Warum Frauen so wenig verdienen
Unter gleichen Bedingungen verdienen Frauen durchschnittlich zwei Prozent weniger als Männer.
Von Patrick Bernau (Text) und Jens Giesel (Grafik)*
Frauen werden in der Arbeitswelt diskriminiert – so heißt es oft.
Doch die wichtigeren Gründe für die Gehaltsunterschiede zwischen Männern
und Frauen liegen im Privatleben.
Wie
es an diesem Montag in Deutschland klingt, das kann jeder schon
auswendig. „Frauen werden unfair bezahlt“, wird es dann heißen. Denn an
diesem Montag ist „Equal Pay Day“, also der Tag, bis zu dem Frauen
unentgeltlich gearbeitet haben, während die Männer schon seit dem ersten
Tag des Jahres ordentlich verdienen. So wird die amtliche Statistik
allgemein interpretiert.
Keine Frage: Frauen
bekommen weniger. Im Durchschnitt verdienen Frauen 17,09 Euro je Stunde,
Männer 21,60 Euro. Woran das liegt, dazu gibt es eine Geschichte, die
immer wieder erzählt wird und die Frauen eine Opferrolle zuweist. Sie
geht in etwa so: Die Chefs in den Unternehmen sind meistens Männer. Die
wissen die Arbeit der Frauen nicht zu schätzen, auch weil die oft so
bescheiden auftreten. Also bekommen die Frauen weniger Gehalt. Hat nicht
erst ein Fall bei der Investmentbank UBS gezeigt, dass arbeitende Mütter jahrelang weniger Bonus bekamen?
Das führt dazu,
dass die Frauen weniger Geld in die Familie einbringen als der Mann.
Also müssen sie sich zu Hause um die Kinder kümmern, während der Mann
Karriere machen darf. Sogar wenn die Frau mehr arbeiten würde, hätte sie
nur mehr Stress: Die Hausarbeit und die Organisation der Familie
blieben ohnehin an ihr hängen, weil sich die Männer erfolgreich drücken.
Auch das Ehegattensplitting trägt dazu bei, dass sich eine richtige
Berufstätigkeit der Frau nicht rechnet. All das könnte sich ändern, wenn
nur mehr Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten der Unternehmen
vertreten wären.
So geht die
eine Erzählung. Es gibt aber auch noch eine andere. Die läuft so: Junge
Frauen verdienen in den gleichen Berufen ungefähr genauso viel wie
Männer. Weniger wird es nur, wenn sie sich für schlechter bezahlte
Berufe entscheiden. Sie haben eben noch andere Werte als Geld. Oft
heiraten sie aber Männer, die ein kleines bisschen älter sind und einen
lukrativeren Beruf haben. Deshalb verdienen sie weniger als ihr Ehemann.
An die Erziehung der Kinder stellen sie hohe Anforderungen, also
übernehmen sie den Großteil der Kinderbetreuung.
Stundenlöhne von Männern und Frauen im Vergleich*
Während die
Frauen nur noch Teilzeit arbeiten, machen die Männer Überstunden und
holen sich die Lohnerhöhungen. Zwar haben die Unternehmen sich schon
längst zum Ziel gemacht, Frauen zu fördern – hat nicht selbst Google
gerade erst festgestellt, dass Frauen auf vergleichbaren Positionen
mehr verdienen als Männer? Doch im Karriere-entscheidenden Alter
zwischen 30 und 40 haben sich viele gute Frauen selbst aus dem Rennen
genommen, sie arbeiten ja nur noch 60 Prozent. So werden zur allgemeinen
Überraschung trotzdem immer wieder die Männer befördert.
Die Entscheidung über das Gehalt fällt im Privatleben
Beide Erzählungen enthalten ein Korn
Wahrheit, doch am Equal Pay Day am Montag wird die erste Erzählung die
Debatte dominieren. Dabei ist die zweite Erklärung viel näher an der
Wahrheit, als ihr politisch zugestanden wird. Dass Frauen weniger
verdienen als Männer – diese Entscheidung wird eher im Privatleben als
bei der Arbeit getroffen.
