Samstag, 3. März 2018

Heult doch.


aus nzz.ch, 1. 3. 2018

von Heike-Maria Fendel

... Auch auf der soeben zu Ende gegangenen Berlinale wurde vorauseilende Konfliktvermeidung betrieben. Festivaldirektor Dieter Kosslick wurde nicht müde zu betonen, dass Arbeiten von Regisseuren, die ein Fehlverhalten zugegeben hatten, nicht ins Programm aufgenommen worden waren. Namen wollte er nicht nennen. Derzeit verläuft ein schmaler Grat zwischen Solidarität und Feigheit.

Die Gemütslage des männlichen Teils des Showbusiness scheint denn auch der eines beim Fremdgehen ertappten Ehemannes zu entsprechen. Notgedrungen schuldbewusst und überaus bemüht, bloss nichts falsch zu machen: «Ja Schatz, du hast ja recht!» Die betrogene Frau erhält allein mittels der Verletzung Macht über den Täter. #MeToo hat diese Schuldspirale weitergedreht, indem sie nicht nur Versehrung und Verletzung der Frauen kollektivierte, sondern auch gleich die potenzielle (Mit-)Täterschaft aller Männer – oder zumindest den begründeten Verdacht einer solchen Mittäterschaft.

Aber verletzt (worden) zu sein, ist für Frauen ja weniger ein Thema als ein Zustand. Ein spezifisch weiblich konnotierter zudem. Denn Frauen erfahren seelische Verletzung zunächst am eigenen Leib. Dem begafften und bewerteten, betatschten oder gewaltsam unterworfenen. Und dem menstruierenden, gebärenden und klimakterischen Leib und ja, natürlich auch dem ignorierten Leib. Schauspielerinnen erfahren dieses Leid doppelt, am eigenen Leib und an jenem der von ihnen verkörperten Figuren.

Die Protagonisten des Showgeschäftes stehen also vor einer Lose-lose-Situation. Ausbleibende Solidarität macht sie untragbar, explizite Solidarität zu Heuchlern. Und Humor wäre auch im Gewand der Selbstironie untragbar. Mitleid ist angesichts der bis anhin ungebrochenen Macht männlicher Funktionsträger sicher nicht angebracht. Sehr wohl aber die Frage, warum Jahrzehnte des politischen Ringens von Frauen um Chancengleichheit, Sichtbarkeit und das Ende stereo- typer Geschlechterbilder nicht längst zu jenem Paradigmenwechsel geführt haben, den das Ausstellen weiblicher Wunden derzeit erzwingt.

Der Botenstoff des verletzten Seins

Warum also braucht es, wenn es um sogenannte Frauenanliegen geht, den Botenstoff des verletzten Seins, um so unstrittige wie letztlich alle Geschlechter beschämende Schieflagen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu transportieren und damit die Entscheider unter Druck zu setzen? Recht hat, Recht erfährt die fordernde Frau auch im Jahre 2018 offenbar erst mit den vergossenen Tränen, nach der Erniedrigung und um deren Preis. Heult doch!

Leid, Trauer und folgenlose Empörung sind Bausteine eines weiblich konnotierten Duldungs-und Sehnsuchtschemas, aus dem das Kino das Genre des Melodrams und das Fernsehen das der Soap-Opera formten. Und Hollywood einen Epochenbruch namens #MeToo, der gesellschaftlichen Fortschritt auf dem Fundament weiblicher Ohnmacht errichtet. ...

Hiess es also die längste Zeit «Wer schreit, hat unrecht», so gilt derzeit «Wer leidet, hat recht». Mindestens ist er, oder zumeist sie, sakrosankt im Furor: Bloss nicht reizen. Zum Beispiel mit Fakten.

Doch das Kino und dessen Personal haben mehr Respekt und Genauigkeit verdient, als ihm in den Zeiten von #MeToo zuteilwird. Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters etwa pries zur Eröffnung der Berlinale im Marlene-Dietrich-Palast dessen Namensgeberin und sprach von den Hosen, welche die Schauspielerin in Josef von Sternbergs Film «Morocco» (1930) erstmals trug. Grütters sagte, dass man mehr über Frauen, die die Hosen anhaben, reden solle als über Männer in Bademänteln. Klingt gut, der Applaus gibt dem Bonmot recht.

Man muss trotzdem darauf hinweisen, dass es von Sternberg war, der Marlene Dietrichs Look kreierte, um, wie er schrieb, «die kleine deutsche Hausfrau» in eine Kabarettsängerin mit laszivem Touch zu verwandeln. Und dass «Morocco» nicht zuletzt davon erzählt, wie Dietrichs Figur sich von einer smarten zu einer schmachtenden Frau wandelt – Gary Coopers wegen, was man ja durchaus verstehen kann. ...

Wenn Hollywood am Sonntag sich selbst feiert, dann, so wäre es zu wünschen, vielleicht nicht nur im melodramatischen Duktus von #MeToo und im aktionsgetriebenen von #TimesUp. Sondern in einem Respekt für bereits geschriebene und noch zu verfassende Filmgeschichte, wo Denken, Fühlen und Handeln gleichzeitig stattfinden. Kino ist Dialog. Und ermöglicht Dialog. Auch und gerade zwischen den Geschlechtern, deren gestörtes Miteinander sich in nahezu jedem Genre erzählen lässt. Vielleicht demnächst auch einmal wieder als Komödie?


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