Dienstag, 23. Dezember 2014

Jungen spielen mit Autos, Mädchen mit Puppen.

Lothar Sauer aus nzz.ch, 22.12.2014, 05:30 Uhr

Wenn Kinder spielen
Weshalb vertreiben sich Buben und Mädchen unterschiedlich ihre Zeit? Greifen Buben aus biologischen Gründen zum Spielzeugauto? Und: Ist das schlimm?

von Katrin Schregenberger

Die Weihnachtszeit ist die Zeit der Bescherungen – und dies nicht nur unter dem Weihnachtsbaum. Auch für Spielzeughersteller ist es eine segensreiche Zeit, die viel Geld in ihre Kassen spült. In Scharen strömen Mütter und Väter in die Spielzeugpaläste und boxen sich mit Ellbogen zu den Wünschen ihrer Kinder durch. Das Ziel ist dabei oft an seiner Farbe erkennbar: die blauen Regale für Bubenträume, die rosa Ecken für Mädchenwelten. Die Hersteller scheinen die Wünsche der Kinder immer genauer anzupeilen. 

Schiessende Mädchen 

Von den Herstellern wird das Offensichtliche nicht gern bestätigt. «Wir bieten verschiedene Themenwelten, mit denen wir Jungen und Mädchen ein möglichst vielfältiges Angebot für alle Altersklassen und Interessen machen», sagt Katharina Redmonds, Pressesprecherin von Lego. Dabei stand auch dieser Hersteller bereits in der Kritik . Stein des Anstosses war das 2012 lancierte Set «Lego Friends», das sich explizit an Mädchen richtet. Es ist eine rosarote Welt mit fünf schlanken Puppen-Freundinnen, die kochen und sich stylen. Sogar einen Laufsteg hat es. Die Serie habe man zusammen mit Mädchen und Müttern entwickelt, weil Mädchen von vielen Produkten weniger angesprochen würden. Stereotyp seien die Figuren nicht. Im Sommer hat Lego auf Kritik reagiert und weibliche Wissenschafterfiguren ins Sortiment aufgenommen. Auch andere Spielzeughersteller sind auf Vorwürfe eingegangen und haben geschlechtsneutrale Spielzeugkataloge produziert, in denen Mädchen mit Spielzeugpistolen schiessen und Buben Puppen föhnen. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Buben und Mädchen je andere Spielzeuge bevorzugen. Doch weshalb eigentlich? 


Um diese Frage rankt sich seit Jahrzehnten eine Fehde zwischen der Gender-Forschung und den Biologen und Psychologen. Am härtesten wurde der Kampf, befeuert vom Feminismus, zwar in den 1970er und 1980er Jahren geführt. Die Gräben sind aber auch heute nicht ganz überwunden. Auf der einen Seite stehen Sozialisationstheorien, auf der anderen biologische und psychologische Erklärungsmuster. «Kinder können ab dem zweiten Lebensjahr Mann und Frau unterscheiden», sagt Pasqualina Perrig-Chiello, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern. Bereits vorher lasse sich aber unterschiedliches Spielverhalten beobachten. Dass Sozialisation einen Einfluss habe, sei in der Psychologie unbestritten. Sie könne aber nicht alles erklären. Zum Beispiel hätten Studien gezeigt, dass das geschlechtstypische Spielverhalten universell sei: Überall auf der Welt lasse sich ähnliches Spielverhalten beobachten, obwohl Rollenmodelle andersartig gelebt würden. Zudem fänden sich diese Unterschiede auch bei Primaten.




Erklärt werden diese Unterschiede in der Biologie und der Psychologie unter anderem durch die Befunde aus der Hormonforschung: In verschiedenen Versuchen wurde gezeigt, dass der Anteil männlicher Hormone sogar schon im Mutterleib mit dem späteren Spielverhalten in Verbindung steht. «Für dieses Erklärungsmuster gibt es recht viel Evidenz», sagt Moritz Daum, Professor am Lehrstuhl Entwicklungspsychologie der Universität Zürich. In einem Versuch seien frisch geborenen Rattenweibchen männliche Hormone gespritzt worden. Das Spielverhalten dieser weiblichen Ratten habe sich danach von jenem anderer unterschieden. Ihr Spiel war aggressiver. 

