Samstag, 16. März 2019

Der Wiener Presserat leistet sich eine Satire.

aus Die Presse, Wien,

Woran die Debatte über Frauenarbeit seit Jahren krankt Plädoyer für alle jene, die das Frauenvolksbegehren nicht unterschrieben.



Dies ist eine Sachverhaltsdarstellung für die Gleichbehandlungskommission, mit der Bitte um Prüfung auf etwaige Verfassungswidrigkeiten: Es gibt in unserem Land eine durch unverwechselbare körperliche Merkmale eindeutig gekennzeichnete Menschengruppe, die gegenüber dem Rest der Bevölkerung ausgesprochen bevorzugt erscheint.

Die Mitglieder dieser elitären Kaste sind von Natur aus mit mehr Lebens- und per Gesetz mit mehr Pensionsjahren ausgestattet. Sie sind vom obligatorischen Wehrdienst befreit und bei Restaurantbesuchen häufig von der Zahlungspflicht entbunden. Ein ungeschriebenes Gesetz bevorzugt sie bei der Sitzplatzverteilung in der Straßenbahn. 

Dank ihres größeren Sprechbedürfnisses können sie die kommunikativen Vorteile von Mobiltelefonen und sozialen Medien bei gleichen Pauschaltarifen besser nützen. 

Sie sind aufgrund der Paarungsgewohnheiten in unseren Breiten meist die Umworbenen. In Fragen der Fertilität haben sie die Deutungshoheit und bei der Nachwuchsplanung Entscheidungsfreiheit. Dank der exklusiven Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, erfreuen sie sich besonderer Wertschätzung und umfassender Schutzbestimmungen.

Ein eigenes Ministerium

Die Mode-, Schmuck- und Kosmetikindustrie ist vorwiegend um sie und ihre häufig wechselnden Wünsche bemüht. Es wird ihnen oft durch die Tür und aus dem Mantel geholfen.

Inzwischen ist ein eigenes Ministerium nur ihrem Wohlergehen gewidmet, was auf Dauer den Unmut der Minderheits- bevölkerung gegen die privilegierte Mehrheit schüren kann.

Sie kommen – auch wenn sie nicht Flick, Wlaschek, Karajan oder Horten heißen – häufiger in den Genuss von Erb- schaften.

Sie sind mit einer wärmedämmenden weichen Oberflächenbeschichtung ausgestattet, werden bei Schiffskatastrophen aber dennoch als Erste gerettet.

Allerdings: Bei Bergleuten, Asphaltierern, Kanalräumern, Schachspielern und Totengräbern sind sie erstaunlich unterrepräsentiert.

Rufschädigende Volksbegehren

Sie werden von selbst ernannten Interessenvertreterinnen bemuttert, die in ihrem Namen rufschädigende Volksbegehren anzetteln. Dadurch erscheinen sie als hilflose, bedürftige Opfer auf einer nie endenden Verliererstraße, was zum Krank- heitsbild der eingebildeten Minderwertigkeit mit all ihren zersetzenden Folgen führt.

Der Autor dieser Sachverhaltsdarstellung ehrt die Frauen, denn sie „flechten und weben“ bekanntlich „himmlische Rosen ins irdische Leben“; er liebt viele von ihnen, bewundert manche und verehrt einige.

Aber als Kollektiv bedauern kann er die Frauen beim besten Willen nicht. Auch wenn einige Berufsfrauen durch den Wegfall der Mitleidskeule um ihre Existenzgrundlage gebracht werden.

Die seit Jahren im Kreis gehende Diskussion über Frauenarbeit und Frauenentlohnung scheint daran zu kranken, dass es weniger um Chancengleichheit als um Ergebnisgleichheit geht. Es wird paranoid nach böswilligen Feinden außerhalb der eigenen Gruppe gesucht, statt selbstkritisch nach möglichen Ursachen und deren Behebung zu forschen.

Wenn eine Gruppe von Arbeitnehmerinnen tatsächlich unter ihrem Wert bezahlt wird, also „billig“ für die geldgierigen Arbeitgeber ist, müsste sie ja als Erstes beschäftigt und aus dem Arbeitskräfteangebot verschwunden sein.

Jens Tschebull (* 1930 in Klagenfurt) war Chefredakteur von „Trend“ und „Profil“, Herausgeber des „Wirtschaftsblatts“
und Gastgeber im „Club 2“.



Achtung, dies ist eine Satire:


aus derStandard.at, 15. 3. 2019

Presserat rügt "Die Presse" für frauendiskriminierenden Kommentar 

Der Senat 3 des Presserats sieht in dem Kommentar "Woran die Debatte über Frauenarbeit seit Jahren krankt" vom 12. Oktober 2018 einen Verstoß gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Der Kommentar stammt von Jens Tschebull, ehemaliger Chefredakteur von "Trend" und "Profil" sowie Herausgeber des "Wirtschaftsblatt". Der Kommentar versteht sich als "Plädoyer" für all jene, die das Frauenvolksbegehren nicht unterschrieben haben. Im Kommentar werden Frauen als eine "elitäre Kaste" bezeichnet, die von Natur aus und per Gesetz mehr Vorteile habe als Männer. ...

Der Senat stuft den vorliegenden Kommentar als frauendiskriminierend ein. Die angeführten Beispiele des Autors, wonach Frauen in vielen Bereichen bevorzugt seien, entbehren laut Presserat "nicht einer gewissen Absurdität". Tschebulls Ausführungen seien geeignet, "Frauen pauschal zu verunglimpfen", was einem Verstoß gegen Punkt sieben des Ehrenkodex entspreche.

Der Presserat: "Der Autor versucht nicht nur, die für die Gesellschaft wichtigen Themen Frauenförderung, Gleichberech- tigung und Gleichstellung der Geschlechter ins Lächerliche zu ziehen, sondern will diesen Themen offenbar ihre Legiti- mation absprechen. Seine Ansichten erscheinen dem Senat geradezu aus der Zeit gefallen. So wie der Chefredakteur geht auch der Senat nicht davon aus, dass der zu prüfende Text als satirische Darstellung einzuordnen ist. Der Artikel mag zwar einige Überzeichnungen und Zuspitzungen aufweisen. Dennoch erweckt der Autor durchaus den Eindruck, die frauenfeindlichen Auffassungen tatsächlich zu vertreten. Dies lässt sich auch aus der Stellungnahme des Autors gegen- über dem Presserat schließen, so der Senat weiter. Darüber hinaus ist der Kommentar auch nicht als "Satire" gekenn- zeichnet. Der Senat nimmt es zwar positiv zur Kenntnis, dass ein weiterer Gastkommentar mit klaren Kontrapositionen veröffentlicht wurde. Diese Maßnahme reicht jedoch nicht aus, um das Verfahren vor dem Presserat einzustellen.

Der Senat stellt daher einen Verstoß gegen den Ehrenkodex fest und fordert die Medieninhaberin auf, die Entscheidung freiwillig in der Tageszeitung "Die Presse" bekannt zu geben. (red, 15.3.2019)


Nota. - Falls es einer vergessen haben sollte: Wien ist die Stadt, in der einmal Karl Kraus die Fackel herausgegeben hat.
JE.

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