Sonntag, 27. September 2015

Die Zukunft des Mannes.

aus Süddeutsche.de, 27. 9. 2015                                                      ffw-forchheim

Das Ende der Männer
Dass der Mann bald überflüssig wird, ist klar. Aber was soll er machen, wenn man ihn nicht mehr als LKW-Fahrer oder Kranführer braucht? Unser Autor hat sich Gedanken gemacht

VON AXEL HACKE 

Einer Studie der in Oxford tätigen Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne zufolge werden bald 47 Prozent aller heute von Menschen ausgeübten beruflichen Tätigkeiten durch Roboter verrichtet.

Das hatte man sich gedacht. Interessanter ist ein anderes Ergebnis: Die weitaus meisten Jobs, in denen der Mensch überflüssig wird, gehören Männern. Beispiel aus den USA? In nicht ferner Zeit wird das selbst fahrende Auto Realität; 95 Prozent der drei Millionen Lkw-Fahrer aber sind Männer. 93 Prozent der Menschen, die Kranke pflegen, sind indes Frauen. Und Roboterinnen, die sie ersetzen? Nicht in Sicht. Es ist aus mit dem schweißenden, schraubenden, lötenden Mann, vorbei mit ihm als Holzfäller oder Zimmermann. Er hat auch als Telefonverkäufer, Rohstoffhändler, Kranführer keine Zukunft. All diese Tätigkeiten sind zu simpel, als dass sie nicht Sache von Maschinen sein könnten.

»Im Unterschied dazu«, las ich in theatlantic.com, »arbeiten Frauen typischerweise in chaotischeren, weniger strukturierten Umgebungen, in denen die Fähigkeit, die Gefühle und Absichten von Menschen zu erkennen, entscheidend für den Erfolg sind.« Was keine neue These ist. Die Amerikanerin Hanna Rosin schrieb in ihrem berühmten Buch The End of Men, »zum ersten Mal in der Geschichte wird die Weltwirtschaft ein Ort, an dem Frauen mehr Erfolg haben als Männer«, komme es doch in der New Economy weniger auf physische Kraft an als auf »soziale Intelligenz, offene Kommunikation, die Fähigkeit, stillzusitzen und sich zu konzentrieren«.

Wenn Männer leichter durch Roboter zu ersetzen sind, bedeutet das nichts als: Der Mann ist eine Art Roboter, nur eben nicht so gut – zu teuer in der Herstellung, zu aufwendig in der Wartung, zu unpräzise bei der Arbeit. Er kommt zwar in seiner simplen Gefühlsstruktur der Emotionslosigkeit des Roboters nahe, ist aber nicht reduziert genug. Gott hatte bei der Schaffung des Mannes einen Roboter im Sinn, indes fehlte es ihm damals an Schöpfungserfahrung. Heute sind wir weiter.

Auch da, wo der Mann nicht durch Roboter ausgetauscht werden kann, ist er übrigens keineswegs unersetzlich. An seine Stelle können und werden erfolgreich Frauen treten, wie ein Blick ins Bundeskanzleramt lehrt.

Was bleibt ihm und von ihm? In theatlantic.com wird die Zukunft eines Mannes gezeichnet, der sich häuslichen Arbeiten zuwendet, nachdem er seine Frau zur Arbeit gebracht hat, aber das ist insofern nicht richtig, als erstens kein Mann seine Frau zur Arbeit bringen muss, wenn dies von selbst fahrenden Autos (oder der unbemannten U-Bahn) erledigt wird, und zweitens auch der Haushalt bald von automatisch werkelnden Staubsaugern und Putzrobotern bestellt wird; Essen wird heute schon fertig von männlichen Boten geliefert, in Zukunft von Botenrobotern.

In gewissem Rahmen wird der Mann weiterhin zur Produktion von Frauen benötigt, aber das allein ist kein Leben. Der Pessimist sieht des Mannes Zukunft in Sinnlosigkeit, Suff, Gewalt, ja, der Superpessimist erkennt in den Vandalen des IS und den die Ukraine terrorisierenden Horden des Gorilla-Mannes Putin den Beginn schrecklicher Jahrzehnte: der Mann als tobende Nutzlosigkeit – und da ihm ja seine physische Kraft bleibt, läge es nahe, dass er Frauen unterjocht, um arbeitslos von deren Arbeit zu leben.

Der Optimist schaut auf die Statistik der Untersuchung aus Oxford, sieht unter den fünf am wenigsten von Robotik bedrohten Berufen den des Choreografen und findet, es wäre schön, wenn der Mann eine Zukunft als tanzendes Wesen hätte, wenn man also an Straßenrändern und in Parks überall choreografierte Männerballetts sähe, zart schwebende Männerformationen, die der Sinnlosigkeit ja nicht nur des männlichen, sondern überhaupt des ganzen menschlichen Daseins etwas abgewönnen, indem sie all dies in eine neue Sphäre, wie soll ich sagen?, hinübertanzten.

Wir brauchen also die Nurejewisierung des Mannes.
 AXEL HACKE
Um seinen eigenen Job macht Axel Hacke sich insofern schon lange keine Sorgen mehr, als es »Axel Hacke« als Autor gar nicht gibt und nie gab. Es handelt sich dabei nur um ein Pseudonym für eine schreibende Kühlschränkin namens Bosch.

Freitag, 25. September 2015

Besser vernetzt? Nur nicht an der richtigen Stelle.

Caravaggio
aus scinexx

Frauen empfinden negative Gefühle stärker
Schwächere Verknüpfung zweier Hirnareale dämpft rationale Verarbeitung

Die Verknüpfung ist schuld: Frauen reagieren stärker auf negative Gefühle als Männer – sowohl im subjektiven Empfinden als auch neuronal. Denn ihre "Angstzentrale" im Gehirn ist schwächer mit dem rationalen, präfrontalen Cortex verknüpft als bei Männern, wie Forscher herausgefunden haben. Je niedriger der Testosteronspiegel, desto schwächer ist demnach diese Verbindung. Das könnte auch erklären, warum Frauen anfälliger für Depressionen und Angststörungen sind.

Frauen gelten oft als das emotionalere Geschlecht. So erinnern sie sich besser an gefühlsintensive Eindrücke erinnern und lassen sich durch schlechte Nachrichtenstärker stressen als Männer. Zudem leiden Frauen häufiger unter Depressionen Aber woran liegt das? Und lässt sich die unterschiedliche Reaktion der Geschlechter auf Emotionales auch am Gehirn festmachen?

