Donnerstag, 30. Juli 2020
Allergerechteste Sprache.
Eine Transperson wurde beleidigt. Auch einer/m Transstudierenden soll das widerfahren sein. Transmenschen* leben gefährlich.
Montag, 27. Juli 2020
Ist Russland ein Männerreich?
aus nzz.ch,
von Elena Chizhova
Gemeinhin gilt Russland als ein patriarchalisches Land. Die Verfechter dieser These beziehen sich in der Regel auf die russische Forbes-Liste (197 Männer, 3 Frauen), auf das Geschlechterverhältnis in den obersten staatlichen Behörden (wo Frauen deutlich in der Minderheit sind) und vor allem auf die Ergebnisse soziologischer Umfragen, wonach die Mehrheit der Befragten die «traditionelle» Ansicht teilt, dass der Mann Beschützer und Ernährer, die Frau hingegen in erster Linie Mutter und «Hüterin des häuslichen Herdes» sei. Vom patriarchalischen Charakter der russischen Gesellschaft zeugen sowohl die Daten zur häuslichen Gewalt als auch die skeptische, um nicht zu sagen: verächtliche Haltung gegenüber dem Feminismus (die gängigste Ansicht ist, Feministinnen seien so hässlich, dass kein Mann sie je eines Blickes würdigen würde).
Man könnte, so scheint es, den Schluss ziehen, dass «die russischen Männer» (unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit) grosses Glück haben, in einem patriarchalischen Land geboren zu sein. Was will man mehr?
Das «schwache» Geschlecht
Sehnsucht nach der «starken Hand»
«Du bist ein guter Kerl, Andrei, aber kein Adler.»
Die russischen Männer zwischen Herrschaft und Knechtschaft
Die
russische Gesellschaft gilt als patriarchalisch. Allerdings ist der
russische Durchschnittsmann weit davon entfernt, «Herr» im Haus zu sein.
Hinter dem Mythos seiner Entschiedenheit und Härte verbirgt sich ein
weit komplexeres und widersprüchlicheres Bild.
von Elena Chizhova
Gemeinhin gilt Russland als ein patriarchalisches Land. Die Verfechter dieser These beziehen sich in der Regel auf die russische Forbes-Liste (197 Männer, 3 Frauen), auf das Geschlechterverhältnis in den obersten staatlichen Behörden (wo Frauen deutlich in der Minderheit sind) und vor allem auf die Ergebnisse soziologischer Umfragen, wonach die Mehrheit der Befragten die «traditionelle» Ansicht teilt, dass der Mann Beschützer und Ernährer, die Frau hingegen in erster Linie Mutter und «Hüterin des häuslichen Herdes» sei. Vom patriarchalischen Charakter der russischen Gesellschaft zeugen sowohl die Daten zur häuslichen Gewalt als auch die skeptische, um nicht zu sagen: verächtliche Haltung gegenüber dem Feminismus (die gängigste Ansicht ist, Feministinnen seien so hässlich, dass kein Mann sie je eines Blickes würdigen würde).
Man könnte, so scheint es, den Schluss ziehen, dass «die russischen Männer» (unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit) grosses Glück haben, in einem patriarchalischen Land geboren zu sein. Was will man mehr?
Das «schwache» Geschlecht
In
Wirklichkeit aber kann das Schicksal der russischen Männer kaum als
beneidenswert bezeichnet werden. Und dies nicht nur wegen der
Katastrophen des sowjetischen 20. Jahrhunderts, die Abermillionen
Männern das Leben kosteten (in den siebziger Jahren, als ich zur Schule
ging, hatte nur ein einziges Mädchen aus meiner Klasse einen Grossvater,
der noch am Leben war), oder wegen der Tatsache, dass laut
Weltgesundheitsorganisation selbst in der heutigen, relativ friedlichen
Zeit über 40 Prozent der russischen Männer nicht einmal das
Pensionsalter erreichen. Man könnte einwenden, es sei besser, ein kurzes
Leben zu führen und dafür «der Herr im Haus» zu sein, anstatt eine
bedauernswerte Existenz als «gehorsame Dienerin des Herrn und Ehemannes»
zu fristen.
In den grossen Städten tranken viele Männer weniger aus Langeweile als vielmehr wegen des Lebens in permanenter Unterdrückung.
Paradoxerweise
aber ist der russische Durchschnittsmann weit davon entfernt, der
«Herr» zu sein. Unter der äusseren Schicht unseres ewigen
Patriarchalismus verbirgt sich ein weit komplexeres und
widersprüchlicheres Bild.
Man kann lange darüber räsonieren, wie hanebüchen die «sowjetische Emanzipation» war, die grossenteils nicht auf die Befreiung der Frau, sondern auf ihre doppelte Versklavung (in der Familie und am Arbeitsplatz) hinauslief. Unabhängig davon jedoch, mit welch barbarischen Methoden diese Emanzipation durchgesetzt wurde – die logische Folge war, dass die sowjetischen Frauen sich daran gewöhnten, sich weniger auf die Männer als vielmehr auf sich selbst zu verlassen. So entstand der Begriff von der «starken Frau» – im Gegensatz zum «schwachen Mann».
Im sowjetischen Kultfilm «Eine einfache Geschichte» von 1960 erklärt die weibliche Hauptfigur dem männlichen Helden: «Du bist ein guter Kerl, Andrei, aber kein Adler.» Ende der siebziger Jahre waren die meisten Männer «keine Adler». Ein Frauenwitz jener Jahre lautete: «Ich habe zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen» – und mit dem Jungen war nicht ein Sohn, sondern der Ehemann gemeint.
Man kann lange darüber räsonieren, wie hanebüchen die «sowjetische Emanzipation» war, die grossenteils nicht auf die Befreiung der Frau, sondern auf ihre doppelte Versklavung (in der Familie und am Arbeitsplatz) hinauslief. Unabhängig davon jedoch, mit welch barbarischen Methoden diese Emanzipation durchgesetzt wurde – die logische Folge war, dass die sowjetischen Frauen sich daran gewöhnten, sich weniger auf die Männer als vielmehr auf sich selbst zu verlassen. So entstand der Begriff von der «starken Frau» – im Gegensatz zum «schwachen Mann».
Im sowjetischen Kultfilm «Eine einfache Geschichte» von 1960 erklärt die weibliche Hauptfigur dem männlichen Helden: «Du bist ein guter Kerl, Andrei, aber kein Adler.» Ende der siebziger Jahre waren die meisten Männer «keine Adler». Ein Frauenwitz jener Jahre lautete: «Ich habe zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen» – und mit dem Jungen war nicht ein Sohn, sondern der Ehemann gemeint.
Entscheiden tut die Frau
Im
städtischen Umfeld, das mir persönlich gut vertraut ist, waren es
selbst in den sogenannten «vollständigen Familien» gewöhnlich die
Ehefrauen, die alle wichtigen Familienfragen entschieden: Wofür soll man
Geld sparen – für ein Auto oder für eine Wohnung? Soll man eine Datscha
bauen? Wohin geht es in den Ferien? Auf welche Schule sollen die Kinder
gehen? Das Maximum, mit dem der durchschnittliche städtische Ehemann
rechnen konnte, war, dass man ihn «zu Rate zog».
Ein weiteres wichtiges, wenn auch indirektes Indiz: Angesichts der ständigen Warenknappheit griffen die Frauen zu jedem nur möglichen Trick, um hochwertige (importierte) Kleidung und Schuhe «zu ergattern» – allerdings in erster Linie für sich selbst. Ich weiss noch, wie überrascht ich bei meiner ersten Auslandsreise war, dass die europäischen Männer so elegant und teuer gekleidet sind.
Das Problem der «schwachen Männer» wurde durch den alltäglichen Alkoholismus, dessen Höhepunkt in die Breschnew-Jahre, die Zeit der sogenannten «Stagnation», fiel, noch verschärft. Aber während die Frauen wussten, wo die Grenze ist, ergaben die Männer sich hemmungslos dem Alkohol.
Heutzutage hört man häufig, der Ursprung dieser hemmungslosen Sauferei sei das starre Korsett des staatlichen Systems gewesen: Man konnte kein eigenes – legales – Geschäft anfangen, man konnte nicht ins Ausland reisen, man konnte nicht mehr als 200 Rubel verdienen.
