Frauen sind, was sie sind. Männer müssen immer erst etwas tun, um etwas zu sein…
… hieß es mal in einem feministischen Radioessay. Soll heißen, Frauen sind Natur, Männer sind künstlich. Früher war es die Überlegenheit des Mannes, die “natürlich” begründet wurde: Frauen seien das schwächere Geschlecht. Die klassische Frauenbewegung war daher kulturalistisch. Alle Geschlechtscharaktere, die über den sprichwörtlich kleinen Unterschied hinausgehen, seien erst historisch erworben. Alles nur Erziehung! Als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man erst gemacht, sagte die Beauvoir.
X und Y
Der neuere Feminismus denkt naturalistisch. Jetzt heißt es, die Frau sei das eigentlich starke Geschlecht. Zugespitzt in dem Satz “Mannsein ist der am weitesten verbreitete genetische Defekt auf der Welt”, der dem Berliner Molekularbiologen Jens Reich zugeschrieben wurde (der sich selber nicht daran erinnern kann). Eigentlich sei das Leben, und der Mensch zumal, weiblich.
Das Männliche sei nur eine nachträgliche Ab- oder Ausschweifung der Evolution. Und tatsächich ist ja das Y-Chromosom stammesgeschichtlich nur eine späte, verstümmelte Abart des X-Chromosoms. Während die (starke) Frau in ihrer doppelt gesicherten Geschlechtsidentität ruht – XX -, hat das männliche Individuum gegen seinen einen heilen, weiblichen Anteil nur ein beschädigtes Gechlechtsstummelchen aufzubieten, das noch nicht einmal überall mit ‚Information’ besetzt ist: XY!
Und nie bringt er es zu einem guten Ende, immer wieder muss er von vorn anfangen, von Zweifeln zerfressen und ohne Rast, als müsse er etwas beweisen. Rechtfertigung ist ein männliches Thema. Frauen sind, was sie sind, aber Männer müssen immer erst irgendwas tun, um irgendwas zu werden. Während sie in sich ruht, ist er einer, der ‚von Natur’ immer strebt. Sie ist Substanz, er nur Akzidenz, das Weibliche ist sicher, das Männliche ist prekär. So sind die Befunde der Molekular
biologie.
Die feministische Interpretation liegt auf der Hand. Aber flach auf der Hand. Erst wenn man sie umkehrt, bekommt sie Tiefe. Und einen historischen Sinn. Nämlich so: ‚Weiblich’ war die Grundsuppe; doch ‚Männlich’ ist die Spiel-Art. Hier die Norm, da die Varianz. Das Zentrum und die Peripherie. Bewahrung und Risiko.
Der Fuß ist eine verkrüppelte Hand, doch sind
seine Mehrleistungen aufder Erde evident.
Alfred Adler
Alfred Adler
Durch drei Milliarden Jahre hat sich das Leben einfach reproduziert: ein-, d. h. ungeschlechtlich. Und entsprechend eintönig blieb das genetische Material. Das Spiel von Mutationssprüngen, Selektion und Ausbildung neuer Formen zog sich hin – unter Umständen länger als die Veränderung der sachlichen Lebensbedingungen, und eine Art um die andere ging ein: Für die Umstellung auf veränderte Umstände fehlte ihnen der Spielraum.
Die Ab- und Ausweichung eines andern Geschlechts, die Erfindung des Männlichen als Spielart des “weiblichen” Grundmusters hat nur den einen biologischen Sinn: das Erbgut zu diversifizieren und durch vermannigfachte Kombinationsmöglichkeiten die Mutationssprünge breit zu streuen – und eo ipso die Auslese zu beschleunigen. Die männlichen Individuen sind dabei lediglich als Erbgutträger, als Samenbank erfor- derlich. Für alle andern Reproduktionsfunktionen sind sie entbehrlich. Selber lebenstauglich müssen sie nicht sein.
Sprichwörtlich wurden die Drohnen bei Bienen, Hummeln und Hornissen. Den männlichen Ameisen geht es auch nicht besser. Zuerst gehätschelt und verwöhnt; doch haben sie ihren Beitrag zum Arterhalt einmal entrichtet, werden sie abgescho- ben und wohl auch als Nahrung verwertet.
Symbolhaft sprechend ist die Gestalt eines tropischen Tiefseefischs, des
Peitschenanglers: Das weibliche Tier trägt sein “Zwergmännchen” wie
einen Torpedo an seinem Unterleib, als stets verfügbares genetisches
Reservoir.
