Sonntag, 17. Dezember 2017

Mich auch.


Tanzender Faun

Unter der Überschrift Dein Mann, das Schwein kommentiert Pascal Bruckner heute in der Neuen Zürcher die aktuelle Kampagen MeToo.

... Trotzdem wirft dieses Erdbeben Fragen auf. Schon das Hashtag «Balance ton porc» (Verpfeif dein Schwein) ist problematisch, zumindest auf Französisch. Die Formel lädt ein, das Schweigen zu brechen – und macht zugleich alle Männer zu Schweinen. Zurzeit besteht die Gefahr, dass fast jede Anklage einer Frau gegen einen Aggressor ohne nähere Überprüfung für wahr gehalten wird. Es geht rasch, und schon zeigt man mit dem Finger auf Politiker oder andere Persönlichkeiten und liefert sie der öffentlichen Vergeltung aus, als Objekte privater Rache.

Doch die öffentliche Meinung darf nicht zum Gericht werden, das die Justiz ersetzt. Die Justiz gesteht Angeklagten Anwälte zu und bietet ihnen Gelegenheit, sich zu verteidigen. Gerade in der aufgeheizten Stimmung, die zurzeit herrscht, kann nicht dezidiert genug auf das oberste Prinzip des modernen Strafprozesses hingewiesen werden: die Unschuldsvermutung.

Besorgniserregend ist allerdings auch das Bestreben der französischen Regierung, selbst harmlose kleine Belästigungen auf der Strasse scharf zu ahnden – ein junger Mann, der einer Frau nachpfeift oder sie mit einer saloppen Bemerkung anmacht. Man kann nun einmal nicht hinter jeden Bürger einen Polizisten stellen. Der Wunsch, «sexistische Verachtung» als Straftatbestand zu definieren, ist schlicht nicht praktikabel. Und vor allem nimmt man damit in Kauf, dass sich die Dinge entwickeln wie im angelsächsischen Bereich, wo Sexualität zunehmend einer strengen Formalisierung unterworfen ist.

An verschiedenen amerikanischen Universitäten müssen sexuelle Beziehungen längst vertraglich geregelt werden, Geste für Geste. Paare, die eine Liebesbeziehung eingehen wollen, halten ihren Willen dazu auf der «Yes to Sex»-App ihres Smartphones fest. Und im Grunde muss die Zustimmung bei jedem Kontakt erneuert werden. Denn ein Ja am Montag gilt vielleicht am Mittwoch oder am Freitag nicht mehr.

Was erlaubt und was nicht erlaubt ist, wird so exakt wie möglich definiert, selbstverständlich unter Androhung von Strafen bei Zuwiderhandlung. Das bedeutet: Es gibt keinen Raum mehr für Improvisation. Das Spiel der Liebe und des erotischen Begehrens kann sich gar nicht mehr frei entfalten, wenn alles bis ins Detail festgelegt ist. Das ist als Waffe gegen sexuelle Unterdrückung gedacht. Dahinter steckt der Traum einer Gesellschaft, die sich auf der Grundlage des Rechts vollkommen neu erschafft und formt, und zwar bis ins kleinste Detail. Das Bild einer Gesellschaft, die ein für alle Mal bricht mit der Tradition und mit den Machtverhältnissen, die durch Jahrhunderte der Unterwerfung sanktioniert sind.

Nur, das Recht ist nicht überall am richtigen Ort. Und es gibt Bereiche, für die es nicht einmal wirklich zuständig ist. Es ist mehr als problematisch, wenn das Recht Bereiche regeln soll, die so flüchtig sind wie Leidenschaften und Gefühle. Liebe verlangt nun einmal nach Vertrauen, nach gegenseitigem Wohlwollen. Erst dieses schafft eine Grundlage für das, was das Verhältnis zwischen Liebenden eigentlich ausmacht: das Spiel, das gegenseitige Sich-Entdecken, Hingabe, die Erfindung von Regeln, die nur für die Liebenden gelten.

Feministinnen rufen zu Recht in Erinnerung, dass Freiwilligkeit und Einverständnis absolute Werte sind. Ein Nein ist ein Nein. Natürlich. Aber das zwängt Liebe in das strenge Korsett von Ja und Nein. Es trägt dem Zögern nicht Rechnung, dem Sowohl-als-auch. Es verkennt die Bedeutung des «Vielleicht», das verführerisch zwischen Zustimmung und Zurückweisung schwankt, es lässt ausser Acht, dass sich das Begehren über verzweigte Pfade Bahn bricht, dass die Lust das Zweideutige liebt, die Unsicherheit. Und dass man sich seiner Wünsche oft gar nicht sicher ist, bevor man sie umgesetzt hat.

Auf jemandem, den man liebt, zu bestehen, auf ihn zu warten, ihn mit zärtlicher Aufmerksamkeit zu umgarnen – das ist keine Belästigung, sondern liebende Beharrlichkeit. Zu verlangen, dass jeder im Voraus genau plant, was er tut, heisst, vom naiven Glauben beherrscht zu sein, man sei sich über sein Verlangen jederzeit im Klaren und könne es programmieren wie einen Computer. Klar, einer Umarmung muss das Einverständnis des Partners oder der Partnerin vorausgehen. Aber das selige Glück, das wir in der Sinnlichkeit erleben, liegt nicht zuletzt darin, dass wir alle Regeln vergessen dürfen, dass wir mit den Regeln spielen, dass wir sie unterwandern. Eros muss ein Kind der Phantasie bleiben, sonst verkümmert er. ...


Nota. - Da kann mann schon mächtig froh sein, dasss sich inzwischen wieder wer* traut, sowas in aller Öffentlichkeit zu schreiben. Er hielt es nicht einmal für nötig, ein weibliches Pseudonym zu wählen. Fürchtet er nicht den* Shitstorm? Ach nein, da gleicht einer dem andern, doch weil sie* längst heiser sind, klingt er schon lange nicht mehr so schrill. Tritt dem- nächst wohl wieder Normalität ein? 

Das hat seine eigene Ironie: Wir danken es den Trump&Co., die sind so dickfällig, dass alles Kreischen an ihnen abprallt. Da haben auch wir Normalmachos was von. Es hat eben alles zwei Seiten.
JE



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