Donnerstag, 5. März 2020

Die Frau als Gründerin.

aus spektrum.de,                                                                                  Adele Spitzeder (1832-1895)

Kleine Geschichte eines Großbetrugs, oder 
Die Ich-AG der Frau Spitzeder
München, um Eine erfolglose Schauspielerin gründet eine Bank – mit der sie tausende Menschen um ihr Geld bringt. Als der Betrug ans Licht kommt, ist einer der größten Bankenskandale Deutschlands perfekt.

Bayern in den 1860er Jahren. Auf dem Thron sitzt der verträumte Ludwig II. Sein Land ist offiziell souverän, untersteht aber – als Folge des Deutschen Kriegs – de facto dem preußischen König. Kulturell und wirtschaftlich geht in Bayern viel voran, erstmals erblüht hier auch das Bankenwesen.

Ein Umstand, den sich die 36-jährige Schauspielerin Adele Spitzeder zu Nutze machen wird. Nachdem die Bayerin einige Jahre zwischen diversen Theaterbühnen hin- und hergetingelt ist, kehrt sie 1868 nach München zurück. Gemäß ihrer Aufzeichnungen beläuft sich ihr gesamtes Hab und Gut zu diesem Zeitpunkt auf einen Regenmantel und eine Kaffeemaschine.

Ihre Versuche, in München eine Anstellung als Schauspielerin zu finden, scheitern allesamt. Schnell steigen die Schulden. Dass sie ein extravagantes Leben inklusive der Haltung von sechs kleinen Hunden führt, hilft nicht wirklich dabei, ihre Situation zu verbessern. Sie beginnt, sich Geld zu leihen – zuerst bei einem befreundeten Friseur, dann bei weiteren Bekannten. Bald jongliert sie mehrere Kredite nebeneinander.

Eine »ausgschamte« Idee

Die Lage scheint aussichtslos zu sein. Doch ein Spaziergang an der Isar sollte alles ändern. Adele Spitzeder kommt dort mit einer alten Dame ins Gespräch, die der Schauspielerin ihr Leid klagt. Das Leben in Armut sei hart, an jeder Straßenecke würden Gauner lauern – wie solle man da am Leben nicht verzweifeln? Ganz sicher lässt es sich nicht sagen, aber dieser Moment ist wohl jener, als Adele Spitzeder die Idee für ihre Privatbank kommt.

Sie erzählt der Frau, dass sie selbst vor ähnlichen Geldproblemen gestanden habe, schließlich aber einen Weg aus der Misere gefunden hätte: Lukrative Investitionen hätten sie vor der Pleite bewahrt. Zu guter Letzt lädt Spitzeder die alte Dame ein, sie doch im »Deutschen Haus«, wo sie residiere, zu besuchen. Tatsächlich kommt die alte Dame in Begleitung ihres Ehemanns vorbei. Sie bitten Spitzeder, auch für sie Geld Gewinn bringend anzulegen. Die arbeitslose Schauspielerin gibt vor, zögerlich zu sein, erklärt sich aber schließlich bereit, auch das Geld des Paars zu investieren. Spitzeder garantiert ihnen Zinsen von zehn Prozent. Und das Beste am Ganzen: Die Zinsen für die ersten zwei Monate bekämen sie sofort. Spitzeder nimmt das Geld des Ehepaars – 100 Gulden –, geht damit auf ihr Zimmer, lässt 80 Gulden dort und kehrt mit den übrigen 20 zurück.

Das Paar kann sein Glück kaum fassen. Spitzeder bittet die beiden, bloß niemandem von dieser Investition zu erzählen – höchstens vielleicht Freunden oder Bekannten. Dem kommt das Ehepaar natürlich nicht nach. Innerhalb kürzester Zeit rennen die Menschen – vor allem aus den ärmeren sozialen Schichten – Adele Spitzeder die Tür ein.

Eine Großbank für die kleinen Leute

Für jeden Neukunden, den man einwerbe, gebe es zusätzliche fünf Prozent. Mit diesem Versprechen sammelt Adele Spitzeder Unmengen von Geld für ihre Neugründung, der Dachauer Bank. Und weil ständig neue Investoren in ihre Bank strömen, kann Spitzeder problemlos die hohen Gewinne ausschütten. Der Fachbegriff für diese Art von betrügerischem »Geschäftsmodell« lautet übrigens Ponzi-System, benannt nach dem Italoamerikaner Charles Ponzi, der allerdings 1920 viele Jahrzehnte nach Spitzeder aktiv war.

Zwischen und 1872 betreibt Adele Spitzeder eine Bank, mit der sie nicht nur zahlreiche Kunden zufrieden stellt, sondern auch in diverse Immobilien in und um München investiert. So kauft sie zum Beispiel ein Grundstück in Oberföhring. Und ihre Bank bringt sie in einem Haus unter, das sie für über 50 000 Gulden erwirbt.

Freilich reichen die Investitionen ihrer Kunden nicht aus, um die versprochene Rendite zu decken. Das System Spitzeder funktioniert aber, weil ständig neue Kunden Geld bei ihr anlegen. Der Zustrom spült Anfang 1872 zirka 80 000 bis 100 000 Gulden in Spitzeders Kasse.

Die Medien wittern Betrug

Zu diesem Zeitpunkt wird es erstmals brenzlig. Nachdem die Medien, denen das Schaffen der Frau Spitzeder nicht entgangen war, misstrauisch werden, kursieren Gerüchte. Die Dachauer Bank sei im Grunde nichts anderes als ein ganz großer Betrug.

Trotzdem besteht die Bank weiter, denn Spitzeder ist beliebt bei ihren Kunden. Sie eröffnet unter anderem Suppenküchen für die Ärmsten der Armen, und sie spendet großzügig und regelmäßig an die Kirche. Viele Menschen halten sie für ihre große Retterin und verehren sie entsprechend.

Und wenn es wirklich gefährlich für sie wird, greift Spitzeder ein. Das Manuskript für ein Enthüllungsbuch über ihre »Bank« kauft sie kurzerhand und verhindert aufzufliegen – zumindest für kurze Zeit.

Totaler Systemausfall

Doch schließlich beginnt das System zusammenzubrechen. Voraus gingen diverse Streitigkeiten mit der Handelskammer, die auf Betreiben der örtlichen Sparkassen aktiv wurde. Denn Spitzeder hatte den Sparkassen immer mehr Kunden abspenstig gemacht.

Gerüchte werden laut, Spitzeders Bank sei zahlungsunfähig. Die Folge: Die Anleger wollen ihr Geld wieder haben. Die Barreserven der Bank leeren sich beinahe über Nacht. Spitzeder kann nicht mehr alle ihre Kunden ausbezahlen.

Und so wird am 12. November 1872 die Dachauer Bank geschlossen – durch eine Gerichtskommission, die mit einem »Gantantrag«, also einem Antrag für ein Insolvenzverfahren anrückt. Im Zuge des Konkursverfahrens melden sich über 33 000 Gläubiger, auch ganze Gemeinden haben viel Geld verloren.

Adele Spitzeder, die zwar ihre Unschuld beteuert, wird zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Danach schlägt sie sich mit diversen Schauspielauftritten durch – auch der eine oder andere Betrug geht noch auf ihre Kappe. Doch keiner kommt nur annähernd an die Dachauer Bank heran, die auch heute noch als einer der größten Betrugsfälle Deutschlands gilt. Spitzeder verstarb 63-jährig im Jahr 1895 in München.


Nota. - Und nun raten Sie: Was waren das für missgünstige Leute, die die Dachauer Bank zu Fall gebracht haben? En détail weiß ich es selber nicht, aber en gros wette ich mit Ihnen jeden Preis: Das waren MÄNNER!

Doch bitte nicht übersehen: Das waren die Jahre, die unter dem spöttischen Namen Gründerzeit in die Geschichtsbücher eingehen sollten
JE




 

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