikanische Historikerin dort fand, waren nicht bloß Dokumente über Hitler und Himmler und deren Männer für die Invasion des Ostens. Was sie fand, waren auch Listen mit Frauennamen, die über Dekaden in Archiven hinter dem Eisernen Vorhang schlummerten.

Zwei der Geschichten, die sie genauer untersuchte, erzählen von den Wienerinnen Gertrude Segel und Josefine Krepp. Die beiden waren Freundinnen, kurzzeitig Nachbarinnen, und ihre Biografien weisen einige Parallelen auf: Beide waren einst Sekretärinnen in der Gestapo, beide lernten dort ihre für die SS tätigen späteren Ehemänner kennen, beide folgten ihren Gemahlen in die ukrainische Stadt Drohobytsch - beide sind "women killers", nationalistisch motivierte Mörderinnen, wie Lower über siebzig Jahre nach deren Ankunft dort schreiben wird.

"Tauben schießen"

Am 14. Juni 1942 sitzen Gertrude und ihr Mann Felix Landau am Balkon ihrer Villa in Drohobytsch, dokumentiert Lower die Aussagen eines Augenzeugen. Es war ein sonniger Tag, das Pärchen hört Musik und spielt Karten. Im Garten unter ihnen arbeiten jüdische Männer und Frauen. Irgendwann soll Landau aufgestanden und hineingegangen sein. Als er zurückkommt, hat er ein Gewehr in der Hand. Zuerst schießt er auf Tauben, dann will das auch Gertrude versuchen. Irgendwann richtet sie die Waffe nach unten, schießt. Ein Gärtner fällt tot um. Das Ehepaar soll sich daraufhin bloß lachend ins Haus zurückgezogen haben.

mit Eva Braun 

Das ist eines von zahlreichen Beispielen, mit dem Lower weibliche Gewalt und Grausamkeit im Nationalsozialismus beschreibt. Weibliche Rollen in dieser Zeit ließen sich eben nicht auf "Kinder, Küche, Kirche", die Frau als Hausfrau und Mutter und später die "Trümmerfrau" reduzieren. "Statistiken zeigen, dass die meisten deutschen Frauen alleinstehend und auch nicht dauernd schwanger waren. Propaganda ist eben, was das System dich glauben lassen will, nicht die Realität", sagt Lower bei einem Vortrag an der Universität Innsbruck.

Von rastloser Kaltblütigkeit zeugen auch die Taten der Wienerin Josefine Krepp. Als sie ihrem Ehemann Hans Block nach Drohobytsch nacheilt, war dieser dort Chef der Gestapo, sie bald schwanger und offiziell arbeitslos. Doch könne er keine Entscheidung ohne Josefine treffen, soll Block gesagt haben.

Dass Krepp diese inoffizielle Machtfunktion ausnutzte, ist mehrfach dokumentiert: Als 1943 zweihundert "gypsies" in der Stadt zusammengetrieben wurden, stachelt sie die ukrainische Miliz an, diese Roma so rasch wie möglich zu töten. Nachdem bereits tausende ortsansässige Juden deportiert wurden, soll ein siebenjähriges jüdisches Mädchen Krepp angefleht haben, sie am Leben zu lassen. "Ich helfe dir", besänftigt Krepp das Kind, bevor sie es am Haar zu Boden zieht und zu Tode trampelt.

Rund eine halbe Million deutscher und österreichischer Frauen waren für die Wehrmacht im Osten aktiv. Als Sekretärinnen, Krankenschwestern, Ehefrauen, Mitwisser und -täterinnen hätten sie nicht nur passive Rollen eingenommen, sondern sich auch aktiv inmitten der Kriegszonen befunden, sagt Lower: "Es sind die Geschichten einer Generation von Frauen, von denen viele abenteuerlustig und patriotisch waren und auch Teil eines Größeren, dieser Bewegung, sein wollten."

Es sind Sätze wie diese, deretwegen sie sich die Kritik gefallen lassen muss, zur Verallgemeinerung zu neigen. In ihrem Buch beschreibt Lower, Professorin für Geschichte am Claremont McKenna College in den USA und Fellow an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, die Geschichten von elf deutschen Frauen und den beiden Österreicherinnen Segel und Krepp - es ist fraglich, was diese Einzelschicksale über Millionen von Frauen aussagen können.

Keine rechtliche Konsequenz

Am 28. Juli wird Lowers Buch Hitler's Furies in seiner deutschen Übersetzung erscheinen. Sie befasst sich darin nicht mit Frauen in offiziellen Machtpositionen, sondern mit den weiblichen Nazis im Hintergrund - und vor allem mit Dokumenten aus der Ukraine. Weder Segel noch Krepp wurden für ihre Taten jemals belangt. Was Lowers Erkenntnisse also auch hervorrufen, ist der Verdacht, dass in anderen Ländern Osteuropas weitere Lebensgeschichten von Verbrecherinnen zu finden sein könnten, die in Österreich niemals aufgearbeitet wurden.


Sonntag, 13. Juli 2014

Das Kind ist der Vater des Mannes.



















L’enfant est le père de l’homme.
französische Redensart





Infantil nennen wir das zur Schau gestellte Bedürfnis. Dabei können die Kinder gar nichts dafür. 

Als der Mann aus seiner häuslichen Botmäßigkeit in die Öffentlichkeit floh und zum Weltbürger erwuchs, hat er Weib und Kinder als Unerwachsene zurückgelassen. Und so, wie es sich bei dem substantivierten Partizip ‚der Erwachsene’ deutlich hörbar um eine verlegene Spätschöpfung handelt, ist auch das Kind ein semantischer Neuerwerb.

Ursprünglich bezeichnet daz kint ein Verwandtschaftsverhältnis, nämlich Söhne und Töchter, unabhängig vom Alter. In Wolframs Parzival kann dann jeder Jüngere gegenüber jedem Älteren als kint erscheinen – ein Generationenverhältnis. Als Angehöriger eines definierten gesellschaftlichen Standes ist das Kind allerdings eine Kreation der bürgerlichen Gesellschaft. Denn weil die Frau ihre öffentliche Anerkennung schließlich durch Arbeit rechtfertigen konnte, bleibt das Kind in seiner Uner- wachsenheit alleine übrig. Und jetzt sieht es so aus, als bilde es den bestimmten (bedürftigen) Gegensatz zur Erwachsenheit. Es ist aber kein Gegensatz, sondern ein Residuum. Als solches steht es nicht nur dem gemeinsamen Ursprung, sondern ironischerweise auch der gemeinsamen Zukunft näher als manche andern. 

Ernsthafte Leute halten das Kindliche nämlich für die wahre Bestimmung des Menschen. „Neotenie“: so heißt die These, wonach sich der Evolutionsprozeß von Homo sapiens dadurch auszeichnet, daß er im Lauf der Generationen zu solchen Gestaltformen zurückkehrt, die im Tierreich die spezifisch kindlichen waren. Die auffälligsten (aber nicht einzigen) Kennzeichen dieser „ewigen Unreife des Menschen“, wie sie Leszek Kolakowski nennt und die der Beitrag seines männlichen Anteils ist, sind die relative Übergröße des Kopfes, der Verlust des Haarkleids und die Überlänge der Gliedmaßen bei verkürztem Rumpf.

Doch wäre das Morphologische alles – es wäre nur ein naturgeschichtliches Kuriosum. Ihren Sinn erhält die Kindlichkeit unserer Körperformen aber durch unsere spezifisch kindliche Zugewandtheit zur Welt: die Neugier. „Nur der Mensch behält – neben den körperlichen Merkmalen der Jugendlichkeit – auch die kindliche Neugier bis ins hohe Alter. Unsere permanente Wißbegier ist ein persistierendes Jugendmerkmal, unser exploratives Forschen ist dem Spiel des Kindes verwandt“, sagt Konrad Lorenz. „Dieses Kind im Manne ist ein echter Lausbub. In der Brust des normalen Erwachsenen leben zwei Seelen, eine, die den hergebrachten Traditionen treu ist, und daneben die Seele des Revolutionärs.“

Und daß der Volksmund das Kind im Manne ansiedelt und nicht in der Frau, hat einen offenbaren guten Sinn. Mutwille, Vergeudung von Material und Lebenskraft, Unrast und Ungeduld, ewiges Streben nach Lob und Anerkennung, Größentraum und der Blick in die Sterne – kaum ein Merkmal des spezifisch Kindlichen, das sich nicht auch als „typisch Mann“ verlästern ließe. Ein rein humaner Neuerwerb ist die charakteristische Nähe der Männlichkeit zum Kindlichen übrigens nicht. Sie ist in der Naturgeschichte vorgezeichnet. Quer durch die Tierwelt, mindestens jedoch bei den Säugern, scheint das Leistungsschema der weiblichen Organismen auf eine konstante, durchschnittliche Dauerbelastung angelegt zu sein, ohne dabei den kritischen Punkt zu erreichen. Dagegen strebt das männliche Individuum, wie es scheint, immer wieder bis an die Leistungsgrenze, aber „von Natur“ fehlt ihm die Ausdauer; er braucht Muße. Und das ist ein spezifisch kindlicher Zug – nämlich das energetische Prinzip eines Organismus, der noch wächst. Womöglich sind also Neotenie und Selbstbehauptung des Männlichen in der Gattungsgeschichte von Homo sapiens zwei Seiten desselben Vorgangs (und man verstünde, wie Michael Jackson zum Größten Star Aller Zeiten werden konnte).[1] 

„Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel“, heißt es in den Reden Zarathustras. „Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder“, geht es zwar weiter, und nach nichts ringt (sagt Schiller) die weibliche Gefallsucht so sehr wie nach dem Schein des Kindlichen – von wegen der reinen Bedürftigkeit. „Aber der Mann ist kindlicher als das Weib. Im echten Manne ist ein Kind versteckt, das will spielen.“ Denn das Kind ist eben keine reine Bedürftigkeit: Es will ja auch Gefahr und Spiel. Körperkraft und biologische Fruchtbarkeit teilt es wohl nicht mit den Männern – aber dieses, worauf es viel mehr ankommt: das bestimmte Gefühl, daß etwas fehlt. „Ich bin, was ich bin“ ist so unkindlich wie unmännlich. Denn es gibt Eines, was das Kind auf jeden Fall will: größer sein. L’enfant est le père de l’homme - der des Menschen sowieso, und der des Mannes erst recht.

Ein Mann kann nicht wieder zum Kind
werden, oder er wird kindisch. Aber muß er
nicht selbst wieder auf einer höheren Stufe
bestrebt sein, seine Wahrheit zu reproduzieren? 
Marx

Natürlich sind nicht Frauen so und Männer so. Sondern manche Neigungen wurden durch das Spiel von Auslese und Anpassung unter den Geschlechtern ungleichmäßig verteilt. Es ist keine Sache von entweder-oder, sondern von mehr oder weniger, und auch das nur im breiten Durchschnitt. Was im einzelnen zutrifft, muß sich im einzelnen erweisen. Wieviel daran Natur ist und wieviel bloß Kultur, ist interessant, aber nicht wichtig, denn über Wert und Unwert sagt es nichts. Allerdings gibt es historische Momente, da sind gewisse Neigungen mehr gefragt als andere.

Der aktuelle Moment ist die Ablösung der Wirtschafts- und Arbeitsgesellschaft durch… was? Immerhin ist es, nach dem aufrechten Gang und der Erfindung der Arbeit, unser dritter großer Sprung. Da wird es noch einige Generationen brauchen, bis sich die Konturen des Werdenden abzeichnen. Es ist aber das erstemal, daß wir in vollem Bewußtsein springen. Darum wissen wir immerhin, was nicht wieder werden wird: ein Reich von Kreislauf und Gleichgewicht. Es wird eine Zeit der Umbrüche. Und dafür wird das Genügen am eignen Hiersein und seinen Notdürften weniger taugen als der Mutwille mit dem eingewachsenen Stachel, daß er seine Werke rechtfertigen muß.

Ob auch die neue Welt aus sich heraus eine ‚Substanz’ generiert, die sich zum ‚Maß’ ihrer Werte eignet, steht in den Sternen. Die Emergenz neuer Werte ist gar nicht abzusehen, aber die alten verfallen. Was in der Zwischenzeit immer Geltung beansprucht, wird sich foro publico selber rechtfertigen müssen, jedes auf eigne Faust. Anders gesagt, an die Stelle der unter der Verkleidung von ‚ökonomischer Notwendig- keit’ um Befriedigung wett- eifernden Notdurften treten politische Entscheidungen im eminenten Sinn. Ob sich die weltliche Öffentlichkeit von der viralen Infektion durch nischige Privatismen reinigen kann, wird dabei zur Existenzfrage. Das postmoderne Bedürfnisbefriedigungs- und Selbstverwirklichungsyndrom ist das Caput mortuum einer schon verflossenen Zeit. Freiwillig wird es nicht abtreten. So wird es nötig, im öffentlichen Raum eine Zulassungsordnung einzurichten: Öffentliches Auftreten läßt sich nur rechtfertigen durch die Abenteuer des Selberdenkens und den Stolz, für seine Resultate gradezustehn – immer eingedenk, daß noch was fehlt. Es ist eine Bildungsaufgabe; die Bildungsaufgabe. 

Da trifft es sich gut, daß unsre Spezies darauf nicht erst wieder durch einen jahrtausendelangen Domestikations- prozeß schmerzhaft zugerichtet werden muß. Die Neigung dazu ist ihr doppelt gattungsgeschichtlich eingepflanzt, indem wir unter allen Lebensformen nicht nur die männlichste, sondern eben auch die kindlichste sind. Sie muß nur freigesetzt werden.


[1] s. J. Ebmeier, Michael Jackson – Das Phänomen, Mainz 1999
















<<<zurück Öffentlichkeit - eine männliche Dimension

Freitag, 11. Juli 2014

Öffentlichkeit – eine männliche Dimension


Das Prinzip der modernen Welt fordert, daß, was
jeder anerkennen soll, sich ihm als ein Berechtigtes zeige. 

Hegel 

All dem entgegen steht der Augenschein einer männlichen Vorherrschaft überall dort, wo Öffentlichkeit herrscht. Das kann auch gar nicht überraschen: Öffentlichkeit ist eine „welthafte“, mundane Dimension im Innern der selbstgezimmerten Nische Arbeitsgesellschaft. Sie ist gewissermaßen „das Außen nach innen gekehrt“. Ist sie eine männliche Erfindung? Jedenfalls konnte es nicht ausbleiben, daß sich Männer dort stets wohler gefühlt haben als die Frauen.

