aus spektrum.de, 1. 11. 2021
Weibliche Sexualität
Der geheimisvolle Orgasmus
Viele
streben ihn an, doch für manche bleibt er unerreichbar: Der weibliche
Orgasmus ist so komplex, dass er bis heute ein Rätsel ist. Nicht nur
Männern, auch vielen Frauen und all denen, die den vermeintlichen
Höhepunkt erforschen.
von Paola Emilia Cicerona
Sex
kann auch ohne Orgasmus erfüllend sein. Das wollen wir gleich zu Beginn
festhalten. Entsprechend ratsam ist es, zwischen Orgasmus und sexueller
Befriedigung zu unterscheiden. Unbestritten ist zugleich, dass ein
Orgasmus ein bemerkenswertes Gefühl ist. Doch egal, ob er als kurze
Explosion oder intensives Kribbeln daherkommt – es sollte die Qualität,
nicht die Quantität zählen, wenn man darüber spricht, was guten Sex
ausmacht. Für Frauen gilt das insofern besonders, als sie nachweislich
seltener zum Orgasmus kommen als Männer.
Es
ist alles andere als leicht, die weibliche Lust durch eine Analyse
subjektiver Empfindungen zu charakterisieren. Gleichzeitig stellt sich
die ganz grundlegende Frage: Warum empfinden Frauen überhaupt
sexuelle Lust?
Tatsächlich ist bis heute ungeklärt, warum es den Orgasmus denn gibt.
Steigert allein der Gedanke an einen Orgasmus womöglich die Lust auf
Sex? Wenn die Frau kommt, stimuliert das den Mann dann ebenfalls? Oder dient der Orgasmus dazu, den Partner näher an sich zu binden? Alles diskutierte Theorien.
Aus physiologischer Sicht lässt sich der Orgasmus als eine Reflexreaktion auf einen Reiz definieren,
»ein bisschen wie Niesen«, sagt die Sexologin Roberta Rossi, die der
weiblichen Sexualität im Jahr 2019 den Aufsatz »Vengo prima io«
gewidmet hat. »Das Gehirn reagiert auf den Reiz, und die Reaktion ist
das, was wir einen Orgasmus nennen.« Sicherlich hätten sich auch unsere
Vorfahren voneinander angezogen gefühlt, was den Weg zur Paarung ebnete,
sagt Rossi. »Aus evolutionärer Sicht könnte man die weibliche Lust
als eine Art Einladung zur Penetration betrachten, die dann von einem so
angenehmen Gefühl begleitet ist, dass die Vorstellung, sich zu paaren,
attraktiver wird.« Allerdings ohne die Komplexität, die wir heute
erleben.
Die
daran anknüpfende Theorie: Die Funktion des weiblichen Orgasmus besteht
darin, die Befruchtung zu erleichtern. Auf das Wesentliche
konzentriert, brauchen Männer einen Orgasmus demnach zur Ejakulation und
Frauen für vaginale Kontraktionen, die den Spermien helfen, zum Ei
aufzusteigen und es zu befruchten. Eine Studie an Mäusen und Kaninchen
an der Abteilung für Kinderheilkunde der University of Cincinnati soll
diese Hypothese stützen: Den US-Forschern zufolge sind es die mit dem
Orgasmus einhergehenden Hormonspitzen, die die Freisetzung von Eiern
durch die Eierstöcke auslösen.
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Doch können solche Tierversuche ernsthaft dazu beitragen, die
Komplexität der menschlichen Sexualität zu erklären? Schließlich ist
nicht einmal klar, ob Nager überhaupt so etwas wie einen Orgasmus haben.
Und ganz grundsätzlich lassen sich Erkenntnisse aus Tierstudien nicht
einfach auf Menschen übertragen.
Orgasmen sind individuell und wandelbar
Fast
ebenso schwierig wie die Suche nach dem Grund fällt die Beschreibung.
»Es gibt zwar ein paar feste Parameter, mit denen man den Orgasmus von
Menschen und Tieren vergleichen kann«, sagt Rossi, »ein Wärmegefühl,
eine verstärkte Lubrikation und unwillkürliche Kontraktionen der
Muskeln, die die Vagina umgeben« zum Beispiel. Zugleich gibt es jedoch
eine große Variabilität, wie Forschende seit Jahrzehnten wissen.Der Biologe Alfred Kinsey
hatte in den 1940er Jahren als erster Forscher überhaupt versucht, das
Sexualverhalten des Menschen im großen Stil statistisch zu erfassen.