Ich kann nicht sagen, wie es in der Provinz war, aber in den grossen Städten wie Moskau und Leningrad tranken viele Männer (zumindest die gebildeten) weniger aus Langeweile als vielmehr wegen des Lebens in permanenter – ideologischer, moralischer, materieller – Unterdrückung. Oder, besser gesagt, wegen der Tatsache, dass sie sich an diese Bedingungen anpassen mussten.
Ein weiteres wichtiges, wenn auch indirektes Indiz: Angesichts der ständigen Warenknappheit griffen die Frauen zu jedem nur möglichen Trick, um hochwertige (importierte) Kleidung und Schuhe «zu ergattern» – allerdings in erster Linie für sich selbst. Ich weiss noch, wie überrascht ich bei meiner ersten Auslandsreise war, dass die europäischen Männer so elegant und teuer gekleidet sind.
Das Problem der «schwachen Männer» wurde durch den alltäglichen Alkoholismus, dessen Höhepunkt in die Breschnew-Jahre, die Zeit der sogenannten «Stagnation», fiel, noch verschärft. Aber während die Frauen wussten, wo die Grenze ist, ergaben die Männer sich hemmungslos dem Alkohol.
Heutzutage hört man häufig, der Ursprung dieser hemmungslosen Sauferei sei das starre Korsett des staatlichen Systems gewesen: Man konnte kein eigenes – legales – Geschäft anfangen, man konnte nicht ins Ausland reisen, man konnte nicht mehr als 200 Rubel verdienen.
Ich kann nicht sagen, wie es in der Provinz war, aber in den grossen Städten wie Moskau und Leningrad tranken viele Männer (zumindest die gebildeten) weniger aus Langeweile als vielmehr wegen des Lebens in permanenter – ideologischer, moralischer, materieller – Unterdrückung. Oder, besser gesagt, wegen der Tatsache, dass sie sich an diese Bedingungen anpassen mussten.
Zur Loyalität gezwungen
In
dieser Hinsicht – die Feministinnen mögen mir verzeihen – hatten es die
Männer schwerer. Und sei es nur, weil Frauen immer noch einen Ausweg
hatten: Ohne Gefahr zu laufen, öffentliche Missbilligung zu erregen,
hatte eine Frau das Recht, ihre Karriere «zu opfern» und sich auf ihr
Privatleben zu konzentrieren, und sie konnte diesen «patriarchalischen»
Beweggrund ins Feld führen, um «eindringliche Forderungen» abzulehnen,
die man damals eigentlich nicht ablehnen konnte. Als ich Anfang der
achtziger Jahre eingeladen wurde, der Kommunistischen Partei
beizutreten, entging ich dieser zweifelhaften Ehre mit ebendieser
Ausrede – dass aus mir sowieso keine rechte Kommunistin würde, ich hätte
schliesslich Familie, einen Ehemann, ein Kind!
Ein Mann, der mit der gleichen Entscheidung konfrontiert war, konnte sich nicht auf Familie und Kinder berufen. Hätte er sich geweigert, in die Partei einzutreten, wäre das (in den Augen seiner unmittelbaren Vorgesetzten) einem fast unverhohlenen Eingeständnis von Illoyalität gleichgekommen – was sich später unweigerlich auf seine Karriere ausgewirkt hätte. Und damit auch auf sein Einkommen. Infolgedessen fand sich der unglückliche Mann doppelt bedroht: von den sowjetischen Behörden und von seiner Frau. Und, was bisweilen noch schlimmer ist, von seiner Schwiegermutter.
Angesichts der Tatsache, dass in der Sowjetunion die Menschen in der Regel in grossen Familien lebten – drei Generationen in einer zumeist kleinen Wohnung (was nicht etwa «uralten» Traditionen geschuldet war, sondern der Tatsache, dass es in der UdSSR keinen freien Wohnungsmarkt gab) –, hatte häufig die Schwiegermutter die Rolle des gestrengen «Patriarchen» inne, auf dessen Meinung alle Familienmitglieder notgedrungen Rücksicht zu nehmen hatten. Insbesondere der Schwiegersohn. Über dieses soziale Missverhältnis gibt es im sowjetischen Volksmund unzählige Witze. Einer der bekanntesten geht so: «Frage: Wie führt man eine glückliche Ehe? Antwort: Indem man eine Waise heiratet.»
Auch das sowjetische Familienrecht schützte die Rechte der Frauen – auf Kosten der Rechte der Männer. Im Falle einer Scheidung zum Beispiel blieben die Kinder bei der Mutter, die selbst darüber entschied, wie oft sie ihren Vater sehen durften. Die sogenannte «Öffentlichkeit» stand ebenfalls auf der Seite der Frauen: Wenn der Ehemann sich unangemessen verhielt, etwa sich eine Geliebte zulegte, konnte die Ehefrau bei seiner Arbeitsstelle eine schriftliche Beschwerde einreichen und das unverzügliche Eingreifen von Partei- oder Gewerkschaftsorganen verlangen. Wenn der «niederträchtige Ehebrecher» nicht auf die Vorhaltungen einging und stur blieb, beschäftigte sich das gesamte Kollektiv mit seiner «Privatangelegenheit».
So weit die allgemeinen Regeln. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Natürlich gab es auch Haustyrannen, ebenso wie es gehorsame Frauen gab, für die das Wort des Ehemannes Gesetz war. Und es waren auch bei weitem nicht alle bereit, sich in die sowjetische Form pressen zu lassen: Manche emigrierten bei der erstbesten Gelegenheit in den Westen; andere gingen in die «innere Emigration» oder wurden Dissidenten. Aber Millionen von Sowjetbürgern (Männer wie Frauen) sahen darin schlicht kein grosses Problem: Nach Ansicht von Soziologen ist der Konformismus in jedem Land die psychologische Norm.
Ein Mann, der mit der gleichen Entscheidung konfrontiert war, konnte sich nicht auf Familie und Kinder berufen. Hätte er sich geweigert, in die Partei einzutreten, wäre das (in den Augen seiner unmittelbaren Vorgesetzten) einem fast unverhohlenen Eingeständnis von Illoyalität gleichgekommen – was sich später unweigerlich auf seine Karriere ausgewirkt hätte. Und damit auch auf sein Einkommen. Infolgedessen fand sich der unglückliche Mann doppelt bedroht: von den sowjetischen Behörden und von seiner Frau. Und, was bisweilen noch schlimmer ist, von seiner Schwiegermutter.
Angesichts der Tatsache, dass in der Sowjetunion die Menschen in der Regel in grossen Familien lebten – drei Generationen in einer zumeist kleinen Wohnung (was nicht etwa «uralten» Traditionen geschuldet war, sondern der Tatsache, dass es in der UdSSR keinen freien Wohnungsmarkt gab) –, hatte häufig die Schwiegermutter die Rolle des gestrengen «Patriarchen» inne, auf dessen Meinung alle Familienmitglieder notgedrungen Rücksicht zu nehmen hatten. Insbesondere der Schwiegersohn. Über dieses soziale Missverhältnis gibt es im sowjetischen Volksmund unzählige Witze. Einer der bekanntesten geht so: «Frage: Wie führt man eine glückliche Ehe? Antwort: Indem man eine Waise heiratet.»
Auch das sowjetische Familienrecht schützte die Rechte der Frauen – auf Kosten der Rechte der Männer. Im Falle einer Scheidung zum Beispiel blieben die Kinder bei der Mutter, die selbst darüber entschied, wie oft sie ihren Vater sehen durften. Die sogenannte «Öffentlichkeit» stand ebenfalls auf der Seite der Frauen: Wenn der Ehemann sich unangemessen verhielt, etwa sich eine Geliebte zulegte, konnte die Ehefrau bei seiner Arbeitsstelle eine schriftliche Beschwerde einreichen und das unverzügliche Eingreifen von Partei- oder Gewerkschaftsorganen verlangen. Wenn der «niederträchtige Ehebrecher» nicht auf die Vorhaltungen einging und stur blieb, beschäftigte sich das gesamte Kollektiv mit seiner «Privatangelegenheit».