Allerdings ist die Öffentlichkeit erst ein Produkt der letzten zwei, dreihundert Jahre – mit der bürgerlichen Gesellschaft. Sie ist nicht zu verwechseln mit der politischen Macht. Die ist vor vielen tausend Jahren entstanden mit den Priesterköniginnen im Zeichen der Großen Mutter. Dabei ist semantische Vorsicht geboten. Politisch ist Herrschaft immer, wenn sie Macht von wenigen über die Vielen (polys) ist. Aber darum ist sie noch nicht öffentlich; das ist sie erst, wenn die Vielen selber untereinander in Verbin- dung stehen; denn dann kann die Idee aufkommen, daß die Wenigen sich zu rechtfertigen hätten. Politische Herrschaft wird erst unter der Prämisse des Repräsentativstaats “öffentlich”. Zu feudalen Zeiten haben die Familien der Großen die politische Macht wie ihre Privatsache behandelt – im Krieg, der von Männern durchgeführt, aber nicht nur von ihnen geführt wurde.

Entstanden ist Öffentlichkeit als Exklave an den Rändern der Kunstnischen. In Gesellschaften auf der Stufe einfacher Reproduktion sind die „getrennten Hauswirtschaften“ (Marx-Engels) die ökonomischen Grundgegebenheiten. Arbeits- teilung gibt es nur im Innern. Die Macht liegt im Haus. Und ob die Männer dort mächtiger sind als die Frauen, ist eine heikle Frage – weil keiner sagen kann, worauf sie sich bezieht. Im Haushalt wiegt die Scheidung zwischen den Generationen schwerer als die zwischen den Geschlechtern, selbst im antiken Rom, wo die Mater familias politisch überhaupt keine Rechte hatte – wohl aber kultisch, was im Alltag der vom Politischen ausgeschlossenen Masse viel wichtiger war. 

Im alten Europa besteht (selbst in den Städten) zwischen den Haushalten so wenig Kontakt wie in Asien zwischen den Dorfgemeinschaften – nämlich nur zufällig, beim Verprassen der Überschüsse, beim Spiel, beim Kult, beim Fest. ‚Das Politische’ greift nur gelegentlich ins Leben ein, als Krieg und Plünderung (und danach als Steuer). Doch nicht immer werden Überschüsse verpraßt. Manchmal tauscht man, was man übrig hat, gegen das, was der andere übrig hat. Das kann man ritualisieren. Dabei waren Männer aktiver. Wenn dann zum Zweck dieses Austauschs produziert wird, entsteht Arbeitsteilung zwischen den Haushalten, und die Männer gewinnen gesellschaftliche Macht – weil so Gesellschaft erst entsteht.

Der Handel schafft Öffentlichkeit – und durch verallgemeinerte Arbeitsteilung eine erweiterte Reproduktion. Die Frauen bleiben bei Kindern, Küche, Kirche. Solange sie sich’s leisten können: Denn mit der großen Industrie verlagert sich der wirtschaftliche Elementarprozeß nach außen, in den Markt, und die Öffentlichkeit greift in die Haushalte ein: Arbeit wird Lohnarbeit. Die Proletarierfrauen geraten in den Sog einer Arbeitsteilung, auf die sie gern verzichtet hätten. Gegenüber von Proletariern und Proletarierinnen stehen jetzt freilich fast nur Männer. Daß das Sprachgebaren des modernen Feminismus so reichlich aus dem Wortschatz des proletarischen Klassenkampfs schöpft, hat hier seine Ursache. 

Aber keinen Grund. Mit der Öffentlichkeit hatten die Männer bei Spielen, Kult und Festen ‚die Welt’ in ihr sorglich gemauertes Loch zurückgeholt. In der Öffentlichkeit hatten sie sich eine mundane Art von Reife anerfunden. Der öffentliche Mann, der Welt-Bürger, ist der Erwachsene. Die große Masse wurde es nicht als Unternehmer, sondern als Lohnarbeiter, das ist wahr, aber besser so als gar nicht. Dies war die größte zivilisatorische Leistung der bürgerlichen Gesellschaft: die Schaffung eines offenen Raumes, zu dem prinzipiell Jeder Zutritt hat. Er ist aber ungewiß und fraglich – weil jeder dort vor jedem andern bestehen muß, denn sein Medium ist (wechselseitige) Anerkennung, und die ist problematisch. Sie versteht sich nicht von selbst, man muß sie rechtfertigen. Dort muß er, anders als in den agrarischen Umwelten, wo Blut und Boden gelten, etwas tun, um wer zu sein – konkurrierend. In der Öffentlichkeit gilt Keines an und für sich, sondern Alle nur vermittelt durch einander. 

