Montag, 14. Juli 2014

Der Beitrag der Frauen wird immer noch kleingeredet.

aus Der Standard, Wien, 9. Juli 2014

Hitlers kaltblütige Furien aus Wien
Eine US-amerikanische Historikerin zeichnet ein grausames Bild von Frauen in der NS-Zeit: Viele waren nicht bloß Mitwisserinnen, sondern "women killers" ohne offizielle Funktion
 
Sie saß in der Ukraine vor unzähligen Kisten, wahllos gefüllt mit Berichten, Fotos, Filmmaterial und anderen Zeugnissen der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie, als in Wendy Lower der Gedanke keimte, dass unsere Geschichtsschreibung eine verheerende Lücke aufweist. Denn was die amerikanische Historikerin dort fand, waren nicht bloß Dokumente über Hitler und Himmler und deren Männer für die Invasion des Ostens. Was sie fand, waren auch Listen mit Frauennamen, die über Dekaden in Archiven hinter dem Eisernen Vorhang schlummerten.

Zwei der Geschichten, die sie genauer untersuchte, erzählen von den Wienerinnen Gertrude Segel und Josefine Krepp. Die beiden waren Freundinnen, kurzzeitig Nachbarinnen, und ihre Biografien weisen einige Parallelen auf: Beide waren einst Sekretärinnen in der Gestapo, beide lernten dort ihre für die SS tätigen späteren Ehemänner kennen, beide folgten ihren Gemahlen in die ukrainische Stadt Drohobytsch - beide sind "women killers", nationalistisch motivierte Mörderinnen, wie Lower über siebzig Jahre nach deren Ankunft dort schreiben wird.

"Tauben schießen"

Am 14. Juni 1942 sitzen Gertrude und ihr Mann Felix Landau am Balkon ihrer Villa in Drohobytsch, dokumentiert Lower die Aussagen eines Augenzeugen. Es war ein sonniger Tag, das Pärchen hört Musik und spielt Karten. Im Garten unter ihnen arbeiten jüdische Männer und Frauen. Irgendwann soll Landau aufgestanden und hineingegangen sein. Als er zurückkommt, hat er ein Gewehr in der Hand. Zuerst schießt er auf Tauben, dann will das auch Gertrude versuchen. Irgendwann richtet sie die Waffe nach unten, schießt. Ein Gärtner fällt tot um. Das Ehepaar soll sich daraufhin bloß lachend ins Haus zurückgezogen haben.

mit Eva Braun 

Das ist eines von zahlreichen Beispielen, mit dem Lower weibliche Gewalt und Grausamkeit im Nationalsozialismus beschreibt. Weibliche Rollen in dieser Zeit ließen sich eben nicht auf "Kinder, Küche, Kirche", die Frau als Hausfrau und Mutter und später die "Trümmerfrau" reduzieren. "Statistiken zeigen, dass die meisten deutschen Frauen alleinstehend und auch nicht dauernd schwanger waren. Propaganda ist eben, was das System dich glauben lassen will, nicht die Realität", sagt Lower bei einem Vortrag an der Universität Innsbruck.

Von rastloser Kaltblütigkeit zeugen auch die Taten der Wienerin Josefine Krepp. Als sie ihrem Ehemann Hans Block nach Drohobytsch nacheilt, war dieser dort Chef der Gestapo, sie bald schwanger und offiziell arbeitslos. Doch könne er keine Entscheidung ohne Josefine treffen, soll Block gesagt haben.

Dass Krepp diese inoffizielle Machtfunktion ausnutzte, ist mehrfach dokumentiert: Als 1943 zweihundert "gypsies" in der Stadt zusammengetrieben wurden, stachelt sie die ukrainische Miliz an, diese Roma so rasch wie möglich zu töten. Nachdem bereits tausende ortsansässige Juden deportiert wurden, soll ein siebenjähriges jüdisches Mädchen Krepp angefleht haben, sie am Leben zu lassen. "Ich helfe dir", besänftigt Krepp das Kind, bevor sie es am Haar zu Boden zieht und zu Tode trampelt.

Rund eine halbe Million deutscher und österreichischer Frauen waren für die Wehrmacht im Osten aktiv. Als Sekretärinnen, Krankenschwestern, Ehefrauen, Mitwisser und -täterinnen hätten sie nicht nur passive Rollen eingenommen, sondern sich auch aktiv inmitten der Kriegszonen befunden, sagt Lower: "Es sind die Geschichten einer Generation von Frauen, von denen viele abenteuerlustig und patriotisch waren und auch Teil eines Größeren, dieser Bewegung, sein wollten."

Es sind Sätze wie diese, deretwegen sie sich die Kritik gefallen lassen muss, zur Verallgemeinerung zu neigen. In ihrem Buch beschreibt Lower, Professorin für Geschichte am Claremont McKenna College in den USA und Fellow an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, die Geschichten von elf deutschen Frauen und den beiden Österreicherinnen Segel und Krepp - es ist fraglich, was diese Einzelschicksale über Millionen von Frauen aussagen können.

Keine rechtliche Konsequenz

Am 28. Juli wird Lowers Buch Hitler's Furies in seiner deutschen Übersetzung erscheinen. Sie befasst sich darin nicht mit Frauen in offiziellen Machtpositionen, sondern mit den weiblichen Nazis im Hintergrund - und vor allem mit Dokumenten aus der Ukraine. Weder Segel noch Krepp wurden für ihre Taten jemals belangt. Was Lowers Erkenntnisse also auch hervorrufen, ist der Verdacht, dass in anderen Ländern Osteuropas weitere Lebensgeschichten von Verbrecherinnen zu finden sein könnten, die in Österreich niemals aufgearbeitet wurden.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen