aus nzz.ch, 5.03.2020
Du bist, was dein Gender ist.
Die Sache mit der Geschlechtsidentität ist viel komplizierter als gedacht – oder viel einfacher?
Nicht
nur das biologische Geschlecht, auch die Geschlechtsidentität solle
neurobiologisch nachweisbar sein, sagen Wissenschafter. Schön, aber die
Frage ist doch, was das nun genau bedeutet.
Gender
heisst alles und nichts. Wenn der Direktor signalisieren will, dass er
gegen Diskriminierung im Allgemeinen und die der Frauen im Besonderen
ist, bringt er das Wort «Gendergleicheit» vor: Andere tun das
vielleicht, aber er zieht die Männer sicher nicht den Frauen vor.
Fortgeschrittene reden von «Gendermainstreaming», was noch besser
klingt.
Der Bischof dagegen warnt vor dem «Genderismus». Und meint damit die Irrlehre, die gegen die Schöpfungsordnung der beiden fundamental differenten Geschlechter verstösst. Die LGBTQ-Aktivistin wiederum glaubt an «Genderidentitäten», die keinen Bezug zur Biologie des Körpers haben. Alle sollen sich ihr individuelles Gender frei wählen. Warum auch nicht? Vielleicht ist es ja tatsächlich dem Einzelnen aufgetragen, sich selber zu schaffen.
Der Genderbegriff ist aus den Wissenschaften in die sozialen Bewegungen und die Alltagssprache diffundiert. In den 1950er Jahren benutzten ihn Endokrinologen und Psychologen im Sinn von Geschlechterrolle. Sie empfahlen, Intersex-Babys – in der älteren, abwertenden Terminologie: «Zwitter» – zu operieren, bevor sie zwei Jahre alt sind, damit diese ihr Gender so problemlos wie möglich annehmen könnten. Gender musste also nicht identisch mit dem «wahren» biologi- schen Geschlecht sein. Entscheidend war die Einteilung der Kinder in männliche oder weibliche, Geschlechtseindeu- tigkeit lautete das Ziel.
Typisch männlich, typisch weiblich
1986 publizierte die US-Historikerin Joan W. Scott in der «American Historical Review» ihren bahnbrechenden pro- grammatischen Aufsatz «Gender: Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse». Scott hob den Begriff auf eine neue Stufe. Sie unterschied nicht nur zwischen «sex», dem biologischen Geschlecht, und «gender», dem sozialen Ge- schlecht. Noch vor der Philosophin Judith Butler machte sie mithilfe des Genderbegriffs sichtbar, wie Gesellschaften Geschlechter kategorisieren und zuteilen und davon ausgehend Menschen ungleich behandeln.
Wer «Gender» sagte, fragte fortan nach der Macht, also danach, wie etwa das Patriarchat die Unterdrückung der Frau legitimiert, indem es aus der Biologie Rückschlüsse auf ihre Eigenschaften zieht, oder warum und wie welches Verhalten als typisch weiblich oder männlich gilt und was mit «Abweichlern» passiert, mit Homo-, Trans- und Intersexuellen.
So gesehen, stellte der sozialwissenschaftliche Genderbegriff die Praxis infrage, dass Neugeborene, deren Geschlecht medizinisch nicht eindeutig zu bestimmen ist, notfalls durch operative Eingriffe einem Geschlecht zugeordnet werden, damit wieder die «heteronormative» Ordnung herrscht. Auf keinen Fall aber war der Begriff eine Bezeichnung für Frauen und Männer oder für männlich und weiblich – wie heute. Er griff das mit dem Geschlechtlichen verbundene Normale und Diskriminierende einer Gesellschaft an.
Ich sehe die Welt so, wie sie mir gefällt
Heute ist Gender so beliebig geworden, dass ihm Bedeutungslosigkeit droht. Wenn ein Wort fast alles heisst, besagt es bald einmal nichts mehr. Doch nun naht Hilfe von unerwarteter Seite, und zwar ausgerechnet von den von manchen Kulturwissenschaftern geschmähten Naturwissenschaften, die angeblich ein biologistisches Menschenbild haben. Das «high-ranking» Journal «Cerebral Cortex» präsentiert eine neue Studie, die sich in noch höheren Tönen anpreist. Ihre Methoden sind kaum nachvollziehbar, dafür umso mehr ihre Resultate. Sie sind eigentlich Weltanschauung: Ich sehe die Welt so, wie sie mir gefällt.
Zehn Forschende, mehrheitlich Psychiaterinnen und Neurobiologen der Hochschulen Aachen und McGill in Montreal, haben knapp hundert Explorandinnen und Exploranden aufgeboten. Die eine Hälfte nennen sie Cisgender. Diese Frauen und Männer wurden bei der Geburt biologisch als solche registriert, und sie sehen sich auch so.
