Wespenspinnen
Tödlicher Sex zugunsten der nächsten Generation Er verstümmelt sich bei der Paarung. Sie frisst ihn nach dem Akt.
Kaum ein Sexualverhalten ist so bizarr wie das der Wespenspinnen.
Von Katrin Blawat
Eine Menge Beine zappeln umeinander. Unmöglich zu erkennen, was
die schwarz-weiß-gelb gestreifte Spinne derart in Aufregung versetzt
hat. Ein Beutetier? Ein wütender Artgenosse? Plötzlich ist Ruhe,
verdächtige Ruhe. Auch wer wenig über Spinnen
weiß, ahnt: Wer immer an dem wilden Treiben beteiligt war - es ist
nicht für alle gut ausgegangen. "Das Männchen ist nicht rechtzeitig
davongekommen. Es wird gefressen", kommentiert Jutta Schneider, Verhaltensforscherin an der Uni Hamburg. Die kurze Filmsequenz zeugt von einem der merkwürdigsten
Sexualverhalten, das sich die Evolution hat einfallen lassen und das
Forscher noch immer vor zahlreiche Rätsel stellt. Auf den ersten Blick
mag die Wespenspinne Argiope bruennichi nicht besonders aufregend
wirken. Sie ist weitverbreitet, webt Netze und frisst Insekten, ein
durchschnittliches Spinnenleben eben. Im Sommer aber, zur Paarungszeit,
werden die Vertreter dieser Art zum besten Beispiel für den
Einfallsreichtum der Natur, wenn es gilt, unterschiedliche sexuellen
Interessen zusammenzubringen.
Bei der Paarung verstümmelt sich das Männchen selbst Charakteristisch für Wespenspinnen ist nämlich, dass Männchen und
Weibchen verschiedene Ansichten über die optimale Zahl an
Sexualpartnern haben. Die Weibchen dieser Art sind polyandrisch: Sie
wollen sich möglichst mit mehreren Männchen paaren und erst hinterher
entscheiden, welche Samen die Eier befruchten sollen. "Kryptische
Weibchenwahl" nennen Forscher diese Entscheidung.
Allerdings setzt die Anatomie dem Weibchen Grenzen in der Zahl
seiner Fortpflanzungspartner. Weibliche Wespenspinnen haben zwei
Geschlechtsöffnungen und können sich daher pro Saison meist nur von zwei
verschiedenen Partnern begatten lassen. Die Männchen hingegen sind mono- oder allenfalls bigam. "In ihrem
Interesse liegt es, ein jungfräuliches Weibchen zu finden, mit ihm zu
kopulieren und es dann zu monopolisieren", erklärte Jutta Schneider
kürzlich auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Ethologie
in Tutzing. Bizarr an der Strategie der Männchen erscheint vor allem das
Monopolisieren. Dabei verstopft das Männchen nach der Paarung die
Geschlechtsöffnung des Weibchens mit der Spitze seines eigenen
Begattungsorgans. Eine solche Selbstverstümmelung wirkt auf den ersten
Blick nicht gerade sinnvoll, um die Weitergabe der eigenen Erbanlagen zu
sichern. Jedes Männchen hat zwei Begattungsorgane, kann sich also in
seinem Leben nur zweimal paaren, wenn es die Spitze dieser sogenannten
Pedipalpen jedes Mal als Pfropf benutzt.
Rätselhafte weibliche Interessen
Trotzdem seien die "Ein-Schuss-Genitalien keine evolutionäre Sackgasse", schreibt Jutta Schneider im FachmagazinBMC Evolutionary Biology.
Immerhin kann sich das Männchen so einigermaßen sicher sein, dass nicht
noch ein Nebenbuhler zum Zug kommt. So sind Wespenspinnen auch nicht
die einzigen Tiere, bei denen die Männchen auf die monopolisierende
Wirkung eines "Begattungspfropfens" setzen. Ähnliches kennen Forscher
zum Beispiel auch von Anglerfischen, bei denen das Männchen nach der
Paarung vollständig mit dem Weibchen verwächst und manchen Ameisen, bei
denen die Männchen ihr eigenes Abdomen als Barriere für Geschlechtsgenossen einsetzen. Den Interessen des Männchens ist damit gedient - doch wie steht
es um weibliche Wespenspinnen, die schließlich alles andere wollen als
monopolisiert zu werden? Ob es ihnen unter evolutionären Gesichtspunkten
nützt, sich mit mehreren Männchen zu paaren, lässt sich zwar nicht so
einfach nachweisen. "Es ist sehr schwierig, die Interessen der Weibchen
zu quantifizieren", sagt Schneider. Ungeachtet dessen zeigen jedoch
Szenen wie die in Schneiders kurzem Film, dass das Weibchen eine äußerst
effektive Strategie entwickelt hat, sich gegen die
Monopolisierungsversuche zu wehren: Es frisst seinen Partner auf.
