aus Badische Zeitung, 21. 4. 2021
Von Claudia Füßler
BZ: Frau Roßmanith, warum braucht es ein Buch über Frauen als Täterinnen?
Roßmanith: Weil es zwar stimmt, dass Frauen
in sehr geringer Anzahl Gewalttaten und in noch geringerer Zahl
Sexualstraftaten begehen, diese aber dennoch in der Betrachtung des
Ganzen meist fehlen. Die Rolle der Frau als Opfer ist im
gesellschaftlichen Blickwinkel nahezu einzementiert. Man traut Frauen
Gewalttaten kaum zu und hört selten etwas von häuslicher Gewalt, die von
Frauen verübt wird. Männer hingegen haben keinen Opferstatus, und wenn
ein Mann wirklich mal anzeigt, dass eine Frau ihm gegenüber gewalttätig
geworden ist, dann wird er als Loser wahrgenommen. Es stimmt, die
Mehrheit der Frauen ist Opfer. Aber die Gesellschaft macht daraus ein
immer. Das entspricht nicht der Realität.
BZ: Wie sieht die denn aus?
Roßmanith: Etwa zwölf bis 15 Prozent der
Gewalttaten werden von Frauen verübt, weltweit sind weniger als fünf
Prozent der Amoktäter weiblich. Häufig wird davon ausgegangen, dass
Gewalt von Frauen nur reaktiv ist. Das ist allerdings nicht meine
Erfahrung. Frauen sind nicht bessere Menschen als Männer, bei ihnen
greifen nur andere Mechanismen. Wir sind Meisterinnen der destruktiven
verbalen und emotionalen Gewalt. Doch dass Frauen Täterinnen sein
können, können sich nur wenige vorstellen, da überwiegt das
Gute-Mutter-Stereotyp. Diese Schattenecke wollte ich ausleuchten.
Sachlich, wertfrei, ohne zu verurteilen. Ich sage einfach: Das gibt es
auch. Das kann ich nur als Frau machen, und nur als eine, die schon
Jahrzehnte an Erfahrung hat und nichts mehr werden möchte.
BZ: Weil das Thema angreifbar macht?
Roßmanith: Mir ist schon vieles unterstellt
worden, ich bin quasi die Verräterin, die Frauen an den Pranger stellt.
Der Anteil von Frauen als Täterinnen sei doch vernichtend klein, wird
mir oft entgegengehalten. Ja. Aber es gehört hingeschaut. Ich habe ja
bei mir selbst gemerkt, wie stark das Tabu in diesem Bereich wirkt
BZ: Können Sie das näher erläutern?
Roßmanith: Ich habe eine Mutter begutachtet,
die ihr Kind gewalttätig misshandelt hat. Sie war gleichzeitig aber
auch eine Sexualstraftäterin, die ihre kleine Tochter nicht nur vom
Partner missbrauchen ließ, sondern sie selbst, zu Strafzwecken, mit dem
Finger vaginal penetriert hat. Als erfahrene Psychiaterin habe ich beim
ersten Begutachtungstermin vergessen, nach dem Sexualdelikt zu fragen.
Das hat mich im Nachhinein erschreckt. Offenbar habe ich selbst das
Tabuthema ausgeklammert. Das wollte ich ändern, indem ich bewusst den
Blick darauf lenke. Auch um andere wachzurütteln.
BZ: Es wird ja oft angenommen, die Hemmschwelle zur Gewalt liege bei Frauen höher als bei Männern. Ist dem so?
Roßmanith: Die Schwelle, die überschritten
werden muss, um jemanden zu töten, ist üblicherweise enorm hoch – bei
Männern und Frauen. Bei beiden entfaltet das Gefühl, gekränkt worden zu
sein, eine enorme Sprengkraft, die zu Gewalttaten führen kann. In der
gesellschaftlichen Wahrnehmung hingegen fällt das Töten Männern
leichter, Frauen töten immer nur aus gravierenden Gründen. Und es gibt
noch etwas Eigentümliches: Der Begriff der traumatisierten Frau ist gang
und gäbe. Es kommt vor, dass ein Täter oder eine Täterin etwas
Traumatisches erlebt hat, was vielleicht dazu beigetragen hat, dass er
oder sie die Tat begangen hat. Männer haben kein Opfergefühl, sie führen
so etwas nie an, während Frauen oft von sich aus sagen: Ich bin
traumatisiert, sonst wäre das nicht passiert.
BZ: Das kann ja durchaus stimmen.
Roßmanith: Natürlich. Es gibt sicher einen
gewissen Anteil von Frauen, die ihr halbes Leben lang geprügelt werden.
Die prügeln dann einmal zurück und es wird daraus irgendwann ein
Tötungsdelikt. Auf die Diskussion "Aber Frauen wehren sich ja nur, weil
sie unterdrückt werden" lasse ich mich aber nicht ein. Es kommt vor,
aber generell genommen ist es zu kurz gedacht. Es wird dem Spektrum an
Taten und Täterinnen nicht gerecht.
BZ: Inwieweit spiegelt sich diese Wahrnehmung von Frauen als Täterinnen in Gerichtsurteilen wider?
Roßmanith: Gerichten wurde früher gern
vorgeworfen, dass sie gegen Frauen niedrigere Freiheitsstrafen
verhängen. Das stimmt zumindest bei Gewalttaten von Frauen in Österreich
– und nur hier kann ich das bestimmt sagen – nicht mehr. Jüngst hat
eine Mutter, die ihre drei Kinder getötet hat, lebenslänglich bekommen.
Das wäre vermutlich vor 25 Jahren nicht so gewesen. Da wurden Frauen oft
einfach als Mittäterin oder ihre Tat als einmalige Entgleisung in einer
Lebenskrise gesehen. Bei Sexualstraftäterinnen ist das bis heute oft
noch so. Nehmen Sie Ghislaine Maxwell, die Mittäterin des verurteilten
Sexualstraftäters Jeffrey Epstein. Sie deklariert sich nur als
Mittelsfrau, die selbst abhängig war von Epstein, während die Opfer sie
als Täterin bezeichnen. Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, dass eine
Frau sich sexuell an Minderjährigen vergeht, weil sie das Zuschauen und
Mitmachen genießt. Aber das gibt es.
BZ: Sie arbeiten jetzt seit 25 Jahren als forensische Psychiaterin – hat sich Ihr Blick auf die Frauen verändert?
Roßmanith: Ich blicke kritischer als anfangs
auf das, was man mir erzählt. Die forensische Psychiatrie ist ein
schwieriges Fach, da war ich zunächst sehr damit befasst, wie ich
vorgehen muss. Inzwischen kann ich mich mehr auf die Frauen – und
natürlich die Männer, die begutachte ich ebenfalls – einschwingen. Ich
achte darauf, wie sie mir emotional begegnen und was sie mir vielleicht
zwischen den Zeilen sagen. Anfangs war ich auch in dem Duktus "eine
Mutter tut so etwas nicht" gefangen. Jetzt bin ich offen, neugierig und
fühle mich vorurteilsfrei. Ich möchte den ganzen Menschen erfassen. Mein
Staunen über die Destruktivität von Menschen und meine Neugierde halten
mich in Schwung. Wie kommt es zu dieser Tat? Das interessiert mich noch
immer.
Nota. - Und wenn Wegschauen nicht reicht: canceln.
JE
Nota. Das
obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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