So weit die allgemeinen Regeln. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Natürlich gab es auch Haustyrannen, ebenso wie es gehorsame Frauen gab, für die das Wort des Ehemannes Gesetz war. Und es waren auch bei weitem nicht alle bereit, sich in die sowjetische Form pressen zu lassen: Manche emigrierten bei der erstbesten Gelegenheit in den Westen; andere gingen in die «innere Emigration» oder wurden Dissidenten. Aber Millionen von Sowjetbürgern (Männer wie Frauen) sahen darin schlicht kein grosses Problem: Nach Ansicht von Soziologen ist der Konformismus in jedem Land die psychologische Norm.
Sehnsucht nach der «starken Hand»
Indem
die Staatsmacht den Willen der Bürger unterdrückte, beraubte sie sie
nicht nur ihres Selbstwertgefühls, sondern auch ihrer Fähigkeit,
Widerstand zu leisten, was schliesslich zum «Syndrom der erlernten
Hilflosigkeit» führte. Laut denselben Soziologen ist dieses Syndrom
charakteristisch für die grosse Mehrheit der heutigen russischen Männer.
Die Zeit der «Starken», im guten wie im schlechten Sinne dieses Wortes, kam dann mit der Perestroika. Noch heute, dreissig Jahre später, gibt es in der russischen Gesellschaft keinen Konsens über diese schwierige und in vielem widersprüchliche Periode unserer Geschichte: Die einen nennen sie die Zeit der unerfüllten Hoffnungen, die anderen bezeichnen sie als «grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts». Viele sind sich jedoch darin einig, dass damals, zu Anfang der neunziger Jahre, Zehntausende von Frauen überdurchschnittliche Stärke bewiesen, indem sie sich in den Strudel des wilden und von Auseinandersetzungen krimineller Banden geprägten russischen Kapitalismus stürzten – und ihre Kinder und Ehemänner buchstäblich vor dem Hunger bewahrten.
In meinem Umfeld gab es viele solcher Frauen. Ich würde sogar sagen, überproportional viele – wenn wir die Behauptung ernst nehmen, dass wir in einem patriarchalischen Land leben.
Anfang der nuller Jahre war die Zeit von Adlermännchen und Adlerweibchen vorbei. Die Russen sehnten sich nach der sogenannten «starken Hand», und als sie die schwierige, gefährliche Freiheit gegen die gewohnte staatliche Obhut eintauschten, hofften viele, dass die allmächtige «Hand des Staates» den Gangsterkapitalismus in Schach halten könnte.
Aber eine «starke Hand» wird eben früher oder später versuchen, alles in Schach zu halten, was sich bewegt. Und das ist es im Grunde, was der russische Staat heute tut – begleitet von dem endlosen Gerede über die Rückkehr zu «unseren wahren» (sprich: patriarchalischen) Werten.
Ein Beweis für unseren Staatspatriarchalismus ist das Geschlechterverhältnis in der russischen Staatsmacht. Ich fürchte, Russlands Problem ist nicht, dass Putins «Machtvertikale» aus «männlichen Wesen» besteht – das wäre halb so schlimm. Das Problem ist vielmehr, dass die absolute Mehrheit dieser hochrangigen Personen, die Millionenvermögen und Luxusanzüge von Brioni besitzen, «echte sowjetische Männer» sind, die von klein auf absoluten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit gewohnt sind. Mit anderen Worten, sie sind «keine Adler».
Die Zeit der «Starken», im guten wie im schlechten Sinne dieses Wortes, kam dann mit der Perestroika. Noch heute, dreissig Jahre später, gibt es in der russischen Gesellschaft keinen Konsens über diese schwierige und in vielem widersprüchliche Periode unserer Geschichte: Die einen nennen sie die Zeit der unerfüllten Hoffnungen, die anderen bezeichnen sie als «grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts». Viele sind sich jedoch darin einig, dass damals, zu Anfang der neunziger Jahre, Zehntausende von Frauen überdurchschnittliche Stärke bewiesen, indem sie sich in den Strudel des wilden und von Auseinandersetzungen krimineller Banden geprägten russischen Kapitalismus stürzten – und ihre Kinder und Ehemänner buchstäblich vor dem Hunger bewahrten.
In meinem Umfeld gab es viele solcher Frauen. Ich würde sogar sagen, überproportional viele – wenn wir die Behauptung ernst nehmen, dass wir in einem patriarchalischen Land leben.
Anfang der nuller Jahre war die Zeit von Adlermännchen und Adlerweibchen vorbei. Die Russen sehnten sich nach der sogenannten «starken Hand», und als sie die schwierige, gefährliche Freiheit gegen die gewohnte staatliche Obhut eintauschten, hofften viele, dass die allmächtige «Hand des Staates» den Gangsterkapitalismus in Schach halten könnte.
Aber eine «starke Hand» wird eben früher oder später versuchen, alles in Schach zu halten, was sich bewegt. Und das ist es im Grunde, was der russische Staat heute tut – begleitet von dem endlosen Gerede über die Rückkehr zu «unseren wahren» (sprich: patriarchalischen) Werten.
Ein Beweis für unseren Staatspatriarchalismus ist das Geschlechterverhältnis in der russischen Staatsmacht. Ich fürchte, Russlands Problem ist nicht, dass Putins «Machtvertikale» aus «männlichen Wesen» besteht – das wäre halb so schlimm. Das Problem ist vielmehr, dass die absolute Mehrheit dieser hochrangigen Personen, die Millionenvermögen und Luxusanzüge von Brioni besitzen, «echte sowjetische Männer» sind, die von klein auf absoluten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit gewohnt sind. Mit anderen Worten, sie sind «keine Adler».
Elena Chizhova
lebt als Schriftstellerin in St. Petersburg. Zuletzt ist bei DTV der
Roman «Die Terrakottafrau» erschienen. – Aus dem Russischen von Dorothea
Trottenberg.
Nota. - Ach, wenn Männer doch Adler wären! Aber wir dürfen ja nicht.
JE
JE
Dienstag, 21. Juli 2020
Das Gehirn von Männern und Frauen ist doch unterschiedlicher als bislang gedacht.
aus scinexx
Wie weit reichen die biologischen Unterschiede von Mann und Frau? Klar scheint, dass es abseits von gesell-schaftlichen Einflüssen durchaus Unterschiede im Verhalten, der Kognition und auch der Gesundheit zu geben scheint. So verhalten sich schon Neugeborene leicht unterschiedlich, das weibliche Gehirn ist im Schnitt aktiver und verarbeitet soziale Infor-mationen anders als das männliche. Zudem treten beispielsweise Autismus oder Parkinson beim männlichen Geschlecht häufiger auf, dafür leiden Frauen häufiger unter Depressionen.
Geschlechtsspezifische Volumenunterschiede der grauen Hirnsubstanz.
Gibt es „das“ männliche oder weibliche Gehirn?
Strittig ist aber, ob hinter diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden auch klare morphologische Merkmale stehen: Gibt es „das“ männliche oder weibliche Gehirn überhaupt? Während einige Studien durchaus Indizien für solche Differenzen aufgespürt haben – unter anderem in der Vernetzung – sehen andere im weiblichen und männlichen Gehirn nur einen Mythos. Die Überlappungen seien einfach zu groß.
Um dies zu klären, haben nun Forscher des National Institute of Mental Health in Bethesda noch einmal eine großangelegte Suche nach morpholoschen Geschlechtsunterschieden innunserm Denkorgan unternommen. Dafür werteten die Forscher die Hirnscans von 976 erwachsenen Männern und Frauen aus, deren Gehirnmor-phologie und -aktivität im Rahmen des Human Connectome Project (HCP) untersucht worden war. Sie vergli-chen dabei im Speziellen das Volumen verschiedener Areale der grauen Hirnsubstanz im Cortex.
Lokale Unterschiede der grauen Hirnsubstanz
Sie wurden fündig: „Wir stellen fest, dass das erwachsene Gehirn ein stereotypes Muster von regionalen Ge-schlechtsunterschieden in der grauen Hirnsubstanz aufweist“, so die Wissenschaftler. Konkret ist das Volumen der grauen Hirnsubstanz bei Frauen in Teilen des präfrontalen Cortex, im darüberliegenden orbitofrontalen Cortex sowie in Teilen des Scheitel- und Schläfenhirns höher. Bei Männern ist die Hirnrinde dagegen im hin-teren Teil des Gehirns dicker, darunter auch im primären Sehzentrum.
