Es ist ein Junge!
aus nzz.ch, 7. 12. 2020 Der
Anthropologe Carel van Schaik sagt: «Wie viele Leute glauben denn
wirklich, dass das Geschlecht überhaupt nichts mit der Biologie zu tun
habe?»
Frauen
und Männer verhalten sich nicht gleich. Dennoch haben sie während
Jahrtausenden in egalitären Gesellschaften bestens kooperiert. Carel van
Schaik erklärt im Gespräch mit Markus Schär, wie es zur Ungleichheit
der Geschlechter und zur Unterdrückung der Frauen kam. Und warum die
kulturelle Evolution ebenso wichtig ist wie die biologische.
Verbirgt sich hinter Ihrem freundlichen Lächeln eigentlich ein streitbarer Geist, Herr van Schaik?
Nein,
im Gegenteil. Ich möchte helfen, den Graben zwischen den Natur- und den
Geistes-wissenschaften zuzuschütten. Dabei versuche ich, Fakten
aufzuzeigen und Vorurteile abzu-bauen. Etwa jenes, dass die Biologie
einen normativen Anspruch erhebe, also vorschreibe, wie wir leben
sollen. Das tut sie nicht. Sie kann aber helfen, uns selbst besser zu
verstehen.
Immerhin legten Sie sich in Ihrem letzten Buch, «Das Tagebuch der Menschheit», mit den Bibelgläubigen an.
Mit denen, die die Bibel für das tatsächliche Wort Gottes halten. Aber vielen anderen gefiel das Buch erstaunlich gut.
Wie das?
Die
Gläubigen schätzten, dass wir uns ernsthaft mit der Bibel
auseinandersetzten. Kai Michel und ich lasen sie als Versuch der
Menschen, die Krisen zu bewältigen, die sie seit der Einfüh-rung der Landwirtschaft plagten: Seuchen, Kriege, wachsende Ungerechtigkeit.
Nicht weniges in der Bibel ist ja Protowissenschaft, ein Versuch, die
Welt zu erklären. So auch, warum das Patriarchat herrschte: Das sei eine
Strafe Gottes. Aber das ist für uns die Lüge über Eva.
Weshalb, erklären Sie in Ihrem neuen Buch. Auch damit wagen Sie aber einen Streit, vor allem mit den Biologieleugnerinnen.
Nein,
wir suchen ihn nicht. Um Missverständnissen vorzubeugen: «Die Wahrheit
über Eva» ist kein Buch, das Wahrheiten über Frauen verkünden will. Es
ist nicht einmal ein Frauenbuch, sondern eine andere Geschichte der
Menschheit, die zeigt, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Frauen
um Gleich-berechtigung kämpfen müssen. Unsere Antwort: Daran sind weder
Gott noch die Biologie schuld, 99 Prozent der Evolutionsgeschichte lang
war Gleichberechtigung die Normalität. Selbst Biologieskeptiker sollten
damit kein Problem haben. Wie viele Leute glauben denn wirklich, dass
das Geschlecht überhaupt nichts mit der Biologie zu tun habe? Die
Befunde leuchten doch zumindest allen ein, die sich mit Tieren
auskennen.
Aber offenbar nicht jeder Akademikerin.
Meinen
Sie? Den Einfluss der Biologie zu bestreiten, kann einerseits eine
Debattenstrategie sein: Man nimmt eine Extremposition ein, dann horchen
alle auf. Und anderseits lässt sich so klarmachen, dass die kulturellen
Einflüsse verdammt wichtig sind. Das kann ich als Biologe bestätigen:
Die Probleme, mit denen die Frauen heute kämpfen, kommen von der Kultur,
nicht von der Biologie. Wir Verhaltensforscher, unter uns viele Frauen,
sehen jetzt, dass die Menschen nur zu verstehen sind, wenn wir die
kulturelle Evolution einbeziehen. Wir sind Mischwesen mit einer
biologischen und einer kulturellen Natur. Wenn also Simone de Beauvoir
oder Judith Butler sagen, Frauen würden nicht als Frauen geboren, dann
hören Biologen schon länger genau zu und sprechen heute auch über
Gender.