Frauen reagieren stärker auf Trauer und Angst

Um das zu testen, führten Adrianna Mendrek und ihre Kollegen von der University of Montreal ein Experiment im Hirnscanner durch. Sie zeigten dafür 25 Frauen und 21 Männern Bilder mit unterschiedlichem emotionalen Gehalt – von fröhlich und lustig über neutral bis zu furchteinflößend oder traurig. Währenddessen zeichneten sie die Hirnaktivität der Versuchspersonen mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) auf und baten die Teilnehmer, die durch die Bilder geweckten Gefühle zu beschreiben.

Tatsächlich zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Zum einen stuften die Frauen die Bilder, die Trauer, Angst oder Wut darstellten, negativer ein als die Männer – sie empfanden die negativen Emotionen stärker. Diese Sensibilität war dabei umso ausgeprägter, je mehr weibliche Hormone und je weniger Testosteron das Blut der Probanden enthielt, wie die Forscher berichten.
Die Amygdala ist ein Zentrum für die Gefühlsverarbeitung im Gehirn

Neuronale Verknüpfung bei Männern stärker

Diese Unterschiede spiegelten sich auch in den Gehirnen wieder: Bei beiden Geschlechtern waren zwar ein Teil des präfrontalen Cortex und die Amygdala aktiv, wenn sie die Bilder betrachteten. Die Amygdala gilt als Gefühls- und Angstzentrum des Gehirns, sie reagiert vor allem auf potenziell bedrohliche Reize. Der präfrontale Cortex ist dagegen die Vernunftzentrale: Hier werden Eindrücke und Emotionen rational bewertet und soziale Situationen eingeordnet.

Das Auffallende: Bei den Frauen war die Verbindung zwischen diese beiden Hirnarealen deutlich schwächer als bei den Männern. "Das ist die wichtigste und interessanteste Beobachtung unserer Studie", sagt Koautor Stéphane Potvin. "Denn die stärkere Verbindung zwischen diesen Arealen bei den Männern spricht dafür, dass sie einen eher analytischen als emotionalen Ansatz gegenüber negativen Gefühlen haben."

Frauen reagieren demnach tatsächlich sensibler und emotionaler auf negative Gefühle, weil sie unmittelbarer auf den Gefühlsgehalt der Eindrücke reagieren. "Männer dagegen bleiben distanzierter, weil sie die emotionalen Reize und ihre Wirkung stärker rational analysieren", sagt Potvin. Dabei ist diese unterschiedliche Herangehensweise keineswegs bewusst, sondern ein Effekt der verschieden engen Verknüpfung zweier Hirnareale.

Die Analyse der Hormonspiegel ergab zudem, dass präfrontaler Cortex und Amygdala umso enger verknüpft waren, je höher der Testosterongehalt der Probanden war. Das galt sowohl zwischen Männern und Frauen als auch innerhalb der Geschlechter, wie die Forscher betonen. "Es gibt demnach sowohl biologische als auch kulturelle Faktoren, die unsere Sensibilität für negative Gefühle beeinflussen", sagt Mendrek. Ihrer Ansicht nach könnte die Wirkung der Hormone auf die Verarbeitung von Gefühlen im Gehirn auch erklären, warum Frauen häufiger an Depressionen und Angststörungen erkranken als Männer. (Psychoneuroendocrinology, 2015; doi: 10.1016/j.psyneuen.2015.08.012)

(University of Montreal, 25.09.2015 - NPO)

 
Nota. In den Siebzigerjahren begann die Forschung, sich für die Unterschiede zwischen den Beiden Ghirnhälften zu interessieren. Hemisphärologie wurde Mode, und schon bald ging ein Lauffeuer um die Welt: Frauem denken mit rechts, Männer mit links. Doch da war gar nichts dran, das erfuhr man schon bald. Danach hieß es, der "Balken", Corpus callo- sum, der beide Hälften verbindet, sei bei Frauen viel dicker, beide Hälften wären viel besser "vernetzt", so dass Frauen 'ganzheitlich' an die Dinge herangehen und nicht, wie die Männer, vorwiegend analytisch. 

Dann hat sich ergeben, dass der Unterschied am Balken doch nur ein kleiner ist; aber ein bisschen, das ist wahr, ist dran. Nüchterne Denker meinten stets, dass Logik und analytisches Denken einerseits und Emotionen andererseits ihren eigenen Bereich auch im Gehirn haben, wäre nur von Vorteil, denn was nützte es der Logik, wenn sie alle Nasen lang von Gefühlen verwirrt würde, und was den Gefühlen, wenn sie allenthalben vom Kalkül unterlaufen werden?

Und nun erfahren wir, dass die Verbindung gerade an der Stelle, wo es besonders drauf ankäme, bei Frauen schwächer, bei den Männern stärker ist. Da wurde wiedermal viel zu früh gefeiert.
JE


Freitag, 18. September 2015

Verblöden durch Domestikation.

aus scinexx
Hunde: Dümmer durch Domestikation? 
Haushunde schneiden beim selbstständigen Lösen von Problemen schlechter ab als Wölfe 

Hunde haben durch ihre enge Beziehung zum Menschen offenbar einiges an Grips und Selbstständigkeit eingebüßt. Denn wenn sie allein ein Problem lösen sollen, verlieren sie schnell die Lust und blicken stattdessen hilfesuchend zum Menschen. Wölfe dagegen knobeln solange, bis sie es geschafft haben, wie ein Experiment belegt. Das Versagen der Hunde spricht dafür, dass die starke Ausrichtung auf uns Menschen ihre Problemlöse-Fähigkeiten hemmt, wie Forscher im Fachmagazin "Biology Letters" berichten. 

Hunde sind echte Menschenkenner: Sie folgen unseren Blicken, erkennen unser Lächeln und entnehmen unserer Tonlage selbst feine Nuancen unserer Stimmung. Doch diese Anpassung an den Menschen scheint nicht ohne Kosten zu sein. Bereits 2014 fanden Forscher heraus, dass Hunde schlechter zählen können als ihre wilden Verwandten, die Wölfe.


Monique Udell von der Oregon State University in Corvallis und ihre Kollegen haben nun ein weiteres Indiz dafür gefunden, dass Domestikation die Hunde in gewisser Hinsicht eher dümmer machte. In ihrem Experiment testeten sie, wie gut Wölfe und Hunde eine knifflige Aufgabe lösten. Dafür legten die Forscher im Beisein des Hundes eine Wurst in eine durchsichtige Plastikbox. Ihr Deckel ließ sich jedoch nur abziehen, wenn die Tiere an einem daran befestigten Seil zerrten.

Wölfe schaffen es, Hunde nicht 

Wie sich zeigte, lösten acht von zehn Wölfen die Aufgabe problemlos. Sie zerrten und bissen so lange an der Box herum, bis sie den Deckel erfolgreich abgezogen hatten. Nicht so die Hunde: Schon nach kurzer Zeit gaben sie auf und blickten sie hilfesuchend zu dem im Raum anwesenden Menschen. "Die Hunde verbrachten signifikant mehr Zeit damit, zum Menschen hinzusehen, als die Wölfe", berichten die Forscher.

