Samstag, 7. September 2013

Testosteron macht uns freundlich.


aus: NZZonline, 6. 12. 09

Volksglaube beeinflusst das Verhalten
Testosteron macht Menschen nicht unbedingt aggressiv und selbstsüchtig, wie es oft behauptet wird. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Forschern der Universität Zürich. Das Sexualhormon mit dem schlechten Ruf kann sogar faires Verhalten fördern.  

lsl./(sda) Seit Jahrzehnten wird dem Geschlechtshormon Testosteron eine Rolle zugeschrieben, die für Aggressivität steht. Die Forschung schien dies zu bestätigen: Die Kastration männlicher Nagetiere führt zum Beispiel dazu, dass die Streitlust der Tiere abnimmt. Zudem zeigten Studien, dass männliche Häftlinge, die wegen Vergewaltigung, Mord oder bewaffneten Raubüberfall verurteilt worden waren, in ihrem Speichel höhere Testosteron-Werte aufwiesen. Jene mit hohen Werten waren ausserdem häufiger an Konfrontationen mit anderen Häftlingen beteiligt und verstiessen öfter gegen die Gefängnisregeln. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie mit weiblichen Häftlingen.

Alternative Erklärung 

Eine alternative Erklärung zur gesteigerten Aggressivität ist aber, dass Testosteron ein nach Anerkennung und höherem Status trachtendes Verhalten fördert. Diese Hypothese wollten die Forscher der Universität Zürich und dem Royal Holloway London mit ihrer im Wissenschaftsmagazin «Nature» erschienen Studie überprüfen.

In ihrer Untersuchung nahmen rund 120 weibliche Versuchspersonen am sogenannten Ultimatum-Spiel teil. Dabei macht eine Person A einer Person B jeweils ein Angebot zur Aufteilung eines realen Geldbetrags. Die Person B kann ihn akzeptieren, dann dürfen beide ihren Anteil behalten, wenn sie aber ablehnt ist das Geld für beide verloren. Je fairer der Vorschlag, desto wahrscheinlicher ist es, dass B akzeptiert. So haben beide ein Interesse an einem fairen Angebot.

Vor dem Spiel erhielten die Versuchspersonen entweder eine Dosis Testosteron oder ein Scheinpräparat verabreicht. Laut den Forschern wäre zu erwarten, dass die Probandinnen mit Testosteron eine aggressive, selbstbezogene und riskante Strategie wählen, ungeachtet der möglichen negativen Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess. Doch das Experiment zeigte das Gegenteil

 Fairer mit Testosteron 

Frauen mit künstlich erhöhtem Testosteronspiegel machten fairere Angebote als jene, die Scheinpräparate erhielten: Sie boten im Durchschnitt 3,9 Geldeinheiten von insgesamt 10, im Vergleich zu 3,4. Die Forscher interpretieren dies damit, dass sie das Risiko einer Zurückweisung durch die Verhandlungspartnerin mindern wollten. Was der Antrieb der Spieler war, wurde allerdings nicht untersucht.

Aufgrund ihrer Schlussfolgerung vermuten die Forscher jedoch, dass Testosteron nicht die Aggressivität, sondern das Statusbewusstsein erhöht. Dies würde auch eine Erklärung für das aggressive Verhalten der Nager erklären: Bei Arten mit einfachem Sozialsystem kann sich erhöhtes Bewusstsein für den eigenen Status durchaus in Aggressivität ausdrücken.

Wahrscheinlich sei es nicht das Testosteron selbst, das Fairness fördere oder aggressiv mache, sondern das Zusammenspiel zwischen dem Hormon und der sozialen Umfeld, vermutet Michael Naef von der Royal Holloway London. So kann aggressives Verhalten im Gefängnis durchaus den Status erhöhen. 

Vorurteil macht unfair 

Die Studie zeigte zudem, dass der Volksglaube, Testosteron mache aggressiv, offenbar tief sitzt: Die Forscher fragten nämlich die Probandinnen auch, ob sie annahmen, eher Testosteron oder ein Scheinpräparat erhalten zu haben. Jene, die glaubten, Testosteron bekommen zu haben, fielen durch äusserst unfaire Angebote auf.

Laut den Forschern benutzten diese Personen möglicherweise den Volksglauben als Legitimation, um sich unfair zu verhalten. «Es scheint, dass nicht Testosteron selbst zu Aggressivität verleitet, sondern vielmehr der Mythos rund um das Hormon», wird Michael Naef im Communiqué zitiert.





aus Spektrum der Wissenschaft, Februar 2010

Fair durch Testosteron
Testosteron führt zu aggressivem und riskantem Verhalten – so ein weit verbreiteter Glaube. Nach Ansicht mancher Forscher weckt das männliche Sexualhormonallerdings nur das Bestreben, den eigenen Status zu verbessern, wobei Draufgängertum durchaus nützlich sein kann. Doch auch Fairness eignet sich dazu, mehr Ansehen und damit eine höhere soziale Stellung zu gewinnen. 

