Moral frisst Geist
In Amerika wird Woody Allens Autobiographie nicht erscheinen. Nun
haben sich Autoren des Rowohlt Verlags, der das Buch auf Deutsch
herausbringen will, in einem offenen Brief an den Verlag gewandt. Über
die toxische Wirkung eines Rückziehers.
Von Edo Reents
Darf man sich noch den „Stadtneurotiker“ ansehen, oder kriegt man davon jetzt schon Corona? Sachlicher gefragt: Was geht diejenigen, die keine Richterrobe tragen, also im Grunde doch Krethi und Plethi, Dylan Farrow an? Nichts, möchte man meinen. Ob sie im Alter von sieben Jahren von ihrem Adoptivvater Woody Allen missbraucht wurde, war nie Gegenstand einer Gerichtsverhandlung. Die Wahrheit kennen, wenn nicht noch ein Augenzeuge auftaucht, nur diese beiden.
Dafür wird umso
entschiedener nach dem Hörensagen geurteilt. Deswegen ist es an der
Zeit, einem Milieu, das sich mit andauerndem Anzeigen seiner eigenen,
moralisch richtigen Richtung wichtig macht, einmal heimzuleuchten, weil
es sich etwas anmaßt, was ausschließlich Sache der Justiz ist: über die
Schuld und Strafwürdigkeit eines anderen Menschen zu urteilen und dieses
Urteil auch noch in der Öffentlichkeit herumzuposten und zupesten. Das
hilft niemandem, wahrscheinlich noch nicht einmal den mutmaßlichen
Opfern. Und solange man nur mutmaßen kann, sollte man sich schon mit
Verdächtigungen zurückhalten, auch keinen Verlegern vorschreiben,
welches Buch sie veröffentlichen dürfen und welches nicht, und sich im
Übrigen auf sein Schüler-Latein besinnen: in dubio pro reo.
Nicht die Unschuldsvermutung aufgeben
Diese Maxime darf man genauso wenig wie die
Unschuldsvermutung aufgeben, und wenn man noch so oft beteuert, wie
schlimm das Schlimme doch ist, und sich mit allen vermeintlichen oder
tatsächlichen Opfern „solidarisch“ erklärt, was immer das heißen soll.
In der MeToo-Debatte ist sie ohne Federlesens, auf empörend ruchlose Art
außer Kraft gesetzt worden: Der Prozess gegen den Schauspieler Kevin Spacey
wegen sexueller Übergriffe wurde zum Beispiel eingestellt; der Mann hat
damit als unschuldig zu gelten, aber sein Ruf ist ruiniert. Ähnlich ist
es beim Wettervorhersager Jörg Kachelmann, der auf die bloßen
Anschuldigungen einer später als Lügnerin rechtskräftig verurteilten
Frau hin eingesperrt wurde.
Woody Allen
haben nicht nur Amazon und eine ganze Reihe von Schauspielern
fallengelassen wie eine heiße Kartoffel, sondern nun auch der Verlag
Hachette, der seine Autobiographie „Apropos Of Nothing“ nicht
herausbringen wird – offenbar fürchtet man, mit dem Missbrauchsvirus
eines Mannes angesteckt zu werden, dem bisher nichts nachgewiesen wurde.
Auch bei Rowohlt
greift man jetzt zum Mundschutz: Autoren, darunter Margarete Stokowski,
Kathrin Passig, Nis-Momme Stockmann und Sascha Lobo, fordern ihre
Verlagsleitung in einem offenen Brief dazu auf, auch die deutsche
Fassung „Ganz nebenbei“ nicht zu veröffentlichen.