Wölfe tüfteln solange, bis sie die Aufgabe gelöst haben.

Die magere Erfolgsbilanz: Von den zehn Haushunden schaffte es keiner, die Box zu öffnen, unter den zehn Hunden aus dem Tierheim gelang dies nur einem. Und dies änderte sich auch kaum, als der Mensch den Hunden Rückmeldung gab und sie aktiv zum Weitermachen ermunterte. Zwar beschäftigten sie sich dann länger mit der Box, von den 20 Hunden schafften es aber selbst dann nur vier Tierheimhunde und ein Haushund, an die Wurst heranzukommen.

Hilfe suchen statt selbstständig handeln 

Nach Ansicht von Udell und ihren Kollegen zeigt dies, dass Wölfe besser darin sind, unabhängig Probleme zu lösen. Diese Fähigkeit scheinen Hunde zumindest zum Teil eingebüßt zu haben. "Hunde sind hypersozial, verglichen mit ihren wilden Gegenparts", erklärt Udell. "Ihre erhöhte soziale Sensibilität könnte ihre Fähigkeiten zum unabhängigen Problemlösen stören."

Oder anders ausgedrückt: Hunde haben sich daran gewöhnt, sich auf den Menschen und seine sozialen Signale zu verlassen. Vor ein Problem gestellt, suchen sie daher bei ihm Hilfe, beispielsweise in Form einer erhellenden Geste. "Hunde könnten gelernt haben, in Abwesenheit klarer menschlicher Hinweise eher vorsichtig zu sein", meint Udell. "Das ist langfristig beim Zusammenleben mit Menschen sicher ein Vorteil."

Die Kehrseite ist allerdings, dass die Hunde auf sich allein gestellt weniger gut klarkommen als ihre wilden Verwandten. Wenn darum geht, Probleme selbstständig zu lösen, verlieren sie schnell die Lust. (Royal Society Biology Letters, 2015; doi: 10.1098/rsbl.2015.0489

(Royal Society, 16.09.2015 - NPO)

Donnerstag, 17. September 2015

Östrogen macht unsozial.

aus scinexx

Macht Östrogen unsozialer?
Weiblicher Zyklus beeinflusst die Kooperationsbereit
schaft von Frauen
Unsozialer durch Hormone? Wie kooperativ eine Frau ist, hängt auch von ihrem Zyklus ab, wie eine Studie nun nahelegt. Während und kurz nach der Menstruation sind Frauen demnach eher bereit mit anderen zu teilen als beim Eisprung. Ihre Kooperationsbereitschaft schwankt dabei offenbar mit dem Östrogenspiegel: Je höher der Spiegel dieses Geschlechtshormons, desto unsozialer handelten die Frauen im Experiment.

Der monatliche Zyklus beeinflusst mehr als nur die Fruchtbarkeit. Die schwankenden Hormonspiegel sorgen auch dafür, dass um die Zeit des Eisprungs die Lust der Frauen am Fremdgehen wächst und sie die Farbe Rot mehr bevorzugen als sonst. In den "Tagen vor den Tagen" leiden dagegen viele Frauen unter Reizbarkeit und sind näher am Wasser gebaut.

Würden Sie teilen?

Christine Anderl von der Goethe-Universität Frankfurt und ihre Kollegen haben nun einen weiteren Effekt des Zyklus auf das weibliche Verhalten aufgedeckt: Er beeinflusst auch die Bereitschaft, mit anderen zu teilen. Für ihre Studie untersuchten sie die Kooperationsbereitschaft von gut 300 Frauen zu verschiedenen Zeiten ihres Zyklus. Sie baten die Teilnehmerinnen dabei, in einem Online-Spiel fiktiv Geld zwischen sich selbst und einer anderen, ihnen völlig unbekannten Person aufzuteilen.


"Durch eine Vielzahl an Studien ist belegt, dass Menschen, die bei diesem Test eine hohe Bereitschaft zum Teilen zeigen, auch im echten Leben häufiger und mehr Geld für einen guten Zweck spenden, öfter mit der Bahn statt mit dem Auto zur Arbeit fahren und in Verhandlungen kompromissbereiter sind als Menschen mit einer weniger stark ausgeprägten prosozialen Wertorientierung", erklärt Anderl. Die Frage aber war: Verändert sich diese soziale Haltung im Laufe des weiblichen Zyklus?

Hilfsbereiter während der Menstruation

Die Auswertung ergab tatsächlich auffallende Unterschiede: Während der Menstruation und kurz danach waren die Frauen deutlich eher bereit, ihre eigenen Ressourcen mit einer fremden Person zu teilen. Frauen kurz nach dem Eisprung entschieden sich dagegen häufiger dafür, das Geld zu behalten. Dieses Ergebnis beobachteten die Forscher sowohl bei einem Experiment-Durchgang in Deutschland als auch in den USA.

"Eine Frau, die in der frühen Phase des Zyklus prosozial erscheint, hätte damit gute Chancen, bei einem erneuten Test zwei oder drei Wochen später als eher individualistisch eingestuft zu werden", verdeutlichen die Forscher. Sie haben bereits erste Hinweise darauf gesammelt, dass diese Effekte auch dann auftreten, wenn es nicht um ein bloßes Spiel, sondern um echtes Geld geht.

Östrogen als Hemmstoff?

Was aber löst diese Unterschiede in der Teilungsbereitschaft aus? Um das herauszufinden, verglichen Anders und ihre Kollegen den Verlauf der verschiedenen Zyklushormone mit dem Verhalten der Frauen. Typischerweise ist der Östrogenspiegel während der Menstruation sehr niedrig und steigt bis zum Eisprung stark an, um dann wieder abzusinken. Das Hormon Progesteron bleibt dagegen länger niedrig und steigt erst einige Tage nach dem Eisprung und bis kurz vor Beginn der nächsten Periode deutlich an.

Der Vergleich ergab: Je höher der zyklusabhängige Spiegel des Geschlechtshormons Östrogen lag, desto niedriger war die Teilungsbereitschaft der Frauen. "Das passt gut zu den Ergebnissen einer aktuellen Studie, bei der Frauen zu den Zeiten schlechter mit Mitmenschen auskamen, an denen sie einen hohen Spiegel von Östrogen im Morgenurin aufwiesen", erklären die Forscher. Aus weiteren Studien ist zudem bekannt, dass auch das männliche Geschlechtshormon Testosteron und das "Kuschelhormon" Oxytocin das soziale Verhalten und die Kooperationsbereitschaft beeinflussen.

