Sonntag, 22. September 2013

Das starke Geschlecht in der Antike.

aus Badische Zeitung, 21. 9. 2013                                     Weingefäß, Athen, um 550 v.Chr.


Prächtige Burschen 
"Das starke Geschlecht in der Antike": Eine Ausstellung im Basler Antikenmuseum.

von Martin Halter

Der Mann darf heute schon mal Staub saugen, weinen und Schwäche zeigen, ohne seine Würde zu verlieren, und diese Aufweichung der alten Rollenbilder verunsichert ihn bekanntlich. Im alten Athen war noch klar, wann der Mann ein Mann war: Wenn er mit Trinkbecher, Flöte und Kurzschwert umgehen konnte, beim Opfer im Tempel, beim Sport im Stadion, bei der politischen Debatte auf dem Marktplatz und natürlich im Krieg seinen Mann stand. Er durfte vor Troja in heilige Raserei fallen oder sich in Olympia mit Stierblut dopen, und niemand nahm Anstoß, wenn sich pädophile Erzieher an Knaben vergriffen. Aber Homosexualität unter Erwachsenen war verpönt, und Heulsusen und Feiglinge wurden geächtet, verbannt oder noch härter bestraft.


Das Basler Antikenmuseum konfrontiert in seiner neuen Ausstellung "Wann ist man ein Mann? Das starke Geschlecht in der Antike" Mannsbilder aus der Zeit zwischen 550 bis 330 v. Chr. mit zeitgenössischen Vorstellungen von Männlichkeit. Eine auf den Boden gemalte Rennbahn führt augenzwinkernd durch einen Parcours von gut siebzig Exponaten: Vasen, Skulpturen, Waffen, Sportgeräte, Grabsteine – von der Wiege bis zur Bahre, vom Raufen und bacchantischen Saufen der Jugend bis zum Friedhof. Lockiges Langhaar galt als unmännlich, der Bart als Zeichen des Alters: In einem schönen Körper wohnte ein gesunder Geist, der sich durch Stärke, Tapferkeit, Selbstbeherrschung, Tugend und Zeugungskraft auszeichnete und Bürgersinn über private Selbstverwirklichung oder gar eheliche Liebe stellte.

Das Antikenmuseum will schon seit einiger Zeit die Antike vom Kothurn holen und näher an uns heran rücken; so wurde zuletzt in der Ausstellung "Sex, Drugs und Leierspiel" Athen als dionysisches Hippieparadies inszeniert. Der neue Direktor Andrea Bignasca und seine Kuratorin Ella van der Meijden treiben dieses Konzept jetzt noch weiter voran – und schießen dabei manchmal doch übers museumspädagogisch ehrenwerte Ziel hinaus. So stehen neben den erwartbaren Porträtbüsten, Statuen und Torsi unvermittelt und fast unkommentiert Objekte aus dem heutigen Männeralltag wie Ritalin und Viagra, Lenkrad, Windeln und Hanteln. Die Absicht ist klar: Die Playstation-Generation soll die Männer Athens nicht als entrückte Halbgötter aus Marmor und Gips wahrnehmen, sondern als "prächtige Burschen" wie du und ich, als Zeitgenossen und Leidensgefährten.

Das Beiprogramm umfasst neben klassischen Vorträgen und Kindernachmittagen auch Sparringskämpfe mit dem Basler Schwergewichtler Arnold "The Cobra" Gjergjaj und lokalen Faust- und Ringkämpferinnen, eine Abendführung "nur für Damen" und das eher postfeministische Angebot "Wir backen einen Traummann". In einer Parallelausstellung in der Skulpturhalle gibt es viel schwellende Muskeln und nackte Gemächte zum Thema Sportsmänner zu sehen. In der Sonderausstellung "Enthousiasmos" im Obergeschoss lässt die holländische Modefotografin Brigitte Vincken kraftstrotzendes Fleisch auf kalten Marmor, vergängliche auf unsterbliche Männlichkeit treffen, aber die innige Umarmung von nackten Modellathleten und antiken Kunstwerken erinnert dann doch eher an erotischen Kitsch à la Helmut Newton und Gunter Sachs als an Herakles und Theseus.

