Sonntag, 7. März 2021

Ganz stark.

aus welt.de, 7. 3. 2021                     Dieser übergroße Phallus kam bei Oxford ans Licht
 
Der überdimensionale Phallus stand bei den Römern nicht nur für Sex
Bei Straßenbauarbeiten wurde unweit von Oxford ein antiker Mühlstein entdeckt. Der übergroße Phallus, der auf ihm prangt, sollte dem Mehl wohl Kraft und Schutz verleihen. Männliche Geschlechtsorgane waren im Alltag omnipräsent.

Wie zahlreiche Funde in Pompeji belegen, waren die Bewohner des Römischen Reiches buchstäblich von Sex-Symbolen umgeben. Als Kunstwerke, Kultgegenstände, Graffiti, Erregungshilfen oder Wegweiser zu eindeutigen Angeboten – allein in der Landstadt am Vesuv zählte man mehrere Dutzend Bordelle – waren Privathäuser und öffentlicher Raum von realistischen Darstellungen geprägt.

Wirtschaftsbetriebe machten da keine Ausnahme. Das zeigt ein neuer Fund in Großbritannien. Unweit von Oxford stießen Archäologen bei Vorarbeiten für einen Straßenbau auf einen Mühlstein, auf dem ein überdimensionaler Phallus prangt. „Als eines von nur vier bekannten Beispielen für römisch-britische Mühlsteine, die auf diese Weise dekoriert wurden, handelt es sich um einen bedeutenden Fund“, sagt die Archäologin Ruth Shaffrey vom Denkmalschutz Oxford South.

Der Mühlstein wirft ein Licht auf die Bedeutung sexueller Darstellungen im Alltagsleben der Römer. Zum einen wird sich die Gemeinschaft, für die in der Mühle der Weizen gemahlen wurde, Schutz für das Mehl erwartet haben, sagt Shaffrey. Zum anderen dürfte der Phallus für die lebensspendende Kraft stehen, die das gemahlene Getreide den Kunden verleihen sollte.


Dieses Bild schmückte ein Privathaus in Pompeji

Denn das Glied war seit Alters her mit Fruchtbarkeitskulten verbunden, als Kraftspender, aber auch als Glücksbringer und Abwender von Krankheiten und anderen Übeln. In zumeist erigierter Form zeichnete es die männliche Entourage des griechischen Gottes Dionysos aus, der ja nicht nur für das Wachsen des Weines, sondern auch für Fruchtbarkeit in geradezu exzessiver Weise verantwortlich war, was ihn auch zum Beschützer ekstatischer Veranstaltungen wie Theater, Musik, Feste und Orgien machte. Mit dem realistischen Phallus hob sich die Gefolgschaft des Dionysos deutlich ab von den Statuen nackter Männer, deren primäre Geschlechtsorgane bewusst zurückhaltend gestaltet waren.

Ein anderer Gott, dessen erigiertes Glied vor allem in der Öffentlichkeit präsent war, war Hermes, auch bekannt als Bote des Göttervaters Zeus und Betreuer von Reisenden wie Händlern und Räubern. Damit aber trennten seine Statuen, die sogenannten Hermen, auch die bewohnte Sphäre von unbehausten Wegen, Feldern und Bergen jenseits der Stadtgrenze ab.

In Athen etwa markierten imponierend abschreckende Stelen mit prallen Phallus-Darstellungen Grundstücke, Quartiere und Straßen. Wie ernst sie genommen wurden, zeigt der Skandal, der sich 415 v. Chr. ereignete, als die Athener Flotte ausgerüstet wurde, um zur Eroberung der Stadt Syrakus auf Sizilien aufzubrechen. Zahlreiche Hermen waren umgestürzt worden, Köpfe und Gemächt wurden verstümmelt.

Das wurde als Frevel gegen den Hüter des Weges aufgefasst, der nun gegen den geplanten Feldzug vorgehen würde. Da der Anschlag nahezu alle Hermen in der Stadt erfasst hatte, musste eine Organisation dahinterstehen. „Als Anzeichen einer Verschwörung zu Aufruhr und Sturz der Volksherrschaft“, so der Historiker Thukydides, wurde der Anschlag denn auch gedeutet, zahlreiche Todesstrafen folgten. Trotzdem sollte die Expedition nach Sizilien in einer Katastrophe enden.

Diese Bedeutung dürften die Bewohner der römischen Provinz Britannien ihrem Mühlstein wohl nicht beigemessen haben. Sie waren froh, dass er sich kraftvoll drehte, denn das bedeutete, dass die Ernte gut gewesen war. Die einzigen, die Anstoß daran nahmen, waren offensichtlich die Christen. Ihnen ging das allgegenwärtige Sex-Angebot im römischen Alltag, das im Hinterzimmer von Tavernen oder Umkleideräumen der Thermen schnell konkret werden konnte, doch sehr gegen die Moral.

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