Die Hormone spielen mit 

Auch beim Menschen gibt es diesen hormonellen Einfluss: Wenn bei Mädchen oder Frauen die Produktion männlicher Geschlechtshormone stark erhöht ist (wie zum Beispiel im Falle des adrenogenitalen Syndroms), wird ein eher «männliches» Spielverhalten gezeigt. «Hormone haben sicher einen Effekt. Das heisst aber nicht, dass sie alles erklären können», sagt Daum. Wie hoch der Anteil männlicher Hormone ist, ist genetisch festgelegt. Beweist das den biologischen Ursprung des Spielverhaltens? «Von Beweisen redet man in der Wissenschaft lieber nicht», gibt Daum zu bedenken. Es gebe aber überzeugende Befunde, die auf einen bedeutsamen Einfluss hinwiesen. 


Die Ergebnisse der Psychologie werden in den Gender-Studien stark infrage gestellt (siehe Interview). «Die Settings wissenschaftlicher Studien sind oft schon vergeschlechtlicht», sagt Fabienne Amlinger vom Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung in Bern. Die Ergebnisse würden dadurch beeinflusst.




Hinter der Debatte, ob Biologie oder Umwelt Ursache des Spielverhaltens ist, steht eigentlich eine andere Frage: Worin liegt der Ursprung der Geschlechter? Die Aufteilung in Mann und Frau ist aus der Sicht der Gender-Forscherinnen fragwürdig: «Was als männlich oder weiblich gesehen wird, hat sich über die Zeit und die Kulturen hinweg verändert. Es gibt beachtliche Unterschiede innerhalb dessen, was als männlich und was als weiblich gesehen wird. Die Aufteilung in zwei Geschlechter ist folglich unterkomplex», sagt Fabienne Amlinger. Geschlecht hin oder her, ist genderspezifisches Spielzeug schädlich? 


Je breiter, desto besser 

Durchaus, finden die Gender-Forscherinnen. «Was bringt vergendertes Spielzeug?», fragt Fabienne Amlinger. «So werden nur Geschlechterrollen zementiert, was den Denkhorizont der Kinder trotz ihrer Kreativität einschränken kann», fügt sie an. 


Wie Kindern Spielzeug suggestiv untergejubelt wird, war Forschungsgegenstand eines nationalen Forschungsprogramms . Darin wurden Spielzeuge und deren Verwendung in Krippen untersucht. Die Forscherinnen entdeckten zweierlei Mängel: Einerseits die räumliche Trennung von «männlichem» und «weiblichem» Spielbereich. Andererseits fehlten an Orten des Rollenspiels – zum Beispiel in einer Spielküche – Requisiten für männliche Parts. «So werden den Kindern Rollenbilder vermittelt, die sie aufnehmen», erläutert Franziska Vogt, Professorin für Lernforschung an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, die am Projekt beteiligt war. Die Interessen der Kinder würden so beeinflusst – möglicherweise bis zur Berufswahl. 


Doch: Hat Spielzeug wirklich einen so grossen Einfluss auf unser weiteres Leben? Wird ein Mädchen eher Ingenieurin, wenn es als Kind mit Bauklötzen gespielt hat? «Diese Sicht ist zu eindimensional», sagt der Entwicklungspsychologe Moritz Daum. Zwischen Spielzeug und Berufswahl lägen noch zu viele andere Einflüsse. Dass Spielzeug unsere kognitiven und sozialen Fähigkeiten aber ganz generell beeinflusst, ist unbestritten: «Im Spiel werden Rollen des späteren Lebens eingeübt», sagt Professorin Pasqualina Perrig-Chiello. Je mehr unterschiedliche Rollen durchgespielt würden, desto besser. 


«Wenn ein Mädchen immer nur Prinzessin spielt, hat es nachher eine schmale Erfahrungsbasis, auf die es zurückgreifen kann», fügt sie an. In diesem Punkt sind sich Gender-Forscher und Psychologen also einig: je breiter die Palette, desto besser. Perrig-Chiello warnt aber davor, Spielzeug überzubewerten: «Kinder sind nicht einfach eine Münze, die geprägt wird, sondern sie haben eine eigene Persönlichkeit.» 



Nota. - Wenn's die Hormone sind, dürfen die Jungens ihre Autos behalten. Ist es die Sozialisation, müssen sie sie gegen Puppen eintauschen. Und wenn man zeigen könnte, dass ihr Bewegungsdrang den Jungens auch bloß ansozialisiert wird, könnte man sie endlich ruhigen Gewissens zum Stillesitzen verdonnern...

Ich mache eine Wette: Unter denen, die meinen, Kinder sollten kein geschlechtsspezifisches Spielzeug bekommen, sind die Anhänger der Ganztagsschule überproportional vertreten; und umgekehrt. - Hält wer dagegen?

JE

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