Sonntag, 12. Juli 2020

Walküren und Amazonen.

Lange Zeit wurde das Skelett aus dem Wikingergrab von Birka einem Mann zugeschrieben - bis Forscher kürzlich mit Hilfe der DNA-Analyse nachweisen konnten, dass das waffenstarrende Grab einer Frau gehörte.  
aus welt.de, 12. 7. 2020                                                             Spielszene aus der Terra-X-Dokumentation

Starke Frauen führten sogar Wikingerheere in die Schlacht
Neue Funde zeigen, dass Frauen vor 10.000 Jahren noch auf die Jagd oder in den Kampf zogen. Erst die Neolithische Revolution veränderte das Verhältnis der Geschlechter. Ausnahmen gab es allerdings auch später.

Birka gilt als älteste Stadt Schwedens. Ende des 8. Jahrhunderts von Wikingern auf einer Insel im Mälaren-See gegründet, stieg die Siedlung schnell zu einem Handelszentrum auf, das die Schätze des Nordens versammelte. Welche Reichtümer da zusammenkamen, entdeckten Forscher Ende des 19. Jahrhunderts, als sie ein reich ausgestattetes Grab freilegten. Schwert, Kampfaxt, Pfeil und Bogen und die Kadaver zweier Pferde ließen für die Ausgräber nur einen Schluss zu: Hier war ein mächtiger Mann, ein Fürst, mit aller Pracht bestattet worden.

Dark Haired Viking Woman in the Sea at Dusk  
Bei den Wikingern kämpften auch die Frauen im Krieg

Bis 2017 Wissenschaftler der Universität Stockholm die sterblichen Überreste einer DNA-Analyse unterzogen. Das Ergebnis war eine Sensation, denn der vermeintliche Fürst war eine Frau. Dass in der Männergesellschaft der Wikinger Frauen als Kriegerinnen und Anführerinnen herausgehobene Positionen einnehmen konnten, zählt zu den verblüffenden Ergebnissen der neuer Methoden, die derzeit so manche Lehrsätze der Archäologie korrigieren. Wie sehr das auch für die Geschlechterbeziehungen von Homo sapiens gilt, belegt die ZDF-Dokumentation „Terra X: „Mächtige Männer – Ohn-mächtige Frauen?“ von Birgit Tanner und Carsten Gutschmidt am Sonntag: Manche Rollen, die Generationen von Wissenschaftlern den Geschlechtern zuwiesen, hat es offenbar so nie gegeben.

Der berühmte "Wikingerkrieger" aus dem Grab BJ 581 in Birka war eine Frau. Führte diese Kriegerin Heere an? Kämpfte sie mit Schwert und Schild? Und vor allem: War sie eine Ausnahmeerscheinung in ihrer Zeit oder eine unter vielen? 
Der berühmte "Wikingerkrieger" aus dem Grab BJ 581 in Birka war eine Frau – Spielszene aus der Terra-X- Dokumentation

Das bestätigen auch andere Wikinger-Funde. Seit weitere Untersuchungen den Stockholmer Befund bestätigt haben, wurden auch Entdeckungen in Norwegen und Dänemark einer Revision unterzogen. „Immer mehr Frauengräber mit Waffen oder Symbolen, die auf Waffen und Kampf Bezug nehmen, werden entdeckt und zwingen die Forschung, die traditionellen Gendergrenzen in der Wikingerzeit kritisch zu hinterfragen“, resümieren die Archäologen Leszek Gardela und Matthias S. Toplak in ihren Beitrag „Militaria bei den Wikinger-Frauen“ in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“. 

Mit dem Grab von Birka machen Tanner und Gutschmidt deutlich, dass die gesellschaftliche Rolle der Frau auch noch in historischen Zeiten keineswegs so eindeutig festgelegt war, wie das viele (männliche) Interpreten aus den Quellen bislang gedeutet haben. Die Wikinger beantworteten die Gender-Frage wohl ambivalent. Der ZDF-Dokumentation geht es jedoch vor allem um die anthropologische Dimension: Welches Verhältnis zwischen den Geschlechtern pflegte Homo sapiens während seiner Evolution?



Einen erstaunlichen Hinweis liefern die berühmten Bilder, die Jäger und Sammler vor 35.000 Jahren in die Höhlen Südfrankreichs und Nordspaniens zeichneten. Generationen gingen davon aus, dass die zahlreichen Tiere die Beute der Jagd repräsentierten, die also von männlichen Jägern an die Wände gebannt wurden.

