Als Kind war ich spindeldürr und schwach wie ein Flaum. Gefürchtet habe ich mich vor allem Möglichen, und am meisten davor, mich für einen Feigling halten zu müssen. Dahin habe ich es gottlob nie kommen lassen.
Ich war erst vier, als mein Vater starb, aber ich kannte ihn gut. Die Frauen, unter denen ich aufwuchs, hatten für männliche Tugenden nur Hohn und Spott. Mickrig wie ich war, war ich nicht gemeint. Umso mehr habe ich es gewollt.
Männliche Elefanten sind sanfter, wenn ältere Männchen in der Nähe sind
Isolierte Männchen
neigen einer Studie zufolge zu Gewalt gegenüber Objekten und Tieren. Die
Auswirkungen der Trophäenjagd sorgen auch hier für Probleme
Die besänftigende Wirkung von älteren Artgenossen bekommen Elefanten
zu spüren: Im Rahmen einer Studie der Universität Exeter und der
Wohltätigkeitsorganisation "Elephants for Africa" stellte sich heraus,
dass zumindest männliche Elefanten aggressiver sind, wenn sich nur
wenige ältere Art- und Geschlechtsgenossen in der Nähe befinden. Das
schreibt die Forschungsgruppe im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B".
Um mehr über das Sozialverhalten der Tiere herauszufinden,
dokumentierte sie das Gebaren von 281 Elefanten über drei Jahre hinweg.
Da sich im Untersuchungsgebiet, dem Makgadikgadi Pans Nationalpark in
Botswana, nur Elefantenbullen aufhalten, lassen sich keine Aussagen über
die Lage bei Weibchen ableiten. Die beobachteten Tiere fielen in vier
Altersgruppen: Als jugendlich galten sie bis zum Alter von 20 Jahren
(10-15 und 16-20 Jahre), darüber zählten sie als Erwachsene (21-25 oder
26 und älter).
Aggression und Vandalismus
Bei der Erhebung zeigte sich: Wenn
wenige alte Bullen in der Nähe waren, legten die Elefanten
aggressiveres Verhalten an den Tag – zumindest gegenüber allem, was kein
Elefant ist. Dazu zählte das Forschungsteam unter anderem Fahrzeuge und
andere Tierarten.
Besonders deutlich zeigte sich dies bei Jugendlichen. Heranwachsende
Elefanten verhalten sich offenbar vor allem dann aggressiv, aber auch
ängstlich gegenüber den "nicht-elefantischen Zielen", wenn sie alleine
sind. Daraus lässt sich unter anderem folgern, dass jugendliche
Individuen, die sozial isoliert sind, auch Menschen gegenüber eine
größere Gefahr darstellen.
Mit dem Projekt wollte die Forschungsgruppe einem eher selten
analysierten Bereich der Verhaltensforschung Aufmerksamkeit schenken,
nämlich den Beziehungen in rein männlichen Elefantengruppen.
"Anscheinend spielt die Anwesenheit erfahrener, älterer Elefanten in den
Gruppen eine Schlüsselrolle dabei, die jüngeren, weniger erfahrenen
Männchen ruhig zu halten", sagt die Biologin Connie Allen, Hauptautorin
der Studie.
Management und Jagd
Die älteren Tiere seien in der Lage, bei
Jüngeren die Wahrnehmung von Bedrohungen zu reduzieren. Dadurch werden
diese ruhiger und stellen ein geringeres Risiko für Menschen und andere
Tierarten dar.
Das Wissen um diese ausgleichende Wirkung müsste besonders von
Wildtiermanagern und Wilderern beachtet werden, sagt der
Verhaltensforscher Darren Croft, der ebenfalls an der Studie mitwirkte:
"Alte Elefantenbullen gelten oft als überflüssig und werden bei der Trophäenjagd
zum Ziel." Wenn es weniger von diesen älteren Tieren gibt, die eine
ausgleichende Wirkung auf junge Männchen haben, hat das auch für die
Jäger Konsequenzen – etwa, wenn Elefanten häufiger Fahrzeuge
attackieren. (red,)
Nota. -Rückschlüsse auf menschliche Erziehungssysteme bieten sich an, sind aber wissen-schaftlich ganz wertlos. Doch für Gedankenspiele eignen sie sich gut.
aus nzz.ch, 2. 12. 2021 Schulbilderverlag F.E.Wachsmuth
Raus aus der Höhle!
