
L’enfant est le père de l’homme.
französische Redensart
Infantil nennen wir das zur Schau gestellte Bedürfnis. Dabei können die Kinder gar nichts dafür.
Als der Mann aus seiner häuslichen Botmäßigkeit in die Öffentlichkeit floh und zum Weltbürger erwuchs, hat er Weib und Kinder als Unerwachsene zurückgelassen. Und so, wie es sich bei dem

Ursprünglich bezeichnet daz kint ein Verwandtschaftsverhältnis, nämlich Söhne und Töchter, unabhängig vom Alter. In Wolframs Parzival kann dann jeder Jüngere gegenüber jedem Älteren als kint erscheinen – ein Generationenverhältnis. Als Angehöriger eines definierten gesellschaftlichen Standes ist das Kind allerdings eine Kreation der bürgerlichen Gesellschaft. Denn weil die Frau ihre öffentliche Anerkennung schließlich durch Arbeit rechtfertigen konnte, bleibt das Kind in seiner Uner- wachsenheit alleine übrig. Und jetzt sieht es so aus, als bilde es den bestimmten (bedürftigen) Gegensatz zur Erwachsenheit. Es ist aber kein Gegensatz, sondern ein Residuum. Als solches steht es nicht nur dem gemeinsamen Ursprung, sondern ironischerweise auch der gemeinsamen Zukunft näher als manche andern.
Ernsthafte Leute halten das Kindliche nämlich für die wahre Bestimmung des Menschen. „Neotenie“: so heißt die These, wonach sich der Evolutionsprozeß von Homo sapiens dadurch auszeichnet, daß er im Lauf der Generationen zu solchen Gestaltformen zurückkehrt, die im Tierreich die spezifisch kindlichen waren. Die auffälligsten (aber nicht einzigen) Kennzeichen dieser „ewigen Unreife des Menschen“, wie sie Leszek Kolakowski nennt und die der Beitrag seines männlichen Anteils ist, sind die relative Übergröße des Kopfes, der Verlust des Haarkleids und die Überlänge der Gliedmaßen bei verkürztem Rumpf.
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„Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel“, heißt es in den Reden Zarathustras. „Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder“, geht es zwar weiter, und nach nichts ringt (sagt Schiller) die weibliche Gefallsucht so sehr wie nach dem Schein des Kindlichen – von wegen der reinen Bedürftigkeit. „Aber der Mann ist kindlicher als das Weib. Im echten Manne ist ein Kind versteckt, das will spielen.“ Denn das Kind ist eben keine reine Bedürftigkeit: Es will ja auch Gefahr und Spiel. Körperkraft und biologische Fruchtbarkeit teilt es wohl nicht mit den Männern – aber dieses, worauf es viel mehr ankommt: das bestimmte Gefühl, daß etwas fehlt. „Ich bin, was ich bin“ ist so unkindlich wie unmännlich. Denn es gibt Eines, was das Kind auf jeden Fall will: größer sein. L’enfant est le père de l’homme - der des Menschen sowieso, und der des Mannes erst recht.
Ein Mann kann nicht wieder zum Kind
werden, oder er wird kindisch. Aber muß er
nicht selbst wieder auf einer höheren Stufe
bestrebt sein, seine Wahrheit zu reproduzieren?
Marx
Natürlich sind nicht Frauen so und Männer so. Sondern manche Neigungen wurden durch das Spiel von Auslese und Anpassung unter den Geschlechtern ungleichmäßig verteilt. Es ist keine Sache von entweder-oder, sondern von mehr oder weniger, und auch das nur im breiten Durchschnitt. Was im einzelnen zutrifft, muß sich im einzelnen erweisen. Wieviel daran Natur ist und wieviel bloß Kultur, ist interessant, aber nicht wichtig, denn über Wert und Unwert sagt es nichts. Allerdings gibt es historische Momente, da sind gewisse Neigungen mehr gefragt als andere.

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Da trifft es sich gut, daß unsre Spezies darauf nicht erst wieder durch einen jahrtausendelangen Domestikations- prozeß schmerzhaft zugerichtet werden muß. Die Neigung dazu ist ihr doppelt gattungsgeschichtlich eingepflanzt, indem wir unter allen Lebensformen nicht nur die männlichste, sondern eben auch die kindlichste sind. Sie muß nur freigesetzt werden.
[1] s. J. Ebmeier, Michael Jackson – Das Phänomen, Mainz 1999
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