Die andere Hälfte wird als Transgender bezeichnet: Diese Frauen und Männer wurden ebenfalls bei der Geburt biologisch als solche registriert, aber sie wollen, wie die Studie anmerkt, das Geschlecht wechseln. Sie fühlen sich sozusagen im falschen Körper. Gemäss psychiatrischer Diagnose weisen sie eine «Gender-Dysphorie» auf. Die Forschenden sind stolz darauf, diese Population, die sonst kaum berücksichtigt werde, mit einbezogen zu haben.
Der Bischof dagegen warnt vor dem «Genderismus». Und meint damit die Irrlehre, die gegen die Schöpfungsordnung der beiden fundamental differenten Geschlechter verstösst. Die LGBTQ-Aktivistin wiederum glaubt an «Genderidentitäten», die keinen Bezug zur Biologie des Körpers haben. Alle sollen sich ihr individuelles Gender frei wählen. Warum auch nicht? Vielleicht ist es ja tatsächlich dem Einzelnen aufgetragen, sich selber zu schaffen.
Der Genderbegriff ist aus den Wissenschaften in die sozialen Bewegungen und die Alltagssprache diffundiert. In den 1950er Jahren benutzten ihn Endokrinologen und Psychologen im Sinn von Geschlechterrolle. Sie empfahlen, Intersex-Babys – in der älteren, abwertenden Terminologie: «Zwitter» – zu operieren, bevor sie zwei Jahre alt sind, damit diese ihr Gender so problemlos wie möglich annehmen könnten. Gender musste also nicht identisch mit dem «wahren» biologi- schen Geschlecht sein. Entscheidend war die Einteilung der Kinder in männliche oder weibliche, Geschlechtseindeu- tigkeit lautete das Ziel.
Typisch männlich, typisch weiblich
1986 publizierte die US-Historikerin Joan W. Scott in der «American Historical Review» ihren bahnbrechenden pro- grammatischen Aufsatz «Gender: Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse». Scott hob den Begriff auf eine neue Stufe. Sie unterschied nicht nur zwischen «sex», dem biologischen Geschlecht, und «gender», dem sozialen Ge- schlecht. Noch vor der Philosophin Judith Butler machte sie mithilfe des Genderbegriffs sichtbar, wie Gesellschaften Geschlechter kategorisieren und zuteilen und davon ausgehend Menschen ungleich behandeln.
Wer «Gender» sagte, fragte fortan nach der Macht, also danach, wie etwa das Patriarchat die Unterdrückung der Frau legitimiert, indem es aus der Biologie Rückschlüsse auf ihre Eigenschaften zieht, oder warum und wie welches Verhalten als typisch weiblich oder männlich gilt und was mit «Abweichlern» passiert, mit Homo-, Trans- und Intersexuellen.
So gesehen, stellte der sozialwissenschaftliche Genderbegriff die Praxis infrage, dass Neugeborene, deren Geschlecht medizinisch nicht eindeutig zu bestimmen ist, notfalls durch operative Eingriffe einem Geschlecht zugeordnet werden, damit wieder die «heteronormative» Ordnung herrscht. Auf keinen Fall aber war der Begriff eine Bezeichnung für Frauen und Männer oder für männlich und weiblich – wie heute. Er griff das mit dem Geschlechtlichen verbundene Normale und Diskriminierende einer Gesellschaft an.
Ich sehe die Welt so, wie sie mir gefällt
Heute ist Gender so beliebig geworden, dass ihm Bedeutungslosigkeit droht. Wenn ein Wort fast alles heisst, besagt es bald einmal nichts mehr. Doch nun naht Hilfe von unerwarteter Seite, und zwar ausgerechnet von den von manchen Kulturwissenschaftern geschmähten Naturwissenschaften, die angeblich ein biologistisches Menschenbild haben. Das «high-ranking» Journal «Cerebral Cortex» präsentiert eine neue Studie, die sich in noch höheren Tönen anpreist. Ihre Methoden sind kaum nachvollziehbar, dafür umso mehr ihre Resultate. Sie sind eigentlich Weltanschauung: Ich sehe die Welt so, wie sie mir gefällt.
Zehn Forschende, mehrheitlich Psychiaterinnen und Neurobiologen der Hochschulen Aachen und McGill in Montreal, haben knapp hundert Explorandinnen und Exploranden aufgeboten. Die eine Hälfte nennen sie Cisgender. Diese Frauen und Männer wurden bei der Geburt biologisch als solche registriert, und sie sehen sich auch so.