Und seither ist das Politische öffentlich schlechthin. Anerkennung findet es nur durch seine Leistung. Die bürgerliche Welt verdoppelt einen Jeden zu einer privaten und einer öffentlichen Person. Aber er ist das eine als das andere: Ob er sich öffentlich hat rechtfertigen können, macht gerade auch privat den entscheidenden Unterschied. (Man erkennt es an der Hinterlassenschaft der DDR. In einer Kultur, wo keine Öffentlichkeit war, wuchsen Menschen auf, die nicht meinten, sich rechtfertigen zu sollen.)[i] Die Verdoppelung hat ihm eine kritische Instanz selber eingebaut – “forum” internum. Das ist es, was ihn erwachsen macht. Und es ist die sachliche Bedingung politischer Freiheit.

Ort der Vermittlung zwischen Privat und Öffentlich – zwischen individuellem Bedürfnis und gesellschaftlichem Wert – ist die große Industrie; für die Masse der Proletarier ein durchaus prekärer Boden der Anerkennung, nämlich nur für die, die Arbeit haben. Indem die Frauen dem Sog des Arbeitsmarkts folgten und sich von Kindern, Küche, Kirche lösten, sind auch sie erwachsen geworden. Anerkennung ist auch ihnen nicht zugefallen, sie mußten sie rechtfertigen. Es reichte nicht, wer zu sein, man und frau muß etwas tun, um was zu werden.
 








Das Private ist politisch.
Alice Schwarzer 
Ich will so bleiben, wie ich bin!
- Du darfst, du darfst.
 Aus der Werbung
 Ihre Bedürfnisse: also ihre Natur.
 Deutsche Ideologie









Das war die Moderne. Die Postmoderne hat die Öffentlichkeit stattdessen zum Showplatz allgemeinen Infantilismus’ verflacht. Sie ist nicht mehr Forum der Rechtfertigung, sondern ein Brettl bloßen Auftritts. Da muß man nix können, nix wissen, da will man in Erscheinung treten. Küblböck, Westerwelle, Wowereit – ich bin, was ich bin, und muß mich nicht genieren. Das Politische wird zur Privatnummer. Daß das an der Medialisierung des Öffentlichen selber läge, ist eine optische Täuschung. Es liegt am Niedergang der industriellen Zivilisation; aber anders, als man denkt. 

Begonnen hat es ‘68 mit der Revolte gegen das „Leistungsprinzip“. Gegen das Prinzip, daß man etwas tun müsse, um was zu sein. Descartes’ Ego mußte zu dem Behuf immerhin denken. Das emergierende postmoderne Selbst rechtfertigte sich schon durch seine Notdurft, mal ökonomisch, mal triebökonomisch. Bedürfen setzt Identität, Zehren ersetzt Leistung. “Das Private ist politisch” ist in der Tat ein weibliches Prinzip; der moderne Feminismus hat nur auf die Spitze getrieben, was im Zug der Zeit lag, und das erklärt, warum er, minoritär wie sonstwas, dennoch ganz korrekt die öffentliche Meinung modelliert. Jedefrau ist schön, jedefrau ist klug, jedefrau ist begehrenswert (sogar Eva Mattes).

Das hat seine Vorgeschichte im wirklichen Leben. Die Arbeitsgesellschaft hat sich von innen überholt – durch die Überformung der produktiven Arbeit von der Verwaltung. An die Stelle des Arbeiters, dessen Handgriffe zusehends die Maschine übernimmt, tritt der Angestellte, der die Realprozesse vermittelnd beglei- tet. Und an die Stelle der Unternehmer treten die Vollzugsbeamten des Kapitals. Ob man es, mit James Burnham, als the managerial revolution beschreibt oder, mit Bruno Rizzi, als la bureaucratisation du monde - es ist derselbe Prozeß der Ersetzung lebendiger Arbeit durch fixes Kapital. Es ist gar nicht mehr das Individuum, das hier ‚leistet’, sondern die in die Maschinen eingebaute Intelligenz ihrer Konstrukteure.

„In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wahren Reichtums abhängig weniger von dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder in keinem Verhältnis steht zur Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie. Was Tätigkeit des Arbeiters war, wird Tätigkeit der Maschine“, heißt es in den Grundrissen. 

„Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört auf und muß aufhören, die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert das Maß des Gebrauchswerts.“ Das Wertgesetz verfällt, die Teilung der Arbeit erübrigt am Ende die Arbeit. 

Wird die Arbeit von der intelligenten Maschine besorgt, verlieren die Werte ihr ange- stammtes Maß. Alles Maß verliert auch das Bedürfnis. Aber das macht ihm nichts. Es erhält sich als Esse a se, Causa sui, Begründung seiner-selbst. In einer Kultur, wo reduzierter Luxus wie Notdurft wirkt, muß es gar nicht erst als Leiden, sondern darf gleich als Selbstverwirklichung in die Welt treten. Wer oder was ist aber ein Selbst? Es ist, was es braucht. Sein Grund ist reinziehn, was Spaß macht, und darauf hat es seinen anteiligen Anspruch. Quote erübrigt Rechtfertigung – in den öffentlichsten Berufen, die es gibt: Staatsdienst und Medien.
 
