aus nzz.ch, 1. 3. 2018
von Heike-Maria Fendel
... Auch auf der
soeben zu Ende gegangenen Berlinale wurde vorauseilende
Konfliktvermeidung betrieben. Festivaldirektor Dieter Kosslick wurde
nicht müde zu betonen, dass Arbeiten von Regisseuren, die ein
Fehlverhalten zugegeben hatten, nicht ins Programm aufgenommen worden
waren. Namen wollte er nicht nennen. Derzeit verläuft ein schmaler Grat
zwischen Solidarität und Feigheit.
Die
Gemütslage des männlichen Teils des Showbusiness scheint denn auch der
eines beim Fremdgehen ertappten Ehemannes zu entsprechen. Notgedrungen
schuldbewusst und überaus bemüht, bloss nichts falsch zu machen: «Ja
Schatz, du hast ja recht!» Die betrogene Frau erhält allein mittels der
Verletzung Macht über den Täter. #MeToo hat diese Schuldspirale
weitergedreht, indem sie nicht nur Versehrung und Verletzung der Frauen
kollektivierte, sondern auch gleich die potenzielle (Mit-)Täterschaft
aller Männer – oder zumindest den begründeten Verdacht einer solchen
Mittäterschaft.
Aber
verletzt (worden) zu sein, ist für Frauen ja weniger ein Thema als ein
Zustand. Ein spezifisch weiblich konnotierter zudem. Denn Frauen
erfahren seelische Verletzung zunächst am eigenen Leib. Dem begafften
und bewerteten, betatschten oder gewaltsam unterworfenen. Und dem
menstruierenden, gebärenden und klimakterischen Leib und ja, natürlich
auch dem ignorierten Leib. Schauspielerinnen erfahren dieses Leid
doppelt, am eigenen Leib und an jenem der von ihnen verkörperten
Figuren.
Die
Protagonisten des Showgeschäftes stehen also vor einer
Lose-lose-Situation. Ausbleibende Solidarität macht sie untragbar,
explizite Solidarität zu Heuchlern. Und Humor wäre auch im Gewand der
Selbstironie untragbar. Mitleid ist angesichts der bis anhin
ungebrochenen Macht männlicher Funktionsträger sicher nicht angebracht.
Sehr wohl aber die Frage, warum Jahrzehnte des politischen Ringens von
Frauen um Chancengleichheit, Sichtbarkeit und das Ende stereo- typer
Geschlechterbilder nicht längst zu jenem Paradigmenwechsel geführt
haben, den das Ausstellen weiblicher Wunden derzeit erzwingt.
Der Botenstoff des verletzten Seins
Warum
also braucht es, wenn es um sogenannte Frauenanliegen geht, den
Botenstoff des verletzten Seins, um so unstrittige wie letztlich alle
Geschlechter beschämende Schieflagen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit
zu transportieren und damit die Entscheider unter Druck zu setzen? Recht
hat, Recht erfährt die fordernde Frau auch im Jahre 2018 offenbar erst
mit den vergossenen Tränen, nach der Erniedrigung und um deren Preis.
Heult doch!
Leid,
Trauer und folgenlose Empörung sind Bausteine eines weiblich
konnotierten Duldungs-und Sehnsuchtschemas, aus dem das Kino das Genre
des Melodrams und das Fernsehen das der Soap-Opera formten. Und
Hollywood einen Epochenbruch namens #MeToo, der gesellschaftlichen
Fortschritt auf dem Fundament weiblicher Ohnmacht errichtet. ...
Hiess
es also die längste Zeit «Wer schreit, hat unrecht», so gilt derzeit
«Wer leidet, hat recht». Mindestens ist er, oder zumeist sie, sakrosankt
im Furor: Bloss nicht reizen. Zum Beispiel mit Fakten.
Doch
das Kino und dessen Personal haben mehr Respekt und Genauigkeit
verdient, als ihm in den Zeiten von #MeToo zuteilwird. Die deutsche
Kulturstaatsministerin Monika Grütters etwa pries zur Eröffnung der
Berlinale im Marlene-Dietrich-Palast dessen Namensgeberin und sprach von
den Hosen, welche die Schauspielerin in Josef von Sternbergs Film
«Morocco» (1930) erstmals trug. Grütters sagte, dass man mehr über
Frauen, die die Hosen anhaben, reden solle als über Männer in
Bademänteln. Klingt gut, der Applaus gibt dem Bonmot recht.
Man
muss trotzdem darauf hinweisen, dass es von Sternberg war, der Marlene
Dietrichs Look kreierte, um, wie er schrieb, «die kleine deutsche
Hausfrau» in eine Kabarettsängerin mit laszivem Touch zu verwandeln. Und
dass «Morocco» nicht zuletzt davon erzählt, wie Dietrichs Figur sich
von einer smarten zu einer schmachtenden Frau wandelt – Gary Coopers
wegen, was man ja durchaus verstehen kann. ...
Wenn
Hollywood am Sonntag sich selbst feiert, dann, so wäre es zu wünschen,
vielleicht nicht nur im melodramatischen Duktus von #MeToo und im
aktionsgetriebenen von #TimesUp. Sondern in einem Respekt für bereits
geschriebene und noch zu verfassende Filmgeschichte, wo Denken, Fühlen
und Handeln gleichzeitig stattfinden. Kino ist Dialog. Und ermöglicht
Dialog. Auch und gerade zwischen den Geschlechtern, deren gestörtes
Miteinander sich in nahezu jedem Genre erzählen lässt. Vielleicht
demnächst auch einmal wieder als Komödie?
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