Wie Frauen die Urgeschichte prägten
Der
Mann als Jäger und Erfinder, die Frau als Mutter beim Sammeln: In den
Vorstellungen, die wir von der Steinzeit haben, sind die Rollen klar
verteilt. Aber womöglich war alles ganz anders – das legt die
Urhistorikerin Marylène Patou-Mathis nahe.
von Claudia Mäder
Die
Geschichte war so gut, dass sie 2018 durch alle Newsportale ging:
Facebook hat eine prähistorische Statue zensiert! Die üppigen Brüste der
Venus von Willendorf sind den Algorithmen der sozialen Plattform als
Pornografie erschienen – die Bilder der Figur, die eine Nutzerin
hochgeladen hatte, wurden gesperrt. Natürlich haben die Newsmeldungen
zur Causa Venus auch die wichtigsten Informationen über die Skulptur
geliefert. Diese, so war zu lesen, zähle zu den berühmtesten
urgeschichtlichen Frauendarstellungen und sei vor rund 30 000 Jahren von
einem unbekannten Künstler geschaffen worden.
Wirklich?
Das jüngste Buch von Marylène Patou-Mathis stellt den letzten Teilsatz
infrage. Nicht, dass die französische Urhistorikerin Näheres über den
Schöpfer der Venusfigur herausgefunden hätte. Aber mit ihrem Werk legt
die Forscherin den Gedanken nahe, dass der unbekannte Künstler auch eine
unbekannte Künstlerin gewesen sein könnte.
Bei
prähistorischen Kunstwerken von weiblichen Urhebern auszugehen, ist
lange Zeit keine Option gewesen. Venusstatuen wie jene aus Willendorf
gibt es viele, bis heute liegen an die 250 Figuren vor. Als man 1864 die
erste fand, war selbstverständlich klar, dass ein Mann sie angefertigt
hatte. Und genauso fraglos nahm man seinerzeit auch an, dass
prähistorische Männer Werkzeuge erfunden und Tiere gejagt hatten,
derweil sich die Frauen in der Nähe der heimischen Höhle um den
Nachwuchs kümmerten.
Diese
Klischeebilder wirken heute nicht sonderlich irritierend. Zeugt nicht
jeden Sommer die männliche Freude am Grillieren von den guten alten
Steinzeitstrukturen, in denen die Herren der Schöpfung für Fleisch und
Feuer sorgten? Auch Filme und Romane, die in der Urzeit spielen,
transportieren solche Rollenbilder, in der Wissenschaft aber stossen sie
seit einiger Zeit auf Widerstand. Spätestens in den 2000er Jahren ist
die Geschlechterarchäologie mit Gegenthesen hervorgetreten.
Wer
beim Namen dieser Disziplin an «Genderwahn» denkt, an das ideologische
«Geschlechtergaga», das inzwischen alle Wissenschaften durchsetzt, dem
oder der sei die Lektüre von Patou-Mathis’ Buch besonders empfohlen. Die
Französin dreht den Spiess nämlich einfach um. Die Erforschung der
Frühgeschichte ist in ihren Augen tatsächlich von einer Ideologie
geprägt. Allerdings von einer, die man selten als solche bezeichnet: vom
Standpunkt der Männer, der in der Regel als Norm durchgeht.
Von Natur aus häuslich
Als
wissenschaftliche Disziplin ist die Urgeschichte ab der Mitte des
19. Jahrhunderts entstanden, und vor dem Hintergrund dieser Zeit, so
Patou-Mathis, müsse man ihre Thesen verstehen. Den ersten Teil ihres
Buches «Weibliche Unsichtbarkeit. Wie alles begann» widmet die Autorin
deswegen nicht der Altsteinzeit, sondern den Geschlechterkonzepten der
bürgerlichen Epoche.
Schon
lange zuvor sind Frauen von Theologen, Juristen oder Staatstheoretikern
den Männern untergeordnet worden, doch ab dem 18. Jahrhundert änderte
sich die Begründung, die für die angebliche weibliche Minderwertigkeit
vorgebracht wurde. Immer stärker dienten jetzt Medizin und Physiologie
zur Degradierung der Frauen. Diese seien durch ihre körperliche
Konstitution und ihre kleinen Gehirne «von Natur aus» dazu bestimmt,
passiv zu leben und im Haus den Nachwuchs zu betreuen. Die Männer
dagegen sollte von Nervenbahnen bis Knochengefüge alles zum tätigen
Leben als Schaffer und Ernährer prädestinieren.