Die andere Hälfte wird als Transgender bezeichnet: Diese Frauen und Männer wurden ebenfalls bei der Geburt biologisch als solche registriert, aber sie wollen, wie die Studie anmerkt, das Geschlecht wechseln. Sie fühlen sich sozusagen im falschen Körper. Gemäss psychiatrischer Diagnose weisen sie eine «Gender-Dysphorie» auf. Die Forschenden sind stolz darauf, diese Population, die sonst kaum berücksichtigt werde, mit einbezogen zu haben.
So bunt wie die Regenbogenfahne
Die Exploranden, die alle aus Aachen und Umgebung kommen, haben einerseits einen psychologischen Fragebogen ausgefüllt; er misst, wie Menschen sich geschlechtlich sehen, also bis zu welchem Grad sie sich als männlich oder weiblich identifizieren. Zudem sind von ihren Hirnen mittels Magnetresonanztomografie Bilder aufgenommen worden. All dies hat man schliesslich mit maschinellem Lernen gekoppelt.
Das Resultat der Studie: Das Gender ist neurobiologisch nachweisbar! Die datengetriebenen Maschinen, deren Berechnungen nicht durch Hypothesen oder Vorannahmen der Forschenden beeinträchtigt wurden, haben in den Hirnen nicht nur das weibliche und das männliche Gender gefunden, sondern auch zwei Transgender und dazu noch viel mehr, insgesamt neun «Gendervariationen». Jeder Proband kann einer dieser Ausprägungen zugeteilt werden. Jedes Hirn hat seine Genderidentität, auch das von Menschen, die ihr Geschlecht ändern wollen. Die Unterschiede auf den Hirnbildern, die das Paper fast so bunt wie die Regenbogenfahne illustrieren, sind nicht zu übersehen.
Die im Universum frei flottierenden Genderidentitäten, die sich auf «Kultur» berufen und das Joch der «Natur» abgeschüttelt haben, sie sind nun sowohl computerwissenschaftlich als auch hirnphysiologisch bewiesen. Der kulturalistisch-konstruktivistische Genderglaube mit seiner Gendermetaphysik wird nobilitiert von einer Naturwissenschaft, die auf den Genderbegriff der sozialen Bewegungen setzt. Solch ein Paradox schafft nur die göttliche Vorsehung, welche die Menschen vor unlösbare Rätsel stellt – oder intelligente Maschinen, die man in Ruhe rechnen lässt.
«Sex, not gender!»
In der Pressemitteilung der McGill University lässt ein an der Studie beteiligter Computerwissenschafter euphorisch verlauten, dass die Ergebnisse wichtige Konsequenzen für verbesserte Gleichheit, Diversität und Inklusion hätten. Die Forschung trage zum Aufbau einer Gesellschaft bei, in der sich Individuen, die sich zwischen den Positionen von männlich und weiblich identifizierten, nicht länger diskriminiert fühlen müssten, weil nun eben ihre Genderidentität wissenschaftlich im Hirn nachweisbar sei. Jetzt endlich wissen wir es: Transmänner und Transfrauen sind genauso normal wie die normalen Frauen und Männer!
Das war ja eigentlich schon immer klar. Aber wenn der wissenschaftliche Fortschritt die Welt verbessert, kann man ja nichts dagegen haben. Oder verbessert er sie gar nicht? Die britischen Feministinnen, die zurzeit mit der Transgender-Bewegung im Clinch liegen, von der sie auf Twitter als «Haters» bezeichnet werden, rufen: «Sex, not Gender!» Während der Bischof nickt, versteht der gendersensible Direktor nur noch Bahnhof: Was stimmt denn jetzt, woran soll er sich halten? - An sein Gender: Es kennt die Wahrheit. Der Mann braucht dringend einen Hirnscan.
Nota. - Dass Menschen, die nicht sicher sind, ob sie diesem oder jenem Geschlecht angehören, vor einem existenziellen Problem stehen, glaube ich unbesehen. Ich kann aber nicht erkennen, welchen politisch-kulturellen oder erkenntnislo- gischen Vorteil es haben soll, ihr Problem zum Problem der andern umzudeuten.
Dass es sich nicht gehört, diese oder jene Besonderheit eines Menschen zu verhöhnen oder gar zu diskriminieren, ist in einem zivilisierten Gemeinwesen selbstverständlich und muss hier wir überall nötigenfalls mit Sanktionen durchgesetzt werden. Darüber hinaus wüsste ich nicht, inwieweit mich das Thema etwas angeht. Meine Identität ist meine Privatsache. Als öffentliche Person bin ich Staatsbürger und habe Rechte gegen die andern Staatsbürger, so wie sie Rechte gegen mich haben. Das sollte man nicht vermengen. Das Private ist nicht politisch.
JE
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