Freitag, 17. Mai 2019

MeToo, sagt Mrs. Josephine McCarthy.


aus welt.de, 17. 5. 2019                                                                               Schuldig durch Verteidigung?

Harvard, Weinstein und das Ende der Unschuldsvermutung
Ein Harvard-Strafrechtler übernimmt den Job, Harvey Weinstein zu verteidigen, die Studenten drehen durch – und die Elitehochschule setzt ihn ab. Über eine Niederlage für die Idee des Rechts. 

Am Morgen des 25. Februar 2019 fand die Universitätspolizei von Harvard an den Wänden des Winthrop House mehrere Graffitis. Die Parolen richteten sich gegen den Dean des Wohnheims, Ronald S. Sullivan, Professor für Strafrecht an der Harvard Law School. „Nieder mit Sullivan“, stand auf einer Eingangstür, an anderer Stelle fanden sich die Sprüche „Unser Zorn ist Selbstverteidigung“ und „Dein Schweigen ist Gewalt“, schließlich die Frage: „Auf welcher Seite stehst du?“

Sag mir, wo du stehst: Das ist die alte Leitfrage aller Bürgerkriege. Sie schafft Ordnung in Konflikten, in denen die Fronten nicht so klar verlaufen wie in herkömmlichen Schlachten, und ihre Beantwortung entscheidet darüber, ob das Gegenüber als Freund oder als Feind zu behandeln ist. Letzteres ist eine existenzielle Unterscheidung, was man in Friedenszeiten leicht vergisst.

Im Fall von Ronald S. Sullivan war die Frage natürlich rhetorisch, die Aktivisten auf dem Campus hatten ihn ja bereits als zu stürzenden Gegner identifiziert. Seit Sullivan am 23. Januar 2019 dem Verteidigerteam von Harvey Weinstein beige- treten war, der vor einem New Yorker Gericht wegen Vergewaltigung angeklagt ist, stand er für sie auf der Gegenseite. Zumindest traute man ihm nicht mehr zu, im Studentenwohnheim auch Opfern von sexuellen Übergriffen als Ansprech- partner und Vertrauensperson dienen zu können. „Sie kompromittieren das Vertrauen, das in Sie gesetzt wird, wenn sie Opfern zuhören, die ihre Sympathie und ihre Unterstützung brauchen, wenn sie versuchen, mit ihrem Trauma klarzu- kommen“, hieß es in einem von vielen Briefen, in diesem Fall von der Vereinigung schwarzer Frauen in Harvard verfasst.

In einer studentischen Online-Petition stand: „Wollt ihr wirklich eines Tages euer Diplom von jemandem entgegennehmen, der es – aus welchen Gründen auch immer, beruflich oder persönlich – okay findet, so eine prominente Figur im Zentrum der #MeToo-Bewegung zu verteidigen?“

Harvey Weinstein sitzend, ganz links sein Anwalt Ronald Sullivan

Wer einen Angeklagten der MeToo-Bewegung verteidigt, der bezieht Stellung gegen die Opfer von sexueller Gewalt – so lautet der verstümmelte Syllogismus der Aktivisten, in einer am griechischen Bildungsideal geschulten Elitehochschule selbst schon ein Schocker. Der erfahrene Strafverteidiger Robert Sullivan hat den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton und den wegen Doppelmord angeklagten Football-Star Aaron Hernandez, aber auch die Familie von Michael Brown verteidigt, jenem Einwohner von Ferguson, dessen Tod durch Polizeischüsse die Black-Lives-Matter-Bewegung ausgelöst hatte. Die Reihe zeigt in ihrer Bandbreite, was das Wesen des Anwaltsberufs ist: Er ist die fleischgewordene Unschuldsvermutung, die vor der Feststellung der Schuld für jeden Menschen gilt, ob er nun Mitleid oder Abscheu auslöst, ganz oben oder ganz unten steht.

Ausgerechnet in Harvard dreht sich dieses elementare Rechtsverhältnis jetzt auf perverse Weise um: Verkörperte der Anwalt bislang die potenzielle Unschuld eines jeden Delinquenten, so färbt jetzt die unterstellte Schuld des Angeklagten auf seinen Rechtsbeistand ab. Er darf seinen schmutzigen Job wohl machen, einer muss es ja tun – doch in der guten Gesellschaft, durch das Wohnheim auf einem amerikanischen Campus im Kleinen repräsentiert, ist er zu ächten, fast wie ein Totengräber, dem man nicht die Hand gibt. 

 
Sullivan und seine Ehefrau Stephanie Robinson

Die anhaltenden Proteste hatten Erfolg: Durch die Unruhe unter Druck gesetzt, ließ Harvards Dekan Rakesh Khurana zunächst die Atmosphäre am Winthrop House offiziell untersuchen, um Ronald S. Sullivan und seine Frau Stephanie R. Robinson, die es gemeinsam leiteten, unter Verweis auf das gestörte Klima von ihrer Rolle zu entbinden: Sie seien „unhaltbar“ geworden. Beide waren, eine besonders bittere Pointe, die ersten schwarzen Deans in Harvard.

Ist es inzwischen ein selbst für angehende Juristen unzumutbares Trauma, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass das Recht für alle gilt? Ein übersehener Nebenanklagepunkt der Aktivisten bestand darin, dass sich Ronald Sullivan kürzlich verteidigend hinter einen Harvard-Kollegen, den ebenfalls schwarzen Star-Wirtschaftsprofessor Roland G. Fryer, gestellt hat: Dieser sei durch einen Artikel in der „New York Times“ als MeToo-Täter vorverurteilt worden, obwohl außer ein paar zweideutigen Scherzen keine klaren Vorwürfe gegen ihn vorlägen. Fryer sei, so Sullivan, „als ein übersexualisierter Schwarzer, der kein Nein versteht“ dargestellt worden, Zeugenaussagen von Schwarzen seien in den internen Verfahren nicht gleich gewichtet worden wie die von Weißen.

Das Rechtssystem dient nicht dazu, Freund und Feind zu unterscheiden. Es kennt keine klaren Frontverläufe, seine Aufgabe ist es, Licht ins Dickicht der Komplexität zu bringen. Harvards Umgang mit Sullivan ist eine Niederlage für das Recht selbst. 


Nota. - Wovor graut mir mehr - vor der Wiederwahl Donald Trumps oder vorm totalitären Verfolgungs-Wahn der poli- tisch Korrekten?
JE 

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