Wie stark sich die zyklusbedingten Schwankungen im Alltag auf das Verhalten von Frauen auswirken und welche Lebensbereiche besonders betroffen sind, wollen die Forscher nun weiter untersuchen. Denn sollte sich dieser soziale Einfluss des Östrogens bestätigen, dann könnte dies auch für die hormonelle Verhütung durch die Pille eine Rolle spielen. Denn bisher weiß man noch wenig darüber, wie synthetische Hormone auf das Gehirn wirken und welchen Einfluss sie auf das Verhalten von Frauen haben. (Judgement and Decision Making, 2015; (PDF))

(Goethe-Universität Frankfurt am Main, 16.09.2015 - NPO)

Mittwoch, 16. September 2015

Weibliche Weltanschauung?



Das Weib hat gar keine Weltanschauung; weil sie nicht in eine Welt blickt, sondern lediglich in ihre Umwelt, und die besteht aus zwei nachbarschaftlichen Kreisen: Ich und meine Familie und Ich und meine Freundinnen. Was da nicht rein passt, wird ihr nie ganz geheuer sein und immer Anlass zur Unzufriedenheit.

Ein kluger Mann könnte sagen: Seit das Weib als diu vrouwe zu einer öffentlichen Person geworden ist, hat sie neue Möglichkeiten. Ein lebenskluger Mann entgegnet: Die werden nicht viele von ihnen verlocken können.





Dienstag, 15. September 2015

Genderstudies oder Biologie?


Kinder spielen mit einem jungen Nandu
aus Tagesspiegel.de, 13.09.2015 21:02 Uhr

Genderstudies und Biologie
„Da treffen zwei Welten aufeinander“
Der Evolutionsbiologe Axel Meyer über die genetischen Unterschiede zwischen Mann und Frau sowie wissenschaftliche Paralleluniversen, die darüber diskutieren.

Interview von Richard Friebe

Professor Meyer, weinen Frauen häufiger als Männer?

Einige Studien scheinen das zu belegen, davon schrieb zumindest ein Kollege.

Und tendieren schlaue Frauen dazu, sich in schlaue Männer zu verlieben, und schlaue Männer in schlaue Frauen?

Ja, auch das ist wohl so. Die Ähnlichkeiten im IQ bei Partnern sind noch größer als die Tendenz, dass, wer selbst groß ist sich auch einen großen, wer klein ist sich einen eher kleinen Partner sucht.

Dann waren zwei der Aussagen, die den Nobelpreisträger Tim Hunt Job und Ansehen gekostet haben, korrekt?

Er hat das ja im Scherz gesagt. Ich kann schon verstehen, dass seine Statements Leute verstört haben. Aber egal ob im Ernst oder im Scherz: Wenn man sagt, dass Frauen anders sind als Männer und das biologisch, genetisch begründet, schlägt einem von Geisteswissenschaftlern und vor allem aus der Gender-Studies-Ecke immer Entrüstung entgegen.

Sie glauben, für diese Wissenschaftler ist die Biologie eine Art Feindbild?

Da treffen zwei Welten aufeinander. Die einen sagen, wir werden gender-neutral, jenseits des Organischen vollkommen gleich geboren. Nur die Gesellschaft presst Menschen mit Vagina oder Penis in ihre Rollen. Und es gibt die anderen, die in Experimenten zeigen, dass Geschlechtsunterschiede in Verhaltens- und Denkaspekten genetisch mitbestimmt sind. Biologen wissen meist nicht, dass sie dieses Feindbild darstellen. Sie arbeiten in ihren Laboren, werden in Talkshows gar nicht erst eingeladen, und haben nie etwas von der Gender-Studies-Päpstin, Judith Butler, gehört.

Sie aber schon?

Ich war lange Zeit genauso ignorant. Mir war, bevor ich ein Jahr am Wissenschaftskolleg in Berlin war und da es eng mit Geisteswissenschaftlern zu tun bekam, weder ihr Name noch ihre Arbeit präsent. Sie hielt einen Vortrag in der Stadt und alle pilgerten hin, als sei es eine Wallfahrt. Ich stand da und fragte: „Judith wer?“

Das klingt nach einer seltsamen Koexistenz zweier wissenschaftlicher Paralleluniversen, die dasselbe Thema bearbeiten.

Das war die Initialzündung für mein Buch. Welchen Einfluss haben die Gene auf das menschliche Leben, und speziell bezüglich der Unterschiede zwischen Mann und Frau? Da geht es um Evidenz, um Studien, um statistisch abgesicherte Daten. Und nicht um Interpretation, um Philosophie oder um Ideologie.

Die biologische Interpretation der Conditio humana gilt selbst als ideologisch, als „biologistisch“, und sie vermittelt einen Determinismus, der mit unserem Freiheitsbegriff und Erfahrung nicht zusammenpasst.

Ich behaupte ja nicht, dass alles genetisch vorbestimmt ist. Manches ist eher oder sogar ganz genetisch vorbestimmt, manches ist sehr umweltabhängig, kulturbedingt. Das meiste speist sich aus beidem. Und Umwelt nimmt Einfluss auf Biologie. Die Epigenetik-Forschung zeigt ja sogar, dass die Umwelt beeinflusst, welche Gene aktiv werden. Forscher werden kritisiert, wenn sie sagen, dass die Verteilung der Intelligenz zu etwas mehr als 50 Prozent erblich ist. Aber das bedeutet auch, dass die anderen knapp 50 Prozent beeinflussbar sind, durch Ernährung und Bildung etwa und dadurch, dass man Menschen ihren genetisch bedingten Neigungen nachgehen lässt. Die je nach Geschlecht unterschiedlich sein können.

Was ist mit der Gleichstellung der Frau?

Ich denke, die ist hierzulande weitgehend erreicht. Es ist wichtig, das zu verteidigen. Aber die Aufsichtsratsquote halte ich für eine neue Geschlechterdiskriminierung. Wenn man konsequent wäre, müsste es dann ja eine Soldatinnen- oder Müllfrauenquote geben. Und wenn die Lebenserwartung von Frauen fünf Jahre höher ist, wird auch nicht gefordert, dass sie länger arbeiten sollten, was nach Gleichheitslogik nur fair wäre.

Meinen Sie, dass Gleichheit und Diversität, zwei der Leitbegriffe der freien Welt, gar nicht zu vereinen sind?

Die Menschheit ist wunderbar divers, so wie die ganze Natur. Und es wird mit ideologischem Impetus übertrieben versucht, alles gleichzumachen.

Martin Luther-King ...

