aus spektrum.de, Adele Spitzeder (1832-1895)
Kleine Geschichte eines Großbetrugs, oder
Die Ich-AG der Frau Spitzeder
München,
um Eine erfolglose Schauspielerin gründet eine Bank – mit der sie
tausende Menschen um ihr Geld bringt. Als der Betrug ans Licht kommt,
ist einer der größten Bankenskandale Deutschlands perfekt.
Bayern
in den 1860er Jahren. Auf dem Thron sitzt der verträumte Ludwig II.
Sein Land ist offiziell souverän, untersteht aber – als Folge des
Deutschen Kriegs – de facto dem preußischen König. Kulturell und
wirtschaftlich geht in Bayern viel voran, erstmals erblüht hier auch das
Bankenwesen.
Ein Umstand, den sich die 36-jährige
Schauspielerin Adele Spitzeder zu Nutze machen wird. Nachdem die Bayerin
einige Jahre zwischen diversen Theaterbühnen hin- und hergetingelt ist,
kehrt sie 1868 nach München zurück. Gemäß ihrer Aufzeichnungen beläuft
sich ihr gesamtes Hab und Gut zu diesem Zeitpunkt auf einen Regenmantel
und eine Kaffeemaschine.
Ihre Versuche, in München eine Anstellung
als Schauspielerin zu finden, scheitern allesamt. Schnell steigen die
Schulden. Dass sie ein extravagantes Leben inklusive der Haltung von
sechs kleinen Hunden führt, hilft nicht wirklich dabei, ihre Situation
zu verbessern. Sie beginnt, sich Geld zu leihen – zuerst bei einem
befreundeten Friseur, dann bei weiteren Bekannten. Bald jongliert sie
mehrere Kredite nebeneinander.
Eine »ausgschamte« Idee
Die
Lage scheint aussichtslos zu sein. Doch ein Spaziergang an der Isar
sollte alles ändern. Adele Spitzeder kommt dort mit einer alten Dame ins
Gespräch, die der Schauspielerin ihr Leid klagt. Das Leben in Armut sei
hart, an jeder Straßenecke würden Gauner lauern – wie solle man da am
Leben nicht verzweifeln? Ganz sicher lässt es sich nicht sagen, aber
dieser Moment ist wohl jener, als Adele Spitzeder die Idee für ihre
Privatbank kommt.
Sie erzählt der Frau, dass sie selbst vor ähnlichen
Geldproblemen gestanden habe, schließlich aber einen Weg aus der Misere
gefunden hätte: Lukrative Investitionen hätten sie vor der Pleite
bewahrt. Zu guter Letzt lädt Spitzeder die alte Dame ein, sie doch im
»Deutschen Haus«, wo sie residiere, zu besuchen. Tatsächlich kommt die
alte Dame in Begleitung ihres Ehemanns vorbei. Sie bitten Spitzeder,
auch für sie Geld Gewinn bringend anzulegen. Die arbeitslose
Schauspielerin gibt vor, zögerlich zu sein, erklärt sich aber
schließlich bereit, auch das Geld des Paars zu investieren. Spitzeder
garantiert ihnen Zinsen von zehn Prozent. Und das Beste am Ganzen: Die
Zinsen für die ersten zwei Monate bekämen sie sofort. Spitzeder nimmt
das Geld des Ehepaars – 100 Gulden –, geht damit auf ihr Zimmer, lässt
80 Gulden dort und kehrt mit den übrigen 20 zurück.
Das Paar kann sein Glück
kaum fassen. Spitzeder bittet die beiden, bloß niemandem von dieser
Investition zu erzählen – höchstens vielleicht Freunden oder Bekannten.
Dem kommt das Ehepaar natürlich nicht nach. Innerhalb kürzester Zeit
rennen die Menschen – vor allem aus den ärmeren sozialen Schichten –
Adele Spitzeder die Tür ein.
Eine Großbank für die kleinen Leute
Für
jeden Neukunden, den man einwerbe, gebe es zusätzliche fünf Prozent.