Just
diese patriarchalen Vorstellungen, meint Patou-Mathis, hätten die
Männer, die sich im 19. Jahrhundert für die Urgeschichte interessierten,
auf den Gegenstand ihrer Forschung übertragen. Auch manche dieser
ersten Archäologen wollten zeigen, wie die Dinge von Natur aus lagen –
jedoch suchten sie die Essenz nicht in biologischen Gegebenheiten,
sondern in den Anfängen der Menschheit.
Dass
jeder geschichtliche Rekurs auf einen Anfang problematisch ist, war
einigen Zeitgenossen wohlbewusst: «Unsere Bilder der Anfänge sind meist
doch bloss Constructionen, ja blosse Reflexe von uns selbst», schrieb
etwa Jacob Burckhardt warnend. Solche Projektionen gelingen umso
leichter, je leerer der Raum ist, in den man sie wirft, und folglich hat
die Urgeschichte, für die wir keinerlei schriftliche Zeugnisse haben,
eine perfekte Folie für «Reflexe» des zeitgenössischen Denkens geboten.
Nichts ist eindeutig
Das
Buch von Marylène Patou-Mathis ist nicht sehr elegant geschrieben –
oder übersetzt – und in der Anordnung des Stoffes eher konfus. Doch
seine grosse Stärke macht das alles vergessen: Die Autorin hält sich
akribisch an die wenigen konkreten Belege, über die wir aus der
Altsteinzeit verfügen. Wenn sie also im zweiten Teil des Buches die
«prähistorische Frau im Licht neuer Erkenntnisse der
Geschlechterarchäologie» diskutiert, geschieht das ausschliesslich
anhand archäologischer Quellen, nämlich von Malereien, Statuetten,
Grabbeigaben und Skeletten.
Eindeutige
Interpretationen dieser Materialien sind selten möglich. Wofür zum
Beispiel standen die vielen Frauenfiguren, die wir heute als Venus
bezeichnen? Sind sie als Symbole eines Fruchtbarkeitskults zu deuten?
Sollten sie die Männer erfreuen? Wurden sie als Amulette von Schwangeren
getragen? Und wäre es dann nicht auch denkbar, dass diese sie selber
hergestellt hatten?
Die
Antwort ist laut Patou-Mathis offen – und zwar in alle Richtungen. Es
gibt keinen Beweis dafür, dass bei den Statuetten Künstlerinnen am Werk
waren. Doch genauso fehlen Belege, die auf eine männliche Urheberschaft
der Figuren oder irgendeiner prähistorischen Wandmalerei hinweisen. Das
Einzige, was diese Annahme nahelegt, ist der ideologische Raster, der
dem Mann in einem dualistischen Geschlechtermodell den aktiven Part
zuspricht.
In
bemalten Höhlen haben die frühen Menschen zuweilen Handabdrücke
hinterlassen – viele dieser rund 25 000 Jahre alten «Signaturen» haben
sich in Untersuchungen als weiblich erwiesen. Die Zuordnung zu den
Geschlechtern basiert auf dem Längenverhältnis zwischen Ring- und
Zeigefinger, wobei, wie Patou-Mathis betont, wegen der geringen Anzahl
der untersuchten Hände Vorsicht geboten sei vor allzu forschen
Schlüssen. Doch grundsätzlich sei es ausgehend von der Quellenlage
möglich, dass «einige der grössten Malereien und Skulpturen der
paläolithischen Kunst von Frauen geschaffen» worden seien.
Weder Matriarchat noch Patriarchat
Die
altsteinzeitliche Kunst zeigt nur wenige «narrative Szenen» mit
Menschen, oft verweisen sie auf Jagdvorgänge. Einige der daran
beteiligten Personen sind klar als Männer zu identifizieren, andere
lassen sich keinem Geschlecht zuteilen. Bei den Statuetten dagegen
besteht kein Zweifel: Die erdrückende Mehrheit von ihnen ist weiblich.
Zuweilen wird deswegen behauptet, dass unsere Vorfahren eine
Frauengottheit verehrt oder im Matriarchat gelebt hätten. Für beides
fehlen die Beweise, aber wiederum gilt das auch umgekehrt: Eine
patriarchale Struktur ist im Paläolithikum ebenso wenig nachzuweisen.
