Samstag, 4. Mai 2019

Väter und Feminismus.

Die Rechte des Mannes als Vater sind im Feminismus kein Thema. (Bild: Eddy Risch / Keystone)
aus nzz.ch, 4.5.2019

Der Feminismus hat weder die Rechte des Mannes als Vater noch das Recht des Kindes auf den Vater bedacht
Obwohl seit Dekaden über die Gleichstellung der Geschlechter debattiert wird, sind die Resultate ernüchternd. Dabei täte es not, die Männer als Väter besser mit einzubeziehen.

von Ralf Bönt

Als Meilenstein auf dem Weg in die Moderne wird unter vielen anderen Dingen mitunter auch der erste gelungene Kaiserschnitt genannt. Es war der Schweizer Tierarzt Jacob Nufer, der ihn im Jahr 1500, kurz vor Grundsteinlegung des Petersdoms, an seiner Frau Elisabeth vornahm. Nach Tagen erfolgloser Wehen hatte Nufer dem lokalen Prälaten sein Gottvertrauen glaubhaft machen können und so den himmlischen Segen erhalten. Mit einem gekonnten Schnitt und dessen ebenso gekonnter Versorgung rettete Nufer dann erstmals beide, Kind und Mutter. Nun war klar, zu wem die Menschen in Zukunft in der Not zuerst gehen würden: zum Arzt statt zum Prälaten. Allzu normal war bis anhin, dass Kind oder Mutter starb, oft auch beide, so dass der Liebesakt zum ständigen Begleiter die Lebensgefahr hatte: real sex sozusagen, not just for fun.

Heute votiert der Mensch zu Recht eher für den Spass, aber das klingt harmloser, als es ist: Die Entlassung des Körpers aus dem Zwang zur Reproduktion und zur Erhaltung der Art ist das grosse Freiheitsversprechen der Neuzeit. Die Frau sollte nicht mehr bloss gebären, der Mann nicht mehr bloss Zeuger, Nährer und Schützer sein. Mit anderen Worten: Mann und Frau sollten nicht mehr nur Mann und Frau sein müssen, sie konnten unabhängig vom Geschlecht zuerst Mensch sein. Dass dabei allen die gleichen Rechte zukämen, diese Idee setzte sich freilich erst 300 Jahre später durch, und zwar unabhängig vom Kinderkriegen. 

Eine kluge Revolutionärin 

Leider, muss man sagen. Die Erklärung der Menschenrechte war ein Erdbeben, dessen Epizentrum auf hoher See lag und eine Grundwelle erzeugte, die erst heute voll auf Land trifft. Denn die Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau greift am tiefsten in die Lebensentwürfe ein. Kaum jemand entdeckte dies so früh wie Olympe de Gouges (1748 bis 1793), deren Forderungen zentral auch das Recht der Frau auf die Bekanntgabe einer Vaterschaft enthielt. Die schöne und kluge Revolutionärin war damit nicht erfolgreich, der Code civil verbot die Erforschung einer Vaterschaft, und de Gouges starb für ihre Überzeugung. Erst Simone de Beauvoir griff das Thema wieder auf, 1949 in ihrem Buch «Das andere Geschlecht».

De Beauvoir hält Vaterschaft keineswegs hoch. Die Schwangerschaft ist ihr ein Drama, das sich nicht zwischen Mann und Frau abspielt, sondern zwischen den beiden Ichs der Frau: dem freien und dem unfreien. Das liest sich wie eine Lehre der Lieblosigkeit. Bei der Frage, ob der Fötus ein Teil des Frauenkörpers oder ein Parasit ist, entscheidet sie sich für Letzteres. Entsprechend meint die Philosophin an Beispielen beweisen zu können, dass ein Mutterinstinkt nicht existiert. Die vitale Transzendenz einer Geburt erlebe die Frau lediglich als Reduktion auf körperliche Immanenz, da sie am Gelingen oder Misslingen des Kindes keinen aktiven Teil habe.

Der Mann wird nicht etwa als Vater genannt, er geht weiterhin nur seiner Bestimmung nach, indem er Dinge schafft, die seine Subjektivität darstellen, seine Persönlichkeit: pure Transzendenz. Schon de Gouges hatte das Recht auf Bekanntgabe einer Vaterschaft in der Liste der Rechte der Frau geführt und nicht als egalitäres Menschenrecht, und das ist der Geburtsfehler des Feminismus. Die Rechte des Mannes als Vater sind nie mit bedacht worden, auch nicht als Recht des Kindes auf den Vater. Obwohl dies auch ihn von seiner biologischen Bestimmung lösen würde. 

