Freitag, 15. November 2019

Phallische Frau, oder: Das Transmensch?

aus derStandard.at, 1. November 2019                                                        Die 15.000 Jahre alte Frauenfigur vom Typ           Gönnersdorf aus Waldstetten zeigt von der Seite eine Frauenfigur, von vorne einen Phallus.
Doppeldeutiger Fund
15.000 Jahre alte Figur stellt üppige Frau und Phallus zugleich dar
Frauenfigur vom sogenannten Typ Gönnersdorf ist charakteristisch für die europäische Eiszeitkunst

Auf den ersten Blick mag das Objekt unscheinbar und wenig spektakulär erscheinen. Für jene, die sich mit der Materie auskennen, erweist sich der längliche, abgerundete Stein in Wahrheit jedoch als geradezu sensationelles Fundstück: Das von dem Amateurarchäologen Adolf Regen auf dem Gemeindegebiet von Waldstetten im Osten von Baden-Württemberg entdeckte Artefakt wurde nun von Wissenschaftern als als 15.000 Jahre altes Kunstwerk aus der Eiszeit identifiziert.

Die Figur zeigt gleichzeitig einen stark vereinfachten Frauenkörper und, aus einem anderen Blickwinkel, einen Phallus. Objekte dieser Art sind bereits aus zahlreichen anderen Fundstätten in Europa bekannt, erstmals wurde nun ein solches Exemplar im Ostalbkreis im Süden Deutschlands gefunden.

Stark stilisierter Frauenkörper und mehr...

Die Figur ist knapp sechs Zentimeter groß und besteht aus einem Quarzitgeröll, das so auf der Fundstelle nicht vorkommt. Der Form nach entspricht sie den so genannten Frauenfiguren vom Typ Gönnersdorf, die nach einer Fundstelle am Mittelrhein benannt wurden und stark stilisiert sind: Von der natürlichen Form des Gerölls inspiriert, machen hier nur wenige eingravierte Linien aus einem typisch geformten Stein ein Kunstwerk. Die Darstellung reicht von anatomisch annähernd vollständigen Darstellungen bis hin zu Figuren, die nur aus Rumpf und Gesäß bestehen.

So zeigt der Fund aus Waldstetten nur einen Oberkörper ohne Kopf, einen dominanten Mittelteil mit Gesäß und einen verkürzten Unterkörper im Profil. Mit einer umlaufenden Gravierung im oberen Bereich folgt er zudem einer Tradition der zweigeschlechtlichen Darstellung, die aus der europäischen Eiszeitkunst bekannt ist ‒ die Figur kann damit gleichzeitig als männliches Geschlechtsteil interpretiert werden.

Typisch für das Ende der Eiszeit

"Diese Art der Abstrahierung zeichnet die Kunst am Ende der Eiszeit aus. Unser Typ Frauenfigur hat wenig mit den üppigen so genannten Venusfiguren aus der früheren Epoche des Gravettien gemein", sagte der Archäologe Harald Floss von der Universität Tübingen. Frauenfiguren des Typs Gönnersdorf folgen in ihrer geografischen Verbreitung der des Magdalénien und finden sich von den Pyrenäen bis nach Osteuropa.

In Süddeutschland kenne man sie zum Beispiel vom Petersfels bei Engen im Hegau. "Die Figur von Waldstetten ist als ein solches Kunstwerk einzuordnen. Dafür sprechen die absolut typische Form, die Lage in einer Konzentration von magdalénienzeitlichen Funden und mehrere umlaufende Gravierungen, die von Menschen angebracht wurden", so Floss. (red, 1.11.2019) 

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