______________________________________________________________________________
1) Die proletarische Existenzweise ist charakterisiert durch Unsicherheit. Das erfordert Verantwortung. Was Jörg Schönbohm Zwangsproletarisierung nennt, war in Wahrheit Klientifizierung. Das ist ein feudales Verhältnis, kein industrielles.
<<<zurück Der Mann am Herd, oder Die Domestikation des Männlichen.

 

Donnerstag, 10. Juli 2014

Der Mann am Herd, oder: Die Domestikation des Männlichen.

 
Aus der Sorge entspringt die Wirtschaft
Friedrich Bülow, Nationalökonom

Gute zwei Millionen Jahre lang haben unsere steinzeitlichen Vorfahren in einem ökologischen Gleichgewicht mit ihrer Umwelt zugebracht. Sie haben gejagt und gesammelt, die Anzahl der Menschen war begrenzt durch das vorhandene Angebot an Lebensmitteln. War ein Landstrich abgeweidet, zog man weiter – von einer Nische zur andern. Manchmal geschah eine Katastrophe, bei der eine ganze Population zugrunde gehen mochte. Aber die war unvorhersehbar, man konnte nicht vorsorgen.  

Wie auch? Viel Vorrat konnten sie auf ihren Wanderungen nicht tragen; und wie sollten sie ihn haltbar machen? Gelegentliche Überschüsse mußten vergeudet werden, im Fest. Der Überfluß war ebenso unvorhersehbar wie die Not. Denn beide waren Ausnahmen, die die Regel bestätigen: das ökologische Gleichgewicht. Unsere Vorfahren darbten nicht stets am Rande des Untergangs. Sonst hätten sie sich nicht von Ostafrika aus über die ganze Welt verbreiten können. Und nicht in steter Sorge: sonst hätten sie kaum die Muße gehabt, uns jene prachtvollen Zeugnisse ihres künstlerischen Genies zu hinterlassen, die wir in den Höhlen der Dordogne und der kantabrischen Berge.
 
Bleiben oder wandern, das war die einzige Alternative. Mehr gab es nicht vorzusehen. Mit dem Übergang zum Getreidebau und der Seßhaftigkeit änderte sich das. Das war die „neolithische Revolution“, nach der Erfindung des aufrechten Ganges die zweite dramatische, nämlich selbstgemachte Wendung in unserer Gattungsgeschichte. Sie begann vor etwa zwölftausend Jahren bei Jericho im Tal des Jordan. Von nun an gab es einen regelmäßigen Überschuß – auf den man zählen konnte und mit dem man rechnen mußte.

Denn dieser Überschuß war haltbar: Man kann ihn akkumulieren. Wozu er dienen soll, muß und darf nicht der unmittelbaren Notdurft überlassen bleiben. Getreide ist seiner natürlichen Beschaffenheit nach nicht nur haltbar, sondern vor allem auch unendlich teilbar. Würde er sogleich verteilt, wird er verzehrt und vergeudet. Es muß aber ein Vorrat angelegt werden für die Zeit bis zur neuen Ernte. Doch was „notwendig“ ist, läßt sich nun nicht mehr mit bloßem Augenschein ermessen. Man muß es errechnen. Aus der Sorge wird Vorsorge. Man braucht einen Plan. 


Der Plan 

Um zu planen, muß man messen. Muß man kombinieren und schlußfolgern. Logik ist die Ökonomik des Vorstellens. Die Welt ‚ist’ nur, wenn sie gedacht wird. Aber eine logisch konstruierte Welt ist beinahe keine mehr: sondern eine selbstgezimmerte Umwelt mit mondänem Blendgiebel. Die Welt ist vor allem offener Raum. Jene planvolle Unter-Welt oder Über-Nische ist – vor allem andern – knappe Zeit. Denn ab jetzt regiert die Arbeit.
 
Die grundsätzliche Möglichkeit der Ertragssteigerung setzt das natürliche Gleichgewicht zwischen Nahrungsangebot und Bevölkerungsentwicklung außer Kraft. Die Population kann jetzt ständig wachsen – und so wird die Überbevölkerung endemisch. Jede Mißernte und jede äußere Störung macht deutlich, welcher Teil des Volks „weniger wichtig“ und zur Not entbehrlich ist. Seit die Entscheidung über den Plan von einem Volksteil monopolisiert wird, gibt es eine überschüssige Bevölkerung – der andre Teil! Der Übergang zum Ackerbau ist der Anfang der Politik und der Beginn der Klassengesellschaft. Der Kampf um die Verteilung wird zum Angelpunkt der Condition humaine. Aus der Wirtschaft entspringt die Sorge. Durch das Wirtschaften wird Notdurft zum ‚Gattungswesen’ des Menschen.