Eigentlich wollen Sie den Feministinnen als Frauenversteher ja helfen.
Ich
bin kein Aktivist, sondern Wissenschafter, und ich glaube auch nicht,
dass Feministinnen meine Hilfe brauchen. Wir wollen nicht «die Frauen»
verstehen; «die Frauen» gibt es ebenso wenig wie «die Männer». Wir
wollen eher zeigen, wie sich die Welt fairer machen lässt, wie es auch
die heutige Debatte über Intersektionalität versucht. Ich sehe ja schon
an meiner Biografie, dass Männer unverdiente Privilegien haben. Wir
möchten erklären, wie es dazu kommen konnte. Ich möchte also höchstens
als Menschenversteher gelten, als Anthropologe eben.
Wappnen Sie sich für verständnislose Reaktionen?
In
meinem Alter ist mir das fast egal. Aber schon beim Bibelbuch merkten
wir: Die grosse Mehrheit ist neugierig. Auch diesmal wollen wir nur
Wissen zur Verfügung stellen. So viele Mythen geistern herum, etwa dass
die Männer die Frauen seit je unterdrückt hätten, weil sie physisch
meist stärker seien. Manche glauben wirklich an die Steinzeit-Machos,
die die Frauen an den Haaren in die Höhle zogen. Das ist Unfug, damals
herrschten ziemlich egalitäre Machtverhältnisse in den Gruppen, auch
zwischen den Geschlechtern. Wer sollte auf solche Einsichten
verständnislos reagieren? Höchstens die Machos.
Wer sich heute mit solchen Themen auseinandersetzt, bewegt sich allerdings in einem Minenfeld.
Leider,
aber ich sehe gute Chancen, den Streit um Natur gegen Kultur zu
befrieden. Dieser Streit gehört ja eigentlich ins letzte Jahrhundert.
Wir sehen heute, dass die kulturellen Einflüsse viel stärker sind, als
viele Biologen bis vor kurzem annahmen.
Würden
Sie sich noch trauen, in der Vorlesung einen Witz zu machen wie: «Der
‹Playboy› lag richtig: Die Männer stehen nun mal auf Frauen mit einer
Sanduhr-Figur»?
Das
ist ja kein Witz. In Studien finden die meisten Männer Frauen mit einer
solchen Figur attraktiver; das lässt sich sogar bei Blinden nachweisen.
Aber das ist eine Beschreibung, keine Rechtfertigung. Anders als ein
Gott ist die Evolution keine moralische Instanz, die den Menschen
irgendetwas vorschreibt. Natürlich sagen mir Frauen: «Das ist ungerecht,
ich habe keine Sanduhr-Figur.» Klar, aber ich habe auch nicht den Body
von Arnold Schwarzenegger. Übrigens sind in der realen Welt Vorzüge wie
Humor, Intelligenz oder Hilfsbereitschaft bei der Partnerwahl viel
wichtiger.
In
Ihrem Lehrbuch zur Primaten-Natur des Menschen schreiben Sie, weil
«erbitterte Debatten» drohten, drückten Sie sich «so trocken wie
möglich» aus.
Aber
das galt nur für das Lehrbuch; es richtete sich nicht an das breite
Publikum, sondern an Kollegen, besonders aus den Kulturwissenschaften.
Ich wollte mit den Daten aus der Primatologie ein Fundament für Debatten
über die menschliche Natur legen. Und weil das Thema belastet ist,
versuchte ich den Forschungsstand nüchtern und neutral vorzustellen,
eben trocken.
Heute
ist doch schon anstössig, was Sie in der Vorlesung sagten und auch im
neuen Buch schreiben: Es gebe zwei Geschlechter, die Tiere mit den
grossen Keimzellen seien die Weibchen, jene mit den kleinen die
Männchen.
