von
Martin Thomson
In seinen Ursprungstagen von konservativen Geldgebern gefördert, wurde das Kino-Melodram in den 1960er-Jahren, der Blütezeit der Gegenkultur, geschmäht – und später als Fundgrube für versteckte Kritik an sozialer Ungleichheit wiederentdeckt. Exegeten erkannten im Motiv der in ihrer Ehe eingeschlossenen Frau, die mittels Affäre ein Liebesdrama durchleidet, subversiven Ausdruck des Widerstands gegen patriarchale Rollenzuweisungen – und eine Form des emotionalen Protests gegen „männliche“ Gefühlskälte.
Man sollte sich aber nicht täuschen: Ein Tränenzieher von Douglas Sirk ist hintersinniger, und damit etwas anderes, als biederer TV-Kitsch nach Rosamunde Pilcher. Derzeit läuft bei uns ein Exempel dieses schmalen Grats: Der Film „The World to Come“ gibt sich als Produkt der ersten Kategorie zu verstehen – entpuppt sich bei genauerer Betrachtung jedoch als letzterer zugehörig.
Der Kostümschinken über ein gleichgeschlechtliches Liebespaar, das Mitte des 19. Jahrhunderts im Nordosten der damals noch dürftig besiedelten USA heimlich zusammenfindet, hätte Chancen gehabt, das klassische Bild heterosexueller Paargemeinschaften der „Frontier“-Ära um eine glanzvolle lesbische Romanze zu ergänzen. Doch das Spezielle homosexueller Verbindungen in repressiven Zeiten erscheint hier unzureichend ergründet. Hauptsache, die Stelle des verbotenen Liebesobjekts ist besetzt: Der Gender-Boulevard wird ohnehin jubeln, weil ja angeblich nur die gute Absicht zählt. Unschwer, den Grund für das Scheitern des erotischen Bauernhof-Kammerspiels mit Katherine Waterston („Inherent Vice“) und Vanessa Kirby (Prince Margret aus „The Crown“) auszumachen: Abgesehen von ein paar kunstvoll komponierten Einstellungen und einem markanten Avantgarde-Soundtrack bietet es bloß abgefilmtes Theater.
Die Kamera erfasst die Nuancen im Mienenspiel nicht, weil sie den Darstellergesichtern kaum nahekommt. Das Knarzen der Holzdielen klingt nach Bühnenbrettern. Und die betonte Langeweile ist nicht kontemplativ-verstörend wie bei Virginia Woolf oder Emily Dickinson, sondern die Folge tatsächlichen filmischen Leerlaufs.
Inkonsequent ist Regisseurin Mona Fastvold vor allem in der Darstellung von Maloche und Viehdreck. Zwar zwängt sie ihre Figuren nicht in heile Heimatfilmkulissen, doch der Schmutz auf den gebügelten Kleidungsstücken wirkt allzu moderat aufgetragen, das zaghafte Herumstochern mit der Heugabel unbeholfen, die Härte der Landarbeit aufgrund des stets gepflegten Äußeren aller Beteiligten nur behauptet.
Fastvold mischt Künstlichkeit ins Rohe, verzichtet jedoch auf Verfremdungseffekte, wie sie etwa die Melodramen von Rainer Werner Fassbinder komplizierten. Auf halber Strecke gerinnen daher selbst spannende Ansätze zum Klischee. Melancholie heißt hier: Lange Gesichter. Romantische Ekstase wird in ironiefreien Kitsch gehüllt. Da wirkt der eigenbrötlerische, aber sensible Ehemann der Hauptfigur (Casey Affleck) fast sympathischer als seine fremdgehende Partnerin in der Midlife Crisis. Bloße Umkehr bewirkt eben keine Überwindung ungleicher Machtverhältnisse. Sie bestätigt diese nur auf anderer Ebene. Sexszenen zwischen den Frauen werden übrigens eklatant unpassend als Flashback-Gewitter abgespult, an einem Totenbett. Man will sich die Haare raufen: Plumper und taktloser geht es kaum.
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