Mit diesem Versprechen sammelt Adele Spitzeder Unmengen von Geld für
ihre Neugründung, der Dachauer Bank. Und weil ständig neue Investoren in
ihre Bank strömen, kann Spitzeder problemlos die hohen Gewinne
ausschütten. Der Fachbegriff für diese Art von betrügerischem
»Geschäftsmodell« lautet übrigens Ponzi-System, benannt nach dem
Italoamerikaner Charles Ponzi, der allerdings 1920 viele Jahrzehnte nach
Spitzeder aktiv war.
Zwischen und 1872 betreibt Adele
Spitzeder eine Bank, mit der sie nicht nur zahlreiche Kunden zufrieden
stellt, sondern auch in diverse Immobilien in und um München investiert.
So kauft sie zum Beispiel ein Grundstück in Oberföhring. Und ihre Bank
bringt sie in einem Haus unter, das sie für über 50 000 Gulden erwirbt.
Freilich
reichen die Investitionen ihrer Kunden nicht aus, um die versprochene
Rendite zu decken. Das System Spitzeder funktioniert aber, weil ständig
neue Kunden Geld bei ihr anlegen. Der Zustrom spült Anfang 1872 zirka
80 000 bis 100 000 Gulden in Spitzeders Kasse.
Die Medien wittern Betrug
Zu
diesem Zeitpunkt wird es erstmals brenzlig. Nachdem die Medien, denen
das Schaffen der Frau Spitzeder nicht entgangen war, misstrauisch
werden, kursieren Gerüchte. Die Dachauer Bank sei im Grunde nichts
anderes als ein ganz großer Betrug.
Trotzdem besteht die Bank
weiter, denn Spitzeder ist beliebt bei ihren Kunden. Sie eröffnet unter
anderem Suppenküchen für die Ärmsten der Armen, und sie spendet
großzügig und regelmäßig an die Kirche. Viele Menschen halten sie für
ihre große Retterin und verehren sie entsprechend.
Und wenn es wirklich gefährlich für sie wird,
greift Spitzeder ein. Das Manuskript für ein Enthüllungsbuch über ihre
»Bank« kauft sie kurzerhand und verhindert aufzufliegen – zumindest für
kurze Zeit.
Totaler Systemausfall
Doch
schließlich beginnt das System zusammenzubrechen. Voraus gingen diverse
Streitigkeiten mit der Handelskammer, die auf Betreiben der örtlichen
Sparkassen aktiv wurde. Denn Spitzeder hatte den Sparkassen immer mehr
Kunden abspenstig gemacht.
Gerüchte werden laut, Spitzeders Bank
sei zahlungsunfähig. Die Folge: Die Anleger wollen ihr Geld wieder
haben. Die Barreserven der Bank leeren sich beinahe über Nacht.
Spitzeder kann nicht mehr alle ihre Kunden ausbezahlen.
Und so
wird am 12. November 1872 die Dachauer Bank geschlossen – durch eine
Gerichtskommission, die mit einem »Gantantrag«, also einem Antrag für
ein Insolvenzverfahren anrückt. Im Zuge des Konkursverfahrens melden
sich über 33 000 Gläubiger, auch ganze Gemeinden haben viel Geld
verloren.
Adele Spitzeder, die zwar ihre Unschuld beteuert, wird
zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Danach schlägt sie sich mit
diversen Schauspielauftritten durch – auch der eine oder andere Betrug
geht noch auf ihre Kappe. Doch keiner kommt nur annähernd an die
Dachauer Bank heran, die auch heute noch als einer der größten
Betrugsfälle Deutschlands gilt. Spitzeder verstarb 63-jährig im
Jahr 1895 in München.
Nota. - Und nun raten Sie: Was waren das für missgünstige Leute, die die Dachauer Bank zu Fall gebracht haben? En détail weiß ich es selber nicht, aber en gros wette ich mit Ihnen jeden Preis: Das waren MÄNNER!
Doch bitte nicht übersehen: Das waren die Jahre, die unter dem spöttischen Namen Gründerzeit in die Geschichtsbücher eingehen sollten.
JE
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