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aus nzz.ch, 7.3.2019Respektiert ihr Frauen? Dann hört auf mit dem Frauenzählen!
Nein, Frauen sind nicht unterrepräsentiert. Weil niemand weiss, was richtig repräsentiert wäre. Und nein, eine Quote hilft den Frauen nicht, sondern schadet ihnen bloss. Sie ist Ausdruck eines paternalistischen Denkens, das längst passé sein müsste.
Frauenzählen
hat sich zur Obsession entwickelt. Jüngst bei der Oscar-Verleihung:
Wichtiger noch als die Qualität der Filme war die Zahl der Frauen in den
jeweiligen Kategorien. Und dann heisst es jeweils zuverlässig, Frauen
seien «unterrepräsentiert», und dann ist die Quote auf dem Tisch.
Neuerdings
sind selbst in der sonst so gelassenen Schweiz Wahlquoten der letzte
Schrei. Dabei ist die Quote der beste Weg, eine Gesellschaft zu
ruinieren, in der Frauen und Männer den Job machen können, den sie
wollen. Denn es existiert erstens kein Problem, das sie lösen kann; sie
animiert zweitens dazu, in alte patriarchalische Denkmuster
zurückzufallen; sie gereicht Frauen drittens zum Schaden; sie
funktioniert viertens überhaupt nicht; und sie leistet – fünftens und
letztens – einen schönen Beitrag zur Spaltung der Gesellschaft.
Diese
fünf Punkte möchte ich im Folgenden erläutern. Dabei wende ich mich vor
allem an jene, die nicht so denken wie ich. Sie alle müssten allerdings
zunächst über einen Schatten springen: dass hier ein Mann schreibt.
Denn in dieser Debatte geht es ja meist nicht darum, was jemand sagt, sondern wer.
Einmalige Chancen
Also:
Wie heisst das Problem, für das die Quote die Lösung sein soll? Nun,
zunächst steht nicht gerade der Untergang der Schweiz vor der Tür.
Deshalb verlegen sich die Quotenbefürworter auf Ungerechtigkeiten. So
seien Frauen hervorragend ausgebildet, aber in vielen gesellschaftlichen
Bereichen unterrepräsentiert. In der Tat, die Differenzen sind zum Teil
irritierend, sie vergrössern sich gar. Aber was bedeuten sie?
Es
ist ein Trugschluss, zu glauben, mangelnde Repräsentanz in einem
gesellschaftlichen Bereich sei gleichbedeutend mit Unterdrückung. Sonst
müssten wir ja auch über eine Männerquote in den Kinderkrippen
nachdenken, über eine Frauenquote bei der Müllentsorgung und eine
Männerquote in Altersheimen – weil Männer durchschnittlich 5,5 Jahre
früher sterben als Frauen. Und wir leben nicht mehr in den sechziger
Jahren.
Frauen sind
schon lange keine Opfer einer männlich definierten Welt mehr, die für
sie eine Glasdecke vorgesehen hat. Wenn man sich ansieht, wie in den
gesellschaftlich attraktiven Bereichen (und um die geht es ja) seit
vielen Jahren und mit teilweise unglaublichen Summen Frauen ge- und
befördert werden, dann bleibt nur ein Schluss: Frauen haben heute
historisch einmalige Chancen. Und die, die wollen, nutzen sie auch. Die
meisten Frauen aber wollen offensichtlich nicht in
Machtpositionen. Das ist auch nachvollziehbar und sogar sehr rational,
ihnen ist anderes wichtiger. Sie verfolgen zumeist konsequent ihre
persönliche Lebensplanung. Davor die Augen zu verschliessen, wäre
respektlos.
Aber werden Frauen für die gleiche Arbeit nicht schlechter bezahlt als Männer? Die Frage klingt gut, führt aber in die Irre. Denn jeder Praktiker weiss, dass es gleiche Arbeit in einem strengen Sinne gar nicht gibt; man kann immer Ungleichheit rechtfertigen. Das ignorieren nur die Promotoren von Transparenzgesetzen, von denen viele noch nie ein Unternehmen von innen gesehen haben.
Bundesbern träumt
Mittlerweile
fuchtelt man aber in Bundesbern nicht mehr mit horrenden
Naiv-Statistiken herum, sondern beobachtet einen angeblich nicht
erklärbaren Einkommensunterschied von 2 bis 6 Prozent. Und aus Differenz
macht die Politik im Handumdrehen Diskriminierung.
Doch
– erstens – liegt die Bandbreite in der Nähe statistischer Unschärfe.
Zweitens bestehen bei genauerer Betrachtung die wesentlichen
Unterschiede nicht zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen Männern
und Müttern. Und Mutter wird, wer sich dafür entscheidet. Also brauchte
es bessere Betreuungsstrukturen für Kleinkinder? Gewiss, und doch
bliebe es dabei: Berufliche Karriere – also Macht, Geld, Einfluss – ist
nicht für alle das höchste aller Gefühle. Wir sehen hier geradezu ein
Paradebeispiel für das Geschäftsmodell der Politik: Ich habe die Lösung –
wo ist das Problem? Das ist mein Argument: Die Frauenquote ist eine
Lösung, für die es kein relevantes Problem mehr gibt.
Wenden
wir uns nun den versteckten Botschaften zu, die in der Frauenquote
gleichsam eingelagert sind. Oberflächlich wirkt die Frauenquote als
Männerdiskriminierung. Das ist zwar Revanchismus, wäre aber vielleicht
zu verschmerzen. Tiefer lotend aber diskriminiert sie die Frauen selbst.
Die
Quote ist ein Rückfall in patriarchalische Denkmuster: Frauen sind zu
schwach, um den gesellschaftlichen Aufstieg aus eigener Kraft zu
schaffen. Kann das jemand ernsthaft behaupten, ohne Frauen abzuwerten?