Und
mehr noch: Der Vorstellung, dass die Frauen den Männern «immer schon»
untergeordnet gewesen seien, widersprechen gewisse Funde deutlich. In
den – sehr spärlich erhaltenen – Grabstätten sind sowohl männliche wie
weibliche Skelette entdeckt worden. Schmuck und Kleinkunst, die den
Toten beigegeben wurden und vermutlich ihren Status anzeigten, variieren
kaum zwischen Männern und Frauen.
Fragen
des Status wurden in der Forschung oft auch mit der Jagd in Verbindung
gebracht. Als Beschaffer der energiereichen Nahrung, so die verbreitete
These, hätten die Männer in den altsteinzeitlichen Gruppen eine
überlegene Position eingenommen. Aber wer sagt denn, dass nur die Männer
jagten?
Die
Quellen jedenfalls nicht. Weibliche Neandertaler-Skelette weisen laut
Patou-Mathis Läsionen und Abnutzungen auf, die auf das regelmässige
Werfen von Speeren hindeuten. In der Jungsteinzeit zeigten sich Spuren
von starken Armaktivitäten dann nur noch bei männlichen Skeletten.
In
dieser Phase, in der die Menschen zunehmend sesshaft wurden, scheint
also eine Aufgaben-teilung zwischen den Geschlechtern fassbar zu werden.
Für die vorangegangenen paläolithischen Gesellschaften aber zeugt laut
Patou-Mathis kein archäologischer Überrest von einer «klassischen»
Rollenverteilung, und auf der Grundlage aller Daten sei «nicht
auszuschliessen, dass die Frauen an allen Etappen der Jagd beteiligt
waren – vom Spurenlesen über die Erarbeitung der Jagdstrategien bis zum
Schiessen».
Die Urgeschichte boomt
«Es
ist nicht auszuschliessen» und «Nichts weist darauf hin» zählen in
diesem Buch zu den häufigsten Formulierungen. Das sind nicht die
Zutaten, aus denen schmissige Geschichten entstehen. Aber das kann man
leicht verkraften, denn flotte Erzählungen über die Urzeit gibt es
wahrlich schon mehr als genug.
In
den letzten Jahren haben Autoren wie Yuval Noah Harari oder James
Suzman die Frühzeit als Eldorado beschrieben, in dem die Menschen noch
frei von der späteren Arbeitsfron lebten. Andere schwärmen von der
tiefen Naturverbundenheit, die unsere altsteinzeitlichen Vorfahren
angeblich kannten, während Dritte lieber betonen, dass die Menschen ihre
Umwelt «immer schon» umgestaltet hätten.
Bis
heute ist die Urgeschichte demnach der perfekte Raum für
Rückprojektionen, die sich aus Gegenwartsfragen nähren. Marylène
Patou-Mathis hingegen lässt die fernen Zeiten unbegreiflich bleiben. Die
riesigen Lücken, die sich zwischen den wenigen Überresten auftun, füllt
sie nicht mit Identifikationsangeboten. Dafür zeigt sie, wie offen
Geschichte und Gegenwart sein können, wenn sich ihre Betrachterinnen und
Betrachter nicht auf eine Ideologie versteifen.
Marylène
Patou-Mathis: Weibliche Unsichtbarkeit. Wie alles begann. Aus dem
Französischen von Stephanie Singh. Verlag Carl Hanser, München 2021.
286 S., Fr. 37.90.
Nota. - Dem Dr. Freud in Wien haben seine Patienten seinerzeit praktischer Weise nur solche Sachen erzählt, mit denen ihr Doktor etwas anfangen konnte. Freuds erster Mitstreiter war Alfred Adler, dem stieß das auf, und er wurde zum ersten Häretiker der Psychaonalyse. Seinen Schülern gab er als therapeutische Richtlinie mit auf den Weg den Satz Es kann alles auch ganz anders sein. Woran mein heutiges Ich sich erinnern kann-will-muss, ist nicht unbedingt das-selbe wie das, was es damals wirklich erlebt hat - weil ich ein anderer geworden bin.