Dieser Artikel ist aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
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Das zeigt schon die bekannteste Analyse der Gehaltsunterschiede. Seit Jahren spricht Deutschland über den Unterschied zwischen der „Lohnlücke“ und der „bereinigten Lohnlücke“: Frauen verdienen je Arbeitsstunde über 20 Prozent weniger als Männer, meldet das Statistische Bundesamt. Doch wenn die Statistiker vergleichen, wie viel Frauen auf vergleichbaren Stellen verdienen, dann landet man plötzlich bei „höchstens sechs Prozent“ Lohneinbußen für Frauen – die sogenannte bereinigte Lohnlücke.
Doch selbst
diese Zahl überschätzt die Gehaltsunterschiede kolossal. Denn die
Statistik hat einen wichtigen Mangel: Sie weiß nicht, ob jemand
Elternzeit genommen hat. Sie weiß nur, wann die Leute angefangen haben
zu arbeiten. Sie vergleicht also nach zehn Jahren oft Männer mit zehn
Jahren Berufserfahrung und Frauen mit ein paar Jahren Berufserfahrung
und ein paar Jahren Elternzeit. Kein Wunder, dass Frauen da weniger
verdienen.
Am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut hat deshalb die Ökonomin Christina Boll mit Kollegen andere Daten gesucht und die Lohnlücke noch einmal berechnet.
Sie stellte fest: Mehr als fünf Prozentpunkte der Lohnlücke gehen
darauf zurück, dass Frauen weniger Berufserfahrung haben als Männer.
Übrig bleibt in dieser Rechnung eine Gehaltslücke von rund zwei Prozent.
Egal, wie man es misst: Die Gehaltsunterschiede sind anfangs klein und
wachsen erst nach dem 30. Geburtstag, also wenn die Kinder kommen.
In Westdeutschland ist beliebt, dass Frauen nur Teilzeit arbeiten
Und warum sind es in Deutschland so oft die
Frauen, die Elternzeit nehmen und Teilzeit arbeiten? Das wurde an einem
Freitagmorgen Anfang des Jahres in Atlanta deutlich. Im sehr
futuristischen Marriott-Hotel trafen sich in einem fensterlosen kleinen
Konferenzraum Ökonomen aus der ganzen Welt, die die Bezahlung von Männern und Frauen erforschen. Dort wurde verglichen, was mit Frauen geschieht, wenn sie Kinder bekommen.
Schweden, Österreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten wurden
analysiert – doch nirgends verloren die Frauen in den Jahren nach ihrer
ersten Geburt so viel Gehalt wie in Deutschland. Mütter verzichten in
Deutschland durchschnittlich auf mehr als die Hälfte des weiteren
Gehaltes – wegen Elternzeiten, Teilzeitarbeit und verlorenen
Karrierechancen.
Liegt das nur
daran, dass Plätze in deutschen Kinderkrippen so rar sind? Nein, glaubt
Josef Zweimüller, Volkswirt an der Universität Zürich, der diesen
Vergleich mit erarbeitet hat. Er weiß: Wie sich die Gehälter von Frauen
entwickeln, hängt von den gesellschaftlichen Vorstellungen in den
Ländern ab. Und die sind in Deutschland oft ganz klar: Wenn Frauen
Nachwuchs haben, arbeiten sie weniger.
Dass Frauen mit
Schulkindern Vollzeit arbeiten – im Vorzeigeland der
Gleichberechtigung, in Dänemark, finden das 76 Prozent der Bürger gut.
