Freitag, 9. April 2021

Wird Gendern zum akademischen Standard?


aus FAZ.NET, 8. 4. 2021

Wenn die Genderdebatte Punkte kostet
Weil er Frauen in einem wissenschaftlichen Text nur mitgemeint, aber nicht direkt angesprochen hatte, bekam ein Student der Uni Kassel Punktabzug. Ein Interview über das Gendern und die Debattenkultur an Unis.

Die Uni Kassel spricht sich auf ihrer Website für die Verwendung gendergerechter Sprache aus und bezeichnet das generische Maskulinum als ungeeignet, Geschlechtergerechtigkeit auszu-drücken. Dozenten könnten, so heißt es, selbst entscheiden, ob sie das Gendern zum Bewer-tungskriterium bei Prüfungsleistungen machen, dies müsse jedoch transparent angekündigt werden. Von solch einem Fall hat jetzt die Hessische/Niedersächsische Allgemeine berichtet: Bereits im Wintersemester 2018/19 waren einem Studenten Punkte abgezogen worden, weil er in einer Studienleistung keine gendergerechte Sprache verwendet hatte. Die Hochschule hat in einer Stellungnahme reagiert und darauf hingewiesen, dass solche Punktabzüge nur unter spe-zifischen Voraussetzungen gestattet sind. Bisher habe es über diese Praxis keine Beschwerden gegeben; der Universitätsleitung sei der Fall nur aus den Medien bekannt.

Wir haben mit dem betroffenen Studenten gesprochen.

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Ihnen sollen in einer Studienleistung Punkte abgezogen worden sein, weil Sie das generische Maskulinum verwendet haben. Stimmt das?

Lukas Honemann: Ich musste im Wintersemester 2018/19 im ersten Modul des bildungs- und gesellschaftswissenschaftlichen Kernstudiums ein Portfolio abgeben, das drei Aufgaben umfasste, die wissenschaftlichen Charakter hatten. Ich habe meine erste Aufgabe eingereicht und Punktabzug dafür erhalten, dass ich das generische Maskulinum verwendet habe. Bei den folgenden Aufgaben habe ich mich dem Ganzen gebeugt und gegendert, um diesem Punktabzug zu entgehen.

Wie entscheidend war der Punktabzug?

Lukas Honemann, 20 Jahre alt, studiert im sechsten Semester Germanistik, Geschichte, Politik und Wirtschaft auf Gymnasiallehramt an der Universität Kassel.
Lukas Honemann, 20 Jahre alt, studiert im sechsten Semester Germanistik, Geschichte, Politik und Wirtschaft auf Gymnasiallehramt an der Universität Kassel.

Wir haben ein Notensystem von null bis fünfzehn Punkten wie in der Oberstufe und ich habe einen Punkt verloren, weil ich nicht gegendert habe. Ich bin dadurch dem Durchfallen aber nicht nahegekommen.

Gab es eine Begründung für den Punktabzug bei der ersten Abgabe?

Der Modulkurs liegt schon etwas zurück, aber ich meine, dass mir begründet wurde, das sei an der Universität Kassel Konsens und der akademische Stand, deswegen solle gegendert werden.

Auf der Website der Uni Kassel heißt es, Lehrbeauftragten stehe es frei, die Verwendung gendergerechter Sprache als Bewertungskriterium anzuführen. Das solle aber frühzeitig angekündigt und transparent gemacht werden. War das bei Ihnen der Fall?

Es kann sein, dass das bei mir selber etwas untergegangen ist und ich das damals nicht mitbekommen habe. Ich weiß aber, dass das mittlerweile in der gleichen Vorlesung groß angekündigt wird. Hier wird gedroht, dass der Verzicht auf genderneutrale Sprache ein Grund sein kann durchzufallen. Bei vielen Dozenten, die selbst gendern, wird das aber auch einfach vorausgesetzt und gilt als Konsens.

Nachdem Sie von Ihrem Punktabzug erfahren haben, haben Sie sich dem Gendern also gefügt?

Richtig. Nachdem ich beim ersten Teil des Portfolios Punktabzug bekommen hatte, habe ich mit der Tutorin gesprochen und seitdem gegendert, weil ich keine andere Wahl gesehen habe. Ich war damals achtzehn Jahre alt und wusste nicht, was ich gegen eine solche Vorgabe von „der Autorität“ tun soll. Das soll kein persönlicher Feldzug gegen die Tutorin sein, ganz im Gegenteil. Die Thematik ist wieder hochgekommen, weil das eben auch Thema bei den Hochschulwahlen ist und politisch angegangen wird. Die Verpflichtung zum Gendern stößt mehreren Leuten auf.