... meinte tatsächliche Konstrukte von Ungleichheit aufgrund der Herkunft oder Hautfarbe. Ihm ging es um gleiche Rechte und Universalität der Menschenwürde. Welcher vernünftige Mensch würde da widersprechen? Aber für mich gehört zu menschenwürdigem Leben das Recht, eigenen biologischen Veranlagungen zu folgen. Doch es ist absurd, auf unhaltbare Konstrukte von Ungleichheit mit genauso unbegründeten Konstrukten von Uniformität zu antworten.

Was ist denn typisch Mann oder Frau?

Jungs spielen lieber mit Baggern, Mädchen eher mit Puppen, das ist sogar bei Menschenaffenbabys so. Männer können sich im Allgemeinen besser räumlich orientieren als Frauen, vielleicht ein Erbe der zehntausende Jahre, in denen sie Jäger waren. Es gibt auch Orientierungsgenies bei Frauen, nur eben seltener. Die Nobelpreisträgerin Dorothy Hodgkin etwa, die die dreidimensionale Struktur von Molekülen erforschte, war vielleicht so eine. Ich beschreibe sie in meinem Buch. Aber eben eher als Ausnahme von der statistischen Regel. Anekdoten sind eingängig, aber sie haben keine wissenschaftliche Aussagekraft. „Typisch weiblich“ trifft immer nur zu einem Teil zu.

Sie sprechen viel von statistischen Wahrscheinlichkeiten, das finden die meisten Leute abschreckend, unkonkret, abstrakt.

Wer das so sieht, sollte sich klarmachen: Sie wären ohne Statistik wahrscheinlich längst tot, oder nie geboren worden. Denn ohne Statistik gäbe es kein einziges modernes und einigermaßen sicheres Medikament. Deren Wirkung wird in Studien statistisch analysiert.

Axel MeyerAber statistische Wahrscheinlichkeiten bedeuten auch Unsicherheit. Zum Beispiel was Krankheitsgene angeht.

Teilweise werden aus Wahrscheinlichkeiten gruselige Tatsachen. Ich selbst habe mein Genom charakterisieren lassen. Da kam ein im Vergleich zum Durchschnitt mehr als dreifach erhöhtes Thromboserisiko heraus. Und raten Sie mal, weswegen ich, während ich an dem Buch schrieb, ins Krankenhaus musste?

Man könnte jetzt über selbst erfüllende Prophezeiungen spekulieren. Aber konkret: Was bringt so ein Test dann?

Solche Gentests sind zwiespältig, bei manchen Krankheitsgenen kann man bislang wenig machen, denen für Alzheimer etwa. Bei Thrombose hat mir der Test vielleicht geholfen, selbst die Verdachtsdiagnose zu stellen und ins Krankenhaus zu fahren. Jetzt nehme ich blutverdünnende Medikamente zur Vorbeugung. Angelina Jolie hat sich wegen ihres Krebsrisikos die Brüste, Eierstöcke und Eileiter entfernen lassen. Ohne dieses Wissen und ihre Konsequenz wäre sie mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit erkrankt.

Sollte es, sofern möglich, erlaubt werden, solche Gene im Embryo abzuschalten?


Da stehen uns tiefgreifende Debatten bevor. Ich habe keine abschließende Antwort. Wir müssen uns bewusst sein, dass es wahrscheinlich gemacht werden wird. Wenn nicht bei uns, dann anderswo.

Zurück zu den Paralleluniversen der Geschlechterforschung und der Lebenswissenschaften. Wie können sie sich annähern?

Wie überall, durch Bildung und Kommunikation. Es wäre gut, wenn Studenten der Geisteswissenschaften Grundkurse in Genetik und Evolutionsbiologie besuchen würden, Naturwissenschaftler umgekehrt Wissenschaftsphilosophie oder Soziologie hören müssten. Als Naturwissenschaftler plädiere ich: Orientiert euch an Daten, an Fakten, an Experimenten, an Statistik. Und nicht an Anekdoten und an denen, die am lautesten brüllen.

Die Fragen stellte Richard Friebe. 

Axel Meyer kommt am 29. September 2015 an die Urania in Berlin und stellt sein Buch „Adams Apfel und Evas Erbe. Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer“ vor (Bertelsmann, München 2015. 19,99 Euro).


Nota. - Das ist kein Zwist zwischen Lebenswissenschaften und Geisteswissenschaften. Es ist ein Zwist zwischen Wis- senschaft und Unwissenschaft.

Die Nationalsozialisten haben, wie eigentlich jede völkische Rechte, ihren Rassismus biologisch begründet. Aber nicht mit biologischer Wissenschaft, sondern mit Halbwissen, Hörensagen und gewöhnlichem dummem Vorurteil. Wissen- schaftlich war nichts daran. Aber sie brauchten auch keine Legitimierung durch Wissenschaft. Sie hatten die SS.

Biologistisch nennt man einen Wissenschaftler, wenn er Argumente, die in der Biologie richtig sind, auf fremde Wissens- gebiete überträgt, die auf anderen Voraussetzungen gegründet sind. Er selbst hört dadurch nicht auf, Wissenschaftler zu sein, doch unwissenschaftlich ist sein Verfahren. Eine Schwierigkeit ist nur, dass ihm seine Übertretung meist von seinen biologischen Kollegen, die seine Fachlogik selber kennen, leichter nachzuweisen wäre, als von den Vertretern der belä- stigten Disziplin; aber seine eignen Leute werden sich kaum äußern.

Ein biologischer Wissenschaftler weiß heute, dass in der Natur keine Gesetze walten, denn einen Gesetzgeber kann er nicht voraussetzen. Er weiß, dass sich die exakten Natur-Wissenschaften mit dem Erwägen von Wahrscheinlichkeiten bescheiden müssen. Je weiter sie sich vom Kernbestand ihrer Wissenschaft entfernen, um so weniger wahrscheinlich wird, dass sie dort Dinge finden, die sie bereits kennen. 

Solange die Menschen - oder richtiger: ihre Vorfahren - bloße Natursubjekte waren wie die andern Lebewesen, ist die Biologie in ihrem vollen Recht - Umweltfragen aller Art inklusive. Seit die Menschen ihre eigene Geschichte machen - grob gesagt: seit sie aufrecht gehen -, gestalten sie ihre Umwelt und in einem gewissen Umfang selbst ihre Physis selber - aus 'Ursachen' und 'Motiven', die die Biologie nicht in ihrem eigenen Fundus vorfindet. Ab hier müssen neue Prämissen gefunden werden.

Aber dass die Menschen ihre Geschichte von nun an selber machen, bedeutet nicht, dass sie die Milliarden Jahre Stam- mesgeschichte, die hinter ihnen liegen, abgeschüttelt hätten. Die neuen Prämissen im sozialen und kulturellen Bereich ersetzen nicht die biologischen Gegebenheiten, sondern überlagern sie. Und wo ein Kulturanthropologe behauptet, eine kulturell neu erworbene Eigenschaft der Menschen setzte eine stammesgeschichtlich überkommene Determinante außer Kraft, da liegt die Beweislast ganz allein bei ihm. Denn ein biologisches Merkmal kann nur durch einen biologischen Vorgang überschrieben werden.