So ist es mit der Geschichte der Individuen. Die Geschichte der Gattung hat den Vorzug, dass sie einige - wenn auch nicht viele - Denkmäler hinterlassen hat, in Stein gemeißelte oder in versteinerte Knochen gegossene, über deren Alter und wahre Herkunft gestritten werden kann, aber doch nicht endlos. Irgendwann werden sie einstweilen definitiv festgestellt. Dann fängt das Problem aber erst an: Was bedeuten sie? Was sie bedeuten, ist einschlechterdings nicht objektiver Sachverhalt. Sie bedeuten nicht 'überhaupt', sondern immer nur für einen, der sich einen Reim drauf machen will oder muss.
An dem Punkt schließt der obige Beitrag, und wenn ichs recht verstehe, auch das Buch von Mme. Patou-Maris. Doch hat die Rezensentin keine Kontrolle über das, was der* Leser*in aus dem Beitrag in der Neuen Zürcher macht: Er* könnte auch lesen: 'Die herkömmliche Inter-pretation ist nicht erwiesen? Dann trifft das Gegenteil zu.'
Das hat Frau Patou-Maris nicht geschrieben? Aber die Rezensentin hat ihm auch nicht wirk-lich widersprochen.
Es könnte alles ganz anders sein. Die archäologischen Befunde stellen Fragen und geben keine Antworten. Aber die Fragen grenzen den Umkreis der möglichen Antworten ein. Nicht so, dass sie vorgäben, was überhaupt nicht möglich wäre; aber doch, was mehr oder weniger wahr-scheinlich ist. Was man freilich dafür hält, ist vom Geist der Zeit - positiv oder negativ - mit bestimmt, ach, da hat sie leider Recht. Dass eine durchgehende Differenzierung der Menschen nach ihrem Geschlecht in der Jungsteinzeit - als sich der Übergang zum Ackerbau anbahnte - begonnen hat, erscheint nach dem, was wir unter Vorbehalt wissen, als plausibel. Doch für wie lange?
Am
Anfang der Menschwerdung stand womöglich eine Wende im
Geschlechter-verhältnis. Aggression zwischen Männchen verschwand demnach
schon früh in der Evolution des Menschen.
Schon
früh in der menschlichen Abstammungslinie wurden die Männchen weniger
aggressiv. Das schließt eine Arbeitsgruppe um den Paläoanthropologen Gen
Suwa von der University of Tokyo aus Analysen der Eckzähne von Vor- und
Frühmenschen. Wie das Team in der Fach-zeitschrift »PNAS« berichtet, waren schon bei Ardipithecus ramidus,
einer der ältesten be-kannten Arten der menschlichen Linie, die Eckzähne
von Männchen und Weibchen ähnlich lang. Da lange obere Eckzähne bei
Primaten als Waffe in Kämpfen zwischen Männchen dienen, gilt der
Unterschied zwischen Männchen und Weibchen bei diesen Zähnen als
Indikator für Aggression zwischen Männchen im Zusammenhang mit Revier
und Paarung. Das wiederum gibt Aufschluss über soziale Struktur und
Fortpflanzungsverhalten dieser Arten.
Bei modernen
Menschenaffen sind die Eckzähne der Männchen bis zu 50 Prozent größer
als bei den Weibchen. Dieser als sexuelle Dimorphismus bezeichnete
Unterschied hängt mit der Sozialstruktur zusammen – bei Schimpansen und
Gorillas, bei denen die männlichen oberen Eckzähne deutlich länger sind,
führt je ein dominantes Männchen die Gruppe an. Bonobos dagegen sind
weniger aggressiv, sie leben oft in gemischtgeschlechtlichen Gruppen und
bei ihnen haben die Männchen nur um etwa 20 Prozent längere Eckzähne.
Dagegen zeigen die Analysen der Gruppe um Suwa, dass die Vorfahren der
Menschen schon vor mehr als vier Millionen Jahren einen sehr viel
geringeren sexuellen Dimorphismus bei den Eckzähnen aufwiesen.
Die Unterschiede, die das Team mit mehreren unabhängigen
statistischen Verfahren ermittelte, liegen zwischen 0 und 15 Prozent,
wie bei modernen Menschen, und sind damit durchweg geringer als bei
Bonobos. Zusätzlich ist bei manchen Arten der sexuelle Dimorphismus bei
den oberen Eckzähnen sogar geringer als bei den unteren. Das deutet nach
Ansicht des Teams darauf hin, dass in der menschlichen Linie von Anfang
an ein starker Selektionsdruck gegen Aggression zwischen Männchen
wirkte.
