Mittwoch, 4. Juni 2014

Die Rückkehr der Väter.

e. o. plauen
aus Badische Zeitung, 28. 5. 2014
 
Die Wiedergeburt der Väter
Soziologie und Pädagogik entdecken die Bedeutung der Vaters in der Erziehung neu.

von bz

Die Bilder sind hinlänglich bekannt: Trinkfreudige Männerfreunde, die am Vatertag mit Bollewagen und Bier durch die Natur ziehen und es sich wohlseinlassen – ganz ohne Kind und Kegel. Diese abwesenden Väter aber sind auch Sinnbild eines überkommen Rollenverständnisses und pädagogisch kontraproduktiv. Der Soziologe Walter Hollstein* macht sich anlässlich des Vatertags morgen Gedanken über ein moderneres Verständnis der Vaterrolle.

Väter haben seit den späten sechziger Jahren keine gute Presse mehr. Die englische Autorin Maureen Green formulierte zeitsymptomatisch: "Ein toter Vater ist Rücksicht in höchster Vollendung". Im deutschsprachigen Raum kursierte das böse Wort, dass nur ein toter Vater ein guter Vater ist. Auch wissenschaftlich verbrämt wurde die vaterlose Familie gefeiert – die Mutter-Sohn-, Mutter-Tochter-Beziehung, ohne Mann und ergo auch ohne Gewalt, Tyrannei und Missbrauch. Ein exemplarisches Beispiel dafür ist die Arbeit von Anita Heiliger "Alleinerziehen als Befreiung. Mutter-Kind-Familien als positive Sozialisationsformen und als gesellschaftliche Chance" .

Dass diese Idylle nicht stimmt, wissen wir inzwischen. Alle neueren Untersuchungen dokumentieren, dass häusliche Gewalt zwischen den Geschlechtern gleich verteilt ist. Söhne werden übrigens von ihren Müttern häufiger körperlich gezüchtigt als von ihren Vätern. Jean-Paul Sartre ist ohne Vater aufgewachsen. Er schreibt: "Ich war ein Waisenkind ohne Vater. Da ich niemandes Sohn war, wurde ich meine eigene Ursache". Der Bub Sartre beschäftigt sich nachgerade zwanghaft mit dem Tod, auch mit dem eigenen Verschwinden aus dieser Welt. Solche frühkindliche Tragik findet sich in den Werken vieler Schriftsteller, Franz Kafka wäre ein anderes berühmtes Beispiel; im deutschsprachigen Raum haben etwa Peter Härtling, Manfred Bieler, Heinrich Wiesner oder Christoph Meckel davon Zeugnis abgelegt.

Doch die Dramen müssen nicht literarisch sein; sie sind auch ganz alltäglich. Ein absenter Vater ist – so weiß die Therapeutik – eine lebenslange Quelle von Traurigkeit, Ärger, Verbitterung und Scham. Ein Sohn braucht seinen Vater, damit er sinnvoll Mann werden kann. Ohne Vater tritt er in ein Leben, für das er nur unzureichend ausgestattet ist. Er weiß dann nur über Surrogate, wie ein Mann ist, arbeitet, liebt und Sinn in seinem Tun findet. Ein Junge benötigt die Gewissheit, einen kompetenten Vater zu haben, um selber das nötige Vertrauen in seine Zukunft als Mann entwickeln zu können. Die Tiefenpsychologin Marga Kreckel bringt es bündig auf den Begriff: "Bleibt der Vater für den Sohn das unbekannte Wesen, so bleibt der Sohn auch sich selbst fremd".


Vater-Präsenz ist ein Schlüssel für eine gesunde Entwicklung

Die amerikanischen Jungen-Therapeuten Dan Kindlon und Michael Thompson berichten, dass es wenig gäbe, was einen erwachsenen Mann zu Tränen rühre. Männer könnten in Therapien recht gefasst über gescheiterte Ehen sprechen, über missratene Kinder, über Karriere-Knicks, Bankrott oder Krankheiten. Wenn sie dann aber einmal weinten, dann weinten sie ganz heftig über das, was sie mit ihren Vätern nicht oder zu wenig erleben durften. Wir wissen empirisch mehr als auch schon; so kennen wir inzwischen die folgende Gesetzlichkeit: Es gibt einen klaren Zusammenhang von Vater-Präsenz und gesunder Entwicklung des Sohnes auf der einen Seite und von Vater-Absenz und der hohen Gefahr von Scheitern auf der anderen; zum Spektrum dieses Scheiterns gehören innere Verwahrlosung, Sucht, Kriminalität, Gewalt, Depression und Suizid der allein gelassenen Söhne.

Auf dem 2. Wissenschaftlichen Männerkongress an der Heinrich-Heine-Universität zu Düsseldorf berichtete Robert Schlack vom Robert-Koch-Institut, dass Jungen aus geschiedenen Beziehungen im Gegensatz zu ihren Altersgefährten aus intakten Familien mehr Risikoverhalten, mehr psychosomatische Probleme, mehr psychische Auffälligkeiten und weniger verfügbare Schutzfaktoren aufweisen als Kinder aus Kernfamilien mit beiden leiblichen Eltern. Konkret heißt das: sehr viel häufiger Übergewicht, doppelt so hohe Raucherquoten, dreimal so häufig Schlafstörungen, doppelt so häufig emotionale Probleme, soziale Probleme mit Gleichaltrigen und Hyperaktivitätsprobleme. Jungen, die ohne Vater aufwachsen, haben auch später noch ein erhöhtes Depressionsrisiko; die zweithäufigste Todesursache von Jungen ist der Suizid, wobei sich Jungen signifikant häufiger selber umbringen als Mädchen.

Nun scheinen wir ja auf einem besseren Weg zu sein als die Generationen vor uns. Zeitgenössische Väter beteiligen sich signifikant mehr an Kindererziehung und Hausarbeit als ihre eigenen Väter. Das Sorgerecht wird sukzessive novelliert, so dass auch Väterrechte gestärkt werden. Das politische Angebot der Väterzeit wird immer mehr genutzt. Väter werden auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung wieder zu einer festen Größe.

* Der Autor wurde 1939 in Osnabrück geboren, wuchs in Deutschland und der Schweiz auf und promovierte an der Uni Basel. Danach arbeitete er zunächs als Journalist und war von 1971 an Professor für politische Soziologie an der Evangelischen Hochschule Berlin-Dahlem und danach bis 2006 an der Universität Bremen. Er hat sich vor allem mit Arbeiten zur Alternativbewegung und zur Männerforschung einen Namen gemacht und lebt seit 2007 als freier Autor in Riehen.

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