Erste umfassende Labordaten zu sexuellen Reaktionen bei Männern und
Frauen folgten dann von William Masters und Virginia Johnson, die sie unter anderem in ihrem bis heute bedeutenden Werk »Human Sexual Response« zusammenfassten.
Das Team hatte in den 1950er und 1960er Jahren Paare zum Sex befragt
und dabei beobachtet, Männer vor dem Masturbieren verkabelt und im
Detail erforscht, wie beispielsweise Finger, Dildos oder Zungen Frauen
stimulieren.
Masters und Johnson veröffentlichten daraufhin
diverse Publikationen über vorgetäuschte Orgasmen von Frauen. Zudem
berichteten sie, dass Frauen zu multiplen Orgasmen fähig sind, und
analysierten den unterschiedlichen Charakter der Höhepunkte bei Mann
und Frau.
Reaktionszyklen und Erregungskurven
Während
des Sex verändert sich der Erregungszustand. Das Auf und Ab der Lust
folgt dabei einem gewissen Muster, auch sexueller Reaktionszyklus
genannt. Nach William Masters und Virginia Johnson lässt dieser sich in
vier Phasen einteilen: Erregung, Plateau, Orgasmus, Rückbildung. Die
Orgasmusphase ist dabei die kürzeste. Die Sexualtherapeutin Helen Singer
Kaplan ergänzte dieses Modell später um eine Phase des sexuellen
Verlangens. Diese ist dem sexuellen Reaktionszyklus vorangestellt.
Nun
braucht es aber weder einen Orgasmus, um lustvollen Sex zu haben, noch
muss ein solcher bei Frauen das Ende sein. Drei Erregungskurven sind im
Wesentlichen möglich:
- Gipfel-Orgasmus: Die Frau kommt gezielt
und rasch, der Orgasmus ist der klare Höhepunkt, der Körper kurz darauf
wieder im Normalzustand.
- Anhaltende Erregung: Es kommt nie zum
Orgasmus, stattdessen verweilt die Frau über einen längeren Zeitraum in
der Plateauphase. Puls und Blutdruck sind erhöht, die Klitoris und
Schamlippen angeschwollen und besonders empfindlich für Berührungen.
- Anhaltende Erregung mit mehreren Orgasmen: Einige Frauen können mehrfach kommen.
Nicht jede ist dazu in der Lage, nicht jede findet das erstrebenswert,
doch manche eben schon. Wer es versuchen möchte, sollte sich Zeit
nehmen – bei Sex, der länger als eine Stunde dauert, ist es deutlich
wahrscheinlicher, das Ziel zu erreichen. Sexspielzeug hilft Studien
zufolge ebenfalls dabei.
(Autorin: Alina Schadwinkel)
»Bei
Männern sind Ejakulation und Orgasmus in der Regel zwei sich
überlagernde Phänomene, auch wenn sie sich unterscheiden«, sagt Rossi.
Nur selten ejakulieren Männer, ohne zum Orgasmus gekommen zu sein. Die
weibliche Lust gilt dahingehend als komplexer, es gibt unterschiedliche
Erregungskurven – bei denen ein Orgasmus eben nicht der Höhepunkt
sein muss.
Für
die meisten Frauen ist der Orgasmus eine ganz individuelle Erfahrung.
Für viele ist er ein mehr oder weniger intensives Vergnügen, einige
schreien dabei, wieder andere verlieren das Gefühl für Zeit und Raum
und sind in einer Art Trancezustand. Aus diesem Grund fragen sich manche
Frauen, ob sie gerade einen Orgasmus hatten oder nicht, »wobei die
Antwort dann wahrscheinlich ›Nein‹ ist«, sagt Rossi.
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Die Faktoren der weiblichen Lust
Der weibliche
Orgasmus hat seinen Ursprung im Gehirn. So kann er auch während eines
Traums auftreten, ohne dass Geschlechtsverkehr oder gar körperlicher
Kontakt nötig wäre. »Es kommt sehr auf das Setting an«, sagt Rossi.