Suwa und seine Arbeitsgruppe sehen das als klares Zeichen,
dass bereits am Beginn der Menschwerdung eine fundamentale Verschiebung
des Verhaltens stattfand mit dem zentralen Aspekt einer geringeren
Aggression zwischen den Männchen. Diese könne man als wichtige
evolutionäre Voraussetzung für spätere, für Menschen charakteristische
Entwicklungen hin zu extremer Kooperation und komplexem sozialen
Verhalten betrachten, schreiben sie in der Veröffentlichung.
Nota. - Was könnten die Gründe für die Zähmung der männlichen Seite sein? Wenn die Rück-bildung der oberen Eckzähne erst nach dem Verlassen des Urwalds einsetzte, könnte man an-nehmen, dass die vagante Lebensweise in Gruppen von ca. zwei Dutzend Individuen in der offenen Savanne, die keine Deckung bietet, dauernde innere Spannungen nicht zuließen und einen engeren Zusammenschluss gegen äußere Fährnisse verlangten.
Es geht hier nicht um Ursachen, die Entwicklungen determinieren, sondern um Bedingungen, unter denen sich die einen behaupten konnten und die andern nicht.
Wann Frauen ebenso wettbewerbsfreudig sind wie Männer
Frauen sind nicht grundsätzlich weniger auf Wettkampf geeicht. Für sie spielt der soziale Anreiz aber eine wichtigere Rolle.
von Anton Benz
Frauen
bekleiden deutlich seltener Führungspositionen als Männer. Häufig wird
als Grund angeführt, dass sie Konkurrenzsituationen eher mieden. Die
Wirtschaftswissenschaftlerinnen Alessandra Cassar von der University of
San Francisco und und Mary L. Ridgon von der University of Arizona
überprüften diese Annahme. In ihrem Experiment zeigten sie, dass Frauen nicht grundsätzlich weniger kompetitiv sind als Männer – es kommt bloß ganz darauf an, was auf dem Spiel steht.
Die
238 Versuchspersonen (die Hälfte davon Frauen) mussten in Vierergruppen
einfache Zahlenaufgaben lösen und konnten dabei Geld gewinnen. Die
Siegesprämien wurden unterschiedlich verteilt. In der ersten Runde
bekamen alle Teilnehmenden etwas Geld pro richtige Antwort (nicht
kompetitiv). Danach erzeugten die Forscherinnen einen Wettbewerb unter
den Probanden.
Während bei der »egoistischen« Variante ausschließlich die
besten zwei eines Viererteams etwas gewannen, konnten die beiden
Bestplatzierten bei der »sozialen« Version den Betrag mit den Verlierern
teilen. Im letzten Teil des Experiments konnten sich die
Versuchspersonen zwischen einer nicht kompetitiven und einer
kompetitiven Gewinnausschüttung entscheiden. Letzteres war bei der einen
Hälfte der Gruppe die »egoistische« Variante, bei der anderen Hälfte
die »soziale«.
Im ersten Fall entschieden sich nur 35 Prozent der
Frauen für die kompetitive Variante. Dagegen traten 60 Prozent der
Frauen in den Wettbewerb, wenn sie den Gewinn aufteilen durften. Das
Verhalten der Männer änderte sich nicht: In beiden Fällen wählten
ungefähr 50 Prozent die kompetitive Option. Cassar und Rigdon schließen
aus den Ergebnissen, dass Frauen nicht grundsätzlich weniger
wettbewerbsfreudig als Männer sind. Wenn es gemein-nützige Anreize gibt,
entschieden sie sich mindestens genauso häufig für den Wettbewerb.
Nota. - Reiben Sie sich die Augen und lesen Sie's nochmal: Wenn der Gewinn aufgeteilt wird und jede Einzelne ein keines Bissel abbekommt, bezeichnet Anton Benz das in vollem Ernstals gemeinnützig! Die Frauen waren nicht wettbewerbsfreudiger, sondern risikoscheuer, und gingen auf Nummer sicher. Der deutsche Berichterstatter hat kein genderneutrales Denken bemüht, sondern herkömmliche weibliche Denke.