Genau,
und ich hatte für das Buch ausserdem mehr über Hormoneffekte und
Intersexualität geschrieben, doch das ging zu sehr ins technische
Detail. Aber niemand kann doch sagen, die Biologie sei irrelevant, um
die menschliche Sexualität in ihrer bunten Diversität zu verstehen: «Was
dreieinhalb Milliarden Jahre Evolution bewirkten, gilt für Orang-Utans,
aber nicht für Menschen.» Wie plausibel ist das?
Der
Unterschied wirkt sich bei der Reproduktion aus: Bei den meisten Arten
sorgen die Weibchen für den Nachwuchs, die Männchen weniger oder gar
nicht. Und das prägt die Geschlechter.
Ja,
bei allen Säugetieren werden die Weibchen schwanger. Wir sollten aber
nicht vergessen, dass es bei unserer Evolution die längste Zeit
«cooperative breeding» gab.
Das
heisst, wie Sie lehren: Alle halfen mit, Kinder grosszuziehen. Dass die
Mütter Beistand bekamen, von Geschwistern, Grossmüttern, sogar Vätern,
ist für Sie das Erfolgsgeheimnis unserer Spezies.
Genau.
Bei den Menschenaffen, unseren Verwandten, kümmern sich nur die
Weibchen um den Nachwuchs. Dagegen zogen unsere Vorfahrinnen ihre Kinder
mithilfe ihrer Gruppe auf. Warum nicht davon lernen? Mütter mit Kindern
sollten nicht allein aufgeschmissen sein. Und Frauen dürfen wegen der
Fortpflanzung keinen Nachteil im Berufsleben haben. Dafür muss die
Gesellschaft Lösungen finden.
Auch
bei den Menschen wirkte aber die sexuelle Selektion: Die Frauen haben
seit zwei Millionen Jahren mit ihrer Auswahl die Männer geschaffen, die
sie sich wünschen – stark, tüchtig, kämpferisch, also der Konkurrenz
überlegen.
Das ist eine weitverbreitete These, aber eher ein Mythos.
Schon bei den Jägern und Sammlern standen die Frauen doch auf den erfolgreichsten Mann.
Das
ist richtig, aber diese Männer traten meist bescheiden und höflich auf.
In den Gruppen der Jäger und Sammler gab es keine Alphatiere. Dass
gewalttätige Männer herrschen, gilt erst seit weniger als zehntausend
Jahren, also seit die Menschen Landwirtschaft betreiben und Eigentum
verteidigen mussten. Die Ironie ist aber, dass in genau dieser Zeit die
Frauen ihren Partner meist nicht mehr selbst wählen konnten.
Jedenfalls
gibt es aufgrund der sexuellen Selektion seit Millionen von Jahren
angeborene Neigungen und Fähigkeiten bei Knaben und Mädchen.
Ja
– aber! Die Anlagen mögen da sein, aber sie sind individuell
unterschiedlich ausgeprägt. Und die entscheidende Frage ist: Wie kommen
sie in der Gesellschaft zum Ausdruck? Bei den Jägern und Sammlern
benehmen sich die Männer nicht wie Paschas, denn es bringt ihnen nichts.
Da sehen wir eine gegenseitige Abhängigkeit, das Überleben lässt sich
nur mit Kooperation sichern. Wir können also beobachten, unter welchen
Umständen Männer dominieren, und uns entscheiden, diese Umstände zu
vermeiden. Das ist Kultur! Deshalb versuchen wir im «Eva»-Buch zu
zeigen, was da schiefgelaufen ist, also das relativ ausgeglichene
Verhältnis der Geschlechter zerstört hat, und was davon bis heute
fortwirkt. Wir brauchen eine möglichst gute Diagnose, um zu verhindern,
dass wir nur an Symptomen herumdoktern.
Viele
Studien weisen nach – wie der norwegische Soziologe Harald Eia mit
einem brillanten Film auf Youtube zeigt –, dass sich gerade in den
Ländern mit dem egalitärsten Geschlechterverhältnis die Frauen eher für
soziale als für technische Berufe entscheiden, sich also für Menschen,
nicht für Maschinen interessieren.