Inwiefern Autoren einem Verlag derartig reinreden dürfen, wird die Rowohlt-Leitung, die, nachdem Hachette Allen die Rechte zurückgegeben hat, erst einmal die neue Sachlage prüfen will und Allen dann ja wahrscheinlich direkt fragen kann, selbst am besten wissen. Es mag dabei noch angehen, dass die Autoren darauf verweisen, bei Rowohlt sei schließlich auch das Buch von Dylan Farrows Bruder Ronan, der Woody Allen für schuldig hält („Durchbruch – Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen“), erschienen, das passe also nicht; sie seien nicht prinzipiell gegen die Veröffentlichung der Autobiographie, nur eben nicht bei Rowohlt. Aber da unterschätzen sie die Wirkung eines solchen Appells: Wenn ein so wichtiger Publikumsverlag wie Rowohlt einknickt, dann wird das Buch auch in Deutschland nicht so schnell erscheinen; die toxische Wirkung eines Rückziehers auf die anderen Verlage wäre einfach zu groß. Aber so ist inzwischen die Logik der Moraltrompeter: Das Buch veröffentlichen hieße schon, Missbrauch kleinreden oder sogar irgendwie gutheißen und das vermeintliche Opfer verhöhnen – dies alles unter nach wie vor ungeklärten (Tat-)Umständen.
Inwiefern Autoren einem Verlag derartig reinreden dürfen, wird die Rowohlt-Leitung, die, nachdem Hachette Allen die Rechte zurückgegeben hat, erst einmal die neue Sachlage prüfen will und Allen dann ja wahrscheinlich direkt fragen kann, selbst am besten wissen. Es mag dabei noch angehen, dass die Autoren darauf verweisen, bei Rowohlt sei schließlich auch das Buch von Dylan Farrows Bruder Ronan, der Woody Allen für schuldig hält („Durchbruch – Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen“), erschienen, das passe also nicht; sie seien nicht prinzipiell gegen die Veröffentlichung der Autobiographie, nur eben nicht bei Rowohlt. Aber da unterschätzen sie die Wirkung eines solchen Appells: Wenn ein so wichtiger Publikumsverlag wie Rowohlt einknickt, dann wird das Buch auch in Deutschland nicht so schnell erscheinen; die toxische Wirkung eines Rückziehers auf die anderen Verlage wäre einfach zu groß. Aber so ist inzwischen die Logik der Moraltrompeter: Das Buch veröffentlichen hieße schon, Missbrauch kleinreden oder sogar irgendwie gutheißen und das vermeintliche Opfer verhöhnen – dies alles unter nach wie vor ungeklärten (Tat-)Umständen.
Gravierender
sind aber diese Einlassungen: „Wir haben keinen Grund, an den Aussagen
von Woody Allens Tochter Dylan Farrow zu zweifeln.“ Woher nehmen die
Autoren diese Gewissheit? Die amerikanische Justiz hat sie bisher nicht
aufbringen können. Und woher wollen sie wissen, dass Woody Allen sich
„nie überzeugend mit den Vorwürfen seiner Tochter auseinandergesetzt“
habe? Die Autoren lassen sich doch sowieso nur von einem Geständnis
„überzeugen“, weil das Urteil ja feststeht. Es geht nicht darum, über
„Hexenjagden“ zu klagen oder so zu tun, als dürften sich Genies alles
erlauben; wer etwas getan hat, sollte dafür zur Rechenschaft gezogen
werden, aber nur von der Justiz und nicht von Leuten, die sich auf ihrer
moralisch richtigen Seite mit schon fast beneidenswerter
Selbstgewissheit geborgen fühlen. Denn langsam wird das alles doch etwas
geistfeindlich. Rowohlt sollte da nicht mitmachen.
Nota. - Er hat ja so Recht! Allerdings: Die Unschuldsvermutung ist eine Sache der Strafprozessordnung. Außerhalb des Gerichts darf jeder vermuten, was er will - und ob er es veröffentlicht, ist keine Sache von Gesetzestexten, sondern eine Sache des Anstands; und da es sich eben um eine öffentliche Angelegenheit handelt: des politischen Anstands.
Hachette und Rowohlt dürfen natürlich so unanständig sein, wie sie wollen. Aber die Buchkäufer sollten es ihnen ver- denken.
JE
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