Am Stammtisch darf man sagen: "Seit der Entdeckung der Epigenetik können erworbene Eigenschaften vererbt werden." Ein Wissenschaftler müsste immer noch nachweisen, dass, wann, wo und (möglichst) warum diese Eigenschaft in dieser Population vererbt würde. Kurz gesagt, es ist immer noch nur ein Zwist zwischen Wissenschaft und Unwissenschaft.
JE

Sonntag, 13. September 2015

Ein Riesenunterschied.

Jean-Louis Barye, Kraft
aus Der Standard, Wien, 13. September 2015, 12:00

Wann ist ein Mann ein Mann?
Das männliche Gehirn unterscheidet sich vom weiblichen – wie sich das aufs Denken und Handeln auswirkt, ist Gegenstand zahlreicher Forschungen

von Tanja Paar 

Die Wissenschaft ist ein Kind ihrer Zeit: "Der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist gerade einmal 27 Zentimeter lang", schreibt der Epidemiologe Robin Haring in seinem aktuellen Buch "Die Männerlüge".

Damit sei "aber nicht die Länge des männlichen Fortpflanzungsorgans gemeint, sondern das 1991 entdeckte 'Männer-Gen'. Mit der Entdeckung der 'sex determing region of Y-Gen' (SRY) wurde jenes Zusammenspiel von Genen und Hormonen aufgeklärt, das aus Trägern des Y-Chromosoms richtige Männer macht", schreibt er. Und er setzt noch eines drauf: "Denn von Natur aus sind zunächst alle Menschen weiblich."

Am Anfang waren die Hoden

Damit aus dem weiblich ausgerichteten Urprogramm ein Mann entstehe, müsse erst ein "hormoneller Schalter" umgelegt werden. Dazu entfalte das männliche Y-Chromosom ab der sechsten Schwangerschaftswoche erstmals seine Wirkung und initiiere die Entwicklung embryonaler Hoden.



Parallel dazu laufe ab der achten Schwangerschaftswoche eine "Testosteronfabrik" an. Mit dem Höhepunkt der Testosteronproduktion in der 16. Schwangerschaftswoche sei die getrennte Geschlechtsentwicklung vollbracht. Anders formuliert, sind alle Menschen also immerhin vier Lebensmonate lang weiblich.

Dann sinke der Testosteronspiegel wieder, bis Buben und Mädchen etwa in der 26. Schwangerschaftswoche wieder ähnliche Werte zeigten. Erst nach der Geburt erleben neugeborene Buben einen erneuten Testosteronanstieg. Während der erste Testosteronschub im Mutterleib maßgeblich für die Entstehung der männlichen Geschlechtsorgane verantwortlich ist – also aus Mädchen Buben mache -, sind die Gründe des nachgeburtlichen Testosteronanstiegs noch ungeklärt.

Eine Frage der Weltanschauung

Robin Haring macht in seinem populärwissenschaftlichen Buch deutlich, welche Annahmen hinreichend durch Studien belegt sind und welche nicht. Damit unterscheidet er sich von diversen Bestsellern, die zu dem Thema Geschlechtsunterschiede auf neuronaler oder hormoneller Ebene in den vergangenen Jahren erschienen sind und denen die weltanschauliche Stoßrichtung zum Teil eindeutig abzulesen ist.

Louann Brizendine, Professorin für Neuropsychiatrie an der University of California, macht in ihrem Buch "Das männliche Gehirn" immerhin gleich eingangs explizit die Genese ihres Forschungsinteresses deutlich: Als Medizinstudentin in Berkeley, Yale und Harvard habe sie zu ihrem Entsetzen festgestellt, dass Frauen in wichtigen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten häufig übergangen wurden, der Mann sei "das Standardmodell" für Biologie und Verhalten des Menschen.

Die weibliche Realität

Dies wollte sie ändern und schrieb daher "Das weibliche Gehirn" (2007). Darin beschäftigte sie sich mit Gehirnstrukturen und der Wirkung von Hormonen, die in allen Lebensaltern eine "einzigartige, weibliche Realität" schafften.

Dementsprechend führten auch beim Mann "charakteristische Gehirnstrukturen und Hormonwirkungen" zu einer männlichen Realität, die sich vom "Suchen-und-Verfolgen-Gehirn" des männlichen Babys zum vom Schlafmangel geprägten, zutiefst gelangweilten, risikofreudigen Gehirn des männlichen Teenagers zum leidenschaftlichen Paarungsgehirn und weiter zum liebevollen Gehirn des jungen Vaters entwickeln. Für Brizendine ist klar: "Die Gehirne von Männern und Frauen unterscheiden sich von der Befruchtung an."

"Im Laufe des Lebens eines Mannes wird das Gehirn immer wieder umgebildet; die Anweisungen dafür stammen sowohl von den Genen als auch von den männlichen Geschlechtshormonen. Die biologischen Eigenschaften des männlichen Gehirns sorgen für charakteristische männliche Verhaltensweisen", schreibt sie und versteht ihr Buch pragmatisch als Gebrauchsanweisung für all jene Frauen, die ihre Männer, Söhne, Väter oder Freunde besser verstehen wollen.

Testosteron-Mythos entkräften

Anders der Ansatz des Neurobiologen Gerald Hüther, der sich in seinem 2009 erschienenen Buch "Männer – das schwache Geschlecht und sein Gehirn" explizit an Männer richtet. Mädchen seien von ihrer Konstitution her stärker, begründet er den Titel seines Buchs. Das Gehirn sei mit einem Orchester vergleichbar, bei Buben und Mädchen gebe es die gleiche Besetzung, nur drängten sich bei den Männern im Klangbild die Pauken und Trompeten nach vorn.

Beim Mann seien die beiden Gehirnhälften stärker auf bestimmte Aufgaben spezialisiert, bei Frauen stärker vernetzt.

Die gute Nachricht von Hüther, Professor für neurobiologische Präventionsforschung an der Universität Göttingen: Man(n) kann sich jederzeit ändern, auch im Erwachsenenalter. Das sieht auch Haring so: Er wertet den Lebensstil als entscheidenden Faktor und wehrt sich gegen gängige Testosteronmythen. Das Sexualhormon müsse zu Unrecht für vieles herhalten: für die abnehmende Männergesundheit im Alter – Stichwort "Andropause" oder Aging-Male-Syndrom – ebenso wie für "testosterongesteuertes Verhalten".