Sexueller Kannibalismus nützt dem Nachwuchs Unter evolutionären Gesichtspunkten ist dieser sexuelle
Kannibalismus nichts anderes als der Versuch, den widersprüchlichen
Interessen der Geschlechter gerecht zu werden. Ein totes Männchen kann
nicht mehr monopolisieren, das Weibchen kann sich einmal mehr paaren.
Zudem haben Schneider und ihre Kollegen Hinweise darauf gefunden, dass
der Kannibalismus dem Nachwuchs nützt. Demnach sind die Eier eines
Weibchens, das seinen Partner nach der Kopulation gefressen hat, größer
und kommen besser mit Nahrungsmangel zurecht als die Eier eines
Weibchens, das seinen Partner am Leben gelassen hat. Womöglich helfen
Aminosäuren aus dem Körper des Männchens, die Eier mit wichtigen
Nährstoffen zu versorgen. Und das, obwohl männliche Wespenspinnen winzig
sind verglichen mit den weiblichen. Warum aber lässt sich das Männchen auf das tödliche Spiel ein?
Kann es nicht fliehen, bevor das Weibchen zuschlägt? Immerhin ist dieser
Zeitpunkt einigermaßen absehbar. Dauert der Sex nur sechs oder sieben
Sekunden, kann das Männchen "Glück haben und lediglich ein paar Beine
verlieren", sagt Schneider. Kopulieren die Spinnen
jedoch zehn Sekunden oder länger miteinander, bedeutet das regelmäßig
den Tod des Männchens. Allerdings steht auch das Männchen vor einem
Dilemma, denn während einer langen Paarung kann es mehr Samen übertragen
als während einer kurzen. Also muss es von Fall zu Fall wählen, wie
lange es beim Weibchen ausharrt. Und wie alles im Sexleben der
Wespenspinne, ist auch diese Entscheidung kompliziert.
Tödliche Investition Eine große Rolle spielt - natürlich - die Attraktivität des
Weibchens: Jungfräulich, zugleich aber alt und schwer sollte es
idealerweise sein, denn das lässt die Überlebenschance des Nachwuchses
steigen. In eine solche Partnerin lohnt es sich zu investieren, zur Not
auch das eigene Leben. Das gilt vor allem dann, wenn das Männchen
bereits eines seiner beiden Genitalien bei einer ersten Kopulation
verstümmelt und so kaum noch etwas zu verlieren hat. Daher entscheidet
sich das Männchen bei seiner zweiten Paarung stets für das, was Biologen
"terminales Investment" nennen: Es kopuliert lange, überträgt dabei
möglichst viele Samen - und nimmt in Kauf, anschließend gefressen zu
werden. "Sind die Zukunftserwartungen ohnehin gering, so sind auch durch
den Tod keine großen Einbußen möglich", so formulieren es die Biologen Lutz Fromhage und Jutta Schneider im Fachmagazin Ecology and Evolution.Trifft das Männchen hingegen auf ein Weibchen, das seinen
Ansprüchen nicht voll und ganz genügt, ist ihm sein Überleben wichtiger
als eine möglichst umfangreiche Begattung. Das gilt vor allem dann, wenn
es andere, attraktivere Weibchen in der Nähe weiß. Weniger wählerisch
werden männliche Wespenspinnen hingegen, wenn das Ende der Paarungszeit
näher rückt und somit nur noch wenige Paarungsgelegenheiten bleiben. Nie
ähneln sich die sexuellen Interessen von Männchen und Weibchen so sehr
wie wenn beide wissen: Es könnte ihr letztes Mal sein.
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