Dienstag, 22. August 2017

Fluch der Mutter.

K. Kollwitz 
aus Die Presse, Wien,

Die „Töchter des Königs“ brachten den „Fluch der Mutter“
Die Vermutung, dass die nur von den Müttern vererbte mt-DNA für Söhne schlecht sein kann, wurde an Menschen bestätigt.


Hillary Clinton und Madonna und unzählige weniger Prominente in Nordamerika haben ihre Existenz dem Sonnenkönig zu danken, Ludwig XIV. In dessen Reich ging die Sonne deshalb nie unter, weil auch Neufrankreich dazugehörte, ein Teil des heutigen Kanada. Das war weithin Wildnis, durch die Trapper und Glücksritter streiften, allesamt Männer. Aber der König wollte eine stabile Population aufbauen, und Landwirtschaft dazu. Deshalb wurden im Frankreich des 17. Jahr- hunderts „Töchter des Königs“ rekrutiert, Frauen in gebärfähigem Alter, die meisten aus armen Verhältnissen, oft Waisen.

Die wurden mit Geld ausgestattet, und mit einer Truhe, die Lebenswichtiges enthielt, von einem Wintermantel bis zu Nähnadeln und Garn. Um die 800 dieser Fuhren gingen nach Neufrankreich, zuvor wurden die Frauen – es gab bald Gerüchte, es seien auch Huren darunter –, medizinisch untersucht. Das Befürchtete hatten sie nicht, aber eine brachte etwas mit, was die damalige Medizin nicht diagnostizieren konnte, eine böse Mutation in der mitochondrialen DNA (mt-DNA), das ist die kleine Gengruppe der Zellkraftwerke, die nur von Müttern vererbt wird. Diese Mutation bringt den Kindern ein Augenleiden – Lebersche Optikusatrophie –, das in mittleren Jahren zu Erblindung führt.

mt-DNA hat kein Interesse an Männer

Das ist unter den Nachkommen der Töchter des Königs bis zum heutigen Tag verbreitet, Hillary und Madonna haben es nicht, es trifft vor allem Männer, acht Mal so häufig wie Frauen. Deshalb ist es ein idealer Kandidat dafür, die alte Hypothese vom „Fluch der Mutter“, die bisher nur an Labortieren getestet wurde, auch an Menschen zu prüfen: Ihr zufolge kommt der Fluch mit mt-DNA. Weil die nur von Müttern weitergegeben wird, werden in ihr auch nur Mutationen und andere Gendefekte korrigiert oder weggeschafft, die sich auf Frauen auswirken. Was sie Männern Übles tun, ist für mt-DNA uninteressant, das bleibt, und das hat schon vermuten lassen, die schwer erklärbare kürzere Lebensdauer der Männer rühre von mt-DNA.

Das ist Spekulation, bisher gab es ja keinen einzigen Beleg für die Hypothese, aber nun ist ein historischer Glücksfall zu Hilfe gekommen: In Kanada sind die Genealogien seit 1608 wohl dokumentiert, die Sterbedaten auch, man hat früher schon aus den alten Akten herausgelesen, welche Tochter des Königs die Mutation mitgebracht hat – bzw. eine ihrer drei Varianten: T14484, sie ist heute die am weitesten verbreitete –, sie wurde 1669 geboren und hatte selbst zehn Kinder, davon sechs Töchter.

Und nun hat Emmanuel Milo (Quebec) das Ergehen ihrer Erben dokumentiert, anhand der „Fitness“, für Biologen bemisst sich diese am Reproduktionserfolg: Der war (und ist) bei den männlichen Kindern und Kindeskindern etc. sehr viel geringer, das bestätigt den „Fluch der Mutter“. Allerdings steht etwas Unerwartetes und noch nicht Erklärtes dahinter: Die Fitness dieser Männer war gering, weil sie schon als Kleinkinder starben, wenn das Agenleiden sich überhaupt noch nicht bemerkbar macht. Umgekehrt ist die Fitness von Töchtern mit der Mutation etwas höher als bei denen ohne: Das Gen muss noch für anderes zuständig sein als für die Augen, vielleicht wurde gar auf es selektioniert (Nature Ecology & Evolution 21. 8.).

Es gibt ihn also, den „Fluch der Mutter“, die Frage ist, wie weit er reicht: Lange hat man mt-DNA nur für zuständig für die Zellkraftwerke gehalten, aber in den letzten Jahren haben sich so viele von ihr verursachte Leiden gezeigt, dass man in der Reproduktionsmedizin schon an „Kinder mit drei Eltern“ gegangen ist. Bei denen wird kranke mt-DNA in der Eizelle der Mutter durch gesunde einer Spenderin ersetzt. Ein derartiges Kind ist bekannt, es kam letztes Jahr zur Welt, ist gesund und, Zufall oder nicht, ein Bub.

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