Sonntag, 16. Juli 2017

Sie kommen eben immer zu spät.

aus Der Standard, Wien, 14. Juli 2017, 15:58

Frauen – und die neue Welle der Männlichkeit
Die Männer erfinden sich neu und erobern neues Terrain. Die Frauen haben es bisher nie geschafft, sich neu zu erfinden und dafür überhaupt – ganz zu schweigen von angemessen – bewundert zu werden 

von Martina Gleissenebner-Teskey

Merken Sie das auch? Wann immer es um Aufbruch, Zukunft, Bewegung geht, dann blickt uns das männliche Antlitz eines Hoffnungsträgers entgegen: in der Politik in seiner glatt rasierten, Maßanzug-verpackten Version – in der mit Hoffnung beladenen Start-up-Welt in seiner nur scheinbar entfesselten, bobogestylten, gern sich auch mit akkurat gestutztem Vollbart demonstrierenden Version.

Hier Emmanuel Macron und Justin Trudeau und auf der nationalen Bühne Sebastian Kurz und, ja, warum nicht, auch ein Christian Kern, auch wenn er eigentlich schon fast zu alt für den Trend ist.

Liebkinder

Dort die neuen Liebkinder und Hoffnungsträger der Start-up-Szene mit ihren merkwürdigen Exemplaren vom Typ Daniel Cronin, Ali Mahlodji oder Vlad Gozman, um einige österreichische Proponenten zu nennen.

Sogar bei den Grünen hat nun Jung, Knackig, Männlich gesiegt. Ein Julian Schmid hat wohl dieselbe Idee von Bewegung im Kopf wie ein Jesse Klaver in den Niederlanden.

Was allen gemein ist, ist die mutige Eroberungsmentalität, die bei Männern seit Anbeginn der Menschheit als bevorzugtes Charaktermerkmal gilt und die allein sie in den Alpharang zu erheben vermag. Sie setzen sich mit der so typisch männlichen "Ich kann das"-Mentalität über bisher geltende Grenzen hinweg, und alle jubeln ihnen zu, ja, manchmal hat man das Gefühl, einen leicht orgasmischen Seufzer gerade bei den weiblichen Anhängern zu hören.

Cool und locker

Die Mehrheit ist tatsächlich jung, die andere macht auf jung, um den Anschluss nicht ganz zu verlieren. Je cooler, je lockerer, je lässiger desto besser. Je (slim-)fitter, je ausdrucksstärker, je scheiß-draufiger, desto erfolgreicher. Dabei entsteht diese neue Respektlosigkeit nicht auf dem Boden von Ahnungslosigkeit und Ungebildetheit, sondern ist ganz im Gegenteil der Ausdruck einer neuen Abgehobenheit, die sich den Anstrich von Bodennähe gibt.

Und sogar das Kinderwagenschieben wird nun cool. Der Papamonat ist Ausdruck der neuen Freiheit des Mannes. Er trägt seine kleine Kopie mit Lässigkeit am starken, bevorzugterweise tätowierten Arm, in der anderen Hand das Smartphone am Ohr. Daheim kocht er natürlich und trägt auch den Mist raus – jetzt ist es nämlich er, der alles kann. Und wenn der moderne Paps die Sprösslinge im Kindergarten abliefert, dann stehen die immer noch mehrheitlich weiblichen Betreuerinnen (das Gehalt ist nach wie vor zu niedrig) am Empfang und haben den Rest des Tages ein vortreffliches Gesprächsthema.

Voll im Trend

Das Interessante dabei ist nicht, dass es die Männer wieder einmal geschafft haben, voll im Trend der Zeit zu liegen, sich neu zu erfinden und neues Terrain zu erobern, sondern dass es die Frauen bisher nie geschafft haben, sich neu zu erfinden und dafür überhaupt – ganz zu schweigen von angemessen – bewundert zu werden.

Oder wer kennt sie, die coole Vorzeigefrau – Unternehmerin oder Politikerin -, die außerdem eine lässige Mutter ist und ihren Haushalt mit links schaukelt? Der man bewundernd nachraunt, wenn sie die Kids im Kindergarten abliefert und als Chefin durch die Bürotür tritt? Ist da nicht immer diese karrieregeile Verbissenheit, die ihr jegliche Lässigkeit nimmt, die sie unweiblich macht, und wenn sie schon erotisch ist, na dann hat sie doch sicher den horizontalen Aufzug genommen? Hat man jemals den Frauen zugejubelt, weil sie ehemals männliche Domänen für sich erobert haben?

Grenzerweiterung

Ich kann mich nicht erinnern. Jeden Schritt der persönlichen Grenzerweiterung haben sich Frauen hart erkämpft, und nie gab es Bewunderung dafür – weder von Frauen noch Männern.

Ach? Sie entgegnen, es gäbe doch wohl auch Frauen unter den Start-ups? Ja, natürlich – so lange sie jung, cool und frei sein können, sozusagen die kinderlose, penislose, bebuste Version der Männlichkeit, dann dürfen sie mitspielen.

Und außerdem, entgegnen Sie, die neuen Männer an der Macht sind allesamt Frauenförderer? Na wenigstens das. Ohne sie würden Frauen wohl wirklich nirgends hinkommen.

Die Frage stellt sich – und ich gebe zu, sie ist provokant: Ist die Frau vielleicht tatsächlich nur ein Anhängsel des Mannes? Oder wo ist sie, die weibliche Version von Zukunft, Aufbruch und Bewegung?

Wo sind sie, die weiblichen Hoffnungsträger? 

Martina Gleissenebner-Teskey ist Trainerin, Autorin und Coach, arbeitet seit 1996 zum Thema Charisma. -

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