Dabei lassen sich übergeordnete funktionale Muster erkennen: „Die Regionen, in denen das Volumen der grauen Hirnsubstanz bei Männern größer ist, sind meist an der Objekterkennung und der Verarbeitung von Gesichtern beteiligt“, berichten Raznahan und seine Kollegen. „Die bei Frauen ausgeprägteren cortikalen Regionen sind dagegen mit der Kontrolle von Aufgaben, der Impulskontrolle und der Verarbeitung von Konflikten verknüpft.“
Unterschiede auch in der Genexpression
Doch worauf beruhen diese Volumenunterschiede? Bei Mäusen haben Studien bereits gezeigt, dass diese lokalen Differenzen auch mit einer geschlechtsspezifischen Genexpression zusammenhängen. Ob dies auch beim Men-schen so ist, haben Raznahan und sein Team anhand von Vergleichen mit Karten der Genexpression für 1317 Hirngewebeproben von sechs verstorbenen Spendern überprüft.
Das Ergebnis: Auch bei der Aktivität der Gene in den Gehirnzellen gab es ein deutliches Muster.
„Die kortikalen Regionen mit relativ hoher Expression der Geschlechtschromosomen liegen in den Bereichen, die bei Männern ein höheres Volumen aufweisen als bei Frauen“, berichten die Forscher. Die Regionen, in de-nen die graue Hirnsubstanz bei Frauen dicker war, zeigten dagegen eine geringere Aktivität der X- und Y-Chro-mosomen.
„Umweltfaktoren nicht die Haupttriebkraft“
Zusammengenommen sehen Raznahan und sein Team diese Ergebnisse als Beleg dafür, dass das Gehirn von Männern und Frauen sich anatomisch durchaus unterscheidet – und dass diese regionalen Differenzen eng mit der Aktivität der Geschlechtschromosomen verknüpft sind. Ihrer Ansicht nach müssen diese geschlechtsspezifi-schen Unterschiede zudem zumindest zum Teil angeboren sein.
„Wir glauben nicht, dass Umweltfaktoren die Haupttriebkraft für diese hochgradig reproduzierbaren Muster im Volumen der grauen Hirnsubstanz sind“, konstatieren die Forscher. In welchem Maße und auch welche Weise die jetzt beobachteten Unterschiede aber mit geschlechtsspezifischen Differenzen im Verhalten, der Kognition oder der mentalen Gesundheit verknüpft sind, müsse erst noch erforscht werden. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnase.1919091117)
Quelle: NIH/ National Institute of Mental Health
21. Juli 2020
Gehirn von Mann und Frau sind doch verschieden
Volumen der grauen Hirnsubstanz und Genexpression zeigen ein geschlechtsspezifisches Muster
Stereotyper als gedacht: Das Gehirn von Frauen und Männern ist doch unterschiedlicher als gedacht, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach haben Frauen mehr graue Hirnsubstanz unter anderem im Stirnhirn und im Scheitellappen, Männer dagegen haben mehr Volumen in einigen hinteren und seitlichen Arealen des Cortex, darunter auch dem primären Sehzentrum. Passend zu diesem Muster gibt es auch Unter-schiede bei der Genexpression der Geschlechtschromosomen in den Hirnarealen.
Stereotyper als gedacht: Das Gehirn von Frauen und Männern ist doch unterschiedlicher als gedacht, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach haben Frauen mehr graue Hirnsubstanz unter anderem im Stirnhirn und im Scheitellappen, Männer dagegen haben mehr Volumen in einigen hinteren und seitlichen Arealen des Cortex, darunter auch dem primären Sehzentrum. Passend zu diesem Muster gibt es auch Unter-schiede bei der Genexpression der Geschlechtschromosomen in den Hirnarealen.
Wie weit reichen die biologischen Unterschiede von Mann und Frau? Klar scheint, dass es abseits von gesell-schaftlichen Einflüssen durchaus Unterschiede im Verhalten, der Kognition und auch der Gesundheit zu geben scheint. So verhalten sich schon Neugeborene leicht unterschiedlich, das weibliche Gehirn ist im Schnitt aktiver und verarbeitet soziale Infor-mationen anders als das männliche. Zudem treten beispielsweise Autismus oder Parkinson beim männlichen Geschlecht häufiger auf, dafür leiden Frauen häufiger unter Depressionen.
Geschlechtsspezifische Volumenunterschiede der grauen Hirnsubstanz.
Gibt es „das“ männliche oder weibliche Gehirn?
Strittig ist aber, ob hinter diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden auch klare morphologische Merkmale stehen: Gibt es „das“ männliche oder weibliche Gehirn überhaupt? Während einige Studien durchaus Indizien für solche Differenzen aufgespürt haben – unter anderem in der Vernetzung – sehen andere im weiblichen und männlichen Gehirn nur einen Mythos. Die Überlappungen seien einfach zu groß.
Um dies zu klären, haben nun Forscher des National Institute of Mental Health in Bethesda noch einmal eine großangelegte Suche nach morpholoschen Geschlechtsunterschieden innunserm Denkorgan unternommen. Dafür werteten die Forscher die Hirnscans von 976 erwachsenen Männern und Frauen aus, deren Gehirnmor-phologie und -aktivität im Rahmen des Human Connectome Project (HCP) untersucht worden war. Sie vergli-chen dabei im Speziellen das Volumen verschiedener Areale der grauen Hirnsubstanz im Cortex.
Lokale Unterschiede der grauen Hirnsubstanz
Sie wurden fündig: „Wir stellen fest, dass das erwachsene Gehirn ein stereotypes Muster von regionalen Ge-schlechtsunterschieden in der grauen Hirnsubstanz aufweist“, so die Wissenschaftler. Konkret ist das Volumen der grauen Hirnsubstanz bei Frauen in Teilen des präfrontalen Cortex, im darüberliegenden orbitofrontalen Cortex sowie in Teilen des Scheitel- und Schläfenhirns höher. Bei Männern ist die Hirnrinde dagegen im hin-teren Teil des Gehirns dicker, darunter auch im primären Sehzentrum.
Dabei lassen sich übergeordnete funktionale Muster erkennen: „Die Regionen, in denen das Volumen der grauen Hirnsubstanz bei Männern größer ist, sind meist an der Objekterkennung und der Verarbeitung von Gesichtern beteiligt“, berichten Raznahan und seine Kollegen. „Die bei Frauen ausgeprägteren cortikalen Regionen sind dagegen mit der Kontrolle von Aufgaben, der Impulskontrolle und der Verarbeitung von Konflikten verknüpft.“
Unterschiede auch in der Genexpression
Doch worauf beruhen diese Volumenunterschiede? Bei Mäusen haben Studien bereits gezeigt, dass diese lokalen Differenzen auch mit einer geschlechtsspezifischen Genexpression zusammenhängen. Ob dies auch beim Men-schen so ist, haben Raznahan und sein Team anhand von Vergleichen mit Karten der Genexpression für 1317 Hirngewebeproben von sechs verstorbenen Spendern überprüft.
Das Ergebnis: Auch bei der Aktivität der Gene in den Gehirnzellen gab es ein deutliches Muster.
„Die kortikalen Regionen mit relativ hoher Expression der Geschlechtschromosomen liegen in den Bereichen, die bei Männern ein höheres Volumen aufweisen als bei Frauen“, berichten die Forscher. Die Regionen, in de-nen die graue Hirnsubstanz bei Frauen dicker war, zeigten dagegen eine geringere Aktivität der X- und Y-Chro-mosomen.
„Umweltfaktoren nicht die Haupttriebkraft“
Zusammengenommen sehen Raznahan und sein Team diese Ergebnisse als Beleg dafür, dass das Gehirn von Männern und Frauen sich anatomisch durchaus unterscheidet – und dass diese regionalen Differenzen eng mit der Aktivität der Geschlechtschromosomen verknüpft sind. Ihrer Ansicht nach müssen diese geschlechtsspezifi-schen Unterschiede zudem zumindest zum Teil angeboren sein.
