Dienstag, 24. August 2021

Frauen sollen auch mal den Mund halten können? Das ist nicht witzig...

...sondern völlig ernstgemeint.

Nein, das ist nicht Christian. Auch seinen Tiktok-Account verlinken wir nicht – er hat schon zu viel Reichweite

aus welt.de, 24. 8. 2021             Nein, das ist nicht Christian. Auch seinen Tiktok-Account verlinken wir nicht – er hat schon zu viel Reichweite

Frauen sollen „auch mal den Mund halten“ – und das soll witzig sein? Ein mittelalter, tanzender Mann bei Tiktok bekommt für seinen frauenfeind-lichen „Humor“ jede Menge Zuspruch. Er heißt Christian – und scheint vielen Män-nern aus der Seele zu sprechen. Unsere Autorin findet das unerträglich.

In Deutschland können Frauen Kanzlerin werden – damit ist für viele Menschen die Diskussion um Gleichberechtigung und Feminismus de facto beendet. Alles erreicht, siehe Angela Merkel! Dass das so 2021 nicht ganz stimmen kann, zeigen nicht nur die frauenfeindlichen Angriffe gegen Annalena Baerbock, die gerne die neue Kanzlerin werden würde. Im Moment, habe ich den Eindruck, reiht sich eine absurde Anti-Mütter-Covergeschichte des „Spiegels“ an andere, sehr zweifelhaften Aussagen eines erklärten „Anti-Feministen“ im ZDF („Viele Männer sind zutiefst frustriert von den Lügen, die der Feminismus verbreitet“). Von Luke Mockridges Instagram-Statement zu Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihn ganz zu schweigen.

Eine Entgegnung 
 
„Spiegel“-Cover über dominante Mütter: Reißt Euch mal zusammen, Väter!
Meinung Zum aktuellen „Spiegel“-Cover

Feuilletons diskutieren das Ende unserer schönen deutschen Sprache, weil Frauen, queere und Transgender-Personen sowie nicht-binäre Menschen zum ersten Mal überhaupt gerne mitgemeint wären. Und wer mag eigentlich noch Artikel oder Kommentare lesen, in denen zum zigsten Mal etwas von „Gender-Gaga“ fabuliert wird – bloß, weil Männer nicht mehr allein die Deutungshoheit über das haben, was ist und sein darf in Sachen Geschlecht?

Mit am dramatischsten finde ich aber, dass Anti-Feminismus wieder so salonfähig geworden ist, dass er zur Internetunterhaltung taugt, der man beim Durchscrollen eben schnell ein Like dalässt. Bei Tiktok gibt es einen „Creator“, der sich Christian nennt und in seinen kurzen Videos zu misogynen Witzen durchs Bild tanzt. Der Mann hat sich eine feste Fangemeinde von mehr als 10.000 Menschen aufgebaut, weil er unter anderem drei Dinge aufzählt, die jede Frau „können muss“: Gut kochen, einen Mann verführen und „das Wichtigste: Auch mal den Mund halten!!!“. Nach diesem Muster sind alle seine Inhalte gestrickt: Frau ist gut, wenn sie am Herd performt. Sonst soll sie bitte still sein und Christian anhimmeln.

Zum Teil bekommt er für seinen Humor über 160.000 „Gefällt mir“-Herzchen in der Teenager-App. Denn das ist Tiktok, eine Video-App für Kinder ab 13 Jahren. Die finden dort Schminkanleitungen, jede Menge nicht jugendfreien Inhalt – und eben Christians Comedy-Versuche. Ob es das ist, was junge Erwachsene über Frauen lernen sollten, dass sie vor allem in der Küche zu gebrauchen sind? Auch das Männerbild, für das Christian und Konsorten stehen, ist nicht mehr zeitgemäß: Der Mann als kalauernder Frauenverächter.

Was Teenager alles in der App zu sehen bekommen
 
Wobei mir persönlich sofort Mario Barth in den Sinn kommt. Macht er nicht im Grunde das Gleiche, aber vor einem noch wesentlich größeren Publikum? Klar bemüht Barth Frauenklischees vom Comedy-Grabbeltisch – haha, Frauen haben 80 Paar Schuhe und quatschen stundenlang mit Freundinnen am Telefon –, immerhin überschreitet er die „Würden sie doch bloß mal ihren Mund halten“-Grenze nicht permanent.

Frauenfeindlichkeit im Internet ist etwas anderes und längst viral, Digitalministerin Dorothee Bär fordert bisher erfolglos, dass Online-Hass und -Gewalt gegen Frauen gesondert in der Kriminalstatistik aufgeführt werden. Die Debatte darüber will aber kaum jemand führen, mit dem Gendersternchen kann man nämlich krassere Schlagzeilen und Reaktionen produzieren, dazu hat doch jeder irgendeine Meinung.

Sexuelle Projektionsfläche

Vor Kurzem habe ich auf einen Artikel von mir drei recht persönliche Leser-Emails erhalten, alle drei von Männern. Zwei belehrten mich auf unerträgliche Weise und sprachen mir die Qualifikation für meinen Beruf ab (wohlgemerkt in Bezug auf eine TV-Kritik zur „Bachelorette“), der Dritte schickte mir ein Foto seines Penis‘. Das ist so die Haltung, die Christian-Männer an den Tag legen: Zu und über Frauen kann man alles sagen und es wahlweise als Meinung oder Witz framen und grundsätzlich taugen sie zumindest als sexuelle Projektionsfläche.

Zumindest gegen Christian regt sich längst Protest, von Frauen. Einige Netz-Feministinnen veralbern und ordnen seine Videos ein, er macht indessen fröhlich tanzend weiter. Ich glaube nicht, dass in jedem Mann etwas Christian steckt. Aber mich regt auf, dass so viele Männer ihm applaudieren – und kein einziger öffentlich widerspricht. 

 

Nota. - Ausgewogen wie ich nunmal bin, wollte ich, nachdem im Artikel mehrere feministische Links erscheinen, doch auch einen Link zu dem inkrimierten Christian setzen. Und was soll ich Ihnen sagen? Ich kann ihn weder über tiktok noch über Google finden! So toll kann es mit seiner Reichweite nicht wohl sein.

Für euch noch dies, Schwestern: Wie man in den Wald hineinruft, schallt es zurück. Das seid ihr bloß seit einem halben Jahrhundert nichtmehr gewöhnt: "Ohne Respekt! Ohne Kultur!" (taz) Da wars ja mal an der Zeit, oder?

(Dass das übrigens gar kein richtiger Humor ist, können Sie an den Gänsefüßchen erkennen. Die Schwester scheint ja selbst keine hohe Meinung von euch zu haben.)

JE

 

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