Im
Durchschnitt neigen Männer zur Technik, Frauen zum Sozialen, ja.
Niemand bestreitet doch, dass es statistische Unterschiede zwischen den
Geschlechtern gibt.
Wirklich?
In den USA tobt die Debatte darüber. So entliess Google einen
Software-Ingenieur, weil er in einem internen Memo den Forschungsstand
zu den Neigungen von Männern und Frauen korrekt zusammengefasst hatte.
Dass
die Frage der Geschlechterunterschiede solche Emotionen weckt, lässt
sich erklären: Viele fürchten, wenn es sie gäbe, könnten sie die soziale
Ungleichheit der Geschlechter irgendwie «natürlich» erscheinen lassen.
Das ist jedoch ein Fehlschluss, denn wir sehen auch hier: Es gibt
biologische Anlagen, und es gibt kulturelle Einflüsse – daraus folgt
eine bunte und enorm breite Diversität möglicher Ergebnisse. Nur was
völlig konträr zu den biologischen Anlagen wäre, sehen wir kaum. Ich
erwarte deshalb zum Beispiel eher nicht, dass es je Gesellschaften gibt,
in denen die meisten Morde von Frauen verübt werden.
Der
Mann, den ich am besten kenne, spielte als Kind kaum mit Modellautos
und Baukästen, machte viel bessere Noten in den Sprachen als in der
Mathe, schrieb in der Pubertät sein Tagebuch mit Zeilen von Joni
Mitchell voll und denkt weit weniger analytisch als seine äusserlich
sehr feminine Frau. Was stimmt mit ihm nicht?
Alles
bestens, diese Verteilungen überlappen sich ja stark. Die Binarisierung
ist ein Produkt dessen, was wir in unserem Buch die «Patrix», also die
patriarchale Matrix nennen. Diese männlich verzerrte Weltsicht lässt nur
zwei eindeutige Positionen zu; die Patrix kann nicht mit Leuten
umgehen, die in keines der beiden Kästchen passen.
Ich spreche von mir. Und ich fühle mich eindeutig als Mann.
Ich
auch. Dabei kann ich mit Technik nichts anfangen. Keine Frage, wir
schleppen biologische Altlasten mit uns herum, aber ebenso kulturelle
Altlasten – und die wiegen oft schwerer. Wir sind nicht gefangen in der
Biologie; die Evolution hat mit Diversität kein Problem.
Was hätten Sie einem Kind gesagt, wenn es mit dem Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung zu Ihnen gekommen wäre?
Meine
Meinung ist: Das soll jede und jeder selber entscheiden können – aber
wohl besser in einem Alter, in dem wir mit grosser Wahrscheinlichkeit
sagen können, dass die Entscheidung sich nicht nach wenigen Jahren
wieder dreht. Ich kenne zwei Leute, die ihr Geschlecht gewandelt haben;
ich glaube, sie sind jetzt viel glücklicher. Was gibt mir das Recht, das
jemandem zu verbieten? Auch bei dieser Frage gibt es für mich nur eine
normative Vorgabe: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Die
Evolutionsbiologie zeigt auch, dass es Mismatch geben kann: Was den
Menschen zwei Millionen Jahre weiterhalf, passt nicht mehr für unser
heutiges Leben. Stellen Sie solchen Mismatch auch bei sich selber fest?
Na ja, so dick ist mein Bauch noch nicht,,,
Sie spielen auf unsere Gier nach Kalorien an, die uns früher bei viel mehr Bewegung vor dem Verhungern schützte.
Das
ist eine biologische Altlast: Da unsere Vorfahren kalorienreiche
Nahrung relativ aufwendig beschaffen mussten, haben wir einen Hang zu
Süssem und Fettem. Seit wir in Wohlstandsgesellschaften leben, erweist
sich das aber als Mismatch, also als Fehlanpassung. Dem müssen wir
kulturell begegnen, indem wir Kalorien zählen oder ins Fitnessstudio
gehen.
Es gibt nicht nur Fehlanpassungen im Magen, sondern auch im Kopf.
