aus nzz.ch, 23.5.2019
Zensur an der Uni? «Nicht jetzt, nicht hier»
Eine amerikanische Universität schmettert einen von Trans-Aktivisten lancierten Protest gegen die so streitbare wie bunte Professorin Camille Paglia ab. Markiert der Entscheid womöglich eine Wende im Kulturkampf zwischen selbsternannten Kämpfern für soziale Gerechtigkeit und Befürwortern der Redefreiheit?
Eine Dreiviertelstunde nach Beginn der Vorlesung «Mehrdeutige Bilder: Sexuelle Dualität und sexuelle Vielfalt in westlicher Kunst» ging ein (falscher) Brandalarm los. Gleichzeitig brach vehementer Einspruch gegen die Vortragende Camille Paglia aus und sorgte für Feuer unter dem Dach.
Noch während der Saal an der University of the Arts in Philadelphia evakuiert wurde, gingen zwei verfeindete Lager verbal aufeinander los. Hier eine wutentbrannte Handvoll Trans-Aktivisten, die gegen die Vorlesung der Kulturhistorikerin wegen angeblicher Trans-Feindlichkeit protestierten. Dort die nicht minder aufgebrachten Anhänger von Paglia. Und die Ironie der Geschichte: Paglia selbst ist eine als Trans und Queer auftretende, schillernde Persönlichkeit, die den Gender-Diskurs der letzten vierzig Jahre in den USA massgeblich mitbestimmt hat.
Jüngst wurde damit ein weiteres Kapitel in der Debatte um Rede- und Meinungsfreiheit an Universitäten aufgeschlagen, wieder einmal ausgehend von selbsternannten Aktivisten für Rechte und Schutz von transsexuellen Menschen, die in einem Spannungsverhältnis zwischen biologischer und sozialer Geschlechtlichkeit stehen. Getreu dem mittlerweile etablierten Drehbuch lancierten sie eine Online-Petition zur Absetzung der seit über dreissig Jahren an der University of the Arts lehrenden Paglia und ein Protestschreiben mit der Forderung nach Verlegung der Veranstaltung, um den Campus trigger-frei zu halten.
Das Scharmützel ist die x-te Variation zum Thema – aber eine der interessanteren. Denn die Universitätsleitung liess am Tag darauf die Protestler auflaufen und weigerte sich, die Redefreiheit und ihr Lehrprivileg an einer gerade den von Kontroverse und Kritik zehrenden Künsten gewidmeten Uni zu kompromittieren. «Not now, not at UArts», beschied Uni-Präsident David Yager den Aktivisten.
Spaß am Streit
Mit dem Angriff auf die festangestellte Professorin Paglia, eine GenX-Celebrity der ersten Internetstunde, die nach Veröffentlichung ihres Buchs «Sexual Personae» in den 1990er Jahren als feministische und queere Bombe in den intellektuellen Diskurs einschlug, hatten sich die Aktivisten übernommen. Weder das Flehen nach Sicherheit auf dem Campus und die händeringende Bitte um Rücksicht auf anders gelagerte Gefühle von Trans-Menschen noch das eingeforderte Mitspracherecht auf die Personalpolitik der Universität zeigten Wirkung.
Gewiss,
Paglias Brot ist die Kontroverse. Ihrer jahrzehntelangen
pro-feministischen Anwaltschaft aus libertärer Warte zum Trotz ist sie
auch eine ernste Kritikerin von Trans-Anliegen. Unlängst bezeichnete sie
die Forderung nach Gender-korrekten Pronomen als Angriff auf die
englische Sprache, hervorgebracht von «flennenden Verrückten». Das
Trans-Phänomen sei Ausdruck der Entfremdung von Jugendlichen, ähnlich
wie von Beatniks oder Hippies in früheren Jahrzehnten.
Geschlechtsumwandlung
von Heranwachsenden als Eingriff in ihre physische Integrität
betrachtet Paglia als Kindsmissbrauch. Ähnlich hart geht sie mit #MeToo
und der dritten Welle des Feminismus ins Gericht – und das nicht erst
seit gestern. Interessant ist, dass sie bereits im Jahre 1992 im
Interview mit dem – inzwischen von #MeToo versenkten – Talkmaster
Charlie Rose ihre Position darlegte. Während sie vollkommen hinter der
Ausarbeitung von Richtlinien für die Definition von sexuellen
Übergriffen stehe, «hasse sie die Seifenoper derjenigen, die sich zu
Opfern machten». Sie forderte ein Ende der Angriffe auf toxische
Maskulinität und politischer Korrektheit – vor über einem
Vierteljahrhundert!
Indem
sich die UArts auf die Seite Paglias schlägt, bekennt sie sich auch zu
einem ihrer intellektuellen Aushängeschilder. Obwohl nur konsistent,
muss man das heutzutage geradezu als mutig bezeichnen.
Der Einsatz der Gebrüder Koch
Der
Universität und Paglia den Rücken stärkt im vorliegenden Fall
interessanterweise auch ein weiterer Akteur aus den Reihen der Presse –
und nicht nur in Form des öffentlichen Megafons, das einen süffigen
Skandal freudig aufgreift und verstärkt, da saftige Themen wie
Transsexualität, politische Korrektheit und Redefreiheit die Leser auf
beiden Seiten des politischen Spektrums zuverlässig triggern. Am Ende
des Artikels im «Atlantic», der den jüngsten Aufruhr ins Rollen brachte,
findet sich nämlich eine interessante Offenlegung: Der Artikel sei Teil
einer programmatischen Serie namens «The Speech Wars», eines
journalistischen Projekts, das die gegenwärtige Debatte zwischen «Social
Justice»-Kämpfern und Verteidigern einer bedingungslos akademischen
Forschungs- und Lehrfreiheit um restriktive Sprach- und Verhaltenscodes
unter die Lupe nimmt.
Finanzielle
Unterstützung erhält das Projekt neben weitgehend unbekannten Akteuren
auch von der konservativen Charles Koch Foundation. Letztere ist der
wohltätige Arm für die Unterstützung höherer Bildung innerhalb eines
Konglomerats verschiedener Stiftungen und philanthropischer Institute
der Gebrüder Charles und David Koch. Die Kochs sind bekanntlich die
milliardenschweren Erben der Koch Industries, einer Unternehmensgruppe
in den Industriebereichen rund um Öl, Gas, Papier und Chemie. Die Koch
Brothers sind als einflussreiche politische Akteure und Königsmacher der
republikanischen Partei so bekannt wie umstritten.
Im
Tätigkeitsbereich Tolerierung und freie Rede subventioniert die
Erziehungsstiftung der Koch-Brüder schon seit 2017 Forschungsprojekte zu
Redefreiheit auf dem Campus. Dass sie mit der Serie «Speech Wars» auch
aktiv in der Medienarbeit tätig wird, ist neu. Vom Aufruhr von
progressiver Seite ob der Einmischung von nicht unparteiischen
Interessengruppen in unabhängigen Journalismus einmal abgesehen,
verweist das jüngste Engagement der Foundation auf ein neues Element: Im
Kulturkampf um Freedom of Speech an US-Unis mischen nun auch politische
Schwergewichte mit. Im andauernden Disput um die Redefreiheit an
US-Unis könnte dies womöglich einen Trendwechsel einläuten.
Nota. - Der Kampf um Redefreiheit ein Erkennungsmerkmal der politischen Rechten? Da stimmt was mit den Begriffen nicht.
JE