Tätige Sorge ist Arbeit. Sie ist das universelle Mittel, die Notdurft zu befriedigen. Nicht Risiko, sondern Befriedigung heißt seither das Entwicklungsgesetz. Was jedermanns und jederfraus Eigen- stes ist: ihr Be- dürfnis, wird durch Zirkulation zum Spezifikum von Allen genera- lisiert. Zur Not- durft-an-sich tritt Befriedigung-an-sich: der „Wert“ der Nationalökonomen. Was eine Sache wert ist, mißt sich daran, wieviel Arbeit es braucht, um sie zu beschaffen. An diesem Maßstab kann alles miteinander verglichen und gegeneinander getauscht werden. Die Verteilung der Arbeit auf die Bedürfnisse durch den Austausch von Waren wird zum Normalzustand des Homo sapiens. Ihr letztes Wort war die Große Industrie des 19. und 20. Jahrhunderts.
 
Ausgezeichneter Ort der Sorge und Vorsorge ist der Haushalt – gr. oikos, lat. familia. Er ist aber eben eine Nische höherer Ordnung, eine, die Kraft und Ingenium erheischt, denn sie will eingerichtet und ausgebaut sein. Und das Gleichgewicht in ihrem Innern ist nicht ökologisch vorgegeben, sondern wird erst durch Politik jedesmal neu austariert. Im Großen wie im Kleinen: „Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft“ heißt nichts anderes als daß sich ‚die Gesellschaft’ selber als Ein Großer Haushalt vorkommt. Denn Notdurft ist ihre Klammer, Einsicht in die Notwendigkeit lautet ihre Moral. Und Politische Ökonomie heißt ihre Gesetzestafel. Aus der Welt ist der Mensch in eine Nische zurückgekehrt, die er sich selbst gemauert hat. 

Homo faber

Der Mann ist Arbeitnehmer und Soldat.
Gottfried Benn
Des Weibes ewige Politik ist die Eroberung des Mannes.
Oswald Spengler
   Man muß sich Sisyphus glücklich vorstellen.
 Albert Camus


Daß es der Gattung Homo überhaupt gelang, die Energien der männlichen Population für Ernährung und Aufzucht der Nachkommen zu erschließen, war ein großer Selektionsvorsprung gegenüber konkurrierenden Arten. Indem dabei die spezifisch männliche Tätigkeit – die Jagd – zugleich die elementare Lebensweise prägte – die Vaganz -, wurde die Familie Homo zur gewissermaßen männlichsten unter den Lebewesen.

Mit der Seßhaftigkeit trat der weibliche Arbeitstyp, Sammeln und Hackbau, in den Vordergrund: Das lateinische cultura bedeutet ursprünglich Ackerbau und kommt von collere, sammeln. Der Ackerbau ist – anders als der Hackbau, aber wie die Jagd – körperliche Schwerarbeit. Er wird Männersache. Er verlangt aber auch – wie der Hackbau, anders als die Jagd – Gleichmut und Ausdauer. Der Mann richtet sich nach der Frau.

 

Symbolisch ist die Zähmung des Feuers. Zunächst ist das Feuer, quer durch die Kulturen, ein Symbol des Männlichen, es steht für seine Kraft und Gefährlichkeit. Aber gerade darum gehört es in sichere Hände. Der Mann entzündet es, aber die Frau hat es in ihrer Hut. Auch das ändert sich mit der Seßhaftigkeit. Aus der Nutzbarmachung des Feuers entstehen die ersten Berufe – Ofensetzer, Metallurge, Schmied; Männer, die an den heimischen Herd gebunden sind. Das Schmelzen von Kupfererz dürfte als Nebenprodukt beim Glasieren von Keramik entdeckt worden sein. Neugier, Spieltrieb und Erfindungsgeist – dienstbar gemacht für den Innenausbau der Nische. Der Mann am Herd ist das Sinnbild der kommenden Jahrtausende: Homo faber. Er symbolisiert die Einvernahme des Mutwillens durch die Sorge. 

Krieg und Klassenspaltung 

Doch Schmiede waren nur die wenigsten. Alle andern waren Bauern und taten mehr oder weniger dasselbe – Ackerbau und häusliches Handwerk. Bis sich die Gesellschaft in Herren und Knechte schied. Dazwischen liegt die Erfindung des Krieges. Auch die Wanderer kannten neben der Jagd schon den Raub. Doch erst die Bauern führen Krieg – seit sie einen Boden zu verteidigen haben: ihre Nische, den Haushalt, den Herd.[1] Und den Krieg führen sie typischerweise gegen die Nomadenstämme – jene Volksgruppen, die die Seßhaftigkeit hochmütig verschmähten und jagend hinter den wilden Tieren herzogen, bis sie zu deren Hirten wurden. Das sind die Herrenvölker – selbst Jahwe zog den Hirten Abel dem Bauern Kain vor.