»Manchmal reicht als Auslöser der Druck eines engen Slips oder der
Kontakt mit der Matratze. In vielen Fällen reicht auch allein die
Fantasie.«»Der Orgasmus hat eine belebende Wirkung,
fördert die Durchblutung, versorgt das Gewebe mit Sauerstoff und
verstärkt die Ausschüttung von Endorphinen«
(Roberta Rossi, Sexologin)
Selbst
bei ein und derselben Frau sind nicht alle Orgasmen stets gleich, der
eine kann explosiv sein, der nächste sanft. »Es hängt von der
Gesundheit, dem Geisteszustand, Ermüdungs- oder Entspannungsgrad und
der Situation ab, in der sie sich befindet«, sagt Rossi. Es gibt also
interne und externe Kontextfaktoren, die die Orgasmuserfahrung
beeinflussen, und selbst mit demselben Partner kann eine Frau ganz
verschiedene Orgasmen erleben.
Eines aber haben alle gemein: Sie
sind wohltuend. »Studien zeigen, dass der Orgasmus eine belebende
Wirkung hat, die Durchblutung fördert, das Gewebe mit Sauerstoff
versorgt und die Ausschüttung von Endorphinen verstärkt, was
stimmungsaufhellend wirkt«, sagt Rossi.
Um Lust zu empfinden,
hilft es, gelassen zu sein und dem eigenen Körper vertrauen zu können.
»Wir bestehen halt nicht nur aus Hormonen und Nervenenden«, sagt Rossi,
»deshalb sollten wir erkunden, was uns Freude bereitet.« Das ist sowohl
für ältere Generationen, die mit einem gewissen Rollenbild groß geworden
sind, als auch für die jüngeren Generationen wichtig, die wegen
fehlender Sexualerziehung an Schulen und durch einen leichten Zugang zu Pornografie ein durchaus verzerrtes Bild auf Sexualität entwickeln.
Wie kann ich kommen?
Sex
hat weit mehr zu bieten als das Streben zum vermeintlichen Höhepunkt.
Gleichzeitig ist ein Orgasmus ein besonderes Erlebnis und für viele
daher erstrebenswert. Wer lernen möchte, seine Erregung besser zu
kontrollieren und so häufiger oder intensiver zu kommen, kann einiges
ausprobieren:
- Was ist die Vulva? Wo liegt die Klitoris? Wo
überall lassen sich Frauen mit Berührungen erregen? Wer diese Fragen
beantworten kann, hat größere Chancen, zum Orgasmus zu kommen.
Entsprechend ratsam ist es, sich mit dem eigenen Körper
auseinanderzusetzen und dann klar zu kommunizieren, was gefällt und was
nicht.
- Wichtig ist es aber auch, sich mit dem Körper des jeweils
anderen zu beschäftigen. Jede und jeder reagiert auf unterschiedliche
Reize. Manchmal unterscheidet sich das, was gefällt, sogar je nach
Gemüt, Stresslevel oder Zeitpunkt des Zyklus beispielsweise.
- Schon
mal versucht, sich nicht erst um den einen und dann um den anderen zu
kümmern – sich also gegenseitig zu verwöhnen? Sich aufeinander zu
konzentrieren und dabei Zeit zu lassen, sind zwei Faktoren, die von
Frauen, die Umfragen zufolge häufiger kommen, auffallend oft genannt
wurden.
- Dabei lässt sich manches erst bei der Selbstbefriedigung
und dann gemeinsam ausprobieren. Man kann sich auf unterschiedliche
Weise berühren – mit den Fingerkuppen streicheln, der Zungenspitze
leicht kitzeln oder dem Penis drücken. Intensiv oder sanft. Die
Klitorisspitze lässt sich kreisend streicheln, in die Brustwarzen
zwicken.
- Je mehr man sich dabei selbst spürt, desto klarer lässt
sich sagen, was gefällt. Es gibt verschiedene Techniken, mit denen sich
die Körperwahrnehmung schärfen lässt: Meditation, Achtsamkeit,
Feldenkrais.
- Helfen können auch Online-Tutorials. Zum Beispiel auf der Schweizer Seite Lilli – hier geht es vor allem um das Training des Beckenbodens – oder OmgYes (kostenpflichtig) – hier können Frauen lernen, wie sich die Vulva stimulieren lässt und welche Penetration besonders angenehm ist – oder Self:Cervix, ebenfalls kostenpflichtig, bei dem der Fokus auf dem Gebärmutterhals, der Zervix, und den Brüsten liegt.
