Samstag, 17. August 2019

Jungens auf Bestellung.

F. Boucher
aus derStandard.at, 16. August 2019

Geschlechterselektion
Neue Methode könnte die Geburt von Mädchen verhindern 
Forscher fanden heraus, wie sich Spermien mit dem X-Chromosom verlangsamen lassen – Bioethiker warnen vor möglichen Folgen 

von Klaus Taschwer

London/Wien – Jahrhundertelang rätselte die Wissenschaft, was für das Geschlecht eines Neugeborenen verantwortlich ist. Die Frage war mitunter auch von eminenter politischer Bedeutung – wenn es darum ging, einen männlichen Thronfolger zu zeugen.

Im Jahr 1898 behauptete der Wiener Embryologe Samuel Leopold Schenk, der auch ein Pionier der In-vitro-Fertilisation (IVF) war, dass Frauen durch spezielle Ernährung vor der Empfängnis für männlichen Nachwuchs sorgen könnten. Damit machte er zwar international kurz Schlagzeilen. Doch die Methode erwies sich als Irrtum, und Schenk verlor deshalb – und aufgrund des damals herrschenden Antisemitismus – sogar seine Professur an der Uni Wien.

Spermien als "Träger" des Geschlechts

Heute weiß man, dass es bei Menschen und anderen Säugetieren das X- und das Y-Chromosom sind, die für das Geschlecht sorgen und Umweltfaktoren wie Ernährung keine Rolle spielen. Konkret entscheiden die Spermien des Vaters darüber, ob der Nachwuchs männlich oder weiblich wird: Befruchtet ein Spermium mit einem X-Chromosom die Eizelle, trägt der Embryo zwei X-Chromosomen und wird zum Mädchen, während ein Spermium mit einem Y-Chromosom für männlichen Nachwuchs sorgt.

Bei einem mittels IVF gezeugten Embryo ist es zwar mittels Präimplantationsdiagnostik möglich, vorab nach Geschlecht auszuwählen. Doch das ist aufwendig und in vielen Ländern verboten.

Neue Auswahlmethode

In Zukunft aber könnte eine Methode, die für die Veterinärmedizin entwickelt wurde, beim Menschen das Geschlecht des zu zeugenden Babys beeinflussen. Forscher um Masayuki Shimada (Uni Hiroshima) fanden nämlich heraus, dass in Spermien mit einem X-Chromosom rund 500 Gene aktiv sind, von denen 18 für Proteine codieren, die aus der Oberfläche des Spermiums hervor ragen.

Substanzen, die an zwei dieser Proteine andocken, können die Geschwindigkeit der X-Spermien nachhaltig bremsen. Und so ließen sich in den Versuchen ganz einfach und mit recht hoher Treffsicherheit Spermien mit X-Chromosomen von solchen mit Y-Chromosomen separieren.

Die Methode funktioniert auch bei Spermien von Rindern und Schweinen, wie die Forscher im Fachmagazin "PLoS Biology" schreiben. Versuche mit menschlichen Spermien führten sie indes nicht durch. Shimada geht aber davon aus, dass die Methode auch beim Menschen funktionieren würde.

Anwendung beim Menschen?

Genau das befürchten auch andere Experten, die vom Fachblatt "New Scientist" dazu befragt wurden. Denn die Methode könnte man nicht nur bei der Spermienauswahl für IVF anwenden. Man könnte etwa ein Gel entwickeln, das dafür sorgt, dass Spermien mit dem X-Chromosom auf der Reise zur Eizelle bereits in der Vagina auf der Strecke bleiben. Realistischerweise ließe sich so etwas in rund zehn Jahren entwickeln, meint einer der befragten Forscher.

Damit wäre die Geschlechterselektion ganz einfach und könnte ganz einfach und quasi im Schlafzimmer stattfinden. In Länder wie etwa Indien, wo Mädchen als Nachwuchs bei vielen als "zweite Wahl" gelten, könnte diese Methode zu unerwünschten Anwendungen führen. Dieses Problem sehen nicht nur Bioethiker, es ist auch Masayuki Shimada bewusst: Die Geschlechterwahl sei durch die neue Technik viel einfacher – eben auch beim Menschen. Und das bereite ihm Sorgen. 


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