Ja,
klar, das betrifft auch unser soziales Leben. Ein Beispiel, das
heterosexuelle Männer kennen: Monogamie, bis dass der Tod euch scheidet,
war fast zwei Jahrtausende lang das verbindliche Ziel im Leben. Weshalb
schauen dann die Männer immer anderen Frauen nach? Da sehen wir auch
einen kulturellen Mismatch.
Wie sollen wir damit umgehen?
Das
muss jeder selbst entscheiden. Unsere Gesellschaft entscheidet sich ja
immer mehr gegen die Kirche, die die Regel erfand, ein Mann und eine
Frau müssten ein Leben lang zusammenleben, und alles andere zur Sünde
erklärte.
Sie sagen, wir seien nicht für die lebenslange Monogamie gemacht.
Es
gibt einen Mismatch zwischen unserem modernen Beziehungssystem und
unserer biologischen Ausstattung. Denn diese lässt uns im Vergleich mit
den anderen Primaten darauf schliessen, dass wir in der Vorgeschichte
Paarbeziehungen hatten, die weder für die Frauen noch für die Männer
exklusiv waren und vor allem nicht lebenslang. Wir zeigen in unserem
Buch, dass die Vorstellung von absoluter Treue eine Konsequenz der
Erfindung des Eigentums ist – und dass sie die längste Zeit nur für die
Frauen galt, also eine der Säulen patriarchaler Verhältnisse war. Heute
sollten wir selbst entscheiden, wie wir leben und wen wir lieben. Wer
sein Leben lang monogam sein will, kann das natürlich gerne tun.
Sie
kamen durch Ihre Partnerin zur Primatologie, weil Sie als Botaniker mit
ihr in den indonesischen Dschungel gingen. Aber dann machten Sie
Karriere, und sie folgte Ihnen als Familienfrau und Mitarbeiterin um die
Welt.
Meine
Biografie tut eigentlich nichts zur Sache. Nur so viel: Das war ihre
Entscheidung, ich habe sie respektiert – natürlich auch, weil sie für
mich bequem war. Ja, auch ich bin nicht frei von traditionellen
Rollenmustern.
Mehr Biografie habe ich nicht erwartet.
Weshalb
sollte ich darüber urteilen, wenn Leute traditionelle
Geschlechterrollen spielen möchten? Oder was geht es mich an, wenn
andere Leute in einer polyamourösen Gemeinschaft leben und dabei
niemandem schaden? Sobald jene, die das stört, verstehen, dass die
religiösen Vorschriften aus zutiefst patriarchalen Zeiten stammen,
müssen sie doch sagen: Es ist Zeit, neue Wege zu akzeptieren.
Haben
Sie das Buch, wie es zur Ungleichheit der Geschlechter und zur
Unterdrückung der Frauen kam, aus schlechtem Gewissen geschrieben?
Nein.
Schon in unserem ersten Buch faszinierte uns der Widerspruch, dass in
der Bibel allerorten starke Frauen auftreten, diese aber gleich am
Anfang ausdrücklich den Männern untertan gemacht werden – und dass die
Genesis einen Zusammenhang mit dem Ackerbau schafft. Sobald wir das in
Vorträgen ansprachen, weckten wir grosses Interesse daran, wie sich das
Verhältnis der Geschlechter in der Evolution entwickelt hatte und welche
Bedeutung die Religion bei der Diskriminierung von Frauen hat.
Sie geben die Schuld an der Unterdrückung der Frauen dem Judentum und dem Christentum, weil sie den Sündenfall von Eva erfanden.
Nein,
das tun wir nicht. Die monotheistischen Religionen zementierten nur die
teilweise längst bestehende Unterdrückung der Frauen, indem sie
behaupteten, diese sei gottgewollt. Der Übergang zur Landwirtschaft
schwächte die Stellung der Frauen, weil sie in fremde Familien
einheiraten und viel mehr Kinder gebären mussten, während die Männer ihr
Eigentum vererbten und wenn nötig gewaltsam verteidigten. Schon in den
frühen Staaten, wie in Mesopotamien, herrschte deshalb das Patriarchat.
