aus derStandard.at, 6. Juni 2021 Bis zu fünf Prozent der Patientinnen und Patienten, die mit Verdacht auf Herzinfarkt in die Notaufnahme kommen, leiden eigentlich am Broken-Heart-Syndrom
Täuschend ähnlich, aber doch kein Herzinfarkt – auch wenn die Symptome und die erhöhten Troponin-Mengen im Blut, ein Marker für Herzinfarkt-typische Herzmuskelschäden, sowie ein auffälliges Elektrokardiogramm (EKG) zunächst genau dies andeuten.
Erst eine Untersuchung der Herzkranzgefäße mit Katheter und Kontrastmittel zeigt, dass die Gefäße frei durchgängig sind und auch keine Überbleibsel eines Blutgerinnsels zu sehen sind – folglich kein Herzinfarkt stattgefunden hat. Aber trotzdem ist das Broken-Heart-Syndrom ganz und gar nicht harmlos: Die Herzmuskulatur, die die Herzwand bildet, ist geschwächt und die Pumpleistung des Herzens verringert.
Zumeist pumpt die gesamte Vorderwand der linken Herzkammer inklusive Herzspitze gar nicht. Es ist, als wenn dieser Teil des Herzens in eine Winterstarre gefallen wäre. Die der Herz-spitze gegenüberliegende Herzbasis pumpt dagegen wie verrückt. Die linke Herzkammer gleicht dann an der Spitze einem Ballon – der Hals bleibt schmal.
Etwa drei bis fünf Prozent aller Patientinnen und Patienten, die mit Verdacht auf Herzinfarkt in die Notaufnahme kommen, haben das Broken-Heart-Syndrom. Meist tritt der Herzinfarkt-Doppelgänger unmittelbar nach persönlich großen emotionalen oder körperlichen Krisen auf. Liebeskummer, Trauer, eine niederschmetternde medizinische Diagnose, Mobbing am Arbeits-platz, aber auch ein größerer Lottogewinn können ebenso wie eine Operation oder ein Asth-maanfall das Syndrom triggern. In neun von zehn Fällen sind Frauen betroffen. Die Trigger sind schon länger bekannt, aber was steckt ursächlich hinter dem Syndrom?
Seit ein paar Jahren ist bekannt, dass offenbar bestimmte Gehirnregionen des limbischen Sy-stems beteiligt sind. Wie US-Mediziner des Massachusetts General Hospital in Boston nun feststellten, spielt die Amygdala (Corpora amygdaloideum) eine maßgebliche Rolle. Die Amyg-dala, auch als Mandelkern bekannt, verarbeitet und bewertet Eindrücke, gilt als Angst- und Stresszentrum des Gehirns und wirkt indirekt auf das vegetative Nervensystem ein. Wie sind die Forscher vorgegangen?
Für ihre Fall-Kontrollstudie
setzten die Forscher um Ahmed Tawakol ein spezielles bildge-bendes
Verfahren ein, das radioaktiv markierte Glukose verwendet: die
Positronen-Emissions-Tomografie (PET). Nervenzellen mit einem
gesteigerten Energiebedarf haben einen erhöhten Glukoseverbrauch. Die
PET misst nun genau diesen Glukosebedarf. Es zeigte sich, dass die
Nervenzellen in der Amygdala von Patientinnen und Patienten mit
Broken-Heart-Syndrom vermehrt Glukose aufgenommen hatten und ihre
Aktivität folglich gesteigert war – lange be-vor es zu den Herzproblemen
kam.
"Eine höhere Aktivität in diesen stressassoziierten Gehirnzentren deutet an, dass der Betrof-fene verstärkt auf Stress reagiert", so der Seniorautor Tawakol. Eine erhöhte Aktivität in der Amygdala könnte, so vermuten die Forscherinnen und Forscher, demnach die mögliche Ent-wicklung eines nachfolgenden Broken-Heart Syndroms andeuten. Sie verglichen zuvor die PET-Aufnahmen der Fall- und der Kontrollgruppe. Dazu verwendeten die Forscherinnen und Forscher die PET-Scans von 41 Personen, bei denen diese Scans durchschnittlich 2,5 Jahre vor einem Broken-Heart-Ereignis aus anderen Gründen durchgeführt wurden. Die Kontrollgrup-pe bildeten 63 Personen, die kein Broken-Heart-Ereignis hatten, ansonsten aber den Patienten ähnlich waren.
Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer mit der höchsten Aktivität des Mandelkerns er-litten tatsächlich bereits innerhalb eines Jahres nach Durchführung des PET-Scans ein Broken-Heart-Syndrom. War die Aktivität dagegen geringer, entwickelte sich das Syndrom später. Die Forscherinnen und Forscher vermuten deshalb, dass bei den Betroffenen eine chronische Stresssituation vorlag, die die Amygdala veranlasste, dauerhaft auf das Herz einwirkende Stresshormone freizusetzen. Dies hat wohl das Herz vorbelastet.
Tritt dann eine akute Stresssituation auf, wie zum Beispiel ein schwerer Knochenbruch oder der Tod eines geliebten Menschen, könnte dies die plötzliche Bewegungsstörung der Herz-wand auslösen. Der Herzmuskel kann sich wieder ganz erholen und die Erkrankung innerhalb von ein bis drei Monaten vollständig ausheilen – vorausgesetzt, die Betroffenen überstehen die Akutphase, die genauso bedrohlich sein kann wie bei einem richtigen Herzinfarkt. Etwa zehn Prozent der Patientinnen und Patienten versterben während der akuten Phase im Kranken-haus.
Besonders hoch ist das Risiko, wenn ein kardiogener Schock auftritt, ausgelöst durch ein Pumpversagen des Herzens bzw. eines Teilabschnitts des Herzens, weil dann lebenswichtige Organe nicht ausreichend durchblutet werden. Ist physischer Stress – Angst spielt sicherlich auch eine Rolle – wie eine Operation oder eine Asthmaattacke der Trigger für das Syndrom, dann ist das Sterberisiko während der akuten Phase und auch danach höher.
Etwa fünf bis zehn Prozent der Patientinnen und Patienten haben zudem nach überstandener Akutphase noch jahrelang ein erhöhtes Risiko für einen Rückfall. Für sie bieten die Erkennt-nisse aus dieser Studie einen Hoffnungsschimmer. Tawakol hofft nämlich, dass es mit Medi-kamenten möglich wird, die stressassoziierte Gehirnaktivität zu verringern. "Studien sollten überprüfen, ob es auf diese Weise gelingt, das Risiko für ein erneutes Broken-Heart-Syndrom zu verringern", sagt Tawakol.
Nota. - "In neun von zehn Fällen sind Frauen
betroffen." - Wo bleibt Ihr Aufschrei, Frau Felix: Wer hat denn da wieder versagt? "Da muss mann doch endlich was machen!"
JE
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