„Wir glauben nicht, dass Umweltfaktoren die Haupttriebkraft für diese hochgradig reproduzierbaren Muster im Volumen der grauen Hirnsubstanz sind“, konstatieren die Forscher. In welchem Maße und auch welche Weise die jetzt beobachteten Unterschiede aber mit geschlechtsspezifischen Differenzen im Verhalten, der Kognition oder der mentalen Gesundheit verknüpft sind, müsse erst noch erforscht werden. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnase.1919091117)
Quelle: NIH/ National Institute of Mental Health
21. Juli 2020
- Nadja Podbregar
Nota. - Beachten Sie aber den grammatischen Schnitzer in der Überschrift: Korrekt müsste es heißen, "die Gehirne...". Doch so heiß, wie es kommt, soll es nicht geschluckt werden. Vorsichtig machen sie das Gehirn daraus.
JE
Nota. - Beachten Sie aber den grammatischen Schnitzer in der Überschrift: Korrekt müsste es heißen, "die Gehirne...". Doch so heiß, wie es kommt, soll es nicht geschluckt werden. Vorsichtig machen sie das Gehirn daraus.
JE
Mittwoch, 15. Juli 2020
Rechtsstaat kommt vor Gesinnung.
aus Tagesspiegel.de, 15. 7. 2020
Das hat der Verfassungsgerichtshof in Weimar am Mittwoch entschieden und eine sogenannte Paritätsregelung im Landeswahlgesetz gekippt. Damit war eine Klage der AfD erfolgreich. Die Entscheidung könnte eine Signalwirkung auf eine ähnliche Regelung in Brandenburg entfalten, wo das Verfassungsgericht im August über das dort beschlossene Paritätsgesetz entscheidet.
Zur Begründung führte das Gericht aus, das Gesetz beeinträchtige das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl. So könnten die Wählerinnen und Wähler nicht mehr frei entscheiden, ob sie etwa mehr Frauen oder mehr Männer ins Parlament schicken wollen. Das Freiheit der Wahl bedeute auch das Recht, sich ohne staatliche Beschränkung zur Wahl zu stellen. ...
Nota I. - Ich ahn es schon: Wer für einen AfD-Antrag stimmt, ist tendenziell faschistoid.
Nota II. - Nein, das wäre altmodisch. Heute dagt man: neoliberal.
JE
Paritätsregelung für Wahllisten in Thüringen verfassungswidrig
Parteien müssen ihre Kandidatenlisten für Landtagswahlen nicht
abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen. Das entschied der Thüringer
Verfassungsgerichtshof.
Parteien müssen in Thüringen ihre Kandidatenlisten für Landtagswahlen nicht abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen.
Parteien müssen in Thüringen ihre Kandidatenlisten für Landtagswahlen nicht abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen.
Das hat der Verfassungsgerichtshof in Weimar am Mittwoch entschieden und eine sogenannte Paritätsregelung im Landeswahlgesetz gekippt. Damit war eine Klage der AfD erfolgreich. Die Entscheidung könnte eine Signalwirkung auf eine ähnliche Regelung in Brandenburg entfalten, wo das Verfassungsgericht im August über das dort beschlossene Paritätsgesetz entscheidet.
Zur Begründung führte das Gericht aus, das Gesetz beeinträchtige das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl. So könnten die Wählerinnen und Wähler nicht mehr frei entscheiden, ob sie etwa mehr Frauen oder mehr Männer ins Parlament schicken wollen. Das Freiheit der Wahl bedeute auch das Recht, sich ohne staatliche Beschränkung zur Wahl zu stellen. ...
Nota I. - Ich ahn es schon: Wer für einen AfD-Antrag stimmt, ist tendenziell faschistoid.
Nota II. - Nein, das wäre altmodisch. Heute dagt man: neoliberal.
Sonntag, 12. Juli 2020
Walküren und Amazonen.
aus welt.de, 12. 7. 2020 Spielszene aus der Terra-X-Dokumentation
Starke Frauen führten sogar Wikingerheere in die Schlacht
Neue Funde zeigen, dass Frauen vor 10.000 Jahren noch auf die Jagd oder in den Kampf zogen. Erst die Neolithische Revolution veränderte das Verhältnis der Geschlechter. Ausnahmen gab es allerdings auch später.
Birka gilt als älteste Stadt Schwedens. Ende des 8. Jahrhunderts von Wikingern auf einer Insel im Mälaren-See gegründet, stieg die Siedlung schnell zu einem Handelszentrum auf, das die Schätze des Nordens versammelte. Welche Reichtümer da zusammenkamen, entdeckten Forscher Ende des 19. Jahrhunderts, als sie ein reich ausgestattetes Grab freilegten. Schwert, Kampfaxt, Pfeil und Bogen und die Kadaver zweier Pferde ließen für die Ausgräber nur einen Schluss zu: Hier war ein mächtiger Mann, ein Fürst, mit aller Pracht bestattet worden.
Bei den Wikingern kämpften auch die Frauen im Krieg
Bis 2017 Wissenschaftler der Universität Stockholm die sterblichen Überreste einer DNA-Analyse unterzogen. Das Ergebnis war eine Sensation, denn der vermeintliche Fürst war eine Frau. Dass in der Männergesellschaft der Wikinger Frauen als Kriegerinnen und Anführerinnen herausgehobene Positionen einnehmen konnten, zählt zu den verblüffenden Ergebnissen der neuer Methoden, die derzeit so manche Lehrsätze der Archäologie korrigieren. Wie sehr das auch für die Geschlechterbeziehungen von Homo sapiens gilt, belegt die ZDF-Dokumentation „Terra X: „Mächtige Männer – Ohn-mächtige Frauen?“ von Birgit Tanner und Carsten Gutschmidt am Sonntag: Manche Rollen, die Generationen von Wissenschaftlern den Geschlechtern zuwiesen, hat es offenbar so nie gegeben.
Der berühmte "Wikingerkrieger" aus dem Grab BJ 581 in Birka war eine Frau – Spielszene aus der Terra-X- Dokumentation
Das bestätigen auch andere Wikinger-Funde. Seit weitere Untersuchungen den Stockholmer Befund bestätigt haben, wurden auch Entdeckungen in Norwegen und Dänemark einer Revision unterzogen. „Immer mehr Frauengräber mit Waffen oder Symbolen, die auf Waffen und Kampf Bezug nehmen, werden entdeckt und zwingen die Forschung, die traditionellen Gendergrenzen in der Wikingerzeit kritisch zu hinterfragen“, resümieren die Archäologen Leszek Gardela und Matthias S. Toplak in ihren Beitrag „Militaria bei den Wikinger-Frauen“ in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“.
Mit dem Grab von Birka machen Tanner und Gutschmidt deutlich, dass die gesellschaftliche Rolle der Frau auch noch in historischen Zeiten keineswegs so eindeutig festgelegt war, wie das viele (männliche) Interpreten aus den Quellen bislang gedeutet haben. Die Wikinger beantworteten die Gender-Frage wohl ambivalent. Der ZDF-Dokumentation geht es jedoch vor allem um die anthropologische Dimension: Welches Verhältnis zwischen den Geschlechtern pflegte Homo sapiens während seiner Evolution?
Der Archäologe Anthony Sinclair und der forensische Biologe Patrick Randolph-Quinney haben an der Universität Liverpool die Handabdrücke, die sich in der berühmten Höhle von Lascaux erhalten haben, mit der Technik der geometrischen Morphologie vermessen. Wie bei modernen Männern und Frauen zeichneten sich auch im Jungpaläolithikum die weiblichen Handteller dadurch aus, dass sie – anders als beim Mann – zum Handgelenk schmaler auslaufen.
Auch in der Höhle von Chauvet haben steinzeitliche Künstler ihre Handabdrücke hinterlassen
Dass die Mehrzahl der Abdrücke von Frauen stammt, lässt den Schluss zu, dass sie nicht nur die Künstlerinnen, sondern wohl auch an der Jagd beteiligt waren. „Die Kunst war zur Zeit der Entdecker eine männliche Domäne. Und wir nehmen ja gern unsere eigenen Vorstellungen und stülpen sie dem über, was wir sehen und wie wir es sehen“, erklärt Sinclair den analytischen Zirkelschluss vieler Kollegen.
