aus: NZZonline, 6. 12. 09
Volksglaube beeinflusst das Verhalten
Testosteron
macht Menschen nicht unbedingt aggressiv und selbstsüchtig, wie es oft
behauptet wird. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Forschern der
Universität Zürich. Das Sexualhormon mit dem schlechten Ruf kann sogar
faires Verhalten fördern.
lsl./(sda) Seit Jahrzehnten wird dem Geschlechtshormon Testosteron eine Rolle zugeschrieben, die für Aggressivität steht. Die Forschung schien dies zu bestätigen: Die Kastration männlicher Nagetiere führt zum Beispiel dazu, dass die Streitlust der Tiere abnimmt. Zudem zeigten Studien, dass männliche Häftlinge, die wegen Vergewaltigung, Mord oder bewaffneten Raubüberfall verurteilt worden waren, in ihrem Speichel höhere Testosteron-Werte aufwiesen. Jene mit hohen Werten waren ausserdem häufiger an Konfrontationen mit anderen Häftlingen beteiligt und verstiessen öfter gegen die Gefängnisregeln. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie mit weiblichen Häftlingen.
Alternative Erklärung
Eine alternative Erklärung zur gesteigerten Aggressivität ist aber, dass Testosteron ein nach Anerkennung und höherem Status trachtendes Verhalten fördert. Diese Hypothese wollten die Forscher der Universität Zürich und dem Royal Holloway London mit ihrer im Wissenschaftsmagazin «Nature» erschienen Studie überprüfen.
In ihrer Untersuchung nahmen rund 120 weibliche Versuchspersonen am sogenannten Ultimatum-Spiel teil. Dabei macht eine Person A einer Person B jeweils ein Angebot zur Aufteilung eines realen Geldbetrags. Die Person B kann ihn akzeptieren, dann dürfen beide ihren Anteil behalten, wenn sie aber ablehnt ist das Geld für beide verloren. Je fairer der Vorschlag, desto wahrscheinlicher ist es, dass B akzeptiert. So haben beide ein Interesse an einem fairen Angebot.
Vor dem Spiel erhielten die Versuchspersonen entweder eine Dosis Testosteron oder ein Scheinpräparat verabreicht. Laut den Forschern wäre zu erwarten, dass die Probandinnen mit Testosteron eine aggressive, selbstbezogene und riskante Strategie wählen, ungeachtet der möglichen negativen Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess. Doch das Experiment zeigte das Gegenteil
Fairer mit Testosteron
Frauen mit künstlich erhöhtem Testosteronspiegel machten fairere Angebote als jene, die Scheinpräparate erhielten: Sie boten im Durchschnitt 3,9 Geldeinheiten von insgesamt 10, im Vergleich zu 3,4. Die Forscher interpretieren dies damit, dass sie das Risiko einer Zurückweisung durch die Verhandlungspartnerin mindern wollten. Was der Antrieb der Spieler war, wurde allerdings nicht untersucht.
Aufgrund ihrer Schlussfolgerung vermuten die Forscher jedoch, dass Testosteron nicht die Aggressivität, sondern das Statusbewusstsein erhöht. Dies würde auch eine Erklärung für das aggressive Verhalten der Nager erklären: Bei Arten mit einfachem Sozialsystem kann sich erhöhtes Bewusstsein für den eigenen Status durchaus in Aggressivität ausdrücken.
Wahrscheinlich sei es nicht das Testosteron selbst, das Fairness fördere oder aggressiv mache, sondern das Zusammenspiel zwischen dem Hormon und der sozialen Umfeld, vermutet Michael Naef von der Royal Holloway London. So kann aggressives Verhalten im Gefängnis durchaus den Status erhöhen.
Vorurteil macht unfair
Die Studie zeigte zudem, dass der Volksglaube, Testosteron mache aggressiv, offenbar tief sitzt: Die Forscher fragten nämlich die Probandinnen auch, ob sie annahmen, eher Testosteron oder ein Scheinpräparat erhalten zu haben. Jene, die glaubten, Testosteron bekommen zu haben, fielen durch äusserst unfaire Angebote auf.
Laut den Forschern benutzten diese Personen möglicherweise den Volksglauben als Legitimation, um sich unfair zu verhalten. «Es scheint, dass nicht Testosteron selbst zu Aggressivität verleitet, sondern vielmehr der Mythos rund um das Hormon», wird Michael Naef im Communiqué zitiert.
aus Spektrum der Wissenschaft, Februar 2010
Fair durch Testosteron
Testosteron
führt zu aggressivem und riskantem Verhalten – so ein weit
verbreiteter Glaube. Nach Ansicht mancher Forscher weckt das männliche
Sexualhormonallerdings nur das Bestreben, den
eigenen Status zu verbessern, wobei
Draufgängertum durchaus nützlich sein
kann. Doch auch Fairness eignet sich dazu,
mehr Ansehen und damit eine höhere
soziale Stellung zu gewinnen. In einem Verhaltensexperiment ließen Christoph Eisenegger von der Universität Zürich und Kollegen 121 weibliche Testpersonen um Geld feilschen. Der Hälfte von ihnen verabreichten sie 0,5 Milligramm Testosteron, den anderen Placebos. An dem Versuch nahmen nur Frauen teil, weil der Zeitverlauf der neurophysiologischen Effekte des Hormons bei ihnen sehr viel besser bekannt ist als bei Männern. Jede Probandin durfte mehrmals entscheiden, wie viel von einem ihr geliehenen Geldbetrag sie an eine jeweils wechselnde zweite Versuchsperson abgab. Nur wenn diese das Angebot annahm, erhielten beide das Geld. Im Fall einer Ablehnung drohte außerdem ein sozialer Konflikt mit Statusverlust.
Überraschend zeigten sich jene Frauen, die Testosteron erhalten hatten, im Durchschnitt großzüger. Sie riskierten es offenbar nicht, durch unfaire, egoistische Angebote ihren Status zu gefährden. Unsozial verhielten sich stattdessen die Personen, die glaubten, ihnen sei das Hormon verabreicht worden, ohne dass dies wirklich der Fall war. Sie bestätigten das Vorurteil gegenüber Testosteron voll und ganz. Nicht die Substanz selbst ist also der Übeltäter, sondern ihr schlechter Ruf.
Nature, Online-Vorabveröffentlichung
From The Times, December 9, 2009
‘Testosterone’s aggressive impact is a myth.
It makes you friendlier.’
By Mark Henderson, Science Editor
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