Werden Sie in Zukunft weiterhin gendern?

Ich bin mir selber noch nicht ganz sicher. Ich würde am liebsten einfach so schreiben, wie es das deutsche Sprachsystem vorsieht. Ich bin mir aber sicher, dass das zu Punktabzug führen kann. Um Diskussionen, Ärger und schlechteren Noten aus dem Weg zu gehen, werde ich mich dem Gendern fügen. An dieser Stelle würde ich das Gendern gerne mit Fußnoten vergleichen. Zitieren in Fußnoten ist schon seit vielen Jahren der akademische Konsens. Seitdem das ausdiskutiert wurde, zitiert man, zumindest im Fach Geschichte, in Fußnoten, so wie man im Fach Politik eben mit der Harvard-Zitierweise arbeitet. Im Gegensatz zu Fußnoten ist das Gendern aber noch kein breiter akademischer und gesellschaftlicher Konsens. Dementsprechend kann man aus meiner Sicht die Zitation in Fußnoten bewerten, gendergerechte Sprache aber nicht.

An der Uni Kassel gibt es ja auch keine einheitliche Regelung zur Verwendung gendergerechter Sprache. Die Dozenten können selbst entscheiden, ob das für sie ein Bewertungskriterium ist.

Das ist richtig, zum Beispiel wird in der Alten Geschichte gar nicht gegendert, so wie ich das aufgefasst habe. Aber in den Politikwissenschaften wird das Gendern in den meisten Fällen vorausgesetzt.

Der Verein Deutsche Sprache, der den Punktabzug kritisiert, wird in einem Medienbericht damit zitiert, einen Prozess bis zum Bundesverfassungsgericht finanzieren zu wollen, sollte gegen den Punktabzug geklagt werden. Haben Sie das vor?

Auch da bin ich mir nicht sicher, aber ich gehe eher von „Nein“ aus, weil die Leistung schon länger zurückliegt und nicht in meine Staatsexamen eingeht. Dementsprechend habe ich keinen schwerwiegenden Nachteil erfahren. Ich weiß nicht, wie sich das in der Zukunft weiterentwickelt, aber ich gehe momentan eher von „Nein“ aus als von „Ja“.

In einem Zeitungsartikel, in dem Sie zitiert wurden, sagten Sie, das Gendern dürfe kein politischer Akt sein. Was meinen Sie damit?

Je nachdem, welchen Politikbegriff man verwendet, kann nahezu alles als politischer Akt gewertet werden. Weil das Gendern politisch umstritten ist und es eine Diskussion darum gibt, ist es noch nicht allgemeiner Konsens. So lange verhandelt wird, ist es, würde ich sagen, ein politischer Akt, sich bei der Bewertung auf die eine oder die andere Seite zu stellen. Das Interessante ist, dass gerade an der Uni Kassel, die ja eher dem linken Spektrum zuzurechnen ist, viel über Enthierarchisierung und die Demontage von Autorität gesprochen wird. Interessant ist hierbei, dass das von „linken Kräften“ propagierte Gendersternchen eben über Autorität an die Studenten herangetragen wird. Das finde ich problematisch.

Sollten Universitäten bei der Verwendung geschlechtergerechter Sprache nicht mit gutem Beispiel vorangehen?

Das ist ja gerade die Frage, ob es ein gutes Beispiel ist. In England ist es so, wenn ich mich nicht irre, dass viele Frauen nicht gesondert angesprochen werden wollen, weil sie sich dann in eine Sonderrolle gedrängt fühlen. Außerdem macht es das Gendern mit Sternchen oder Unterstrich Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche schwieriger, Texte zu lesen. Deswegen weiß ich nicht, ob das Gendern der richtige Weg ist. Ich möchte hier betonen, dass es keine Debatte über Gleichberechtigung ist. Was die Gleichberechtigung angeht, muss noch einiges getan werden und da sind wir auch, würde ich sagen, zum Beispiel im Vergleich mit den Achtzigerjahren auf Rückschritten, soweit ich mich da auf empirische Daten stützen kann. Hier geht es aber um Schreibweisen. Da ist die Frage, ob es wirklich Diskriminierung abbaut, wenn ich einen Stern oder ein -In benutze. Natürlich steht dahinter die Theorie, dass über Sprache das Denken verändert wird, aber ob das hier zum Tragen kommt, da bin ich mir nicht sicher. Ob es ein gutes Beispiel ist, bleibt zu diskutieren, aber Universitäten sollten natürlich mit einem Beispiel vorangehen und durchaus Ideen entwickeln, die dann für die Gesamtgesellschaft nützlich sein können. Besonders die Nützlichkeit der Notenvergabe auf das Gendern stelle ich in Frage.