Das ist wohl einer vorübergehenden Mode geschuldet. Historisch grundständiger waren dage-gen die amerikanischen Forscherinnen: Dass mensch - man und frau - um Geld wetteifert, ist ihnen so selbstverständlich, dass sie es als keiner Erklärung wert erachten. Hätten sie einen rei-nen Wettbewerb veranstaltet, wo gar nichtsgewonnen wird als das Gewinnen selbst, hätten sich... die Männer kaum anders verhalten; und die Frauen - lassen Sie mich raten: - zu zwei Dritteln auf die Teilnahme verzichtet.
Geruch von Babys beschwichtigt Männer und macht Frauen aggressiver Ein
Duftmolekül auf der Kopfhaut von Neugeborenen beeinflusst beide
Geschlechter unterschiedlich. Dies bot womöglich einen evolutionären
Überlebensvorteil.
Von
Tieren weiß man, dass Körpersignale in Form flüchtiger Stoffe eine
wichtige Rolle in der Kommunikation spielen. Über so genannte Pheromone
beeinflussen viele Arten, darunter Insekten, das Verhalten ihrer
Artgenossen. Mittlerweile ist bekannt, dass unser Riechhirn ebenfalls
empfänglich ist für unterschwellige Botschaften von Mitmenschen. Doch
das Wissen darum ist noch immer begrenzt. Ein Team um den Geruchsforscher Noam Sobel vom Weizmann Institute of Science in Israel hat nun nachgewiesen,
dass ein flüchtiges Molekül, das von menschlicher Haut, der Atemluft
und Fäkalien abgesondert wird, einen direkten Einfluss auf unser Hirn
sowie unser Aggressionslevel hat. Es ist besonders auf der Kopfhaut von
Neugeborenen zu finden und bot evolutionär womöglich einen
Überlebensvorteil.
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(davon 67 Frauen) zu einem Verhaltensexperiment ein: Sie sollten am
Computer vermeintlich mit einem anderen Probanden spielen. Der erste
Teil zielte darauf ab, bei den Teilnehmenden Frust zu erzeugen (der
»Mitspieler« streicht sich den Großteil des Gewinns selbst ein); der
zweite Teil darauf, Aggressionen zu triggern. Hierbei durften sich die
Freiwilligen rächen, indem sie den »Mitspieler« per Knopfdruck mit einem
ätzenden Ton traktierten. Während des Experiments war eine Geruchsprobe
unter ihrer Nase befestigt: Die eine Hälfte der Gruppe bekam die reine
Trägersubstanz zu riechen, die andere zusätzlich Hexadecanal. Beides
erzeugte jedoch keinen wahrnehmbaren Geruchseindruck.
Überraschenderweise
zeigte sich ein deutlicher Geschlechtereffekt: Die Frauen reagierten
unter dem Einfluss von Hexadecanal aggressiver (drehten den Ton lauter),
die Männer hingegen schien es zu besänftigen. Um die zu Grunde
liegenden Vorgänge im Gehirn zu untersuchen, führte das Team ein
fMRT-Experiment mit weiteren 49 Teilnehmern durch (davon 24 Frauen).
Während diese in der Scanner-Röhre lagen, absolvierten sie ein ähnliches
Aggressionsparadigma wie bereits die Gruppe zuvor. Es wurde ihnen
entweder mit Hexadecanal oder nur mit einer Trägersubstanz angereicherte
Luft über eine Atemmaske zugeführt.
Die
Auswertung ergab, dass Hexadecanal bei Männern sowie Frauen eine für
die soziale Kognition zentrale Region aktivierte, nämlich den Gyrus
angularis. Aber die Verbindungen zu Arealen, die mit sozialer Bewertung
und der Regulation von Aggressionen zusammenhängen, waren bei den
Männern unter dem Einfluss des Signalmoleküls verstärkt, bei den Frauen
hingegen vermindert.
Laut Eva Mishor, Erstautorin der Studie,
stellt die flüchtige Substanz womöglich ein Cool-down-Signal für Männer
dar, gleichzeitig schüre es aggressives Verhalten bei Frauen. »Im
Tierreich übersetzt sich männliche Aggression häufig in Aggression
gegenüber Neugeborenen. Weibliche Aggression hingegen richtet sich für
gewöhnlich auf die Verteidigung des Nachwuchses«, so die
Neurowissenschaftlerin. Evolutionär gesehen hat das Schnuppern am
Hinterkopf eines Babys also Sinn.