Doch der Schein trügt. Das Männchen ist nicht als weiblicher
Körperauswuchs zur Welt gekommen. Nur hat es schon im Kindesalter seine
Bestimmung gekannt: zeugen, punctum. Und so hat es sich dem erstbesten
Weibchen, das ihm begegnete, buchstäblich einverleibt, nämlich in seinen
Bauch verbissen, sich seinem Blutkreislauf angeschlossen und das eigene
Wachstum eingestellt. Es trägt den Samen, und damit gut. Andere
Lebensaufgaben sind ihm in der ökologischen Nische des Peitschenanglers
nicht beschieden. Entsprechend dürftig ist es ausgestattet.
Prekär
Noch heute weiß jede achtsame Mutter, dass Jungen eher kränkeln als Mädchen – und dass die Väter wehleidig sind: Das ist die Spur der Stammesgeschichte. Es scheint, als sei das Immunsystem der männlichen Individuen schon im Mutterleib herabgestimmt, um die Gefahr einer Abwehrreaktion des Trägerorganismus gegen das heranwachsende fremde Erbgut zu mindern. Und davon erholt es sich dann sein Lebtag nicht ganz. Eine neuere, verblüffend schlichte Erklärung für die höhere Krankheitsneigung und kürzere Lebensdauer der Männer besagt, dass ihr größerer Körper einfach mehr Angriffsfläche böte für Schädigungen aller Art.
Für diese ihre Körpergröße seien allerdings die Frauen verantwortlich: weil sie vorzugsweise große Männer zur Fortpflanzung wählen. Tatsächlich sind große Männer wohl fruchtbarer als kleine. Gesünder brauchen sie aber nicht zu sein. Denn da sie eigentlich nur für die Arterhaltung, nicht aber für die Selbsterhaltung taugen sollten, ist ihr Organismus nur mangelhaft fürs Überleben ausgerüstet. In Darwins Welt gilt das Gesetz vom Survival of the fittest, dem Überleben des am besten Zugerichteten. Zugerichtet wofür? Für die ökologische Nische, in der die Gattung sich eingenistet hat. Überleben heißt Zugerichtetsein: Spezialisierung auf den Status quo.
Waren die untätigen Drohnen ein Hohn der Männlichkeit, so war der Löwe ihre Zier, die sie stolz in ihre Wappen malte. Bis die Verhaltensforschung auch diese Prahlerei zu Schanden machte. Für den Lebensunterhalt der Seinen ist der Löwe genauso nutzlos wie die Drohne. Nicht er macht Beute, sondern sein Harem. Die Frauen ernähren die Jungen und ziehen sie groß. Der Pascha bedient sich mit dem, was sie ihm bieten, und zeugt.
Und er verteidigt seinen Besitzstand gegen die Rivalen – bis er an einen Stärkeren gerät. Dann tauschen ihn seine Damen gegen den Neuen aus und schicken ihn in die Wüste, wo er allein nicht durchkommt. Wie die Drohne hat er seine Schuldigkeit getan und geht. Bis dahin hat er wohl eine bessere Figur gemacht. Doch außer seiner Zeugungskraft wurde keine seiner Fähigkeiten wirklich gebraucht, und seinem Ersatzmann wird es genauso gehen. Spezialisiert ist er als wandelnde Samenbank, und wenn er im Kampf der Rivalen sein Leben wagt, dann auch nur, damit der Sieger mit seinem besseren Erbgut dienen darf.
Risikokapital
Ansonsten hat das Männliche “von Natur aus” keinen eignen Platz im Erhaltungsplan der Gattung, für den es zugerichtet sein und für den es reifen müsste. Im Vergleich zur heilen Weiblichkeit wirkt es immer ein wenig unfertig, unbestimmt und beliebig: Es ist nicht “festgestellt”. Während der Zellteilung im Mutterleib treten bei den männlichen Geschlechtszellen fünfmal so viele Fehler auf wie bei den weiblichen! Freilich ist diese organische Unbestimmtheit auch ein Reichtum an neuen Möglichkeiten. Die männliche Seite kann Eigenschaften entwickeln, die “von Natur” nicht geplant waren. Weibliche Ganzheit sichert den Erhalt des Lebens, doch männliche Unreife macht es dynamisch und bildsam. Das Weibliche ist das Standbein, das Männliche ist das Spielbein der Natur – ihr Risikokapital. Sie ist positiv, er ist problematisch.
Die feministische These von der natürlichen Zweitrangigkeit des Männlichen gehört daher ins rechte Lot gerückt: Mannsein ist, wo es gelingt, die Überkompensation einer Organminderwertigkeit – und darum der Treibstoff unserer Geschichte. Das Weibliche ist die Pflicht, das Männliche ist die Kür. Regel und Ausnahme. Sicherheit und Risiko; Haushalt und Kunst, Ernst und Spiel.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen