Canova, Daedalus und Icarus
aus welt.de, 4. 6. 2018Die Welt berichtet in ihrer heutigen Ausgabe über den Auftritt des Hirnforschers Gerald Hüther auf dem "Männerkongress", den der Verein MalEvolution zur Zeit in Berlin veranstaltet.
... Hüther ist Hirnforscher und Biologe. Darum liegt das Problem für ihn in ihrer Biologie. Genauer: in den Chromoso- men.
Männer sind verletzlich. Sie haben nur ein X-Chromosom. Das X-Chromosom ist der Ort, an dem wichtige Informatio- nen gespeichert sind. Selbstvertrauen, Sicherheit, Wärme, Kommunikationsfähigkeit – die ganzen Tools, die Frauen wie von allein beherrschen, beherrschen sie nur darum so leicht, weil sie zwei Stück X besitzen. Es fällt Männern so schwer, weil sie durch das fehlende zweite X behindert sind.
Männer werden als Kind schon auf Mann geeicht. Jungs, also Kinder, die mal Männer sein werden, träumen davon, Ritter zu sein. Sie wollen Panzer fahren, mit Waffen um sich schießen – aber nicht, weil sie stark sind, sondern weil sie schwach sind. Sie suchen in Panzern, Rüstungen und Waffen den Halt, den ihnen ihre Biologie nicht liefert. Wenn die Mutter sagt: Spiel doch mal mit einer Puppe, dann kann der Junge nicht denken: Prima, ich probiere mal eine Puppe. Die Puppe gibt dem Jungen keinen Halt, denn dazu bräuchte er ein zweites X. Wenn er das aber hätte, wäre er ja kein Junge mehr.
Männer sind furchtbar stark. Aber jeder Mann muss am Anfang seines Lebens Umwege gehen, um den Halt zu bekom- men, den er braucht, um die Erwartungen an Erfolg und Stärke zu erfüllen. Als Ritter oder Panzerfahrer wächst er hinein in eine Hierarchie, in der er das Funktionieren lernt. Je besser er funktioniert, desto weiter oben steht er später in dieser Hierarchie. So hat der Mann im Wechselspiel mit seiner Biologie eine Ordnung geschaffen, die darauf basiert, andere zum Objekt zu machen.
Gerald Hüther
Er selbst ist auch Objekt. Er sieht in Männern und Frauen nicht Men- schen, sondern Funktionen. Ein Mann, der ein besonders gut funktio- nierendes Objekt ist, schafft es am besten, andere zu Objekten zu machen. Ein erfolgreicher Mann ist also umgeben von Arbeitsobjekten (Kollegen), von Unterordnungsobjekten (Vorgesetzte), von Sexobjekten (Frauen), von Erziehungsobjekten (Kindern) und von Freizeitobjekten (Freunde).
Jungs werden von ihren Müttern auf die Erfolgsspur gesetzt. Kinder- garten, Gymnasium, Universität, Führungsposition – das macht Mama glücklich. Dann kommen die Frauen.
Frauen suchen sich aus der Karawane der Männer, die ihnen im Leben begegnen, diejenigen Männer aus, die am erfolg- reichsten sind. Umgekehrt suchen sich erfolgreiche Männer aus der Frauenkarawane diejenigen aus, die besonders schön sind. Die Kinder, welche die erfolgreichen Männer mit den schönen Frauen zeugen, vermendeln sich zu immer schöneren und immer erfolgreicheren Menschen. Durch diese gegenseitige Belohnungsstrategie sind wir dahin gekommen, wo wir jetzt sind. In einem gegenseitigen Unterdrückungs- und Gebrauchssystem.
Hüther hat tief in die Männer hineingesehen. Er hat erkannt: Je weiter oben, je erfolgreicher, je mehr Objekt ein Mann ist, desto bedürftiger ist er. Desto mehr fehlt es ihm an Liebe. Diejenigen, die am weitesten oben sind, die den meisten Besitz und Erfolg angesammelt haben, sind die Bedürftigsten von allen. Und weil sie so bedürftig sind, können sie nicht geben und nicht lieben. Die Männer sind daran nicht schuld. Die Biologie hat es so angelegt. ...
Nota. - Mann sein ist, wo es gelingt, die Überkompensation einer organischen Minderwertigkeit.
Das ist kein Witz, das meine ich ernst. Nur, weil ihm das Überkompensieren so lange so gut gelang, hat sich der männliche Teil unserer Gattung, im Unterscheid zu den Männern aller anderen Gattungen, einen eigenen Platz in unserer Gattungsgeschichte geschaffen: Anderswo sind di männlichen Individuen lediglich Samenspender und Nachrungsmittel- verzehrer. Erfinder und Eroberer sind die Männer nur bei uns.
Gelingt ihm das Überkompensieren etwa nicht mehr? Davon kann keine Rede sein, es wird ihm nur schlechtgeredet. Von Frauen, die mehr haben wollen, ohne überkompensieren zu müssen, gewiss. Und von den Angestelltenseelen, die fürs Überkompensieren zu blasiert sind.
Ach, übrigens: Dass Männer sich und andere zu Objekten machen, war charakteristisch erst für das Zeitalter der Großen Industrie - und ist charakteristisch für deren Verfallsperiode, die Angestelltenzivilisation. Aber deren Zeit ist um.
JE
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