Wer
sich Orgasmen wünscht, aber sie nicht erreichen kann, oder sich bei
Berührungen arg unwohl fühlt, gar Schmerzen verspürt, könnte körperliche
oder psychische Probleme haben, die Lust verhindern. Auch das soziale
Umfeld kann einen Einfluss haben. Die Gründe zu hinterfragen, kann
anstrengend sein. Nicht immer findet man allein die Lösung. Helfen
können ein Arztbesuch, um bei wiederkehrenden Problemen den Körper
checken zu lassen, oder eine Psycho- oder Sexualtherapie.
(Autorin: Alina Schadwinkel)
Gibt es einen vaginalen Orgasmus?
Doch
nicht zuletzt deshalb, weil die weibliche Physiologie noch immer nicht
ausreichend verstanden ist, fällt es schwer, Orgasmen zu ergründen.
»Denken Sie nur daran, wie jung die Studien über die Klitoris sind«,
sagt Rossi. Sie sei nach wie vor ein Mysterium, »obwohl sie das einzige
Organ des weiblichen Körpers ist, das nur der Lust dient«.
Das
Lustorgan der Frau ist weniger sichtbar als ihr männliches
Gegenstück. Die Klitoris ist nämlich weit mehr als die von außen
sichtbare Perle, auch Kitzler genannt. Sie besteht aus empfindlichen
Schwellkörpern und Nerven, die unter der Oberfläche der Vulva liegen.
Entsprechend
schwieriger ist es, sich mit dem Lustorgan vertraut zu machen. »Die
Klitoris existiert nicht, bis diejenigen, die eine haben, entdecken,
dass es sich gut anfühlt, sie zu berühren«, sagt Rossi. Erst seit
wenigen Jahren erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren
inneren, verborgenen Teil und ihre Ähnlichkeiten mit männlichen
Genitalien – etwa das Vorhandensein von Schwellkörpern – und ihre
Verbindung zur Vagina.
Warum Frauen Orgasmen vortäuschen
Nicht
selten täuschen Frauen bloß vor, zu kommen. Statistiken zufolge ist das
in fast jeder zweiten heterosexuellen Beziehung der Fall. Menschen
verstellen sich aus verschiedenen Gründen:
um sich nicht als andersartig zu empfinden, um es schnell hinter sich
zu bringen, etwa weil sie Schmerzen haben, um ihren Partner nicht zu
enttäuschen. Einige Frauen sehen darin tatsächlich die Möglichkeit,
ihrem Partner gegenüber Zuneigung und Intimität zu zeigen, wie aus
einer kleinen Studie an der University of Connecticut hervorgeht.
Darüber
hinaus gibt es diejenigen, die überzeugt sind, Lust vorzutäuschen
verhelfe zu mehr Vergnügen. Ein Gedanke, der unter anderem von einer
Studie an der University of Texas gestützt wird.
»Früher dachte man, dass ein vorgetäuschter Orgasmus schlecht für
die Beziehung sei, aber vielleicht wurde übersehen, dass Frauen, die
sich dafür entscheiden, sich durch das Vortäuschen eines Orgasmus
wohler fühlen können«, sagt Studienleiter Michael Barnett. Ganz zu
schweigen davon, dass allein schweres Atmen und Stöhnen – Zeichen dafür,
dass ein Höhepunkt nah ist – dazu beitragen kann, innere Blockaden so
weit zu überwinden, dass der Orgasmus unvermeidlich wird. (asw)
Es
habe immer eine Reihe von Tabus gegeben, die die Forschung gebremst
haben. »Außerdem werden anatomische Studien weitgehend an Leichen
durchgeführt«, sagt Rossi. »Das macht es schwer, Mechanismen der
weiblichen Lust zu verstehen.« Man denke etwa an die Verwirrung um den
so genannten G-Punkt. Erst in jüngster Zeit hat man erkannt, dass es
sich dabei nicht um einen Punkt, sondern um einen Bereich handelt, die
so genannte CUV-Zone, in der ein Teil der inneren Klitoris und ein Teil
der Harnröhre sowie die Oberfläche der Innenwand der Vagina
aufeinandertreffen.
