Mittwoch, 31. Juli 2019

Östrogen schickt Jungen in den Autismus.

 
aus scinexx

Autismus durch vorgeburtliche Östrogen-Schwemme?
Erhöhte Östrogenzufuhr im Mutterleib scheint Autismus bei Jungen zu fördern.

Hormonflut im Mutterleib: Wenn Jungen im Mutterleib erhöhten Werten des Geschlechtshormons Östrogen ausgesetzt sind, kann dies offenbar ihr Risiko für Autismus fördern, wie eine Studie nahelegt. Demnach gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen hohen Östrogenwerten im Fruchtwasser und dem späteren Autismus der Kinder. Die Forscher vermuten, dass der Hormoneinfluss die Hirnentwicklung beeinflusst und so die Neigung zu dieser Entwicklungsstörung verstärkt.

Zwischen einem und drei Prozent der Kinder sind von einer autistischen Entwicklungsstörung betroffen – Jungen deutlich häufiger als Mädchen. Die Ursachen dafür sind bisher jedoch erst in Teilen bekannt. Klar scheint, dass neben einer genetischen Veranlagung auch Umwelteinflüsse für eine Entstehung des Autismus verantwortlich sind. Im Verdacht stehen unter anderem vorgeburtliche Belastungen durch Pestizide, Arzneimittel wie Antidepressiva, aber auch eine Herpesinfektion der Mutter. 

Steroidhormone beeinflussen Hirnentwicklung

Einen weiteren Einflussfaktor könnten nun Simon Baron-Cohen von der University of Cambridge und seine Kollegen identifiziert haben. Bereits vor einigen Jahren hatten sie erste Hinweise darauf gefunden, dass ein Überschuss männlicher Geschlechtshormone im Mutterleib Autismus fördern könnte. Diese Steroidhormone sorgen nicht nur für die Entwicklung der männlichen Geschlechtsmerkmale beim Ungeborenen, sie beeinflussen auch die Hirnentwicklung.

Doch sie sind nicht die einzigen: „Auch pränatale Östrogene tragen zur Entwicklung des Fötus und seines Gehirns entscheidend bei“, erklären die Forscher. Zudem sind diese weiblichen Geschlechtshormone chemisch eng mit ihren männlichen Gegenparts verwandt und können sich ineinander umwandeln. Für ihre Studie analysierten die Forscher daher den Gehalt von Östriol, Östradiol, Östron und Östronsulfat in Fruchtwasserproben von 98 Jungen, die später an Autismus erkrankt waren. Diese verglichen sie mit den vorgeburtlichen Proben von 177 gesunden Jungen. 

Mehr vorgeburtliche Östrogene bei autistischen Jungen 

Das Ergebnis: Die autistischen Jungen waren vor ihrer Geburt signifikant höheren Dosen der weiblichen Geschlechtshormone ausgesetzt gewesen als ihre nichtautistischen Altersgenossen. „Die Östriol-Werte waren dabei am stärksten prognostisch für eine später Autismus-Diagnose“ berichten Baron-Cohen und sein Team. „Das Gleiche fanden wir aber auch für Östradiol und Östron: Beide Hormone waren signifikant mit einer Autismus-Diagnose verknüpft.“

Nach Ansicht der Forscher bestätigen diese Ergebnisse die Vermutung, dass Hormone im Mutterleib eine wichtige Rolle für den Autismus spielen. „Dies stützt die Idee, dass erhöhte pränatale Steroidhormon-Werte einer der potenziellen Auslöser dieser Entwicklungsstörung sind“, sagt Baron-Cohen. Ihren Studien zufolge sind dabei vor allem die Östrogen-Varianten, sowie das Androgen Progesteron wichtige Akteure. „Diese Hormone interagieren wahrscheinlich mit den genetischen Faktoren und beeinflussen so das sich entwickelnde fötale Gehirn“, erklärt der Forscher.

Ist die Plazenta schuld?

Wie es zu den erhöhten Hormonwerten kommt, ist bislang unklar. „Die Hormone könnten von der Mutter, dem Kind selbst oder von der Plazenta stammen“, sagt Koautor Alex Tsompanidis von der University of Cambridge. Tatsächlich gebe es einige Studien, die auf die Plazenta als einem möglichen Faktor für Autismus hindeuten. So häufen sich bei Müttern mit autistischen Kindern auch Entzündungen, atypische Mutterkuchen-Morphologien und plazentabedingte Komplikationen, wie die Forscher berichten. 

„Unser nächster Schritt ist es nun, die möglichen Hormonquellen zu untersuchen und herauszufinden, wie sie während der Schwangerschaft interagieren“, sagt Tsompanidis. Zudem muss noch geklärt werden, ob dieser Zusammenhang von vorgeburtlichen Hormonen und Autismus auch für Mädchen gilt – weil sie erheblich seltener von dieser Störung betroffen sind, fehlte es bislang an entsprechenden Proben. (Molecular Psychiatry, 2019; doi: 10.1038/s41380-019-0454-9)

Quelle: University of Cambridge

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