aus scinexx
Mitochondriale DNA: Auch vom Vater?
Erbgut aus den Zellkraftwerken wird doch nicht nur von der Mutter vererbt
Widerspruch zur gängigen Theorie: Entgegen
bisheriger Annahme kann mitochondriale DNA nicht nur von der Mutter an
den Nachwuchs weitergegeben werden. Stattdessen wird dieses Genmaterial
aus den Kraftwerken der Zelle in manchen Fällen offenbar auch vom Vater
vererbt. Hinweise darauf haben Forscher bei mehreren Personen aus gleich
drei nicht miteinander verwandten Familien gefunden. Ihre Entdeckung
stellt damit ein lange Zeit gültiges Dogma der Vererbungslehre in Frage.
Der größte Teil unseres Erbguts liegt im Zellkern und wird von
beiden Eltern an die Kinder weitergegeben. Neben dieser chromosomalen
DNA verfügen wir jedoch über weiteres Genmaterial: Es liegt in den
Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien. Da Spermien bei der
Befruchtung in der Regel nur ihren Zellkern übertragen, stammt die
mitochondriale DNA jedes Menschen aus der mütterlichen Eizelle. Das
Genmaterial in den Mitochondrien wird also ausschließlich von der Mutter vererbt - so zumindest dachte man bislang.
Mitochondrien im Blick
Wissenschaftler um Shiyu Luo vom Cincinnati Children's Hospital haben
nun Belege dafür entdeckt, dass mitochondriale DNA doch auch vom Vater
an den Nachwuchs weitergegeben werden kann. Auf die Spur dieses
unerwarteten Vererbungsmechanismus brachte das Team die DNA eines vier
Jahre alten Jungen. Bei diesem kleinen Patienten bestand der Verdacht
auf eine Mitochondriopathie - einer Erkrankung, die durch Mutationen im
mitochondrialen Erbgut verursacht wird.
Um diesem Verdacht auf den Grund zu gehen, wurde die DNA des Jungen
sequenziert und analysiert. Dabei stellte sich heraus: Ungewöhnlich
viele Genvarianten lagen nur in einem Teil der Mitochondrien der Zelle
mutiert vor, während dieser entsprechende Abschnitt des Erbguts in
anderen Mitochondrien unauffällig war. Dieses Phänomen ist als
Heteroplasmie bekannt. Das Verhältnis von normaler und mutierter DNA ist
dabei entscheidend dafür, ob durch die Mutationen tatsächlich Symptome
entstehen.
Von Mutter und Vater
Weil das Ausmaß der Heteroplasmie bei dem Jungen so ungewöhnlich war,
nahmen die Forscher anschließend auch das mitochondriale Erbgut seiner
Familienmitglieder unter die Lupe - unter anderem das der Mutter sowie
der Großeltern. Bei der Mutter machten sie eine überraschende
Entdeckung: Ihre von Heteroplasmie betroffenen Genvarianten ließen sich
nicht durch eine ausschließlich mütterliche Vererbung erklären.
Stattdessen schien sie 21 dieser Varianten von ihrer Mutter und zehn
weitere von ihrem Vater geerbt zu haben.
Der Junge und seine beiden Schwestern wiederum schienen sämtliche
Mitochondrien-DNA dem gängigen Schema nach von der Mutter geerbt zu
haben. Handelte es sich bei der väterlichen Vererbung um einen seltsamen
Einzelfall - oder war Luos Team womöglich sogar ein Fehler unterlaufen?
Offenbar nein: Zusätzliche, unabhängige DNA-Analysen bestätigten das
auffällige Ergebnis.
Ungewöhnlicher Vererbungsweg
Doch nicht nur das: Die Wissenschaftler wiesen dasselbe Phänomen
schließlich bei weiteren Familienmitgliedern und sogar anderen Familien
nach. Konkret fanden sie bei 17 Personen aus insgesamt drei
unterschiedlichen, nicht miteinander verwandten Familien Belege für eine
väterliche Vererbung von Mitochondrien-DNA. "Damit stellt unsere Arbeit
grundsätzliche Annahmen über die mitochondriale Vererbung in Frage",
schreiben sie.
Vererbung mitochondrialen Erbguts von beiden Elternteilen war bisher nur
von manchen Hefearten und in Ausnahmefällen von Drosophila-Fliegen,
Mäusen und auch Schafen bekannt, wie die Forscher berichten. Nun sei
klar, dass dieses Phänomen ebenfalls beim Menschen vorkommt: "Die Regel
ist nach wie vor die Vererbung über die Mutter. In einigen Fällen kann
mitochondriales Genmaterial aber auch vom Vater an die Kinder
weitergegeben werden."
Mechanismen entschlüsseln
Die Mechanismen hinter diesem ungewöhnlichen Vererbungsweg zu
entschlüsseln, könnte nach Ansicht des Teams nicht nur neue Einblicke
darin liefern, wie mitochondriale DNA von den Eltern an den Nachwuchs
übertragen wird. "Womöglich ergeben sich daraus sogar neue
Therapieansätze für mitochondriale Erbkrankheiten", schließen die
Forscher. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1810946115)
(PNAS, 27.11.2018 - DAL)
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