Montag, 18. März 2019

Das Märchen vom Pay gap.

Unter gleichen Bedingungen verdienen Frauen durchschnittlich zwei Prozent weniger als Männer.
aus FAZ.NET, 18. 3. 2019

Warum Frauen so wenig verdienen
Unter gleichen Bedingungen verdienen Frauen durchschnittlich zwei Prozent weniger als Männer. 

Von Patrick Bernau (Text) und Jens Giesel (Grafik)*

Frauen werden in der Arbeitswelt diskriminiert – so heißt es oft. Doch die wichtigeren Gründe für die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen liegen im Privatleben. 

Wie es an diesem Montag in Deutschland klingt, das kann jeder schon auswendig. „Frauen werden unfair bezahlt“, wird es dann heißen. Denn an diesem Montag ist „Equal Pay Day“, also der Tag, bis zu dem Frauen unentgeltlich gearbeitet haben, während die Männer schon seit dem ersten Tag des Jahres ordentlich verdienen. So wird die amtliche Statistik allgemein interpretiert.

Keine Frage: Frauen bekommen weniger. Im Durchschnitt verdienen Frauen 17,09 Euro je Stunde, Männer 21,60 Euro. Woran das liegt, dazu gibt es eine Geschichte, die immer wieder erzählt wird und die Frauen eine Opferrolle zuweist. Sie geht in etwa so: Die Chefs in den Unternehmen sind meistens Männer. Die wissen die Arbeit der Frauen nicht zu schätzen, auch weil die oft so bescheiden auftreten. Also bekommen die Frauen weniger Gehalt. Hat nicht erst ein Fall bei der Investmentbank UBS gezeigt, dass arbeitende Mütter jahrelang weniger Bonus bekamen?

Das führt dazu, dass die Frauen weniger Geld in die Familie einbringen als der Mann. Also müssen sie sich zu Hause um die Kinder kümmern, während der Mann Karriere machen darf. Sogar wenn die Frau mehr arbeiten würde, hätte sie nur mehr Stress: Die Hausarbeit und die Organisation der Familie blieben ohnehin an ihr hängen, weil sich die Männer erfolgreich drücken. Auch das Ehegattensplitting trägt dazu bei, dass sich eine richtige Berufstätigkeit der Frau nicht rechnet. All das könnte sich ändern, wenn nur mehr Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten der Unternehmen vertreten wären.

So geht die eine Erzählung. Es gibt aber auch noch eine andere. Die läuft so: Junge Frauen verdienen in den gleichen Berufen ungefähr genauso viel wie Männer. Weniger wird es nur, wenn sie sich für schlechter bezahlte Berufe entscheiden. Sie haben eben noch andere Werte als Geld. Oft heiraten sie aber Männer, die ein kleines bisschen älter sind und einen lukrativeren Beruf haben. Deshalb verdienen sie weniger als ihr Ehemann. An die Erziehung der Kinder stellen sie hohe Anforderungen, also übernehmen sie den Großteil der Kinderbetreuung.

Stundenlöhne von Männern und Frauen im Vergleich*

Während die Frauen nur noch Teilzeit arbeiten, machen die Männer Überstunden und holen sich die Lohnerhöhungen. Zwar haben die Unternehmen sich schon längst zum Ziel gemacht, Frauen zu fördern – hat nicht selbst Google gerade erst festgestellt, dass Frauen auf vergleichbaren Positionen mehr verdienen als Männer? Doch im Karriere-entscheidenden Alter zwischen 30 und 40 haben sich viele gute Frauen selbst aus dem Rennen genommen, sie arbeiten ja nur noch 60 Prozent. So werden zur allgemeinen Überraschung trotzdem immer wieder die Männer befördert.

Die Entscheidung über das Gehalt fällt im Privatleben

Beide Erzählungen enthalten ein Korn Wahrheit, doch am Equal Pay Day am Montag wird die erste Erzählung die Debatte dominieren. Dabei ist die zweite Erklärung viel näher an der Wahrheit, als ihr politisch zugestanden wird. Dass Frauen weniger verdienen als Männer – diese Entscheidung wird eher im Privatleben als bei der Arbeit getroffen.

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Das zeigt schon die bekannteste Analyse der Gehaltsunterschiede. Seit Jahren spricht Deutschland über den Unterschied zwischen der „Lohnlücke“ und der „bereinigten Lohnlücke“: Frauen verdienen je Arbeitsstunde über 20 Prozent weniger als Männer, meldet das Statistische Bundesamt. Doch wenn die Statistiker vergleichen, wie viel Frauen auf vergleichbaren Stellen verdienen, dann landet man plötzlich bei „höchstens sechs Prozent“ Lohneinbußen für Frauen – die sogenannte bereinigte Lohnlücke.

Doch selbst diese Zahl überschätzt die Gehaltsunterschiede kolossal. Denn die Statistik hat einen wichtigen Mangel: Sie weiß nicht, ob jemand Elternzeit genommen hat. Sie weiß nur, wann die Leute angefangen haben zu arbeiten. Sie vergleicht also nach zehn Jahren oft Männer mit zehn Jahren Berufserfahrung und Frauen mit ein paar Jahren Berufserfahrung und ein paar Jahren Elternzeit. Kein Wunder, dass Frauen da weniger verdienen.

Warum Frauen weniger als Männer verdienen, in Prozentpunkten*
 
Am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut hat deshalb die Ökonomin Christina Boll mit Kollegen andere Daten gesucht und die Lohnlücke noch einmal berechnet. Sie stellte fest: Mehr als fünf Prozentpunkte der Lohnlücke gehen darauf zurück, dass Frauen weniger Berufserfahrung haben als Männer. Übrig bleibt in dieser Rechnung eine Gehaltslücke von rund zwei Prozent. Egal, wie man es misst: Die Gehaltsunterschiede sind anfangs klein und wachsen erst nach dem 30. Geburtstag, also wenn die Kinder kommen.