Dass Frauen keineswegs auf ihre Rolle als Sammlerinnen beschränkt waren, macht schon die Lebenswirklichkeit dieser nomadisierenden Gruppen plausibel, die 20 bis 30 Individuen umfassten. Für eine effektive Jagd wurde jedes Mitglied gleich welchen Geschlechts gebraucht. Auch die Verteidigung des Lagers erforderte Fähigkeiten im Umgang mit Waffen. Eine gendergemäße Arbeitsteilung konnten sich diese kleinen Gruppen gar nicht leisten. Jeder tat das, was er am besten konnte.
Eine weitere Beobachtung erklärt, warum auch Frauen zu den Waffen griffen, während Männer sich als Handwerker auszeichneten. Die Ressourcen an Nahrung – Fleisch, Früchte, Beeren – wurden ohne Ansehen des Geschlechts geteilt.
In der chinesischen Provinz Henan ergraben Archäologen einen Platz, der über 12.000 Jahre hinweg kontinuierlich besucht und besiedelt worden ist. Die Untersuchung der Skelette und Gräber mithilfe der Isotopenanalyse zeigt, dass Frauen und Männer die gleiche Nahrung zu sich nahmen. Das erklärt, warum die Größenunterschiede zwischen den Geschlechtern gering gewesen sind, was sich auch in der körperlichen Leistungsfähigkeit niedergeschlagen haben dürfte: Frauen konnten kämpfen wie Männer.
In der Bronzezeit erhielten Männer reichere Beigaben als Frauen, sagt die US-Anthropologin Kate Pechenkina
Das gilt aber nur bis zum Durchbruch der sogenannten Neolithischen Revolution, in der der Mensch lernte, sich durch den Anbau von Pflanzen und die Domestizierung von Tieren zu ernähren. In den Schichten ab etwa 8000 v. Chr. in Henan teilt sich das Speisenangebot. Während Männer weiterhin viel proteinreiche Nahrung wie Fleisch zu sich nahmen, mussten sich Frauen mit Obst und Gemüse begnügen. In der Körpergröße unterscheiden sich die Geschlechter seitdem deutlich. Ab der Bronzezeit (ca. 2000 v. Chr.), fand die US-Anthropologin Kate Pechenkina heraus, waren Männergräber auch deutlich reicher ausgestattet als die der Frauen.
Der britische Anthropologe Tamás Dávid-Barrett von der Universität Oxford führt den Befund auf die Folgen der Sesshaftwerdung zurück. Land wurde zu einem Besitz, den es zu schützen galt. Da die wachsenden Ressourcen zudem zu einem Bevölkerungsanstieg führten, übernahmen Männer die Verteidigung, während die Frauen für Haus und Kinder zuständig wurden. Das größere Nahrungsangebot, vor allem der Zuwachs an Ersatznahrung, erlaubte das frühere Abstillen von Babys, sodass Frauen mehr Kinder bekommen konnten. Auch dies beförderte die Arbeitsteilung der Geschlechter.
Wenn Männer zum Besitzer des Bodens wurden, förderte dies die Patrilokalität – das heißt, männlicher Nachwuchs blieb, während weibliche Kinder die Familien verließen und in Clans anderer Männer zogen. Isotopenanalysen haben inzwischen gezeigt, dass Frauen Hunderte von Kilometern wanderten, um sich einer neuen Sippe anzuschließen. Oder sie wurden geraubt.
Das Phänomen, dass zumeist männliche Forscher archäologische Funde anhand der Genderrollen ihrer Zeit deuteten, fand auch in der deutschen Landesdenkmalpflege seinen Niederschlag. Ganze Gräberfelder wurden nach waffentragenden Männern und Schmuck liebenden Frauen geordnet und die Funde entsprechend katalogisiert. Erst DNA-Analysen zeigen, dass die statistischen und anthropologischen Schlussfolgerungen wohl für die Katz waren.
„Terra X: Mächtige Männer – Ohnmächtige Frauen?“, 12. Juli, 19.30 Uhr, ZDF
Nota. - Es gibt keinen rationellen Grund für die Annahme, dass vor der Sesshaftwerdung die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern eine kategorische war. Männer und Frauen werden im gegebenen Moment wohl das getan haben, was sie am besten konnten - und was gerade am dringendsten war. Für eine andere Annahme gibt es keine wie man heute sagt belastbaren Indizien. Es wird - wiederum je nach Situation - ein wechselndes Mehr oder Weniger gegeben haben.
Was mehr, was weniger? Völker, die sich von Jagen und Sammeln ernähren, sind in aller Regel Nomaden: Sie jagen und sammeln in einer Gegend so lange, bis sie abgeweidet ist - von ihnen und von animalischen Nah-rungskonkurrenten. Dann müssen sie woanders hin weiterziehen.
Sind sie länger unterwegs oder sind sie länger an einem Platz? Auf der Wanderschaft werden physiologische und geistige Leistungsfähigkeit ausschlaggebend gewesen sein, so dass Größe, Kraft und Alter alle andern Kri-terien überlagert haben dürften. Soziale Rangordnungen werden eine Nebenrolle gespielt haben - so auch der Geschlechtsunterschied.
Das Bild ändert sich, sobald die Gruppe ein dauerhaftes Lager aufstellt. Mit der Zeit werden die Exkursionen der Jäger weitläufiger und wird die Suche der Sammler gründlicher werden. Alte und Kinder werden im Lager bleiben, Mütter immerhin in der Nähe, um die Kinder versorgen zu können. Wenn auch Frauen auf die Jagd gehen, wird es nun eher eine Ausnahme sein als eine Regel. Je länger die Siedlungsperiode dauert, werden sich am Lagerplatz soziale Differenzierungen ausbilden, die während der nächsten Wanderung zwar hintangestellt, aber auch nicht ganz vergessen werden.
Es ist eine Frage von Regel und Ausnahme. Dort, wo - zum Beispiel im Jordantal - sich eine ackerbauende Gesellschaft originär entwickelt hat, hat das viele Generationen gedauert, und was Regel und was Ausnahme war, dürfte sich aufgrund aller erdenklichen Zufälle immer wieder geändert haben.
Wo dagegen gewohnheitsmäßig ackerbauende Populationen migriert sind - wegen Überbevölkerung zum Beispiel -, werden sie an ihren neuen Siedlungsort ihre sozialen Strukturen fix und fertig mitgebracht haben - bzw. das, was ihre Wanderschaft überstanden hat.
In Europa ist der Ackerbau von Zuwanderern eingeführt worden. Von den Ansässigen wurde er erst - wider-willig - übernommen, als mit dem Ende der Eiszeit große Beutetiere ausstarben. Je nördlicher, denk ich mir, umso später; und umso widerwilliger. Dass auch hier die typischen, weil angemessensten Sozialformen der Agrargesellschaft Einzug hielten, wird wiederum etliche Generationen gedauert und sich keineswegs geradlinig vollzogen haben.
Und "wenn Männer zum Besitzer des Bodens wurden...": Männer werden zuerst zu den Verteidigern des Bo-dens, denn während Raub und Totschlag unter den Wanderern eine unvorhersehbare Ausnahme waren, wurde der Versuch der Eroberung und also der Krieg mit dem Ackerbau zur Regel. Der Mann war nun nicht gelegent-lich, sondern zu allererst Krieger; und wurde Sklavenhalter, denn einer musste ja den Boden bestellen. So hatte die soziale Ungleichheit fortan reichlichst Zeit, sich auszubilden...
*
Kurz gesagt, zu Ideologisierungen eignet sich das alles nicht.
JE
Donnerstag, 9. Juli 2020
Die Quote, II.
Dass sich Männer mehr für öffentliche Angelegenheiten und Frauen mehr für Haushalts- und Beziehungsfragen interessieren und umgekehrt, wird sich vielleicht erst in vielen Generationen ändern, weil es unsere Stammesgeschichte zum Hintergrund hat, und es ist nicht abzusehen, welche Bedingungen sich bis dahin geändert haben müssen. Dass Frauen so häufig wie Män-ner Parteimitglieder werden und auch bleiben, lässt sich einstweilen nicht forcieren. So lange bliebe Parität in der Führung eine Ungleichstellung der Basis, die sich nur als Propagandamaßnahme begründen ließe; also mit Parteiinteresse.
Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE.
Gleichstellung vs. Gleichberechtigung.
derStandard
aus nzz.ch, 07.07.2020
Die verstärkte Repräsentation von Frauen in politischen Ämtern ist ein gutes Ziel. Um es zu erreichen, will CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Partei auf eine verbindliche Frauenquote von 50 Prozent verpflichten. Dieser Vorschlag sickerte an diesem Dienstag durch, Kramp-Karrenbauer hat der Satzungskommission der CDU einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt.
In der Kommission fremdeln aber offenbar einige mit diesem Kurs der Parteispitze, der die CDU in sozialdemokratisches Fahrwasser bringt. Frauenfeindlich, das will im Jahr 2020 niemand mehr sein. Bloss: Ist die Frauenquote nicht das eigentlich frauenfeindlichste aller Antidiskriminierungsinstrumente? Vor dem CDU-Parteitag im November letzten Jahres wurde die Frage, ob es eine parteiinterne Frauenquote geben soll, kontrovers diskutiert – einen Beschluss dazu soll es bis zum Parteitag im Dezember geben.
Die Tatsache, dass es wenige Frauen in Spitzenpositionen gibt, ist durchaus zu kritisieren. Dennoch gibt es gute Gründe dafür, Quoten abzulehnen.
Gleichberechtigung und Gleichstellung sind nicht dasselbe
Politische und rechtliche Gleichberechtigung, darum ging es der Frauenrechtsbewegung in der ersten und der zweiten Phase. Inzwischen hat sich mit dem Begriff der Gleichstellung ein ähnlich klingendes Schlagwort im Kampf um die Geschlechtergleichheit in den Diskurs und die Köpfe eingeschlichen. Ein Beispiel: Unter dem Motto «Mit Recht zur Gleichstellung» lud das Frauenministerium unlängst zu einer Fachkonferenz. Trotz 40 Jahre Frauenrechtskonvention und 25 Jahre Vierte Weltfrauenkonferenz von Peking – beides «gleichstellungspolitische Meilensteine» – sei noch nirgendwo auf der Welt echte Gleichstellung zwischen Männern und Frauen erreicht. Doch was bedeutet das überhaupt?
Es gilt auseinanderzuhalten: Gleichberechtigung bedeutet Gleichheit vor dem Gesetz. Tatsächliche Ungleichheiten der Positionen sind hinzunehmen, da Individuen ungleich sind – das macht sie aus. Das Ideal der Gleichstellung geht hingegen davon aus, dass eine absolute Verteilung der Geschlechter, also 50:50, notwendig ist. Hier liegt der erste Denkfehler, denn weder sind alle Frauen noch alle Männer gleich. Was nicht der Tatsache widerspricht, dass Männer und Frauen grundsätzlich gleich gut und gleich geeignet sind und also gleich repräsentiert sein sollten.
Gleichberechtigung ermöglicht Freiheit, weil Ungleichheiten nicht negiert werden. Gleichstellung ist Gleichmacherei, die den Menschen nicht mehr in seiner Individualität, sondern nur als Vertreter eines Kollektivs wahrnimmt.
Perpetuierung althergebrachter Rollenbilder
aus nzz.ch, 07.07.2020
Frauenquoten: der Siegeszug eines Denkfehlers
CDU-Chefin
Annegret Kramp-Karrenbauer will eine verbindliche Frauenquote in der
CDU einführen. Dieses Instrument der Frauenförderung hebelt die Freiheit
und Gleichheit der Individuen aus.
von Anna Schneider, Berlin
von Anna Schneider, Berlin
Die verstärkte Repräsentation von Frauen in politischen Ämtern ist ein gutes Ziel. Um es zu erreichen, will CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Partei auf eine verbindliche Frauenquote von 50 Prozent verpflichten. Dieser Vorschlag sickerte an diesem Dienstag durch, Kramp-Karrenbauer hat der Satzungskommission der CDU einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt.
In der Kommission fremdeln aber offenbar einige mit diesem Kurs der Parteispitze, der die CDU in sozialdemokratisches Fahrwasser bringt. Frauenfeindlich, das will im Jahr 2020 niemand mehr sein. Bloss: Ist die Frauenquote nicht das eigentlich frauenfeindlichste aller Antidiskriminierungsinstrumente? Vor dem CDU-Parteitag im November letzten Jahres wurde die Frage, ob es eine parteiinterne Frauenquote geben soll, kontrovers diskutiert – einen Beschluss dazu soll es bis zum Parteitag im Dezember geben.
Die Tatsache, dass es wenige Frauen in Spitzenpositionen gibt, ist durchaus zu kritisieren. Dennoch gibt es gute Gründe dafür, Quoten abzulehnen.
Gleichberechtigung und Gleichstellung sind nicht dasselbe
Politische und rechtliche Gleichberechtigung, darum ging es der Frauenrechtsbewegung in der ersten und der zweiten Phase. Inzwischen hat sich mit dem Begriff der Gleichstellung ein ähnlich klingendes Schlagwort im Kampf um die Geschlechtergleichheit in den Diskurs und die Köpfe eingeschlichen. Ein Beispiel: Unter dem Motto «Mit Recht zur Gleichstellung» lud das Frauenministerium unlängst zu einer Fachkonferenz. Trotz 40 Jahre Frauenrechtskonvention und 25 Jahre Vierte Weltfrauenkonferenz von Peking – beides «gleichstellungspolitische Meilensteine» – sei noch nirgendwo auf der Welt echte Gleichstellung zwischen Männern und Frauen erreicht. Doch was bedeutet das überhaupt?
Es gilt auseinanderzuhalten: Gleichberechtigung bedeutet Gleichheit vor dem Gesetz. Tatsächliche Ungleichheiten der Positionen sind hinzunehmen, da Individuen ungleich sind – das macht sie aus. Das Ideal der Gleichstellung geht hingegen davon aus, dass eine absolute Verteilung der Geschlechter, also 50:50, notwendig ist. Hier liegt der erste Denkfehler, denn weder sind alle Frauen noch alle Männer gleich. Was nicht der Tatsache widerspricht, dass Männer und Frauen grundsätzlich gleich gut und gleich geeignet sind und also gleich repräsentiert sein sollten.
Gleichberechtigung ermöglicht Freiheit, weil Ungleichheiten nicht negiert werden. Gleichstellung ist Gleichmacherei, die den Menschen nicht mehr in seiner Individualität, sondern nur als Vertreter eines Kollektivs wahrnimmt.
Perpetuierung althergebrachter Rollenbilder
In
der Realität bestehen diskriminierende Machtstrukturen, insbesondere in
Form von Netzwerken, von denen in erster Linie Männer profitieren. Um
diese zu durchbrechen, ist es notwendig, Frauen zu ermächtigen und zu
unterstützen, damit sie sich selbst Strukturen aufbauen können. Eine
verpflichtende Quote ist dafür ein zu plumpes Instrument. Frauenquoten
schaffen Quotenfrauen, was letztlich dem Anliegen schadet. Denn eine
Frauenquote ist, das lässt sich nicht beschönigen, ein Armutszeugnis für
Frauen. Anstatt ihnen zuzutrauen, dass sie sich auf dem freien Markt
durchsetzen können, erklärt man sie zu hilfsbedürftigen Wesen. Das ist
das Gegenteil von Emanzipation, das ist Patronage. Viele, die lautstark
gegen die vermeintlichen Zwänge des Patriarchats ankämpfen, greifen in
Verteidigung der Frauenquote paradoxerweise auf Rollenbilder zurück, die
sie eigentlich abschaffen wollen: der privilegierte Mann, die zum
Objekt gemachte Frau. So werden im Namen der positiven Diskriminierung
Stereotype zementiert.
Die Frage, wann die adäquate Repräsentation von Frauen in den Top-Etagen der Arbeitswelt zahlenmässig erreicht ist, lässt sich nicht beantworten. Folgt man der Logik der staatlichen Gleichstellungspolitik, stellen sich noch andere Fragen: Weshalb geht es bei der Forderung nach Frauenquoten nur um Führungspositionen und prestigeträchtige Tätigkeiten? Warum spricht niemand über Quoten bei der Müllabfuhr, auf dem Bau oder bei Reinigungsdiensten? Wieso gibt es keine Quoten für benachteiligte Gruppen wie etwa Migranten? In diesem Sinne könnten noch beliebig viele, in unterschiedlichem Masse und nach unterschiedlichen Kriterien diskriminierte Gruppen gebildet werden. Die Reduzierung von Menschen auf ihre äusseren Merkmale führt in eine identitätspolitische Sackgasse.