In einem Verhaltensexperiment ließen Christoph Eisenegger von der Universität Zürich und Kollegen 121 weibliche Testpersonen um Geld feilschen. Der Hälfte von ihnen verabreichten sie 0,5 Milligramm Testosteron, den anderen Placebos. An dem Versuch nahmen nur Frauen teil, weil der Zeitverlauf der neurophysiologischen Effekte des Hormons bei ihnen sehr viel besser bekannt ist als bei Männern. Jede Probandin durfte mehrmals entscheiden, wie viel von einem ihr geliehenen Geldbetrag sie an eine jeweils wechselnde zweite Versuchsperson abgab. Nur wenn diese das Angebot annahm, erhielten beide das Geld. Im Fall einer Ablehnung drohte außerdem ein sozialer Konflikt mit Statusverlust. 

Überraschend zeigten sich jene Frauen, die Testosteron erhalten hatten, im Durchschnitt großzüger. Sie riskierten es offenbar nicht, durch unfaire, egoistische Angebote ihren Status zu gefährden. Unsozial verhielten sich stattdessen die Personen, die glaubten, ihnen sei das Hormon verabreicht worden, ohne dass dies wirklich der Fall war. Sie bestätigten das Vorurteil gegenüber Testosteron voll und ganz. Nicht die Substanz selbst ist also der Übeltäter, sondern ihr schlechter Ruf.  

Nature, Online-Vorabveröffentlichung



 
From The Times, December 9, 2009

‘Testosterone’s aggressive impact is a myth.
 It makes you friendlier.’


By Mark Henderson, Science Editor


It is popularly known as the selfish hormone, which courses through male veins to promote egotistical and antisocial behaviour. Yet research has suggested that testosterone’s bad reputation is largely undeserved.

Far from always increasing aggression and greed, the male hormone can actually encourage decency and fair play, scientists have discovered.

The common belief that it makes people quarrelsome, however, can cause it to have that effect. When people think they have been given supplements of the hormone they tend to act more aggressively, even though it does nothing biological to promote such behaviour.

The findings, from an Anglo-Swiss team, suggest that rather than encouraging selfishness and risk-taking as a matter of course, testosterone has subtler effects on human behaviour that depend very much on social circumstances.

The research also highlights the importance of social expectations and prejudices on the placebo effect: these can cause testosterone to influence people’s actions according to its reputation, rather than its biological effect.

“It appears that it is not testosterone itself that induces aggressiveness, but rather the myth surrounding the hormone,” said Michael Naef, of Royal Holloway, University of London, an author of the study.

“In a society where qualities and manners of behaviour are increasingly traced to biological causes and thereby partly legitimated, this should make us sit up and take notice.”

The popular belief that testosterone promotes aggression is founded in animal research: castrated male rodents, for example, become less combative. In humans, studies of male prisoners have found that those with higher testosterone levels are more likely to have committed a violent crime, to rebel against prison rules and get into fights.

Some scientists, however, have questioned whether the male hormone contributes directly to antisocial behaviour. The alternative view is that testosterone makes people more anxious to seek high status. This can, in different circumstances, promote either hostile or co-operative behaviour.

The study, which is published in the journal Nature, sought to test this using a common psychological exercise known as the ultimatum game. In this game, a player is given a sum of money, say £10, to share with a second player, offering as much or as little as he or she wants.

If the offer is accepted, the pot is distributed that way, but if it is refused, neither player gets any cash. Players who are very aggressive, offering just £2 or £3, stand to benefit financially, but also risk coming away with nothing.

Before playing the game, a group of 60 women was given either a testosterone supplement or a placebo. “We wanted to verify how the hormone affects social behaviour,” said Christoph Eisenegger, of the University of Zurich. “If one were to believe the common opinion, we would expect subjects who received testosterone to adopt aggressive, egocentric, and risky strategies – regardless of the possibly negative consequences on the negotiation process.”

The subjects who were given testosterone supplements in fact made much fairer offers in the ultimatum game than those given a placebo, suggesting that the hormone does not promote aggression in these circumstances, but co-operation.

“The preconception that testosterone only causes aggressive or egoistic behaviour in humans is thus clearly refuted,” Dr Eisenegger said.

The only exception was when participants guessed that they had been given testosterone and not the placebo. In these cases, they made more aggressive offers.

“Subjects who believed that they received testosterone — regardless of whether they received it or not — behaved much more unfairly than those who believed that they were treated with a placebo,” the researchers wrote. The results support the idea that testosterone promotes status-seeking, and that this can encourage or discourage aggression depending on the circumstances. In the ultimatum game, an unfair offer risks damaging a person’s status and reputation if it is rejected, so co-operative strategies are favoured. But in situations of conflict, as in prisons, a more aggressive and risky strategy may pay off.

“In the socially complex human environment, pro-social behaviour secures status, and not aggression,” Dr Naef said. “The interplay between testosterone and the socially differentiated environment of humans, and not testosterone itself, probably causes fair or aggressive behaviour.”






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