In Westdeutschland ist beliebt, dass Frauen nur Teilzeit arbeiten

Und warum sind es in Deutschland so oft die Frauen, die Elternzeit nehmen und Teilzeit arbeiten? Das wurde an einem Freitagmorgen Anfang des Jahres in Atlanta deutlich. Im sehr futuristischen Marriott-Hotel trafen sich in einem fensterlosen kleinen Konferenzraum Ökonomen aus der ganzen Welt, die die Bezahlung von Männern und Frauen erforschen. Dort wurde verglichen, was mit Frauen geschieht, wenn sie Kinder bekommen. Schweden, Österreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten wurden analysiert – doch nirgends verloren die Frauen in den Jahren nach ihrer ersten Geburt so viel Gehalt wie in Deutschland. Mütter verzichten in Deutschland durchschnittlich auf mehr als die Hälfte des weiteren Gehaltes – wegen Elternzeiten, Teilzeitarbeit und verlorenen Karrierechancen.
 



Liegt das nur daran, dass Plätze in deutschen Kinderkrippen so rar sind? Nein, glaubt Josef Zweimüller, Volkswirt an der Universität Zürich, der diesen Vergleich mit erarbeitet hat. Er weiß: Wie sich die Gehälter von Frauen entwickeln, hängt von den gesellschaftlichen Vorstellungen in den Ländern ab. Und die sind in Deutschland oft ganz klar: Wenn Frauen Nachwuchs haben, arbeiten sie weniger.

Dass Frauen mit Schulkindern Vollzeit arbeiten – im Vorzeigeland der Gleichberechtigung, in Dänemark, finden das 76 Prozent der Bürger gut. Selbst unter den katholischen Iren finden noch 41 Prozent, dass Mütter Vollzeit arbeiten sollten. In Westdeutschland aber liegt die Zustimmung nur bei 22 Prozent – und zwar bei Männern und Frauen gleichermaßen. Der Grund, aus dem viele Frauen für die Kinder zu Hause bleiben, ist einfach: Deutschland will das so. Zumindest der Westen. In Ostdeutschland findet Vollzeitarbeit eine gesellschaftliche Mehrheit, dort ist auch die Gehaltslücke deutlich niedriger.

Es zeigt sich ein großer Unterschied zwischen den Forderungen von Familienpolitikerinnen und den Prioritäten der Westdeutschen. Mancher ist erst zufrieden, wenn Frauen genauso viel verdienen, also auch genauso arbeiten wie Männer. Dabei ist das vielen Frauen offenbar gar nicht so wichtig, wenn sie im Gegenzug Zeit mit der Familie haben können.

Sollten Mütter von Schulkindern in Vollzeit arbeiten? Zustimmung in Prozent*

Vor zwei Jahren hat die SPD durchgesetzt, dass Unternehmen auf Anfrage Gehaltsvergleiche zwischen Männern und Frauen offenlegen müssen. Das fällt nicht immer leicht, aber bis heute haben die Deutschen diese Möglichkeit kaum genutzt. Eine Evaluation des Gesetzes steht noch aus, doch von großen Diskriminierungen weiß das Familienministerium bisher nicht zu berichten. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund nennt keine. Stattdessen fordert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack: „Betriebe müssten verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis zu überprüfen.“ Sie glaubt: Dass es so wenige Frauen in Vorständen gebe, liege daran, dass die keine Chance bekämen.

Die statistische Lohnlücke schrumpft so schnell nicht

Das erzählen Praktiker anders. Die Unternehmen suchen schon teils verzweifelt nach geeigneten Frauen. „Frauen können an der Spitze der Unternehmen inzwischen teilweise mehr verdienen als Männer“, sagt Christian Böhnke, der als Headhunter bei „Hunting Her“ speziell nach Frauen sucht, „jedenfalls wenn sie gut verhandeln.“ Nur die Verhandlung laufe nicht immer gut. Er erzählt: Vor kurzem rief ihn eine Frau an, die auf ihrer alten Stelle mehr als 300.000 Euro im Jahr verdient habe. Als er sie gefragt habe, was sie künftig verdienen wolle, rückte sie in einem fünfminütigen Monolog von ihren Gehaltsvorstellungen immer weiter ab – bis sie bei 200.000 Euro ankam, „wenn wirklich alles andere passt“. Böhnkes Fazit: „Frauen ködert man nicht, indem sie sich einen 7er-BMW statt eines 5ers als Firmenwagen zulegen können.“

Falls also Frauen und Männer unterschiedlich arbeiten wollen, wie viel Zwang darf der Staat dann ausüben, um das anzugleichen? Die Frage könnte theoretisch bleiben. Headhunter Böhnke stellt fest, dass Unternehmen im Kampf um gutes Personal sowieso ihre Arbeitsbedingungen so verändern, dass sie auch Wünschen der Frauen entgegenkommen.

Eines allerdings wird sich trotzdem so schnell nicht bessern: die statistische Lohnlücke. Die zeigt nämlich die Löhne sämtlicher arbeitender Deutscher, auch der 60-jährigen, deren Karriereentscheidungen schon vor Jahrzehnten gefallen sind. Am Statistischen Bundesamt hat der zuständige Gruppenleiter Martin Beck ausgerechnet: Selbst wenn junge Männer und Frauen von jetzt an immer gleich viel verdienen und man die Lohnlücke in fünf Jahren noch mal ermittelt– „da wird sich nicht viel verändern.“

*) aus technischen Gründen kann ich die Graphiken auf meinem Blog leider nicht wiedergeben. 
Klicken Sie bitte auf meinen Graphik-Link!
JE


 

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