Selbst unter den katholischen Iren finden noch 41 Prozent, dass Mütter
Vollzeit arbeiten sollten. In Westdeutschland aber liegt die Zustimmung
nur bei 22 Prozent – und zwar bei Männern und Frauen gleichermaßen. Der
Grund, aus dem viele Frauen für die Kinder zu Hause bleiben, ist
einfach: Deutschland will das so. Zumindest der Westen. In
Ostdeutschland findet Vollzeitarbeit eine gesellschaftliche Mehrheit,
dort ist auch die Gehaltslücke deutlich niedriger.
Es zeigt sich
ein großer Unterschied zwischen den Forderungen von
Familienpolitikerinnen und den Prioritäten der Westdeutschen. Mancher
ist erst zufrieden, wenn Frauen genauso viel verdienen, also auch
genauso arbeiten wie Männer. Dabei ist das vielen Frauen offenbar gar
nicht so wichtig, wenn sie im Gegenzug Zeit mit der Familie haben
können.
Sollten Mütter von Schulkindern in Vollzeit arbeiten? Zustimmung in Prozent*
Vor zwei Jahren
hat die SPD durchgesetzt, dass Unternehmen auf Anfrage
Gehaltsvergleiche zwischen Männern und Frauen offenlegen müssen. Das
fällt nicht immer leicht, aber bis heute haben die Deutschen diese
Möglichkeit kaum genutzt. Eine Evaluation des Gesetzes steht noch aus,
doch von großen Diskriminierungen weiß das Familienministerium bisher
nicht zu berichten. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund nennt keine.
Stattdessen fordert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack:
„Betriebe müssten verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis zu
überprüfen.“ Sie glaubt: Dass es so wenige Frauen in Vorständen gebe,
liege daran, dass die keine Chance bekämen.
Die statistische Lohnlücke schrumpft so schnell nicht
Das erzählen Praktiker anders. Die
Unternehmen suchen schon teils verzweifelt nach geeigneten Frauen.
„Frauen können an der Spitze der Unternehmen inzwischen teilweise mehr
verdienen als Männer“, sagt Christian Böhnke, der als Headhunter bei
„Hunting Her“ speziell nach Frauen sucht, „jedenfalls wenn sie gut
verhandeln.“ Nur die Verhandlung laufe nicht immer gut. Er erzählt: Vor
kurzem rief ihn eine Frau an, die auf ihrer alten Stelle mehr als
300.000 Euro im Jahr verdient habe. Als er sie gefragt habe, was sie
künftig verdienen wolle, rückte sie in einem fünfminütigen Monolog von
ihren Gehaltsvorstellungen immer weiter ab – bis sie bei 200.000 Euro
ankam, „wenn wirklich alles andere passt“. Böhnkes Fazit: „Frauen ködert
man nicht, indem sie sich einen 7er-BMW statt eines 5ers als
Firmenwagen zulegen können.“
Falls also
Frauen und Männer unterschiedlich arbeiten wollen, wie viel Zwang darf
der Staat dann ausüben, um das anzugleichen? Die Frage könnte
theoretisch bleiben. Headhunter Böhnke stellt fest, dass Unternehmen im
Kampf um gutes Personal sowieso ihre Arbeitsbedingungen so verändern,
dass sie auch Wünschen der Frauen entgegenkommen.
Eines
allerdings wird sich trotzdem so schnell nicht bessern: die statistische
Lohnlücke. Die zeigt nämlich die Löhne sämtlicher arbeitender
Deutscher, auch der 60-jährigen, deren Karriereentscheidungen schon vor
Jahrzehnten gefallen sind. Am Statistischen Bundesamt hat der zuständige
Gruppenleiter Martin Beck ausgerechnet: Selbst wenn junge Männer und
Frauen von jetzt an immer gleich viel verdienen und man die Lohnlücke in
fünf Jahren noch mal ermittelt– „da wird sich nicht viel verändern.“
*) aus technischen Gründen kann ich die Graphiken auf meinem Blog leider nicht wiedergeben.
Klicken Sie bitte auf meinen Graphik-Link!
JE
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