Um auf den Orgasmus zurückzukommen: Der von
der Sexualtherapeutin Helen Singer Kaplan in den 1970er Jahren
beschriebene Reiz-Reaktions-Mechanismus ist immer noch gültig. »Auf den
Reiz an der Klitoris folgt die motorische Reaktion, das heißt die
Kontraktionen der Vagina«, sagt Rossi. Bei der Penetration werde die
Klitoris aber zusätzlich stimuliert. Dabei kämen auch weitere Bereiche
ins Spiel, wie der Beckenboden, der, wenn er zu stark angespannt ist,
die Wahrnehmung von Kontraktionen verhindert. Mit anderen Worten: Es gibt keinen klitoralen und keinen vaginalen Orgasmus, »es gibt bloß eine Art von Orgasmus, der durch direkte oder indirekte Stimulation der Klitoris erzeugt wird«.
Das
ist jedoch eine Botschaft, die nur schwer durchdringt: Noch immer ist
der Glaube weit verbreitet, ein »echter« Orgasmus müsste stets mit
Penetration verbunden sein. »Das führt leider dazu, dass
Schwierigkeiten, ohne klitorale Stimulation zum Orgasmus zu kommen, als
pathologisch empfunden werden«, sagt Rossi. Dabei sei das völlig normal.
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Heterosexuelle Frauen kommen seltener als homosexuelle
Die
Tatsache, dass heute offener über weibliche Sexualität gesprochen wird
als früher, macht es leichter, sich Inspiration und Hilfe zu suchen.
Dieselbe Freiheit birgt aber paradoxerweise die Gefahr, dass Frauen, die
keine Lust empfinden oder keinen Orgasmus erleben können, als
andersartig und dafür verantwortlich gelten.Dabei ist es normal, mal keine Lust auf Sex zu haben oder nicht zu kommen. Eine Studie, die 2018 von Forschenden der Universität Valparaíso durchgeführt wurde,
zeigt, dass Frauen, die beim Geschlechtsverkehr Schwierigkeiten haben,
einen Orgasmus zu haben, das Problem eher auf ihre eigene
Unzulänglichkeit schieben denn auf die Umstände oder die
Unerfahrenheit ihres Partners. Dabei sind die letzten beiden Punkte
nicht zu unterschätzen.
Vor allem, wenn Frauen Sex mit Männern
haben, sind Orgasmen für viele die Ausnahme. Sie kämen nie oder nur
selten beim Geschlechtsverkehr, sagte jede fünfte bis sechste heterosexuelle Frau in eine Umfrage aus dem Jahr 2018. Zum Vergleich: Nur jeder 25. heterosexuelle Mann berichtete dasselbe.
»Es hängt von der Art und Dauer der Stimulation ab«
(Roberta Rossi)
Lesbische
Frauen wiederum kommen beim Sex doppelt so oft immer zum Orgasmus wie
heterosexuelle und dreimal weniger nie oder selten. Auch das geht aus
der Umfrage hervor. Dies lässt darauf schließen, dass weniger
biologische Unterschiede für die Orgasmuslücke zwischen Frauen und
Männern sorgen als vielmehr mangelnde Skills. Oder, wie Rossi sagt: »Bei
der Autoerotik gibt es keinen Unterschied zwischen hetero- und
homosexuellen Frauen, was klar zeigt, dass es von der Art und Dauer der
Stimulation abhängt.«
Und nicht selten von der Frage, wen es
zuerst zu befriedigen gilt. So manche Frauen sind nämlich aus
kulturell-historischen Gründen sowie in einer von Pornos geprägten
Gesellschaft der Ansicht, es gelte zunächst den Partner zufrieden zu stellen. Weitere empfinden den Orgasmus des anderen wichtiger als ihren eigenen.
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Was, wenn es nicht klappt?