Wenn es dann nur einen Gott gibt, wird dieser zum Gesetzgeber, der das
eine Verhalten vorschreibt und das andere verteufelt.
Wie Sie zeigen, spielten Frauen trotzdem noch beim jüdischen Wanderprediger Jesus von Nazareth wichtige Rollen.
Absolut!
Umso erstaunlicher, dass sich in seinem Namen eine so misogyne
Institution wie die katholische Kirche entwickelte. Daran sind aber auch
die Wissenschaft und die Philosophie der Griechen schuld, die die
Frauen geringschätzten und damit das frühe Christentum prägten.
Religion, Wissenschaft und Philosophie behaupteten fortan unisono, die
Frauen seien das minderwertige Geschlecht. Kein Wunder, dass die Frauen
sich heute noch mit so vielen patriarchalen Altlasten herumschlagen
müssen.
Gehört die Zukunft den Frauen?
Die Zukunft gehört uns allen.
Nota. - Dass es eine Unterdrückung der Frau gab, und gar seit zehntausend Jahren, nämlich seit dem Beginn von Ackerbau und Arbeitsgesellschaft, ist eine optische Täuschung. Ackerbau und Arbeitsgesellschaft setzen Sesshaftigkeit voraus, und die führte in fast allen Weltgegenden zur Auflösung der aus der Nomadenzeit überkommenen Gruppenstrukturen in private Haus-halte. In denen verteilt sich die Herrschaft über Ressourcen aller Art in ein Innen und ein Außen. Nach außen herrscht der Mann, nach innen die Frau.
Dass das Außen der wichtigere und das Innen der mindere Teil wäre, ist eine Optik der Marktwirtschaft und industriellen Gesellschaft. Zuvor ist nicht das Außenverhältnis der Teil der gesellschaftlichen Realität, der die Lebenswirklichkeit bestimmt, weil dort die Produktion beschieht, und das Binnenverhältnis lediglich Konsumtion und Reproduktion. In landwirt-schaftlich geprägten Gesellschaften ist der Familienhof der Ort von Produktion und Repro-duktion zugleich. Eine Arbeitsteilung geschieht im wesentlichen im Innern, und da geben die Frauen viel mehr den Ton an als die Männer, die die Felder bearbeiten. Eine Scheidung in Ober- und Unterklasse geschieht innerhalb der Hauswirtschaften und das heißt: innerhalb der Familien, die weniger Verwandtschaftsverhältnisse darstellten, als Produktionseinheiten.
In dem Maße aber, wie - zuerst zwischen den Einzelhöfen in den Dörfern, später zwischen Dorf und Stadt - Austausch stattfand und ein dauerhafter Markt entstand, verlagert sich das gesellschaftliche Schwergewicht nach außen, und mit der großen Industrie bestimmt schließlich das öffentliche Leben die familiäre Existenz, denn auch der Klassenunterschied verlagert sich auf... den Arbeits markt. Und in der von Marktschehen und Öffentlichkeit beherrschten Industriegesellschaft sind es nun die im Außen tätigen Männer, die das gesell-schaftliche Geschehen bestimmen, während die Frauen - schon sehr bald nicht mehr in der Arbeiterklasse, aber in den herrschenden Klassen bis nach dem Zweiten Weltkrieg - ins Haus und bestenfalls in die Salons beschränkt blieben.
Letzteres ändert sich seit einem halben Jahrhundert - wiederum in den Industrieländern. Die Frauenbewegung war dessen deutlichster Ausdruck, zunächst vor dem Ersten Weltkrieg und verstärkt wieder nach 1968. Ihr bürgerlicher Charakter ist ihr mit flammendem Lippenrot auf die Stirn geschrieben. Doch wo mentale Hemmungen verhindern, dass ein Gesellschaft all ihre Begabungen zum allgemeinen Besten entfalten können, hatte und hat sie noch eine relative Berechtigung.
JE