Das Urgeschlecht suchen

Die Vorstellung von zwei klar getrennten biologischen Geschlechtern ist jedenfalls fragwürdig. Denn "der Weg vom weiblichen Urgeschlecht zum Mann ist störanfällig", so Haring. Eine Vielzahl von Einflussfaktoren mache "die Übergänge zwischen den Geschlechtern fließend".

Er bringt das Beispiel sogenannter XY-Frauen: Diese sehen zwar wie Frauen aus, entsprechen genetisch aber einem Mann. Bleibt der Testosteroneinfluss im sensiblen Zeitfenster der Geschlechtsentwicklung aus, gerät diese ins Stocken. Denn zur vollen Entfaltung seiner Entwicklung muss Testosteron aus dem Blut über "Androrezeptoren" in die Zelle aufgenommen werden. Sind diese Rezeptoren blockiert, bleibt das Testosteron wirkungslos. Deshalb fehlten XY-Frauen die männlichen Geschlechtsmerkmale wie Penis und Hoden.

"Um Geschlechtsunterschiede festzumachen, bedient sich die Neurochemie der abenteuerlichsten, biologischen Merkmale", sagt Haring. Das habe auch mit neuen technischen Möglichkeiten in der Bildgebung zu tun. "Ob man die Geschlechter genetisch, hormonell oder sozial bestimmen will, ist immer eine Frage der Perspektive."  


Literaturtipps:
Robin Haring: "Die Männerlüge. Wie viel Testosteron braucht der Mann?", Braumüller, 2015
Louann Brizendine: "Das männliche Gehirn. Warum Männer anders sind als Frauen", Goldmann, 2010
Gerald Hüther: "Männer – Das schwache Geschlecht und sein Gehirn", Vandenhoeck & Ruprecht, 2009

Nota. - Die allerbeste Nachricht: Ob mann sich ändern will oder nicht, darf jeder selbst entscheiden. (Von Frauen verstehe ich nicht so viel.)

Dass aber die biologische Mannwerdung störanfällig ist, beweist durchaus nicht, dass der Unterschied 'von Natur' ein fließender wäre. Das hieße ja die Störung als Normalität behaupten. Alles, was recht ist - das ist nicht "eine Frage der Perspektive". Es ist eine Frage des gesunden Menschenverstands.

Dies ist aber auch wahr: Ein behaglicher Mainstream, der sich von allein durchsetzt, ist Männlichkeit nicht. Der Weg dahin ist voller - biologischer wie soziogener - Hindernisse, die mann erst einmal überwunden haben muss. Merke: Mannsein ist ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann.
JE



Dienstag, 8. September 2015

Jungens haben sich schon immer gegen die Schule gesträubt.

Robert Doisneau
aus Tagesspiegel.de, 04.04.2013 16:32 Uhr

Die Krise der Jungen ist ein Mythos
In der Schule hängen Mädchen ihre Mitschüler oft ab. Die Jungen könnten aber genauso gut dastehen, würde „Anstrengung“ bei ihnen nicht als „mädchenhaft“ gelten. Eine neue Kluft zwischen Mädchen und Jungen gibt es aber ohnehin nicht.

Von Marcel Helbig

Heute wird mit Blick auf das Bildungssystem oft von einer „Krise der Jungen“ gesprochen, im Englischen gar von einem „war against boys“, einem „Krieg gegen Jungen“. Schließlich scheinen die Jungen immer weiter zurückzufallen. Sie dominieren bei den Schulversagern, während die Mädchen massenhaft Abitur machen. Die Ursache für die angebliche Misere der Jungen wird oft in der „Feminisierung“ der Schule gesehen. Danach richtet eine wachsende Zahl von Lehrerinnen den Unterricht an Eigenschaften und Bedürfnissen der Mädchen aus. Die vermeintliche „Natur“ der Jungen wird hingegen unterdrückt.

Solche Diagnosen treffen allerdings nicht zu. Die Mädchen haben sich keineswegs auf Kosten der Jungen im Bildungswesen nach vorn gebracht. Und Jungen lernen auch nicht weniger von Lehrerinnen als von Lehrern.

Zu den Fakten: Tatsächlich erlangten Jungen vor 50 Jahren deutlich häufiger das Abitur als Mädchen. Heute haben sie im Durchschnitt niedrigere Lesekompetenzen, schlechtere Noten, sie gehen seltener aufs Gymnasium, häufiger auf Förder- und Hauptschulen – und sie verlassen häufiger die Schule ohne jeden Abschluss.


So erzielen Jungen in Mathematik und Naturwissenschaften bei Pisa in den meisten Ländern höhere Werte als Mädchen, auch in Deutschland. Mädchen haben dafür höhere Lese- und Schreibkompetenzen. Dabei ist der Vorsprung der Mädchen im sprachlichen Bereich größer als ihr Rückstand im mathematisch-naturwissenschaftlichen. Mädchen bekommen allerdings bei gleichen kognitiven Kompetenzen in allen Fächern bessere Noten als Jungen. Aber auch hier sind in den letzten Jahrzehnten kaum Veränderungen zu beobachten. Mädchen wurden schon immer besser benotet.Sind die Jungen also dümmer geworden? Nein. Soweit dies an den vorhandenen Daten abgelesen werden kann, haben sich die Geschlechterunterschiede bei den schulischen Kompetenzen in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Der Abstand zwischen Jungen und Mädchen scheint schon vor Jahrzehnten dem entsprochen zu haben, der aus den jüngeren großen Schulstudien bekannt ist.

Warum? Alle Studien dazu zeigen, dass Mädchen im Schnitt in der Schule disziplinierter, fleißiger und motivierter sind. Sie haben eine höhere Lern- und Leistungsbereitschaft, verbringen mehr Zeit mit Hausaufgaben, arbeiten mehr als verlangt wird, sind besser auf den Unterricht vorbereitet. Jungen hingegen erzielen höhere Durchschnittswerte bei der Arbeitsvermeidung und beim Zuspätkommen zum Unterricht.

Mehr weibliche als männliche Lehrkräfte: Das schadet den Jungen nicht

Aufgrund dieser Verhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmale und nichtkognitiven Fähigkeiten erreichen Mädchen bessere Noten. Über die Frage, ob Motivation und Verhalten in die Benotung einfließen sollte, lässt sich streiten. Aus Sicht der meisten Lehrkräfte ist das aber offenbar sinnvoll.