Antikenmuseum Basel, St. Alban-Graben 5, und Skulpturhalle Basel, Mittlere Str. 17. Bis 30. März, Di bis So 10–17 Uhr. In der Skulpturhalle: Sa, So 11–17 Uhr. 

Sie feierten, bildeten Körper und Geist, kämpften und politisierten – doch wer waren diese griechischen Supermänner? Weinschale (Kylix) aus Athen; Ton; um 470 v. Chr.
aus TagesWoche, Basel                                                         Weinschale (Kylix) aus Athen; Ton; um 470 v. Chr.

6.9.2013, 16:01 Uhr  

Das Antikenmuseum Basel stellt in einer Ausstellung den antiken griechischen Mann auf die Probe. Und richtet die Frage, was ein Mann sei, damit auch an uns. Die Antike spitzt scheinbar das allzu vertraute Ideal des machoiden Alleskönners noch zu. Doch irgendwas war anders. 

Von  

 Zunächst die schlechte Nachricht: Es gibt aus der Antike nichts Neues. Mit dem Titel «Wann ist man ein Mann?» bietet die Ausstellung im Antikenmuseum Basel und in der Skulpturenhalle an, unsere Konzepte von Männlichkeit zu überdenken – wie haben die’s damals gemacht? Etwas Zustupf für die Diskussion können wir tatsächlich gebrauchen.


Wir haben androgyne Models und die gleichgeschlechtliche Ehe, wir haben engagierte Väter und Prominente ohne dickes Auto, wir haben David Bowie und Bradley Manning. Das mag wohl sein, aber das Bild des muskulösen, erfolgreichen, unabhängigen Mannes ist dadurch nicht getrübt. Und die Griechen? Viel mehr noch! Ein Mann musste schön sein, sportlich, intellektuell und sich am besten noch Ruhm erkämpfen. So der erste Eindruck. 

Homoerotik angesehen und erwünscht

Die Ausstellung führt das Leben eines griechischen Mannes vor, wie er es im 6. bis 4. Jahrhundert vor Christus idealerweise durchlaufen hat. Durch Skulpturen und bemalte Vasen werden die Stationen seines Weges erzählt: Sowie er kein Kleinkind mehr ist, folgt der griechische Racker anderen Bestimmungen als seine Schwestern. Schon jetzt hat er ungleich mehr Freiheiten, doch auch mehr Anforderungen werden an ihn gestellt. Der Bub lernt Musik machen, schreiben, rechnen (Schwesterchen lernt derweil haushalten) und treibt im gymnasion Sport.


Dies geschah damals nackt und eignete sich daher als Jagdgrund: Erwachsene Bürger schauten sich auf den Sportplätzen nach Jünglingen um und boten sich ihnen als Liebhaber und Mentoren an. Diese Form der Homoerotik war in der Antike angesehen und erwünscht. Ohne vorhergehendes Liebesspiel, so war man überzeugt, kommt die Lehre nicht weit.
 
Was uns abgeht: das Sinngefüge

Der Kenner bringt dieses Wissen mit. Schemenhaft gehört es auch zur Allgemeinbildung. In der Ausstellung ist man allerdings weitgehend seinen Eindrücken überlassen. Kurze Übersichtstexte führen in die jeweilige Lebenslage des Mannes ein. Doch die Beschriftungen der Exponate nehmen sich viel Freiheit und sind wenig informativ, dafür charmant.

Eine Silbermünze mit eingeprägtem Pferdegespann wird zum Beispiel so erläutert: «Auf dem 4-Ps-Boliden zum Sieg». Lovely. Als Ergänzung bekommt der Besucher aber ein Buch mitgegeben, das die Exponate erläutert und sich als prägnante Kulturgeschichte der alten Griechen entpuppt. Der Band ist so toll und kompetent gemacht, man will ihn auf dem Sofa lesen und danach aufbewahren.

