aus FAZ.NET, 8. 1. 2021
Soziale Lektionen aggressiver Fremdgeher
Make love, not war? Wie sich weibliche Zebramangusten mit einer
Kriegslist aggressiv für Führungsaufgaben empfehlen: Sie überfallen die
Nachbarn und paaren sich mit ihnen.
Von
Diemut Klärner
Nie
wieder Krieg. Global betrachtet, bleibt das ein frommer Wunsch. Doch
warum? Dass gewaltsame Auseinandersetzungen für die Führungsriege einer
Gruppe oft Vorteile bringen, während viele andere dafür bluten müssen,
ist eine klassische Erklärung. Erstaunlicherweise passt diese nicht nur
für menschliche Gesellschaften, sondern auch für bestimmte Tierarten,
die in Gemeinschaften leben. Das haben Wissenschaftler um Rufus A.
Johnstone von der University of Cambridge, Michael A. Cant von der
University of Exeter und Faye J. Thompson vom Queen Elizabeth
National Park in Uganda in einer langjährigen Freilandstudie an
Zebra-mangusten entdeckt. Bei dieser Spezies, so fanden die Forscher
heraus, sind eigennützige weibliche Anführer unterwegs, um von den
Auswirkungen kollektiver Kämpfe zu profitieren.
Die Zebramanguste (Mungos mungo),
benannt nach ihrem gestreiften Rücken, ist in weiten Teilen Afrikas
südlich der Sahara heimisch. In Gruppen von etwa zwanzig erwachsenen
Tieren plus Nachwuchs schlafen diese kleinen Raubtiere nachts in
unterirdischen Bauten. Tagsüber streifen sie gemeinsam durch ihr Revier,
um nach Beute zu suchen. Auf dem Speiseplan stehen zum Beispiel große
Käfer und Tausendfüßler, aber auch Mäuse und Schlangen. Wie sich in
zwanzig Jahren Forschung im Queen Elizabeth National Park herausgestellt
hat, bleiben die meisten Zebramangusten zeitlebens derselben Gruppe
treu. Alle Mitglieder sind folglich eng miteinander verwandt. Nur etwa
15 Prozent ziehen aus – fast immer unfreiwillig. Gewöhnlich sind davon
junge Weibchen betroffen, die von älteren Tieren fortgejagt werden.
Der Nachwuchs
wird kollektiv großgezogen, mit vereinten Kräften gegen Angreifer
verteidigt und von allen Müttern gemeinsam gesäugt. Weibliche
Zebramangusten können ihre Fortpflanzung synchronisieren: Binnen einer
guten Woche stellen sich bei allen Weibchen einer Gruppe die fruchtbaren
Tage ein. Da die Männchen stets deutlich in der Überzahl sind, können
sie ihre Fortpflanzungschancen nur dadurch wahren, dass sie ihre
auserwählte Partnerin pausenlos bewachen und Konkurrenten vertreiben.
Mit den paarungsfreudigen Männchen im Schlepptau übernehmen die
weiblichen Gruppenmitglieder eindeutig die Führung in der Gruppe und
entscheiden darüber, wohin es bei ihren gemeinsamen Streifzügen gehen
soll. Zur Verwunderung der Forscher um Johnstone marschiert das Rudel
mitunter geradewegs in ein benachbartes Revier.
Zweikämpfe und wilde Verfolgungsjagden
Derart provoziert, sind die Nachbarn bald
zur Stelle, um ihr Wohngebiet gegen die Eindringlinge zu verteidigen.
Dann geht es recht martialisch zur Sache: Wer die andere Gruppe sichtet,
ruft mit gellenden Schreien das eigene Rudel zusammen. Dicht gedrängt,
bilden die Tiere dann jeweils eine Kampflinie, die laut knurrend,
fauchend und kreischend zielstrebig auf den Gegner zuläuft. Wenn beide
Gruppen aufeinandertreffen, beginnen Zweikämpfe und wilde
Verfolgungsjagden. Bis zu einer Stunde kann das wechselseitige Kratzen
und Beißen andauern. Es endet erst, wenn eine Gruppe oder beide den
Rückzug antreten.
In den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften erklären Johnstone und seine Kollegen,
was weibliche Zebramangusten davon haben, dass sie während ihrer
fruchtbaren Tage gern einen derartigen Streit vom Zaun zu brechen: Im
Chaos der erbitterten Kämpfe können sie ihren Bewachern entwischen und
sich mit den Männchen des benachbarten Rudels paaren. Genetische
Analysen zeigen, dass Weibchen im Laufe ihres Lebens desto mehr
Nachkommen zur Welt bringen, je häufiger sie in Revierstreitigkeiten
involviert sind. Zugleich nimmt die Zahl der Kinder zu, die von Männchen
eines anderen Rudels gezeugt wurden. Evolutionsbiologisch betrachtet,
ist dieser Nachwuchs besonders wertvoll. Denn mit dem genetischen Erbe
aus zwei verschiedenen Gruppen hat er bessere Überlebenschancen als der
von Inzucht geprägte Nachwuchs, dessen Eltern derselben Gruppe
entstammen.
Bei
männlichen Zebramangusten, auch das belegen die genetischen
Untersuchungen der Forscher an mehr als achthundert Tieren, gibt es
keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Nachkommen und der erlebten
Grenzkonflikte. Die Männchen ziehen also keinen erkennbaren Vorteil aus
Streitigkeiten mit Nachbarn. Im Gegenteil, sollten sie im Eifer des
Gefechts den Anschluss an ihre Gruppe verlieren, werden sie von allen
Seiten gebissen attackiert und verletzt, wenn nicht sogar getötet.
Weibliche Zebramangusten riskieren viel weniger. Innerhalb von 16 Jahren
haben die Biologen nur zweimal beobachtet, dass ein Weibchen tödlich
verwundet wurde. Im selben Zeitraum sahen sie 17 männliche Tiere in
Auseinandersetzungen zwischen benachbarten Gruppen sterben. Insgesamt
sind zwanzig Prozent der jugendlichen und zehn Prozent der erwachsenen
Zebramangusten, deren Todesursache bekannt ist, solchen Kämpfen zum
Opfer gefallen.
Modellrechnungen
bestätigen, dass es sich durchaus aus evolutionsbiologischer
Perspektive für weibliche Zebramangusten lohnt, potentiell tödliche
Konflikte mit benachbarten Kollektiven zu provozieren. Bei der
überwiegenden Mehrheit sozial lebender Säugetier-Spezies endet ein
Streit mit Nachbarn dagegen nur äußerst selten oder nie so folgenreich.
Ganz allein da stehen die Zebramangusten jedoch nicht mit ihren
eskalierenden Konfrontationen. Benachbarte Wolfsrudel beispielsweise
können sich sogar derart angriffslustig begegnen, dass die meisten
Todesfälle von erwachsenen Tieren auf das Konto dieser Konflikte gehen.
Dasselbe scheint für Löwen zu gelten. Auch unsere nächsten Verwandten,
die Schimpansen, zeigen eine fatale Neigung, gemeinsam brutal auf
Nachbarn loszugehen. Im Gombe National Park in Tansania ergab eine
Langzeitstudie, dass 17 Prozent der erwachsenen Schimpansen bei
Überfällen benachbarter Gruppen getötet werden. In anderen Populationen
scheinen diese Menschenaffen allerdings nicht so kriegerisch aufzutreten. ...
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