Y-Chromosom stirbt doch nicht aus
Kontrollfunktion für die Meiose könnte das männliche Geschlechtschromosom unverzichtbar machen
Das Y-Chromosom der Männer ist im Vergleich zum weiblichen X-Chromosom eher kümmerlich: Im Laufe der Evolution hat es fast 90 Prozent seiner Erbinformation verloren. Es ist nur ein Drittel so groß und enthält gerade einmal ein Fünftel so viele Gene wie sein weibliches Gegenstück. Dennoch ist das Y-Chromosom entscheidend, denn erst seine Gene machen den Mann zum Mann. Aber auch einige darüber hinaus wirksame Kontrollgene liegen auf diesem Chromosom.
Wird das Y-Chromosom verschwinden?
Doch wie weit geht die drastische Schrumpfung des Y-Chromosoms? Einer populären Theorie zufolge könnte das „Männerchromosom“ sogar schon in wenigen Millionen Jahren aussterben. „Das Y-Chromosom hat zwar momentan eine wichtige Funktion für die Geschlechtsausprägung und die Spermienproduktion“, erklärt Paul Waters von der University of New South Wales in Sydney. „Aber wenn diese Gene woanders hin verlegt würden, wäre dies sein Ende.“
Ein solcher Gentransfer vom männlichen Geschlechtschromosom auf die restlichen Chromosomen ist immerhin bereits seit rund 165 Millionen Jahren im Gange. Zwar hat sich der Genverlust durch einen solchen Transfer in den letzten Millionen Jahren stark verlangsamt. Studien legen aber nahe, dass das Tempo dieses Gentransfers auch in der Vergangenheit häufiger schwankte und teilweise in Schüben ablief.
Ist das Y-Chromosom demnach dem Untergang geweiht?
Entscheidend für die Meiose
Ein Argument dagegen liefern nun Waters und seine Kollegin Aurora Ruiz Herrera von der Universität Barcelona. Denn wie sie erklären, könnte das Y-Chromosom eng mit einem der fundamentalen Prozesse der Zellbiologie verknüpft sein: der Zellteilung bei der Meiose. In dieser wird der normalerweise doppelte Chromosomensatz der Körperzellen halbiert, um so die Keimzellen – Spermien und Eizelle – zu schaffen.
„Unserer Hypothese nach kann das Y-Chromosom nicht aussterben, weil es Exekutions-Gene trägt, die für den erfolgreichen Ablauf der Meiose entscheidend sind“, sagt Waters. Diese Zfy-Gene sorgen dafür, dass beide Geschlechtschromosomen bei einem bestimmten Schritt der Meiose deaktiviert werden. Geschähe dies nicht, würden ihre Genprodukte die Zellteilung stören und zum Tod der Zelle führen. „Dass die Y-Chromosomen diese meiotische Inaktivierung der Geschlechtschromosomen steuern, ist schon seit Jahren bekannt“, erklärt Ruiz-Herrera.
Richter, Jury und Henker zugleich
Das Entscheidende jedoch: Diese Deaktivierung der Geschlechtschromosomen darf auch nicht zu lange anhalten. Das ganze fein ausbalancierte System der Meiose funktioniert nur, weil die Zfy-Gene sich durch dieses Stummschalten des Y-Chromosoms auch wieder selbst ausschalten. Bleiben sie aktiv, kommt es ebenfalls zum Tod der Zelle, wie Versuche mit genveränderten Mäusen gezeigt haben.
„Diese Gene agieren damit als ihre eigenen Regulatoren – sie sind sozusagen Richter, Jury und Henker zugleich“, sagt Ruiz-Herrera. Das aber bedeutet: Nur wenn dieses Gen auf einem der Geschlechtschromosom liegt, kann es seine Funktion korrekt ausüben. Wird es dagegen auf ein „normales“ Chromosom umgelagert, fehlt die Selbstausschaltung und die Zelle geht zugrunde.
„Die Männer können aufatmen“
Nach Ansicht von Waters und Ruiz-Herrera hat dieses komplexe System das Y-Chromosom vor dem Aussterben bewahrt und wird dies auch in Zukunft weiter tun. „Es gibt einen starken evolutionären Druck, das Y-Chromosom zu erhalten“, konstatieren sie. Denn die einzige andere Alternative wäre eine Übertragung der Zfy-Gene auf das X-Chromosom – aber solche Transferereignisse haben in der Evolution bislang nur in Ausnahmefällen stattgefunden.
„Das Y-Chromosom der Säugetiere gilt oft als Symbol der Männlichkeit“, sagt Ruiz-Herrera. „Jetzt können alle Männer aufatmen: Das Y wird dem Schicksal des Verschwindens entgehen – es wird erhalten bleiben.“ (Trends in Genetics, 2020; doi: 10.1016/j.tig.2020.06.008)
Quelle: Cell Press
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