aus Süddeutsche.de, 13. September 2013 17:45 Heidi K.
Die Lehrerin Heidi K. hat sich die Vergewaltigung durch einen
Kollegen nach Ansicht des Landgerichts Darmstadt nur ausgedacht. Fünf
Jahre lang saß der unschuldige Mann im Gefängnis. Nun muss Heidi K.
selbst hinter Gitter. Nicht lang genug, wie manche meinen.
Von Hans Holzhaider, Darmstadt
Fünf Jahre und sechs Monate Haft für Heidi K. wegen
Freiheitsberaubung - "das war keine einfache Entscheidung", sagt die
Vorsitzende Richterin Barbara Bunk am Freitag. Die 15. Große Strafkammer
am Landgericht Darmstadt ist zu der Überzeugung gekommen, dass die
heute 48-jährige Lehrerin
gelogen hat, als sie vor zwölf Jahren ihren Kollegen Horst Arnold
beschuldigte, er habe sie während einer Unterrichtspause
anal vergewaltigt.
Fünf Jahre saß Horst Arnold, der die Tat immer bestritten hat,
dafür im Gefängnis. Weitere fünf Jahre kämpfte er um seine
Rehabilitierung, bis er im Juni 2011 in einem Wiederaufnahmeverfahren
freigesprochen wurde. Ein Jahr später starb er an den Folgen eines
Herzinfarkts. "Die Justiz würde sich gerne bei Herrn Arnold
entschuldigen", sagt die Richterin, "aber diese Entschuldigung können
wir jetzt nur noch an die Hinterbliebenen richten, die all die Jahre
mitgelitten haben." Arnolds Mutter, die die Urteilsverkündung
miterlebte, sagt: "Es bringt mir meinen Sohn nicht wieder, aber es ist
eine große Genugtuung." Ob sie das Urteil als gerecht empfinde? "Ich
hätte ihr mehr gewünscht", sagt Helga Arnold.
Was hat sich wirklich zugetragen an jenem 28. August in einem
Biologie-Vorbereitungsraum der Georg-August-Zinn-Schule im hessischen
Reichelsheim? Nach Überzeugung des Gerichts war es so: Horst Arnold kam
in den Raum und überraschte Heidi K. dabei, wie sie in seinen Unterlagen
stöberte. Er herrschte sie an, sie verließ den Raum. "Sie war verärgert
über die Zurechtweisung und fürchtete, er könnte den Vorfall
weitererzählen", sagt Richterin Bunk. Sie beschwerte sich über ihn -
"wir gehen davon aus, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht an eine
anale Vergewaltigung denkt". Aber die Reaktion der Kolleginnen
ermutigt sie. Idealopfer mit Alkoholproblem
Horst Arnold ist nicht sehr beliebt, man weiß, dass er ein
Alkoholproblem hat, dass er, wenn er getrunken hat, auch gelegentlich
verbal aggressiv ist. "Sie merkt: Er ist ein Idealopfer. Ihr wird
geglaubt, niemand zweifelt. Und so baut sie ihre Geschichte immer weiter
aus." Bis sie endlich, in der Endfassung, ihren Kollegen beschuldigt,
er habe sie brutal gegen den Tisch gedrängt, ihr den Mund zugehalten,
sie vergewaltigt und mit dem Tod bedroht, falls sie etwas verrate. Um
das zu untermauern, habe sie sich schließlich auch selbst Verletzungen
beigebracht - Kratzer und blaue Flecken am Bauch sowie einen kleinen
Einriss der Afterschleimhaut.
Welche Beweise hat das Gericht für diesen Ablauf? "Objektive
Beweise gibt es nicht", räumt die Richterin ein - Heidi K. hat die
Kleidung, die sie bei der behaupteten Tat trug, vernichtet. Es seien
"Mosaiksteinchen", die das Gericht von der Schuld der Angeklagten
überzeugt hätten.
Zunächst die widersprüchlichen Angaben über den Tathergang: Bei
der ersten Vernehmung sagte Heidi K., sie habe geschrien, später gab sie
an, sie habe nicht schreien können, weil der Täter ihr mit dem Unterarm
die Luft abgedrückt habe. "Bei einem solchen Vorgang bekommt man
Todesangst", sagt die Richterin, "das wird nicht einfach vergessen." Als
Nächstes: die Behauptung, sie habe nach der Tat einen "Blackout" gehabt
und könne sich nicht daran erinnern, unmittelbar nach der
Vergewaltigung zwei Unterrichtsstunden gehalten zu haben. "Das kann so
nicht gewesen sein. Das ist eine ganz klare Lüge und spricht dafür, dass
die Vergewaltigung nicht stattgefunden hat", sagt die Richterin. Schließlich die Verletzung am After. Zwei Ärztinnen hatten sie
nicht entdeckt, und Heidi K. hatte bei der Untersuchung auch nicht über Schmerzen
geklagt. Erst drei Wochen später, als sie sich zu einer neuerlichen
Untersuchung ins Krankenhaus begibt, ist die Analfissur plötzlich da,
und Heidi K. hat solche Schmerzen, dass die Untersuchung unter
Vollnarkose durchgeführt werden muss. "Das lässt nur den Schluss zu:
Unmittelbar nach der Tat gab es keine Analfissur", sagt Richterin Bunk.
Und das Motiv? "Ein Motiv im eigentlichen Sinn fehlt", sagt die
Richterin. "Das ist das Erschreckende: Sie braucht keinen spezifischen
Grund. Es ist eher eine Reaktion, aus einer momentanen Verärgerung, aus
Furcht vor eventuellen üblen Nachreden." Erklärbar sei das nur aus der
Persönlichkeit der Angeklagten: ihrem übersteigerten Geltungsbedürfnis,
ihrem Streben nach Anerkennung und Mitgefühl, ihrem Hang zur
Dramatisierung, der sich ja auch schon in der Vielzahl erfundener
Geschichten niedergeschlagen hat, die sie im Lauf der Jahre
verbreitet hatte.
Ihre Richterkollegen, die Horst Arnold vor elf Jahren verurteilt
haben, nimmt Bunk in Schutz. "Wir haben heute einen ganz anderen
Wissensstand als die Kammer damals", sagt sie. Die damaligen
Zeugenaussagen hätten ein völlig anderes Bild von Horst Arnold und Heidi
K. ergeben. Auch bei sorgfältiger Verhandlung könnten Richter durch
Falschaussagen getäuscht werden. "Dass falsche Urteile im Rechtsstaat
nicht auszuschließen sind", so die Richterin, "das ist einfach so."
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