Ick bün all do
sagte der Igel zum Hasen.
Es fällt schwer, die molekularbiologischen Befunde oder gar den Peitschenangler, die Drohne, den Löwenpascha nicht sinnbildlich aufzufassen. Der suggestiven Kraft dieser Bilder kann man sich umso weniger entziehen, als jeder von uns entweder das eine oder das andere ist, entweder Mann oder Frau – und wenn nicht, dann hat er’s extra schwer. Daher die wissenschaftliche Sorge, das Biologisch-Faktische möglichst sauber von seiner Symbolik zu scheiden. Doch was zeigt sich? Die „Fakten“ sind selbst schon durch Sinngebungen konstituiert.
Die Suche nach dem, was das Männliche (Weibliche) „faktisch ausmacht“, setzt eine Ahnung davon, was das Männliche (Weibliche) „bedeutet“ (bedeuten soll), immer schon voraus. Es ist ein hermeneutischer Zirkel, der sich innerhalb der Wissenschaft – der kausal rekonstruierenden Naturwissenschaft – nie wird durchbrechen lassen. Sinnbehauptungen lassen sich nicht beweisen, sondern müssen sich bewähren. In mythischen Bildern sind sie besser aufgehoben als in ursächlicher Forschung. Man leistet der Wissenschaft einen Dienst, wenn man sie von ihren mythischen Unterströmungen befreit, indem man diese rein darstellt. Allerdings wird dabei deutlich: Die Tatsachen sind uns durch ihren Sinn gegeben, nicht umgekehrt, denn jener wirft die Frage nach diesen erst auf.
„Alle höchsten Wahrheiten sind durchaus trivial, und darum ist nichts notwendiger, als sie immer neu auszusprechen, damit nicht vergessen wird, daß sie noch da sind“, sagt Friedrich Schlegel. Zum Beispiel die, daß in der „Natur“ des Menschen (doch nicht der andern Lebewesen) noch stets zwei streitende „Kräfte“ zu beobachten waren, deren Widerspiel anscheinend die Dynamik unseres Gattungsschicksals ausmacht. Da ist, wie in allem Leben, eine Tendenz zur Bewahrung, zur Sicherung, zum Zurichten für die Normalität – die Sorge um die Erhaltung. Und da ist eine Tendenz, die sich nur bei der Gattung Homo findet und beim Sapiens insbesondere, denn darum allein gibt es ihn noch: eine Neigung zum Überschwang, zum Vagen und Unerhörten; eine Tendenz, die allezeit das Leben aufs Spiel setzt.
Und
noch eine weitere Trivialität: daß allzeit die Sorge um das
Gleichgewicht und das Haushalten dem weiblichen, aber die Unruhe und der
Drang ins Ungewisse dem männlichen Element zugeordnet wurde: ein Mythos
par excellence.
Sehen
wir zu, wie er sich im historischen Material bewährt. An der
Kulturgeschichte bewährt er sich so blendend, daß man blinzelt:
Womöglich hat nur ein jahrtausendelang vorherrschender männlicher Blick
unsere Optik so eingeschliffen?
Aber
er bewährt sich bereits an unserer Naturgeschichte, nämlich
insbesondere an jenem Punkt, wo unsere Gattung aus der Natur heraus- und
damit in ihre eigene Geschichte trat: an der Hominisation selbst.
Von
allen Lebewesen ist der Mensch das einzige, das nicht in einer
ökologischen Nische haust. Er lebt in der Welt, und die ist eine
Dimension, die er sich selbst verschafft hat – mit dem Kopf. Sie ist das
Gegenteil von einer Nische. Die Welten der Jäger und Sammler, der
orientalischen Hochkulturen und der postindustriellen Gesellschaft mögen
sich nach innen noch so sehr unterscheiden. Aber nach außen sind sie
gemeinsam ebenso scharf geschieden von jenen Umwelten, für die „die
Natur“ all unsere Mitgeschöpfe zugerichtet hat. Dadurch nämlich, daß
sie, anders als jene, grundsätzlich fraglich sind. Selbst in der
archaischsten Ackerbaukultur und selbst in der mesopotamischen
Theokratie ist ein jedes Individuum doch wenigstens einmal „draußen“
gewesen – mit dem Kopf, als Kind.
Daß
es das konnte – und, wenn es denn will, immer wieder kann – verdanken
wir dem Aufbruch unserer Urahnen aus ihrem angestammten afrikanischen
Urwald in die weiten, fremden Savannen des ostafrikanischen Grabens, wo
man sich nirgends einnisten und nur vagant überleben konnte. Die
Condition humaine ist Unsicherheit und Gefahr; und die Verlockung des
Unerhörten. Nur in der Welt ist das Subjekt „geworfen“. Na ja – erst in
der Welt wird es Subjekt.
<<<zurück Pflicht und Kür, oder Die Ausnahme von der Regel.
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