Aus dem DSM-5 ist
Nicht-kommen-Können – in der Fachsprache die koitale Anorgasmie – von
der Krankheitsliste gestrichen worden. Doch wenn es öfter nicht so läuft
wie gewünscht, kann das körperliche oder psychische Ursachen haben. Das
gilt sowohl für die Lust allgemein als auch für Orgasmen im Speziellen.»Es
gibt Frauen, die sich vor starken Gefühlen fürchten und sich nicht
trauen, sich fallen zu lassen«, erklärt Rossi. Solche Frauen würden
sich zwar oft als lustvoll beschreiben, kämen mit ihrer Lust beim Sex
jedoch nicht weiter, auch dann nicht, wenn sie allein sind. Zu Grunde
lägen häufig Schwierigkeiten, anderen oder sogar sich selbst zu
vertrauen. Das kann auf eine rigide Erziehung zurückzuführen sein, die
das Konzept des Vergnügens beim Sex ablehnt oder die Misstrauen
fördert – »Männer sind Schurken«, »Man darf niemandem vertrauen«.
Manchmal sind es aber auch Gewalt oder Belästigungen – früher oder in der Gegenwart erlebt –, die nicht nur Erregung verhindern, sondern jegliche Lust auf Sex nehmen.
Mögliche Ursachen für Orgasmusprobleme
Nicht
zum Orgasmus kommen zu können, auch Anorgasmie genannt, kann
verschiedene Ursachen haben. Zum einen körperliche, also physische.
Krankheiten wie Diabetes, Traumata oder neurodegenerative Erkrankungen
wie multiple Sklerose können sich auf die Erregungsfähigkeit auswirken.
Auch Medikamente wie Antidepressiva oder chirurgische Eingriffe zur
Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken beeinflussen, ob und wie eine
Frau kommt. Ebenso eine beängstigende oder schmerzhafte Geburt.
Zum
anderen gibt es psychologische Ursachen. In Stresssituationen fällt es
vielen oft schwerer, zu kommen, als wenn sie entspannt sind. Auch die
Sorge, der Partner oder die Partnerin könne einen verlassen, wenn das
mit der Lust nicht bald besser wird, kann hemmen. Menschen, die in der
Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben – sich etwa zu viel
Druck ausgesetzt fühlten oder anderen zuliebe Dinge getan haben, die sie
selbst gar nicht so mögen –, kann es ebenfalls schwerfallen, Sex zu
genießen und erregt zu sein. Erst recht, wenn jemand Gewalt ausgesetzt
war oder ist.
Nur wenn man beim Sex in seinem Wohlfühlbereich
bleibt, kann er Freude machen. Daher ist es wichtig, die eigenen Grenzen
herauszufinden und zu benennen.
(Autorin: Alina Schadwinkel)
Wie fühlt Sex sich für Sie gut an?
Frauen
empfinden die Schwierigkeit, zum Orgasmus zu kommen, oft als Mangel.
Daher sei es wichtig, ihnen den Leistungsdruck zu nehmen, sagt Rossi. Er
sei es, der das Gefühl der Unzulänglichkeit hervorruft und so das
Vergnügen zu beeinträchtigen droht.
Auch wenn Frauen im Gegensatz zu Männern multiple Orgasmen haben können,
haben sie nicht unbedingt das Bedürfnis danach. Dasselbe gilt für den
gleichzeitigen Orgasmus, »der oft als wichtiges Ziel dargestellt wird,
was Stress erzeugen kann, aber nicht unbedingt mehr Lust hervorruft«,
sagt Rossi. Oder für die weibliche Ejakulation, oft auch Squirting oder Gushing
genannt. Dabei handelt es sich um verschiedene Dinge: »Bei der
weiblichen Ejakulation wird eine dicke Flüssigkeit von den Skene-Drüsen
abgesondert, der weiblichen Version der Prostata«, erklärt Rossi.
Allerdings hat nach jetziger Erkenntnis nicht jede Frau solch eine
Drüse, weshalb auch nicht jede auf diese Weise spritzen könnte.
Squirting
wiederum meint, dass eine oftmals geruchlose, klare Flüssigkeit in
größeren Mengen aus der Blase austritt. Außerdem kann durch den Orgasmus
mehr Feuchtigkeit nach außen gepresst und sichtbar werden. All das kann
vorkommen, muss aber nicht. Und ist damit »nicht unbedingt notwendig
für ein gutes sexuelles Erlebnis«, wie auch Rossi sagt.
Was sich
mit Sicherheit sagen lässt: Ein befriedigendes Sexleben braucht Zeit. Es
ist daher ratsam, die Reise zu genießen, ohne an das Ziel zu denken.
Und so zu reisen, wie es für einen selbst am schönsten ist.
Übersetzung aus