Herkules bei Omphale
Die Neue Zürcher bringt heute einen Beitrag von Joanna Williams, der die widersprüchlichen Stand- punkte in der Sex-Gender-Diskussion zusammenfasst. Dass sich zum Schluss doch nur eine Bin- senweisheit ergibt, ist nicht ihre Schuld - es liegt in der Natur der Sache. Denn das wissen wir längst: Was uns die Naur mitgegeben hat, ist eines; was wir daraus machen, ist ein anderes. Mitgegeben hat sie uns nämlich auch den Fluch des Bewusstseins und des freien Willens. Mit dem Ergebnis: Berufen können wir uns auf nichts und niemanden, wir müssen für alles selber gradestehen.
So weit war die Philosophie etwa seit Kant. Sachlich hat die Gender-Debatte nichts Neues hinzuge- fügt.
... Diesem Denken
stellt sich ein anderes entgegen, das die biologisch bedingte
Geschlechterdifferenz wieder auf den Plan bringen will. Die
Evolutionspsychologie vertritt den Standpunkt, dass die biologische
Geschlechterdif- ferenz sich durchaus auf die Natur des Menschen auswirkt.
Das Verhalten von Tieren weist geschlechtsbedingte Unterschiede auf,
und solche zeigen sich auch beim Menschen – und zwar in verschiedensten
Kulturen und Epochen.
Der
evolutionäre Druck auf männliche und weibliche Geschöpfe und die
Hormone, mit denen der Fötus im Mutterleib in Kontakt kommt, haben laut
einer – freilich umstrittenen – Studie des britischen Psychologen Simon Baron-Cohen zur Ausprägung zweier unterschiedlicher, in unserer
Neurophysiologie verankerter Natu- relle geführt, wobei Frauen stärker auf
Empathie, Männer stärker auf systematisches Denken ausgerichtet sind.
Allerdings konzediert Cohen, dass nicht alle Männer männlich und alle
Frauen weiblich geprägte Gehirne haben.
Was taugen die Analysen?
Cordelia
Fine, Verfasserin von «Delusions of Gender» und «Testosterone Rex»,
hinterfragt die wissenschaft- liche Glaubwürdigkeit solcher Behauptungen.
Sie zeigt auf, dass in Empathie-Tests mit nach Zufallsprinzip
ausgewählten Teilnehmerinnen und Teilnehmern Frauen sich in 40 Prozent
der Fälle weniger empathisch zeig- ten als Männer. Zudem seien die
Resultate solcher psychologischer Tests nie wirklich neutral: Die
Befragten handelten gemäss dem, was die Forscher ihrer Meinung nach von
ihnen erwarteten, und versuchten ein bestimmtes Bild von sich zu
vermitteln.
Fine
negiert nicht, dass es im Gehirn unterschiedliche Prägungen geben
könne; aber sie mahnt: «Die schiere Komplexität des Gehirns macht es
sehr schwierig, die Bedeutung geschlechtlicher Differenzen, die wir dort
vorfinden, genau zu analysieren.» Besonders heikel sei es, so Fine, die
Auswirkung geschlechtlicher Unter- schiede im Gehirn auf das menschliche
Denken zu beurteilen.
Diese
Unterscheidung zwischen Gehirn und Denken ist ein Kernpunkt. Menschen
lassen sich ebenso wenig auf ihr Gehirn wie auf ihre Genitalien
reduzieren. Unser Bewusstsein, unsere Fähigkeit, im Einklang mit unserer
biologischen Prägung oder auch gegen sie zu handeln, statt uns einfach
von ihr regieren zu lassen – das ist es, was den Menschen vom Tier
unterscheidet. ...
Gewiss: Es gibt durch das Geschlecht bedingte Unterschiede. Männer sind
in der Regel grösser, schwerer und stärker als Frauen. Wenn wir aus
breit abgestützten Studien ermittelte Durchschnittswerte betrachten,
zeigen sich Differenzen im emotionalen Bereich oder bei den kognitiven
Fähigkeiten. Aber die Ursache dieser Diffe- renzen zu bestimmen, das
genaue Verhältnis zwischen natürlicher Veranlagung und sozialer Prägung –
das ist beinahe unmöglich. Menschen existieren nicht als biologische,
vom gesellschaftlichen Umfeld unbeleckte Wesen. Kinder werden in eine
Welt hineingeboren, in der ihr biologisches Geschlecht von Anfang an in
ihre Interaktionen mit anderen Menschen hineinspielt. Wir können der
Sozialisierung nicht ausweichen; aber wir können, zu einem gewissen Grad
wenigstens, selbst entscheiden, in welchem Mass wir sie akzeptieren
oder zurückweisen wollen.
Joanna Williams ist Redaktorin für Bildungswesen beim britischen
Online-Magazin «spiked», wo die Erstfassung dieses in der Übersetzung
leicht gekürzten Beitrags erschien. 2017 erschien ihr Buch «Women vs.
Feminism. Why We All Need Liberating from the Gender Wars». Aus dem
Englischen von as.
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