Sonntag, 5. Januar 2014

Die Fron des Mannes hat eine eigne Topographie.

aus Die Presse, Wien, 27. 12. 2013

Gebirge bringt Sex bis zum Selbstmord und Treue bis zum Grab 
Auch Geografie und Topologie bestimmen mit darüber, wie Tiere ihr Leben gestalten und wie sie sich reproduzieren. In größerer Seehöhe kopulieren die Männchen von Beutelratten sich zu Tode, Spatzenväter hingegen sorgen besser für die Brut.


Semelparitie oder Iteroparitie? Und wenn Letztere, dann Polygamie oder Monogamie? Und wenn Letztere, dann Treue oder Fremdgehen? Da sind die Koordination der vielfältigen Weisen der Reproduktion und auch der nicht sexuellen Triebkräfte dahinter: Semelparitie – „semel“ (lat.) heißt „einmal“, „pario“ „zeugen“ – bedeutet, dass Mitglieder einer Art ein einziges Mal im Leben heiraten. Dann investieren sie ihre ganze Energie, dann sterben sie. Bekanntestes Beispiel sind die Lachse: Sie ziehen zur Hochzeit die Flüsse hinauf und werden als Kadaver hinuntergeschwemmt. 

Viele Tiere halten es so, bei Säugetieren (und Vögeln) allerdings ist es gegen die Art: Sie reproduzieren sich langsam und in geringer Zahl, und dann muss noch die Brut versorgt werden. Deshalb praktizieren sie Iteropartie: Sie mehren sich alle Jahre wieder, oder ein paar Mal im Jahr. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Bei Beutelratten in Australien und Südamerika herrscht Semelparitie, natürlich nur unter den Männchen. Wenn die Zeit kommt, dann kopulieren sie und kopulieren sie, mit so vielen Weibchen wie möglich und so lange wie möglich – ein Akt kann sich über acht Stunden hinziehen, und so geht es tagelang. Am Ende sind sie so erschöpft bzw. ihr Immunsystem ist es, dass sie bald tot umfallen.

 Bemerkt wurde das Phänomen 1954, in den Sechzigern bekam es auch einen treffenden Namen – „Big Bang“ –, aber was dahinter steckt, das hat erst Diana Fisher (University of Queensland) jetzt erhellt (Pnas, 110, S. 17910). Sie hat Unterarten der Beutelratten und ihre Lebensräume verglichen. 

„Big Bang“ der Sexmaschinen 

Gemeinsam ist allen, dass sie Jäger sind – sie ernähren sich von Insekten –, und dass es nur eine Paarungszeit im Jahr gibt. Die Weibchen synchronisieren sich miteinander, sie werden alle zur gleichen Zeit bereit. Dann sind die Männchen es auch. Aber nicht überall fordert ihr selbstmörderischer Sex gleich viele Opfer, die Zahlen ändern sich mit der Geografie und der Topologie: Je höher in den Bergen die Beutelratten hausen und je näher am Pol, desto mehr Männchen sterben. Denn die Weibchen richten ihre bereite Zeit so ein, dass sie dann kommt, wenn Futter da ist, wenn die Insekten schwärmen. Das ist jedes Jahr zu absehbar gleichen Zeiten. Aber je kälter es ist – je höher im Gebirge, je näher am Pol –, desto kürzer ist das Zeitfenster, und die Jungen müssen bei Beuteltieren nach der Geburt lange versorgt werden.

Das hat im Zuge der Evolution die Männchen in Sexmaschinen verwandelt, sie haben etwa extrem große Penisse und produzieren extrem viel Sperma. Mit beidem kämpfen sie gegen die Konkurrenz, und sie tun das generell nicht vor der Kopulation – wie etwa die Hirsche das tun –, sie tun es danach. Sie kämpfen nicht um die Weibchen, sie kämpfen in ihnen: Spermienkonkurrenz. Die Weibchen können Sperma tagelang einlagern, und am Ende können in einem Wurf von acht Jungen vier verschiedene Väter stecken. So schlagen Geografie und Topologie auf die Lebensplanung und den Sex durch.

 Nicht nur so: Große Höhe kann auch Treue befördern. Das hat Frances Bonier (Kingston, Kanada) an Tieren bemerkt, die man lange für besonders treu hielt: an Sperlingsvögeln. „Über 90 Prozent aller Subfamilien leben monogam. Polyandrie ist unbekannt.“ Das stand noch 1969 in einem maßgeblichen Review. Und wenn man die Spatzen beobachtet, sieht ja auch alles danach aus: Sie sind zu zweit.

Aber dann kam die Molekularbiologie und sah in den Genen der Jungen nach: Es ist exakt umgekehrt, das Spatzenleben sieht nur so traut aus. Bei 86 Prozent aller Subfamilien wird jede Gelegenheit zum Seitensprung genutzt, zumindest unten im Tal. Oben auf den Bergen ist es anders, das zeigt der Vergleich von Sperlinsfamilien, die unten und oben leben: Steigende Seehöhe bringt engere Bande (American Naturalist, November 2013). 

Brutpflege? Gern! Bei eigenen Jungen! 

Denn bei den Spatzen werden die Jungen anders aufgezogen als bei den Beutelratten. Bei ihnen sind nicht nur die Mütter zuständig, die Väter tun bei der Brutpflege mit. Sie investieren viel, aber nur dann, wenn sie sicher sind, dass die Jungen wirklich ihre eigenen sind. Deshalb springen die Weibchen im Gebirge weniger zur Seite, und die Männchen finden weniger Gelegenheit dazu.

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