Die Frage, wann die adäquate Repräsentation von Frauen in den Top-Etagen der Arbeitswelt zahlenmässig erreicht ist, lässt sich nicht beantworten. Folgt man der Logik der staatlichen Gleichstellungspolitik, stellen sich noch andere Fragen: Weshalb geht es bei der Forderung nach Frauenquoten nur um Führungspositionen und prestigeträchtige Tätigkeiten? Warum spricht niemand über Quoten bei der Müllabfuhr, auf dem Bau oder bei Reinigungsdiensten? Wieso gibt es keine Quoten für benachteiligte Gruppen wie etwa Migranten? In diesem Sinne könnten noch beliebig viele, in unterschiedlichem Masse und nach unterschiedlichen Kriterien diskriminierte Gruppen gebildet werden. Die Reduzierung von Menschen auf ihre äusseren Merkmale führt in eine identitätspolitische Sackgasse.
Nota. - Ich bin in der Adenauer-Zeit großgeworden. Wenn damals eine Frau auf einen hervorgehobenen Posten kam, wäre mir in meiner jugendlichen Einfalt gar nicht eingefallen, zu fragen: Kann die das überhaupt? Die große Mehrheit mag sich diese Frage durchaus gestellt haben, es war eben noch Adenauerzeit. Da machte ich mir aber keine Gedanken drüber, zur Mehrheit gehörte ich sowieso nicht, schon wg. meiner Gottlosigkeit.
Nach einem halben Jahrhundert ist meine Einfalt so verflogen wie meine Jugend. Heute komme ich gar nicht erst dazu, zu fragen, ob sie 'das kann'; dass sie wegen der Quote auf ihren Posten gekommen ist, wird gar nicht erst bestritten, son-dern groß herausposaunt, und besagte Frage darf schon nicht mehr gestellt werden.*
Eine Partei fragt sich - ja so ist die Politik nunmal - nicht nur, was für das Große Ganze das Beste ist, sondern auch da-nach, was ihr selber nützt. Die CDU, die zu Adenauerzeiten wegen der Frauenstimmen die Wahlen gewann, ist heute bei den Frauen unterrepräsentiert. Die wählen seit Willy Brandt sozi, wenn nicht seit Joschka Fischer grün. Da muss die CDU wieder aufholen, da ist ein Begabungspool, den man nicht einfach den andern überlassen darf.
Dass die CDU nicht nur WählerInnen braucht, sondern auch Politikerinnen, ist deren Sache. Dass sie das öffentliche Be-wusstsein noch ein Stück weiter in Schieflage bringt, ist dagegen jedermanns Sache. Wäre ich CDU-Mitglied, würde ich gegen die Quote stimmen.
*) Bei Angela Merkel wurde sie noch bei jedem Karriereschritt gestellt.
*) Bei Angela Merkel wurde sie noch bei jedem Karriereschritt gestellt.
JE
Dienstag, 7. Juli 2020
Männer hält man eher für genial als Frauen.
aus spektrum.de, 6.07.2020
Männer halten wir eher für genial als Frauen
Natürlich sprechen wir Frauen ebenso herausragende Fähigkeiten zu wie Männern. Sagen wir jedenfalls. Doch in den Köpfen stecken noch immer die alten Geschlechterstereotype.
von Christiane Gelitz
Professuren, Nobelpreise, Spitzenpositionen: Über Jahrzehnte gingen sie mehrheitlich an Männer. Und noch heute sind Frauen in Wissenschaft und Technologie unterrepräsentiert, wenn es um prestigeträchtige Posten und Auszeichnungen geht. Eine Studie im »Journal of Experimental Social Psychology« untersuchte nun, ob dahin-ter ein Stereotyp stecken könnte: Assoziieren wir »Genie« mehr mit Männern als mit Frauen? Anders gesagt: Sprechen wir Männern eher herausragende Fähigkeiten zu?
Fragt man direkt danach, so verneinen Versuchspersonen überwiegend, berichtet das Team aus zwei Psycholo-ginnen und zwei Psychologen. »Wenn, dann behaupten die Leute, dass sie Frauen mit Brillanz assoziieren. Doch die impliziten Maße erzählen eine andere Geschichte«, sagt Tessa Charlesworth von der Harvard University in einer Pressemitteilung.
Um unbewusste Einstellungen zu ergründen, griff das Team zum so genannten Impliziten Assoziationstest (IAT). Dabei sortierten die Versuchspersonen unter Zeitdruck Begriffe und Bilder am Computer: Sie sollten immer dann dieselbe Taste drücken, wenn entweder ein Begriff (»brillant«) oder eine bestimmte Art von Bild auftauchte – mal das Bild eines Mannes, mal das einer Frau. Die Logik dahinter: Je schneller wir reagieren, desto leichter fällt uns die Aufgabe, und das lässt darauf schließen, dass die beiden Konzepte im Kopf eng miteinander verbunden sind.
Mit mehr als 3600 Versuchspersonen aus knapp 80 Ländern verglich die Gruppe mit dieser Methode die unbewussten Assoziationen zwischen Mann beziehungsweise Frau und sechs Eigenschaften. Verglichen etwa mit Eigenschaften wie »kreativ« und »lustig« reagierten die Versuchspersonen schneller auf die Kombination von »brillant« mit einem Mann (und nicht einer Frau). Allein die Eigenschaft »stark« war noch enger mit dem männlichen Geschlecht verbunden. Und das galt für männliche und weibliche Versuchspersonen, für Erwachsene und Kinder, wie die Forschungsgruppe schreibt: Sie alle assoziierten Brillanz enger mit einem Mann als mit einer Frau, und zwar ebenso sehr wie Mann und Karriere beziehungsweise Frau und Familie.
Solche Stereotype und unbewussten Einstellungen beeinflussen, wie wir Informationen suchen und verarbeiten – bevorzugt jene, die unsere vorgefassten Meinungen bestätigen. Und sie entwickeln sich schon sehr früh, wie Koautor Andrei Cimpian 2017 gemeinsam mit anderen Kollegen beobachtet hatte: Mit fünf Jahren unterschieden Kinder noch nicht zwischen Jungen und Mädchen, wenn es um die Eigenschaft »sehr klug« ging. Doch mit sechs Jahren änderte sich das: In diesem Alter sprachen Mädchen das Merkmal seltener ihrem eigenen Geschlecht zu, als Jungen das umgekehrt für sich taten. Und zu dieser Zeit begannen die Mädchen auch, Aktivitäten zu meiden, die vermeintlich nur für »sehr kluge« Kinder geeignet waren. Daraus schlossen Cimpian und sein Team, dass sich das veränderte Konzept unmittelbar auf die Interessen auswirke. Die aktuelle Studie legt nahe, dass sich das bis ins Erwachsenenalter fortsetzt, wie die Autoren folgern: »Die implizite Assoziation hält Frauen von prestigeträchtigen Berufen fern.«
Nota. - Bitten Sie Straßenpassanten, Ihnen Personen zu nennen, die sie für genial halten, werden Sie ab Einstein fast nur Männernamen hören. Und fragen Sie je nach Sachgebieten, dann - werden Sie Männernamen hören.
Die einen werden sagen, das ist eben Erfahrung, die andern sagen, es sei eine self fulfilling prophecy.
Empirische Erhebungen - namentlich im Schulbereich - sagen aber auch, das Begabungsspektrum sei bei Jungen viel breiter als bei Mädchen; während sich bei letzteren die große Menge in einem mittleren Bereich konzentriert, erstreckten sich die Extreme bei den Jungen viel weiter, und zwar nach unten wie nach oben.
Fragen Sie also die Passanten nach besonders unterbelichteten Personen, dann... werden sie Ihnen weder Männer noch Frauen nennen, weil im öffentlichen Bewusstsein das wahrgenommen wird, was nach oben herausragt und nicht nach unten.
JE
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