 
Kampf und Ruhm

Beim Lesen zeigen sich die Bezüge, die zwischen den mannigfaltigen Anforderungen an den werdenden Mann bestehen. Damit entsteht ein umfassendes Sinngefüge. Liebe und Lehre hängen zusammen aber auch Liebe und Kampf. Kampf ist die höchste Tätigkeit und Ruhm das höchste Gut. Doch die ethischen Skills als Bürger zählen nicht weniger und genauso die politische Arbeit an der Gemeinschaft.

Die Bildung des Geistes ist wertlos ohne die Bildung des wohlgestalten Körpers – aber auch umgekehrt. In dieser Durchdringung der Werte findet sich wieder, was Westeuropa seit der Renaissance in Atem gehalten hat: Mass, Balance, Gemeinschaft. Dieser umfassende Blick ist der Neuzeit abhanden gekommen. Wir teilen die Werte der Antike, doch uns fehlt das Gefüge. Wir sind Spezialisten und wissen nicht warum. 

Gegenwartsbezug etwas holzschnittartig

Die Verherrlichung der Antike, aber auch ihre Vertrautheit haben sich verflüchtigt. Die Auseinandersetzung mit ihr ist in den akademischen Raum abgewandert und hat dort Staub angesetzt. Andrea Bignasca ist seit einem Jahr Direktor im Antikenmuseum Basel und hat sich vorgenommen, die klassische Ausstellungskultur aufzumischen. Er will die Antike als Geschichte erzählen und damit Fragen an die Gegenwart richten.

 
Zugegeben: Der Versuch der Ausstellenden, den Bezug zur heutigen Männlichkeit herzustellen, ist etwas platt. In sterilen Vitrinen stehen Giletterasierer neben Viagrapackungen. Staubsauger und Windel veranschaulichen den weichen und verantwortungsvollen Mann von heute. Na gut. Sein Vorhaben ist dem Rektor und seinen Kuratoren (federführend Ella van der Meijden) trotzdem gelungen: Sie erzählen die Antike als Geschichte der Männlichkeit.

Das kommt auch den Kunstwerken zugute: Man betrachtet sie nicht als Kunst, sondern taucht durch sie in eine Lebenswelt ein. Klafter werden ihnen damit von den Schultern genommen. Und nebenbei bemerkt man, was für ein fantastisches Stück man gerade vor Augen hat. 

Nota. 

Man kann streiten, ob es richtig gewesen wäre, die kultisch-aristokratische Knabenliebe, die in den dorischen Staaten Griechenlands eine öffentlich etablierte Institution war und in dem von der Ausstellung dokumentierten Zeitraum ihre Blüte hatte, in den Mittelpunkt einer solchen Ausstellung zu rücken. Aber wenn ein professioneller Besucher der Ausstellung zu einer Formulierung gelangt wie "niemand nahm Anstoß, wenn sich pädophile Erzieher an Knaben vergriffen", dann können die Gewichte dort nicht stimmen. Es war andersrum, die von Stadt und Familie anerkannten Liebhaber wurden zu den Erziehern der Knaben, in Sparta sogar zu deren Vormündern. Und auch das Wort Homo- erotik ist ganz fehl am Platz. Denn in dem päderastischen Verhältnis stand nicht die Gleichheit der beiden im Vordergrund, sondern ihre Ungleichheit: Wie anders hätte der Ältere den Jüngeren sonst zum Mann erziehen können? Was sie verband, war nicht das Geschlecht selbst, sondern ihre gemeinsame Bestimmung zur aretê - das, was an der Männlichkeit die Tugend ausmacht und von den Römern mit virtus übersetzt wurde; und eben der Eros. Homosexualität im Wortsinn war allerdings verpönt.

Das dorische Sparta war übrigens auch einer der ganz wenigen griechischen Staate, in denen auch die Mädchen eine sorgfältige Erziehung erfuhren; freilich ohne männliche Liebhaber.
J.E.

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