Die Folgen sind fatal. Von de Beauvoir tief beeindruckt, schrieb Max Frisch seinen Bericht über den Homo Faber, den technischen Menschen, und es ist kein Wunder, dass er diesen nicht als befreites Subjekt im Sinne Nufers und von dessen tausend Nachfolgern wie Ignaz Philipp Semmelweis und Carl Djerassi sieht. Der Mann erscheint hier als jene fragmentierte, in ihrer Empathie für sich und den anderen gleichermassen gestörte, durch den modernen Rationalismus tief geprägte Gestalt. De Gouges hatte diesen Vorwurf explizit auch auf der Zunge gehabt, genährt freilich durch den Ausschluss der Frauen aus der Wissenschaft.

Der Soziologe Christoph Kucklick hat diese Genese der negativen Andrologie historisch aufgearbeitet. Paradoxerweise entwickelte sich der Mann darin charakterlich sogar rückwärts, mit steigender Triebhaftigkeit und sozialer Desintegration. In der maskulinen Kollektivschuldphantasie Frischs ist der Phallus eine tödliche Waffe: Elisabeth, Walter Fabers Geliebte und Tochter (ohne dass beide dies wissen), erschrickt vor dem Genital und stürzt rückwärts zu Tode. Eine sehr steile Dramaturgie: Als ob die Moderne ein Unglück sei, mündet der Konflikt zwischen immanenter Vaterschaft und transzendenter Subjektivität in eine Niederlage für alle. Vor allem aber für das schwächste Glied: das Kind. 

Antisexismus als Unterhaltung 

So fehlgeleitet die frühe Feminismus-Debatte oft war, von ihrem Ernst können wir heute nur noch träumen. Das veröffentlichte Wort unterscheidet sich kaum noch von den Kommentarspalten der Zeitungen und Diskussionen auf dem Werbeportal Facebook, wo Gespräche über Gender und Geschlecht ablaufen wie Wortwechsel zwischen einem Berliner Taxifahrer und einem Fahrradkurier, die sich um einen halben Meter Hauptstadt streiten. Antisexismus ist zur Unterhaltung verkommen und zum Unterhalt. Bekanntlich ist ewiges Witzeln auch weniger schwer auszuhalten als ewiges «Ernsteln», um ein Wort Peter Richters zu bemühen. Rationalität ausgerechnet ums Genitale zu verlangen, ist ja auch kühn. Aber es muss sein. Denn die Beteiligten verkennen den Ernst der Lage.

Geschichtsvergessenheit ist das Standardproblem einer jeden erfolgreichen Revolution. Indem ihre Urerzählung nicht mehr gekannt wird, wird sie zur Ideologie, die ausser Selbstverteidigung kein Ziel mehr hat. In diesem Geiste debattiert man lieber über das Geschlecht von Ampelfigürchen als über die ethischen Folgen neuer Reproduktionstechniken, die Abwesenheit männlicher Erzieher oder das Recht, eine Vaterschaft bekanntzugeben.

Zu Zeiten de Gouges’ war eine genaue Kenntnis der Vaterschaft technisch unmöglich, in einer modernen Gesellschaft sollte dies mittels Gentechnik aber Standard sein. Jeder Mensch benötigt zu seiner Zeugung noch immer ganz sicher einen Mann und eine Frau. Eine schöne sexy Sache übrigens und befreiend von der Last eigener Bedeutung. Es sollte allerdings das erstrangiges Recht sein, die beiden, von denen man abstammt, zu kennen. Doch selbst die Xenofeministinnen, die auf Technik setzen, um sich zu befreien, wollen die Polarität der Geschlechter mit ebendieser aufweichen, und wie in der Gendertheorie steht dahinter der nur wenig kaschierte Wunsch, den Mann wegzudiskutieren – ein anarchistischer Traum, so aporetisch wie zum Scheitern verurteilt.