Die Behauptung, die Dominanz von Lehrerinnen führe zur Benachteiligung der Jungen, lässt sich jedenfalls nicht halten. Empirische Studien (etwa „Unmasking the Myth of the Same-Sex Teacher Advantage“ von Martin Neugebauer, Marcel Helbig und Andreas Landmann, 2011) zeigen, dass weder Jungen noch Mädchen bei der Kompetenzentwicklung oder bei den Noten in Mathematik, Deutsch oder Sachkunde von einem Lehrer gleichen Geschlechts profitieren. Die Leseleistung von Mädchen und von Jungen ist nach unserem Befund sogar schlechter, wenn sie vier Jahre lang von einer männlichen Lehrkraft unterrichtet wurden. So ist die „Feminisierung“ der Schule wohl nicht die Ursache für die Kluft zwischen den Geschlechtern.

Warum Jungen eine geringere Lernbereitschaft zeigen als Mädchen, ist weitgehend unbeantwortet. Ich halte sozialpsychologische Gründe für wahrscheinlich. In einer Reihe von Studien konnte nachgewiesen werden, dass Eltern (und zwar Väter und Mütter gleichermaßen) Söhne für intelligenter halten als Töchter. Es liegt nahe, zu vermuten, dass dies der Grund dafür ist, dass Mädchen und Frauen ihre Selbstwirksamkeit geringer einschätzen als Jungen und sich für weniger intelligent halten. Die niedrigere Selbsteinschätzung reflektiert dabei nicht tatsächliche Geschlechterunterschiede, sondern eine negativ verzerrte Selbstsicht – bei gleichzeitiger Tendenz der Jungen und Männer, ihre Leistungen zu überschätzen.

Die mangelnde Leistungsbereitschaft der Jungen wird durch die männlichen peer groups weiter gebremst. Denn Jungen sehen Lernanstrengung als Beweis für das Fehlen natürlicher Begabung, die sie für sich in Anspruch nehmen. Fleiß gilt ja als eine Sache für Mädchen. So strengen sich Mädchen also im Schnitt stärker an als Jungen – und erzielen damit bessere Erfolge.Wird einem Kind – egal ob Mädchen oder Junge – suggeriert, dass seine Leistungen auf seine natürliche Begabung zurückzuführen sind, dann strengt es sich in der Folge weniger an. Wird einem Kind hingegen suggeriert, dass seine Leistung auf Lernanstrengungen zurückzuführen ist, wird es sich auch in Zukunft stärker zum Lernen motivieren. Wenn Töchter und Söhne die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen seitens ihrer Eltern übernehmen, dann sollten sich (mehr) Töchter in der Schule stärker anstrengen als Söhne.

Wenn Mädchen heute häufiger unter den Abiturienten vertreten sind als früher, hat das aber vor allem gesellschaftliche Ursachen. In den 1950er und 1960er Jahren hielten Eltern das Abitur für Mädchen für deutlich weniger erstrebenswert als für Jungen. Deshalb schickten sie ihre Töchter seltener aufs Gymnasium – obwohl diese keineswegs schlechtere Schulleistungen hatten als ihre Brüder.

Von neuen Bildungschancen profitieren beide Geschlechter

Seit den 1970er Jahren kam es hier zu einem tief greifenden Wandel. Der allgemeine Aufbruch der Frauen nach einer eher repressiven und patriarchalen Nachkriegszeit und die große Bildungsexpansion in der Bundesrepublik führten auch zu neuen weiblichen Bildungsbiografien: Während es bislang für Frauen wenig äußere Gründe gegeben hatte, an höherer Bildung zu partizipieren – diese half ihnen höchstens, gut zu heiraten oder den Kindern bei ihren Schulaufgaben zu helfen –, veränderten sich die Einstellungen von Vätern, Müttern und Töchtern. Die Bildungsaspirationen für und von Mädchen wuchsen. Zudem expandierten der öffentliche Dienst und der Dienstleistungssektor. Dies führte zu einem breiteren Angebot von Arbeitsplätzen für weibliche Arbeitnehmer. Schließlich trug die Einführung der Anti-Baby-Pille dazu bei, dass Frauen nun Bildung, Erwerbstätigkeit und Familiengründung selbstbestimmter planen konnten. Die Frauenerwerbsquote stieg, zugleich nahmen die gesellschaftlichen Erwartungen an die Verwertbarkeit weiblicher Bildung zu. Jetzt besuchten Mädchen häufiger Gymnasien und schlossen dies mit dem Abitur ab.

Auch unter Jungen ist die Bildungsaspiration im Zuge der Bildungsexpansion deutlich gewachsen, auch sie haben von der Öffnung von Gymnasium und Hochschule stark profitiert. Viel mehr Jungen machen heute Abitur und studieren als noch 1950. Doch die Jungen könnten in ihren Bildungskarrieren besser, nämlich so gut wie die Mädchen dastehen, würden sie sich mit ihrem Lernverhalten nicht selbst behindern. Geschlechterstereotype erschweren es ihnen allerdings, mehr Motivation und Fleiß zu zeigen.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).


Nota. - Tun wir die Kirche in ihr Dorf zurück: Die Feminisierung der Schule ist nicht erst eine Folge des Übergewichts der Frauen im Lehrkörper. Die Schule war vielmehr schon immer eine Emaskulieranstalt, und die dort unterrichteten, waren mithin Professionelle der Emaskulierung, und das waren sie bereits, als Jungen noch nur von Männern (und Mäd- chen nur von Frauen) unterrichtet wurden; nämlich von OrdensgeistlichInnen, die vielleicht nie sehr weiblich, aber gewiss nie sehr männlich waren. 

Seit die Frauen in der Pädagogik fast ein Monopol haben, hat sich also gar nicht viel geändert. Schule war nie was, is nix und wird nie was für Jungen sein. Schullehrer ist auch nicht wirklich ein Beruf für Männer. (Dass man mich nicht miss- versteht: Zu Erziehern taugen Männer im Schnitt besser als Frauen.)

Und die geringere Leistungsbereitschaft der Jungen für die Schule hat eine einfache Ursache, an der die Natur doch nicht ganz unbeteiligt ist: Jungen mögen die Schule nicht, und die Schule mag die Jungen nicht.

Dies schrieb ich am 22. Januar d.J.:

"Merke und bedenke immer wieder: Die Schule misst nicht die Intelligenz ihrer Schüler; nicht ihre Leistungen, nicht ihre Leistungsfähigkeit noch -bereitschaft.

Die Schule misst die Bereitschaft zum Stillsitzen und Maulhalten und Tun, was einem/r gesagt wird, und darin sind Jungens wirklich nicht gut. Und das ist unabhängig vom guten oder schlechten Willen der Lehrer/innen (aber der ist natürlich ein Thema für sich); es ist die immanente Logik einer Massenanstalt, die gar nicht anders kann als den Durch- schnitt für die Norm zu nehmen. Und zum Durchschnitt taugt die männliche Hälfte unserer Gattung eben nicht beson- ders."
JE