Deshalb ist jüngeren Frauen die Quote längst peinlich. Ältere, schon
erfolgreich aufgestiegene Managerinnen sind genervt und lassen die
Anrufe der Headhunter abwimmeln – sie wissen, dass die Avancen vorrangig
ihrem Frausein gelten. Man könnte meinen, die Frauenquote sei der
Übertrick der Solidargemeinschaft barmherziger Brüder, Frauen niemals
als echte Wettbewerber anerkennen zu müssen.
Zulasten der Frauen
Aber
die Frauen-Verniedlichung geht sogar noch weiter: Frauen seien Opfer
gesellschaftlicher Rollenmuster. Sie wüssten gar nicht, worauf sie
verzichteten, man müsse sie «sensibilisieren», «aufklären», sie
brauchten Vorbilder. Die herablassende Bevormundung dieser Denkfigur
scheint kaum jemanden zu empören. Dabei ist das reiner Erziehungsjargon
nach altväterischer Sitte. So etwas kann nur sagen, wer Frauen geradezu
infantilisieren will.
In
der Praxis ist unübersehbar, dass die Quote den Frauen faktisch
schadet. Den quotenlos Aufgestiegenen verweigert sie die Anerkennung.
Und die durch die Quote Geförderten werden das Stigma der Quotenfrau
nicht los. Das ist der Grund, weshalb viele besonders «progressive»
Unternehmen mittlerweile erwägen, sich wieder von der Frauenförderung zu
verabschieden: Die geförderten Frauen werden einfach im Arbeitsalltag
nicht glücklich. An ihnen hängt der Geruch der Illegitimität: Ovarien
statt Leistung.
Wenn
wir uns schlicht die Konsequenzen bisheriger Quotenerfahrungen
anschauen, dann ist das Ergebnis höchst ernüchternd. Im Silicon Valley
haben alle Unternehmen Quoten – doch die Frauenrepräsentanz ist
rückläufig. Viele Unternehmen incentivieren Manager mit Boni zur
Erreichung von Quoten, machen die Frauenförderung zum wichtigen
Kriterium ihrer Leistungsbeurteilung – vergeblich.
Schauen
wir nach Norwegen, wo seit 2008 Frauen 40 Prozent der
Verwaltungsratssitze besetzen. Die 400 quotenbestimmten
Verwaltungsratssitze teilen sich gegenwärtig rund 70 Frauen. Das sind
durchschnittlich fast sechs Sitze pro Frau – einige wenige sahnen also
ab. Im operativen Management liegt der Frauenanteil jedoch noch immer
unter 20 Prozent. Und auch die Zahl weiblicher
Geschäftsleitungsmitglieder stieg nicht an – trotz flächendeckenden
Krippen, langen Vaterschaftsurlauben, flexiblen Arbeitgebern und
modernen Rollenmodellen. Politik trifft hier auf den harten Kern der
Wirklichkeit, die sich nicht beliebig zurichten lässt.
Trumpsche Politik
Zuletzt
komme ich zu den grössten Bedenken, die ich – als Managementberater –
persönlich mit der Frauenquote verbinde. Die Frauenquote betrachtet die
Frau nicht als Individuum, nicht als einzelne, besondere Person, sondern
als Gruppenwesen. Das spaltet. Es spaltet die Unternehmen als
Kooperationsarena: Mann und Frau arbeiten nicht mehr zusammen mit Blick
auf die Lebensqualität von Kunden, also für Menschen ausserhalb des
Unternehmens. Vielmehr betrachtet man sich als Repräsentant eines
Förderungs- bzw. eines Benachteiligungs-Kollektivs. Es spaltet die
Gesellschaft, die, ähnlich der Verwechslung zwischen grammatikalischem
Geschlecht (Genus) und biologischem Geschlecht (Sexus), nicht mehr das
Gemeinsame betont, sondern das Trennende.
Das
grosse Wir wird in kleine Wirs unterschiedlichster
Selbstbestätigungsmilieus verschoben, die aufgrund vermeintlicher
Handicaps Ansprüche an die Restgesellschaft stellen. Haben wir nicht
schon genug davon? Jagt nicht die Frauenquote als Beispiel einer
breitbeinigen, faktenignoranten Basta-Politik die Wähler in die Arme der
Extremen? Die Frauenquote illustriert eine Haltung, die gute Absichten
hat, aber blind ist für die unbeabsichtigten Nebenwirkungen (wobei die
Nebenwirkungen längst die Hauptwirkung ausmachen). Oder gelten in
trumpscher Manier nur noch Bauchgefühl und Wunschzettel?
Also
stellt sich die Frage, warum dennoch an der Forderung nach der Quote
festgehalten wird. Dafür kenne ich drei Gründe: Es wird erstens nicht
klar unterschieden zwischen Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und
Gleichheit. Da springt man munter hin und her und bedient sich je nach
Lust und Laune. Zweitens brauchen Medien Probleme und Skandale, um über
sie berichten zu können. Trends, detaillierte und vertiefende Analysen
haben gegen den Zählreflex und gegen Behauptungsdespotismen keine
Chance. Drittens: Man will den Frauen gar nicht helfen. Die Politik
beutet lediglich die Frauen aus, um Aufmerksamkeitsgewinne
einzustreichen.
Wer das nicht glauben will, sollte aufhören mit dem Frauenzählen.
Reinhard K. Sprenger ist Philosoph, Unternehmensberater und Autor u. a. von «Radikal digital: Weil der Mensch den Unterschied macht» (2018) und «Das anständige Unternehmen» (2016). Seine Bücher erscheinen bei Campus und DVA. Er lebt in der Schweiz.
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