Wir müssen Simone de Beauvoirs Versuche, die Frau jenseits der Mutter zu entwerfen, nicht verbrennen und auch nicht den «Homo Faber». Pessimisten der Moderne wird es immer geben. Aber weil die fünfziger Jahre schon länger vorbei sind, darf man fragen, wozu ein Roman gut ist, dessen Anstrengung darin besteht, das Wort «man» zu vermeiden. Oder warum die Genderforschung an komplett unpraktikablen, geschlechtsneutrale Sprachlösungen arbeitet, während unsere Kinder noch immer die Geschichte von Robin Hood vorgelesen bekommen, der sich auf den ersten paar Dutzend Seiten ohne Grund mit jedem auf Leben und Tod duelliert, den er trifft. Richtig schlimm ist Janoschs Albtraum «Popov lernt fliegen», wo ein alter einsamer Mann in den Himmel fliegt, unrasiert und ohne Unterhose. Oben warten wunderschöne Engelchen zum Heiraten, unerreichbar. Und das ist es: Unerreichbarkeit erzeugt Überreaktion, Heldengeschichten machen nicht frei, sie erzeugen Druck. Das Überreagieren von Männern, auch toxische Männlichkeit genannt, entsteht, wenn Männlichkeit für kleine Jungs als etwas kaum Erreichbares erscheint. 

Die Kouachi-Brüder zum Beispiel 

Das hat aber Methode. «Jedes Kind, das geboren wird, ist ein Gott, der Mensch wird», schrieb de Beauvoir mit Blick auf das Leben Jesu. Aber müssen wir noch immer Kreuze aufhängen, die dem Jungen klarmachen, dass Leid und Schuld die Elemente seines Lebens sein werden, Kollektivschuld gar? Dass es eine Himmelfahrt ist, die Männer von Frauen unterscheidet? Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Islamismus und Neo-Autoritarismus eine Krise der Moderne darstellen, denn es handelt sich um die Krise der Religion und des Patriarchats. Solche Lehren stammen aus einer Zeit, da wir über Körper nicht viel mehr wussten, als dass sie Eingänge und Ausgänge haben. Im Unwissen über das Entstehen des Lebens besetzte der Mann einst den Himmel als vermeintlichen Urgrund und eroberte damit auch den Welt-Aussenraum.

Der Philosoph Slavoj Žižek hat nach dem Attentat der Kouachi-Brüder auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» das Versagen der Linken herausgestellt und Walter Benjamins Erkenntnis zitiert, wonach jeder Faschismus von einer gescheiterten Revolution zeugt. Die noch nicht überall gelungene Revolution ist jene gegen das Patriarchat. Unter den Kämpfern des Jihad sind ganz viele ohne Vater aufgewachsen. Das gilt auch für die Kouachis, die zudem ihre Mutter früh verloren haben. Sie zwangen ihre Frauen in Tschadors, die daraufhin ihre Jobs verloren und zu Hause blieben, bei ihren arbeitslosen Männern. Handlungsdruck entstand und Beweislast.

Eine Existenzberechtigung musste her. Während des Massakers verschonten sie die Journalistin Sigolène Vinson, mit der der ältere der beiden Brüder redete wie mit einem Dummerchen: Das war noch einmal die Inszenierung des Patriarchen, ein so lächerliches wie tragisches Aufbäumen, das längst spiegelverkehrt zur Realität steht. Die mit den Waffen in der Hand über andere richten, sind längst die Dummköpfe. Sie befinden sich in einem Rückzugsgefecht, das schon verloren war, als Jacob Nufer seine Familie rettete, um danach noch weitere sechs Kinder zu bekommen.

Aber Vorsicht: Ein Seebeben erzeugt am Ufer immer zwei Wellen. Die erste zieht sich zurück, bis alles frei liegt. Und dann kommt die zweite, die alles niederreisst. Auch die mehr und mehr von Arbeit entlasteten Väter wollen heute den Miteinbezug in die inneren Räume der Familie. Und die Frauen werden bemerken, dass sie davon profitieren, denn die Moderne richtet sich eben nicht gegen ihre Freiheit, wie in Simone de Beauvoirs Drama der beiden weiblichen Ichs. Eine Männerquote unter den Müttern wird es nicht geben. Überhaupt muss man hoffen, dass die Definition von Vaterschaft als «Vater ist, wer durch die Heirat als solcher erwiesen ist» nicht erst in hundert oder zweihundert Jahren obsolet sein wird, denn zurzeit sind leider noch viel mehr mehr Männer als Frauen gegen Vaterschaftstests.

Ralf Bönt, Jahrgang 1963, lebt als Schriftsteller in Berlin. 2012 erschien «Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann».

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