Der Archäologe Anthony Sinclair und der forensische Biologe Patrick Randolph-Quinney haben an der Universität Liverpool die Handabdrücke, die sich in der berühmten Höhle von Lascaux erhalten haben, mit der Technik der geometrischen Morphologie vermessen. Wie bei modernen Männern und Frauen zeichneten sich auch im Jungpaläolithikum die weiblichen Handteller dadurch aus, dass sie – anders als beim Mann – zum Handgelenk schmaler auslaufen.

In der Höhle von Chauvet haben steinzeitliche Künstler ihre Handabdrücke hinterlassen. Forscher sind heute sicher: Viele davon waren Künstlerinnen. 
Auch in der Höhle von Chauvet haben steinzeitliche Künstler ihre Handabdrücke hinterlassen

Dass die Mehrzahl der Abdrücke von Frauen stammt, lässt den Schluss zu, dass sie nicht nur die Künstlerinnen, sondern wohl auch an der Jagd beteiligt waren. „Die Kunst war zur Zeit der Entdecker eine männliche Domäne. Und wir nehmen ja gern unsere eigenen Vorstellungen und stülpen sie dem über, was wir sehen und wie wir es sehen“, erklärt Sinclair den analytischen Zirkelschluss vieler Kollegen.

Dass Frauen keineswegs auf ihre Rolle als Sammlerinnen beschränkt waren, macht schon die Lebenswirklichkeit dieser nomadisierenden Gruppen plausibel, die 20 bis 30 Individuen umfassten. Für eine effektive Jagd wurde jedes Mitglied gleich welchen Geschlechts gebraucht. Auch die Verteidigung des Lagers erforderte Fähigkeiten im Umgang mit Waffen. Eine gendergemäße Arbeitsteilung konnten sich diese kleinen Gruppen gar nicht leisten. Jeder tat das, was er am besten konnte.

Eine weitere Beobachtung erklärt, warum auch Frauen zu den Waffen griffen, während Männer sich als Handwerker auszeichneten. Die Ressourcen an Nahrung – Fleisch, Früchte, Beeren – wurden ohne Ansehen des Geschlechts geteilt. 

In der chinesischen Provinz Henan ergraben Archäologen einen Platz, der über 12.000 Jahre hinweg kontinuierlich besucht und besiedelt worden ist. Die Untersuchung der Skelette und Gräber mithilfe der Isotopenanalyse zeigt, dass Frauen und Männer die gleiche Nahrung zu sich nahmen. Das erklärt, warum die Größenunterschiede zwischen den Geschlechtern gering gewesen sind, was sich auch in der körperlichen Leistungsfähigkeit niedergeschlagen haben dürfte: Frauen konnten kämpfen wie Männer.

Die Anthropologin Kate Pechenkina bei Ausgrabungen in der chinesischen Stadt Xinzheng. Ihre Forschung zeigt: Männer wurden erst ab der Bronzezeit prunkvoller begraben als Frauen. 
In der Bronzezeit erhielten Männer reichere Beigaben als Frauen, sagt die US-Anthropologin Kate Pechenkina

Das gilt aber nur bis zum Durchbruch der sogenannten Neolithischen Revolution, in der der Mensch lernte, sich durch den Anbau von Pflanzen und die Domestizierung von Tieren zu ernähren. In den Schichten ab etwa 8000 v. Chr. in Henan teilt sich das Speisenangebot. Während Männer weiterhin viel proteinreiche Nahrung wie Fleisch zu sich nahmen, mussten sich Frauen mit Obst und Gemüse begnügen. In der Körpergröße unterscheiden sich die Geschlechter seitdem deutlich. Ab der Bronzezeit (ca. 2000 v. Chr.), fand die US-Anthropologin Kate Pechenkina heraus, waren Männergräber auch deutlich reicher ausgestattet als die der Frauen.

Der britische Anthropologe Tamás Dávid-Barrett von der Universität Oxford führt den Befund auf die Folgen der Sesshaftwerdung zurück. Land wurde zu einem Besitz, den es zu schützen galt. Da die wachsenden Ressourcen zudem zu einem Bevölkerungsanstieg führten, übernahmen Männer die Verteidigung, während die Frauen für Haus und Kinder zuständig wurden. Das größere Nahrungsangebot, vor allem der Zuwachs an Ersatznahrung, erlaubte das frühere Abstillen von Babys, sodass Frauen mehr Kinder bekommen konnten. Auch dies beförderte die Arbeitsteilung der Geschlechter.

Wenn Männer zum Besitzer des Bodens wurden, förderte dies die Patrilokalität – das heißt, männlicher Nachwuchs blieb, während weibliche Kinder die Familien verließen und in Clans anderer Männer zogen. Isotopenanalysen haben inzwischen gezeigt, dass Frauen Hunderte von Kilometern wanderten, um sich einer neuen Sippe anzuschließen. Oder sie wurden geraubt. 

Das Phänomen, dass zumeist männliche Forscher archäologische Funde anhand der Genderrollen ihrer Zeit deuteten, fand auch in der deutschen Landesdenkmalpflege seinen Niederschlag. Ganze Gräberfelder wurden nach waffentragenden Männern und Schmuck liebenden Frauen geordnet und die Funde entsprechend katalogisiert. Erst DNA-Analysen zeigen, dass die statistischen und anthropologischen Schlussfolgerungen wohl für die Katz waren.

Terra X: Mächtige Männer – Ohnmächtige Frauen?, 12. Juli, 19.30 Uhr, ZDF


Nota. - Es gibt keinen rationellen Grund für die Annahme, dass vor der Sesshaftwerdung die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern eine kategorische war. Männer und Frauen werden im gegebenen Moment wohl das getan haben, was sie am besten konnten - und was gerade am dringendsten war. Für eine andere Annahme gibt es keine wie man heute sagt belastbaren Indizien. Es wird - wiederum je nach Situation - ein wechselndes Mehr oder Weniger gegeben haben.

Was mehr, was weniger? Völker, die sich von Jagen und Sammeln ernähren, sind in aller Regel Nomaden: Sie jagen und sammeln in einer Gegend so lange, bis sie abgeweidet ist - von ihnen und von animalischen Nah-rungskonkurrenten. Dann müssen sie woanders hin weiterziehen. 

Sind sie länger unterwegs oder sind sie länger an einem Platz? Auf der Wanderschaft werden physiologische und geistige Leistungsfähigkeit ausschlaggebend gewesen sein, so dass Größe, Kraft  und Alter alle andern Kri-terien überlagert haben dürften. Soziale Rangordnungen werden eine Nebenrolle gespielt haben - so auch der Geschlechtsunterschied.

Das Bild ändert sich, sobald die Gruppe ein dauerhaftes Lager aufstellt. Mit der Zeit werden die Exkursionen der Jäger weitläufiger und wird die Suche der Sammler gründlicher werden. Alte und Kinder werden im Lager bleiben, Mütter immerhin in der Nähe, um die Kinder versorgen zu können. Wenn auch Frauen auf die Jagd gehen, wird es nun eher eine Ausnahme sein als eine Regel. Je länger die Siedlungsperiode dauert, werden sich am Lagerplatz soziale Differenzierungen ausbilden, die während der nächsten Wanderung zwar hintangestellt, aber auch nicht ganz vergessen werden.

Es ist eine Frage von Regel und Ausnahme. Dort, wo - zum Beispiel im Jordantal - sich eine ackerbauende Gesellschaft originär entwickelt hat, hat das viele Generationen gedauert, und was Regel und was Ausnahme war, dürfte sich aufgrund aller erdenklichen Zufälle immer wieder geändert haben.

Wo dagegen gewohnheitsmäßig ackerbauende Populationen migriert sind - wegen Überbevölkerung zum Beispiel -, werden sie an ihren neuen Siedlungsort ihre sozialen Strukturen fix und fertig mitgebracht haben - bzw. das, was ihre Wanderschaft überstanden hat.

In Europa ist der Ackerbau von Zuwanderern eingeführt worden. Von den Ansässigen wurde er erst - wider-willig - übernommen, als mit dem Ende der Eiszeit große Beutetiere ausstarben. Je nördlicher, denk ich mir, umso später; und umso widerwilliger. Dass auch hier die typischen, weil angemessensten Sozialformen der Agrargesellschaft Einzug hielten, wird wiederum etliche Generationen gedauert und sich keineswegs geradlinig vollzogen haben.

Und "wenn Männer zum Besitzer des Bodens wurden...": Männer werden zuerst zu den Verteidigern des Bo-dens, denn während Raub und Totschlag unter den Wanderern eine unvorhersehbare Ausnahme waren, wurde der Versuch der Eroberung und also der Krieg mit dem Ackerbau zur Regel. Der Mann war nun nicht gelegent-lich, sondern zu allererst Krieger; und wurde Sklavenhalter, denn einer musste ja den Boden bestellen. So hatte die soziale Ungleichheit fortan reichlichst Zeit, sich auszubilden...

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Kurz gesagt, zu Ideologisierungen eignet sich das alles nicht.
JE

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