aus Der Standard, Wien, 14. Juli 2017, 15:58
Frauen – und die neue
Welle der Männlichkeit
Die Männer erfinden sich neu und erobern neues Terrain. Die Frauen haben
es bisher nie geschafft, sich neu zu erfinden und dafür überhaupt –
ganz zu schweigen von angemessen – bewundert zu werden
von Martina Gleissenebner-Teskey
Merken Sie das auch? Wann immer es um Aufbruch, Zukunft, Bewegung geht,
dann blickt uns das männliche Antlitz eines Hoffnungsträgers entgegen:
in der Politik in seiner glatt rasierten, Maßanzug-verpackten Version –
in der mit Hoffnung beladenen Start-up-Welt in seiner nur scheinbar
entfesselten, bobogestylten, gern sich auch mit akkurat gestutztem
Vollbart demonstrierenden Version.
Hier Emmanuel Macron und Justin Trudeau und auf der nationalen Bühne
Sebastian Kurz und, ja, warum nicht, auch ein Christian Kern, auch wenn
er eigentlich schon fast zu alt für den Trend ist.
Liebkinder
Dort die neuen Liebkinder und Hoffnungsträger der Start-up-Szene mit
ihren merkwürdigen Exemplaren vom Typ Daniel Cronin, Ali Mahlodji oder
Vlad Gozman, um einige österreichische Proponenten zu nennen.
Sogar bei den Grünen hat nun Jung, Knackig, Männlich gesiegt. Ein Julian
Schmid hat wohl dieselbe Idee von Bewegung im Kopf wie ein Jesse Klaver
in den Niederlanden.
Was allen gemein ist, ist die mutige Eroberungsmentalität, die bei
Männern seit Anbeginn der Menschheit als bevorzugtes Charaktermerkmal
gilt und die allein sie in den Alpharang zu erheben vermag. Sie setzen
sich mit der so typisch männlichen "Ich kann das"-Mentalität über bisher
geltende Grenzen hinweg, und alle jubeln ihnen zu, ja, manchmal hat man
das Gefühl, einen leicht orgasmischen Seufzer gerade bei den weiblichen
Anhängern zu hören.
Cool und locker
Die Mehrheit ist tatsächlich jung, die andere macht auf jung, um den
Anschluss nicht ganz zu verlieren. Je cooler, je lockerer, je lässiger
desto besser. Je (slim-)fitter, je ausdrucksstärker, je
scheiß-draufiger, desto erfolgreicher. Dabei entsteht diese neue
Respektlosigkeit nicht auf dem Boden von Ahnungslosigkeit und
Ungebildetheit, sondern ist ganz im Gegenteil der Ausdruck einer neuen
Abgehobenheit, die sich den Anstrich von Bodennähe gibt.
Und sogar das Kinderwagenschieben wird nun cool. Der Papamonat ist
Ausdruck der neuen Freiheit des Mannes. Er trägt seine kleine Kopie mit
Lässigkeit am starken, bevorzugterweise tätowierten Arm, in der anderen
Hand das Smartphone am Ohr. Daheim kocht er natürlich und trägt auch den
Mist raus – jetzt ist es nämlich er, der alles kann. Und wenn der
moderne Paps die Sprösslinge im Kindergarten abliefert, dann stehen die
immer noch mehrheitlich weiblichen Betreuerinnen (das Gehalt ist nach
wie vor zu niedrig) am Empfang und haben den Rest des Tages ein
vortreffliches Gesprächsthema.
Voll im Trend
Das Interessante dabei ist nicht, dass es die Männer wieder einmal
geschafft haben, voll im Trend der Zeit zu liegen, sich neu zu erfinden
und neues Terrain zu erobern, sondern dass es die Frauen bisher nie
geschafft haben, sich neu zu erfinden und dafür überhaupt – ganz zu
schweigen von angemessen – bewundert zu werden.
Oder wer kennt sie, die coole Vorzeigefrau – Unternehmerin oder
Politikerin -, die außerdem eine lässige Mutter ist und ihren Haushalt
mit links schaukelt? Der man bewundernd nachraunt, wenn sie die Kids im
Kindergarten abliefert und als Chefin durch die Bürotür tritt? Ist da
nicht immer diese karrieregeile Verbissenheit, die ihr jegliche
Lässigkeit nimmt, die sie unweiblich macht, und wenn sie schon erotisch
ist, na dann hat sie doch sicher den horizontalen Aufzug genommen? Hat
man jemals den Frauen zugejubelt, weil sie ehemals männliche Domänen für
sich erobert haben?
Grenzerweiterung
Ich kann mich nicht erinnern. Jeden Schritt der persönlichen
Grenzerweiterung haben sich Frauen hart erkämpft, und nie gab es
Bewunderung dafür – weder von Frauen noch Männern.
Ach? Sie entgegnen, es gäbe doch wohl auch Frauen unter den Start-ups?
Ja, natürlich – so lange sie jung, cool und frei sein können, sozusagen
die kinderlose, penislose, bebuste Version der Männlichkeit, dann dürfen
sie mitspielen.
Und außerdem, entgegnen Sie, die neuen Männer an der Macht sind allesamt
Frauenförderer? Na wenigstens das. Ohne sie würden Frauen wohl wirklich
nirgends hinkommen.
Die Frage stellt sich – und ich gebe zu, sie ist provokant: Ist die Frau
vielleicht tatsächlich nur ein Anhängsel des Mannes? Oder wo ist sie,
die weibliche Version von Zukunft, Aufbruch und Bewegung?
Wo sind sie, die weiblichen Hoffnungsträger?
Martina Gleissenebner-Teskey ist Trainerin, Autorin und Coach, arbeitet
seit 1996 zum Thema Charisma. -
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