Dienstag, 27. Oktober 2020

Babylonische Dichterinnen.

 

aus welt.de, 23. 10. 2020             Die babylonische Göttin Gula auf einer Belehnungsurkunde in Stelenform aus dem 14. Jahrhundert v. Chr.

Einer der ältesten Texte der Weltliteratur stammt von einer Frau
Bislang ging man davon aus, dass die berühmte Gula-Hymne des Alten Orients von einem Mann komponiert worden war. Neufunde zeigen, dass der Autorenname tatsächlich einer Frau gehörte. Es dürfte kein Einzelfall sein.
 
 

Der assyrische Großkönig Assurbanipal hatte ein ausgefallenes Hobby. In seiner Regierungs-zeit von 668 bis 631/27 v. Chr. führte er nicht nur Kriegszüge wie seine Vorgänger, sondern sammelte auch Literatur und andere Texte, die er, wie er stolz verkündete, auch lesen und verstehen konnte. Mehr als 25.000 Tontafeln, beschrieben mit Keilschrift, umfasste seine Bibliothek in der Hauptstadt Ninive. Die Sammlung gehört zu den wichtigsten Funden der Archäologie des Alten Orients.

Zu den bekanntesten Werken darin zählt die sogenannte Gula-Hymne an die gleichnamige Heilgöttin des mesopotamischen Pantheons. Es handelt sich um die Abschrift eines Textes, der zwischen 1400 und 1300 v. Chr. komponiert wurde – von einem Mann namens Bullussa-rabi wie bislang in einschlägigen Werken zur Literaturgeschichte angegeben. Tatsächlich stammt er aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einer Frau.

„Für Fachleute ist das eine kleine Sensation“, sagt Enrique Jiménez, Professor für altorientalische Literaturen an der Universität München. Schließlich handelt es sich um einen der bekanntesten Texte, der sogar in der Schule verwendet wurde, um mit Keilschrift schreiben zu lernen.

„Die Heilgöttin spricht darin über sich in der ersten Person“, erklärt Jiménez. „Sie sagt: ,Ich bin die beste Göttin, ich bin so wunderschön.‘ Die Hymne war zwar ein Klassiker, aber die Mesopotamier fanden sie damals lustig und haben Parodien darauf geschrieben, weil sie es so verrückt fanden, dass eine Göttin über sich in der ,Ich-Form’ spricht.“

Auf einer Liste von Texten aus der Bibliothek des Großkönigs Assurbanipals wurde der Name des Autors mit dem in der Keilschrift üblichen Zeichen für maskulin versehen, weil die Abschreiber wie selbstverständlich davon ausgingen, dass Bullussa-rabi ein männlicher Name sei. Tatsächlich aber belegen Verwaltungsurkunden aus dem 14. Jahrhundert v. Chr., dass dem nicht so ist. „Offenbar trugen nur Frauen damals diesen Namen“, hat Jiménez festgestellt.

Seiner Einschätzung nach könnte es sich nicht um den einzigen Fall handeln, bei dem Frauen als Urheberinnen früher literarischer Texte übersehen wurden. „Unsere Hauptquelle für Autoren ist eine Liste aus der Bibliothek von Assurbanipal, der sogenannte ,Katalog von Texten und Autoren‘. Wenn Bullussa-rabi dort fälschlicherweise als Mann aufgeführt wurde, warum sollte sie der einzige Fall sein?“

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Der Professor verweist auf einen ähnlichen Fall, der sogar noch wesentlich älter ist. Um 2200 v. Chr. entstand eine ganze Reihe von Hymnen, als deren Autor ein gewisser Enheduanna angegeben wird. Da kein Zeichen für männlich oder weiblich angegeben ist, ging man lange ebenfalls davon aus, dass es sich um einen männlichen Urheber handele. „Bis wir in anderen Texten auf den Hinweis gestoßen sind, dass Enheduanna die Tochter des Königs war“, sagt Jiménez: „Sie ist die älteste Autorin der Literaturgeschichte. Sie hat interessanterweise sehr viele Hymnen an die Liebesgöttin Inanna / Ischtar geschrieben, die wichtigste Göttin Babyloniens.“

Die Entschlüsselung der Gula-Hymne gelang Jiménez und seinem Team im Rahmen des Projekts „electronic Babylonian Literature“ (eBL). Darin versuchen Wissenschaftler, die vielen Lücken in altorientalischen Texten mithilfe von Algorithmen und Datenbanken zu füllen. Dabei stieß ein Mitarbeiter von Jiménez, Zsombor Földi, auf neun Verwaltungsurkunden aus der Regierungszeit des Königs Nazi-Maruttasch. „In allen Dokumenten ist Bullussa-rabi ein Frauenname. Es ist möglich, dass alle Dokumente sich auf die gleiche Person beziehen, da sie mehr oder weniger zeitgleich sind“, folgert Jiménez.

 

Nota. - Was lernen wir daraus? Dass Frauen keineswegs von Alters her benachteiligt, unter-drückt und von aller Bildung ausgeschlossen wurden, wie manche*r behauptet; was sonst? Und die alten Griechen haben ihre Sappho auf Lesbos zu keiner Zeit vergessen...

JE

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