Und wie kommt das Gendern als Bewertungskriterium bei den Studierenden an?

Die Universität ist ja ein Stückweit ein Querschnitt der Bevölkerung. Da ist es zum Beispiel so, dass das Gendern in manchen Kreisen abgelehnt wird. Aber aufgrund der Notenvergabe, die dahintersteht, wird sich natürlich niemand dazu durchringen, das nicht zu tun. Gleichzeitig gibt es auf der anderen Seite eher links ausgerichtete Studenten, die das Ganze umsetzen, begrüßen und auch einfordern. Die Studentenschaft ist bei diesem Thema, wie auch die Gesamtgesellschaft, zerstritten. Hier möchte ich noch anführen, dass derzeit ein offener Brief an der Uni Kassel herumgeht, in dem sich Leute gegen das Gendern und die Benotung des Genderns aussprechen. Ich selber habe diesen Brief nicht unterzeichnet, weil ich nicht möchte, dass der Anschein entsteht, ich hätte ihn ins Leben gerufen. Aber ich begrüße es, dass sich in der Studentenschaft etwas regt.

Inwieweit wird das Thema „Gendern“ im Studierendenparlament thematisiert?

Es wird nicht thematisiert. Es ist da gar kein Thema.

In einer Stellungnahme der Uni Kassel heißt es, der Punktabzug wegen Genderverzichts müsse voll transparent und von wissenschaftlicher Relevanz für das Thema sein. Was sagen Sie dazu?

Die wissenschaftliche Relevanz dürfte nur in wenigen Fällen gegeben sein. Ich vermute, die wissenschaftliche Relevanz des Genderns geht davon aus, dass das Gendern als Konsens betrachtet wird. Zur Transparenz würde ich sagen, es ist meistens so, dass unterstellt wird, etwas sei bekannt. Dazu kommt, dass man es in Seminaren auch oft mit einer linken Hegemonie zu tun hat. Das heißt, dass man da in einer Diskussion auch wenig erreichen wird. Am Ende ist es so, das ist wieder die Sache mit der Hierarchie, dass die Dozenten die Noten geben. Man möchte natürlich nicht negativ auffallen oder gar als verstaubt gelten und eine schlechtere Beziehung mit einem Dozenten riskieren. Man merkt es ja auch, wenn Dozenten beim Sprechen gendern und beispielsweise bewusst Pausen setzen. Da weiß man, wie die Leute eingestellt sind. 

Schränkt die Angst, schlechtere Noten zu bekommen, also die Debattenkultur zum Thema Gendern ein?

Ja. Diese Genderdebatte ist relativ symptomatisch für die linke Diskussionskultur. Ich würde hier von einer moralischen Problematik sprechen. Im Namen des Progressivseins wird relativ schnell jede pragmatische Position verdrängt. Es wird eben gesagt das Gendern sei im Sinne der Antidiskriminierung. Ich glaube, das ist das Kernproblem, das dahintersteht, dass davon ausgegangen wird, man liege moralisch richtig, weil es im Sinne der Gleichberechtigung und im Sinne der Antidiskriminierung ist. Deswegen gibt es da eigentlich auch kaum Diskussion. Ich habe jetzt schon Furcht, dass Interviews, die ich gebe innerhalb der Universität negativ auf mich zurückfallen können.

Die Fragen stellte Gina Arzdorf

Lukas Honemann ist 20 Jahre alt und studiert im sechsten Semester Germanistik, Geschichte, Politik und Wirtschaft auf Gymnasiallehramt. Er ist Mitglied der Jungen Union und seit 2020 Geschäftsführer der CDU-Kreistagsfraktion Kassel-Land.

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