Tanzender Faun
Unter der Überschrift Dein Mann, das Schwein kommentiert Pascal Bruckner heute in der Neuen Zürcher die aktuelle Kampagen MeToo.
... Trotzdem wirft
dieses Erdbeben Fragen auf. Schon das Hashtag «Balance ton porc»
(Verpfeif dein Schwein) ist problematisch, zumindest auf Französisch.
Die Formel lädt ein, das Schweigen zu brechen – und macht zugleich alle
Männer zu Schweinen. Zurzeit besteht die Gefahr, dass fast jede Anklage
einer Frau gegen einen Aggressor ohne nähere Überprüfung für wahr
gehalten wird. Es geht rasch, und schon zeigt man mit dem Finger auf
Politiker oder andere Persönlichkeiten und liefert sie der öffentlichen
Vergeltung aus, als Objekte privater Rache.
Doch
die öffentliche Meinung darf nicht zum Gericht werden, das die Justiz
ersetzt. Die Justiz gesteht Angeklagten Anwälte zu und bietet ihnen
Gelegenheit, sich zu verteidigen. Gerade in der aufgeheizten Stimmung,
die zurzeit herrscht, kann nicht dezidiert genug auf das oberste Prinzip
des modernen Strafprozesses hingewiesen werden: die Unschuldsvermutung.
Besorgniserregend
ist allerdings auch das Bestreben der französischen Regierung, selbst
harmlose kleine Belästigungen auf der Strasse scharf zu ahnden – ein
junger Mann, der einer Frau nachpfeift oder sie mit einer saloppen
Bemerkung anmacht. Man kann nun einmal nicht hinter jeden Bürger einen
Polizisten stellen. Der Wunsch, «sexistische Verachtung» als
Straftatbestand zu definieren, ist schlicht nicht praktikabel. Und vor
allem nimmt man damit in Kauf, dass sich die Dinge entwickeln wie im
angelsächsischen Bereich, wo Sexualität zunehmend einer strengen
Formalisierung unterworfen ist.
An
verschiedenen amerikanischen Universitäten müssen sexuelle Beziehungen
längst vertraglich geregelt werden, Geste für Geste. Paare, die eine
Liebesbeziehung eingehen wollen, halten ihren Willen dazu auf der «Yes
to Sex»-App ihres Smartphones fest. Und im Grunde muss die Zustimmung
bei jedem Kontakt erneuert werden. Denn ein Ja am Montag gilt vielleicht
am Mittwoch oder am Freitag nicht mehr.
Was
erlaubt und was nicht erlaubt ist, wird so exakt wie möglich definiert,
selbstverständlich unter Androhung von Strafen bei Zuwiderhandlung. Das
bedeutet: Es gibt keinen Raum mehr für Improvisation. Das Spiel der
Liebe und des erotischen Begehrens kann sich gar nicht mehr frei
entfalten, wenn alles bis ins Detail festgelegt ist. Das ist als Waffe
gegen sexuelle Unterdrückung gedacht. Dahinter steckt der Traum einer
Gesellschaft, die sich auf der Grundlage des Rechts vollkommen neu
erschafft und formt, und zwar bis ins kleinste Detail. Das Bild einer
Gesellschaft, die ein für alle Mal bricht mit der Tradition und mit den
Machtverhältnissen, die durch Jahrhunderte der Unterwerfung sanktioniert
sind.
Nur,
das Recht ist nicht überall am richtigen Ort. Und es gibt Bereiche, für
die es nicht einmal wirklich zuständig ist. Es ist mehr als
problematisch, wenn das Recht Bereiche regeln soll, die so flüchtig sind
wie Leidenschaften und Gefühle. Liebe verlangt nun einmal nach
Vertrauen, nach gegenseitigem Wohlwollen. Erst dieses schafft eine
Grundlage für das, was das Verhältnis zwischen Liebenden eigentlich
ausmacht: das Spiel, das gegenseitige Sich-Entdecken, Hingabe, die
Erfindung von Regeln, die nur für die Liebenden gelten.
Feministinnen
rufen zu Recht in Erinnerung, dass Freiwilligkeit und Einverständnis
absolute Werte sind. Ein Nein ist ein Nein. Natürlich. Aber das zwängt
Liebe in das strenge Korsett von Ja und Nein. Es trägt dem Zögern nicht
Rechnung, dem Sowohl-als-auch. Es verkennt die Bedeutung des
«Vielleicht», das verführerisch zwischen Zustimmung und Zurückweisung
schwankt, es lässt ausser Acht, dass sich das Begehren über verzweigte
Pfade Bahn bricht, dass die Lust das Zweideutige liebt, die
Unsicherheit. Und dass man sich seiner Wünsche oft gar nicht sicher ist,
bevor man sie umgesetzt hat.
Auf
jemandem, den man liebt, zu bestehen, auf ihn zu warten, ihn mit
zärtlicher Aufmerksamkeit zu umgarnen – das ist keine Belästigung,
sondern liebende Beharrlichkeit. Zu verlangen, dass jeder im Voraus
genau plant, was er tut, heisst, vom naiven Glauben beherrscht zu sein,
man sei sich über sein Verlangen jederzeit im Klaren und könne es
programmieren wie einen Computer. Klar, einer Umarmung muss das
Einverständnis des Partners oder der Partnerin vorausgehen. Aber das
selige Glück, das wir in der Sinnlichkeit erleben, liegt nicht zuletzt
darin, dass wir alle Regeln vergessen dürfen, dass wir mit den Regeln
spielen, dass wir sie unterwandern. Eros muss ein Kind der Phantasie
bleiben, sonst verkümmert er. ...
Nota. - Da kann mann schon mächtig froh sein, dasss sich inzwischen wieder wer* traut, sowas in aller Öffentlichkeit zu schreiben. Er hielt es nicht einmal für nötig, ein weibliches Pseudonym zu wählen. Fürchtet er nicht den* Shitstorm? Ach nein, da gleicht einer dem andern, doch weil sie* längst heiser sind, klingt er schon lange nicht mehr so schrill. Tritt dem- nächst wohl wieder Normalität ein?
Das hat seine eigene Ironie: Wir danken es den Trump&Co., die sind so dickfällig, dass alles Kreischen an ihnen abprallt. Da haben auch wir Normalmachos was von. Es hat eben alles zwei Seiten.
JE
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