Die Herren verschmähen die behäbige Lebensart der Bauern, aber ihre Ernten verschmähen sie nicht, und regelmäßig erscheinen sie unter den Mauern, um zu plündern – von Jericho bis Samarkand und Timbuktu. Dem Ansturm der Herren von außen stellen sich die Herren im Innern entgegen. Aus der Kaste spezialisierter Krieger bildet sich, im Bündnis mit den Priesterinnen der Großen Mutter, eine herrschende Klasse. Das sind Herren im Dienste der Frauen. Sie herrschen, aber sozusagen nur “in Kommission”. (Das ist der wahre Kern von Bachofens ‚Matriarchat’.)

Und die große Masse sinkt herab zu Fronbauern am Nil, zu Staatssklaven an Euphrat und Tigris. Wo ist das mutwillige Element geblieben, das die Bildung der Gattung Homo einmal hervorgerufen hatte, wo die Freiheit? In der Arbeitsgesellschaft sind die Gelegenheiten, nein zu sagen, ungleich verteilt. Wählen kann der Herr, aber der muß nicht arbeiten. Das Los des werktätigen Knechts ist Sorge. Der wählt nicht frei zwischen den Möglichkeiten, sondern wägt ab zwischen mehr oder weniger Notwendigem. Das Gefühl, gezwungen zu sein, wird er nicht los.

Und wenn er glaubt, anderswo besser dran zu sein, halten ihn Weib und Kinder an der Scholle fest – wenn er eine eigne Scholle hat! Dann bleibt ihm die Hoffnung, durch Mehrarbeit und vorsorgliche Planung einen Überschuß wenn nicht heute, dann vielleicht morgen zu erzielen und auch ein Stücklein Freiheit zu ergattern. Und so jedes Jahr aufs neu. Er ist gar kein faber, sondern ein Haushälter: Homo oeconomicus. Der verhäuslichte, mit Konrad Lorenz zu reden: der verhausschweinte Mann.

Der Unternehmer
Die Vollendung der Arbeitsgesellschaft zur großen Industrie war kein Naturvorgang. Es war ein dramatischer Prozeß mit Brüchen und Sprüngen, durch die jeweils das männliche Element wieder freigelassen wird und sich zu neuen Typen stilisiert. Immer nur eine kleine Vorhut aus der großen Masse der Homini oeconomici, aber ein Ferment, das neue Wirklichkeiten schafft. So tritt während der germanischen Wanderungen aus den Trümmern der Sklavenhaltergesellschaft der Fahrende Ritter.Aber schon bald setzt er sich auf der Scholle fest und hält Hof. Die „Idiotie des Landlebens“ (Marx) holt ihn ein. Der Mutwille, das Handeln fristet ein Nischendasein – beim Krämer zwischen den Stadtmauern, beim reisenden Kaufmann zwischen den Städten. 

Damit er in Gestalt des Unternehmers noch einmal ganz nach vorn treten konnte, brauchte es nicht weniger als die industrielle Revolution – die zugleich die breite Masse der Ackerleute aus ihren Nischen jagt und ins Elend der Lohnarbeit „frei setzt“. Im selben Maß, wie sich dann der Proletarier zum Angestellten zurichtet, verhäuslicht der Unternehmer zum Manager – Funktionär und Verwalter des Kapitals. „Die Sicherheit ist der höchste soziale Begriff der bürgerlichen Gesellschaft“, ahnte Marx. Die ehedem Weite Welt als Bedürfnisbefriedigungs- anstalt, die Große Industrie ganz ohne Unternehmer, der Große Plan ganz ohne Freiheit: das war dann der realexistierende Wie-hieß-er-doch-gleich, die feudalbürokratische Hyper-Nische. Sie ist untergegangen wie Ninive und Babylon.
   
Welche die männlichsten Männer sind, haben durch Zuchtwahl noch immer die Frauen bestimmt, und der domestizierte Mann läßt sich’s gefallen. Der Mutwille konnte durch all die Jahrtausende nur an den Rändern überleben. Als Kondottiere und Konquistador, als Seefahrer, Pirat und Entdecker; als Erfinder, Spinner und Philosoph, und schließlich als Künstler und Revolutionär. All diese Ausreißer und Grenzgänger der Arbeitsgesellschaft müßten sich rechtfertigen, und das könnten sie nur durch den Erfolg; der ist aber den wenigsten vergönnt.


[1] Die antiken Kriegsgötter waren ursprünglich Ackergötter; so Ares-Mars, der – als Fruchtbarkeitsgott – später mit Eros-Amor in Beziehung gebracht wurde.

<<<zurück Erst wenn der Kopf oben ist, gehen wir aufrecht.