Berliner Provinz trifft oberfränkische Avantgarde
von Olaf Przybilla
"Sexistisch" - so finden Berliner Studierende ein berühmtes Gedicht von Eugen Gomringer, dem Begründer der Konkreten Poesie. Der in Oberfranken lebende Weltbürger kann da nur lächeln. Berlin ist Weltstadt, Oberfranken ist Provinz - so weit ist es klar. Es gibt da aber dieser Tage eine Debatte in der Hauptstadt, die einen doch zweifeln lässt. Entzündet hat sich der Diskurs um ein Gedicht eines 92 Jahre alten Weltbürgers. Eines Mannes mit bolivianischen und schweizerischen Wurzeln, der seit Jahrzehnten in Oberfranken eine Heimat gefunden hat.
Es geht um Eugen Gomringer, den Vater der Konkreten Poesie. "Avenidas" heißt sein Gedicht, das er 1953 auf Spanisch geschrieben hat. Visualisierung ist ein Grundpfeiler in der Poesie des Eugen Gomringer, man muss seine Texte also immer auch als "Konstellation" vor Augen haben:
Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen /
Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen / und ein Bewunderer
Germanisten gilt das Gedicht als Kerntext der Konkreten Poesie. Es beschreibt - wie gesagt 1953 - eine Straßenszene auf den Ramblas in Barcelona. Zu den Ehrungen, die Gomringer zuteil wurden, gehört auch der Poetik-Preis der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Weshalb sein Text auf die Fassade der Hochschule geschrieben wurde, in großen Lettern.
Dort stand er schon ein paar Jahre, bis eigenen Angaben zufolge "Studierende die vorlesungsfreie Zeit genutzt" haben, um exklusiv festzustellen, dieses Gedicht reproduziere "eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind". Mit einem Wort: Sexismus. Geht es nach den Vorlesungsfreie-Zeit-Nutzern, so soll der Text so nicht stehen bleiben.
Die Reaktionen aus Oberfranken sind wunderbar. Die Tochter des Lyrikers, die Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer, tritt im Netz als "Gedichte Polizei Gom Ringer" auf, ein anarchischer Beitrag gegen allgemeine Verblödung, der jetzt schon als Klassiker gelten darf. Und wer mit ihrem Vater spricht, hört zuerst das leise Lachen eines 92-Jährigen. Bis er sagt: "Dass man mit so wenigen Worten so eine Wirkung erzielt, das war immer mein Ziel." Provinz? Ist woanders.
Nota. - HERR Przybilla! Ihre Sorte von makroaggressivem Humor verbitte ich mir mit aller Entschiedenheit. Ich bin selber ein*e Berliner*in und lasse mich nicht von rassistoiden Verallgemeinerungen mit Studierend*innen der Alice-Salomon-Hochschule in eine*n Töpf*in werfen. Wenn ich eine vorlesungsfreie Zeit hätte, würde ich ganz was andres damit anfangen. Nämlich würde ich beten, dass solche - vermutlich aus Wessiland zugereiste - Wutbürger*innen es nicht so weit treiben, bis eines Tages ein*e Donald*in Trump*in nötig wird, um uns von ihnen zu befreien.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen