aus Die Presse, Wien, 4. 3. 2014 Winslow Homer
Das kooperative Geschlecht? Das männliche!
Frauen
gelten als freundlicher und hilfsbereiter, auch und vor allem im Umgang
mit anderen Frauen. Aber wenn sie an Positionen der Macht sind,
verhalten sie sich ganz anders. Sie halten andere Frauen eher unten.
Von Jürgen Langenbach
Dass Frauen auf dem Weg
nach oben an gläserne Decken stoßen, wird damit erklärt, dass
Seilschaften von Männern einmal besetzte Positionen untereinander
weiterreichen. Daran mag schon viel sein. Aber die ganze Wahrheit ist es
nicht, weder über Männer noch über Frauen bzw. das unterschiedliche
Verhalten der Geschlechter. Dass es das gibt, sieht man etwa, wenn man
nach der Tagesarbeit noch auf einen Schluck zum Entspannen geht. Andere
tun das auch: Männer kommen in Gruppen, oft das halbe Büro vom Chef
abwärts, Frauen kommen zu zweit. Das passt nicht gut zum Bild vom Mann
als einsamem Jäger, der mit anderen Männern um Macht kämpft und um
Frauen bzw. deren Gunst. Und es passt nicht gut zum Gegenbild von
Frauen, die umgänglicher und hilfsbereiter sind, vor allem gegenüber
anderen Frauen.
Das Bild bekam 1965 einen Riss, als Anatol Rapoport Probanden das
„Gefangenendilemma“ spielen ließ. Es hat zwei Spieler und bringt die
Bereitschaft zur Kooperation ans Licht. Rapoport ließ Männer gegen
Männer spielen, Frauen gegen Frauen und beide gegeneinander: Der höchste
Kooperationsgrad zeigte sich in Mann/Mann-Dyaden, es folgten die
gemischtgeschlechtlichen, am Ende rangierten die Frau/Frau-Dyaden.
Das
machte Aufsehen, erklären konnte man es nicht, vielleicht lag es an der
künstlichen Situation im Labor. Das Interesse schlief ein, 1993 kam der
nächste Vorstoß: Der Evolutionsbiologin und Psychologin Joyce Benenson
(Harvard) war aufgefallen, dass die Geschlechter sich schon als Kinder
ganz anders verhalten, Mädchen spielen allein oder tun sich mit besten
Freundinnen zusammen, Burschen bevorzugen Mannschaftssport oder
spielerische Kampfverbände. Ähnliches hatte ein Kollege von Benenson,
der Anthropologe Richard Wrangham (Harvard), auch schon beobachtet, an
Schimpansen. Die leben sozial, die Weibchen zurückgezogen mit ihren
Jungen, die Männchen in hoher Aggression untereinander. Aber sie bilden
gruppenintern auch Koalitionen, und wenn es nach außen geht, gegen
Nachbarn, stehen alle zusammen, ganz ähnlich wieder wie in Jugendgangs.
Denn
auch der Mächtigste ist nie stark genug gegen die ganze andere Gang, er
muss sich Verbündete suchen und pflegen. Schimpansenweibchen hingegen
bilden selten Koalitionen, und wenn, dann kurz und um Rangniedere zu
attackieren. Darauf, auf das Ausschließen Dritter, verstehen sich auch
Frauen besser als Männer, sie fürchten es mehr, und sie praktizieren es
mehr, vor allem dann, wenn sie in Positionen der Macht sind.
Geschlecht und Rang spielen zusammen
Das haben Benenson und Wrangham im Vorjahr gezeigt (PLoS One,
e55851), aber wieder in Experimenten. Wie spielen im echten Leben das
Geschlecht und der soziale Rang zusammen? Die beiden haben lange Daten
gesucht, im Militär, in der Wirtschaft, in Bürokratien, fündig wurden
sie schließlich an den Universitäten der USA, und dort just an den
Psychologischen Fakultäten, in denen immerhin 36 Prozent der höchsten
Posten („senior professor“) mit Frauen besetzt sind.
Deren Namen
stehen dann auch auf den publizierten Forschungsarbeiten, oft als
Erstautoren, sie regen die Experimente an; ausgeführt werden sie von der
zweiten Ebene („assistant professor“), die Namen stehen natürlich auch
da, oft als Ko-Autoren. Das brachte Benenson/Wrangham auf die Idee,
auszuzählen, wer mit wem publiziert, sie haben für das ganze Feld die
Jahre 2008 bis 2011 ausgewertet und 8400 Arbeiten gefunden, für die je
zwei „seniors“ und zwei „assistants“ zeichneten: War der Erstautor ein
„senior“ und der Ko-Autor auch – das gibt es durchaus –, war das
Geschlechterverhältnis ausgewogen, auf der gleichen Ebene gibt es keine
Probleme.
Aber zwischen den Ebenen gibt es sie, und zwar bei den
Frauen: Wenn sie „senior“ und Erstautoren sind, sind unter den
„assistants“ als Ko-Autoren Frauen stark unterrepräsentiert; Männer
hingegen helfen beiden Geschlechtern hinauf (Current Biology, 3.3.). „Im
Alltagsleben denken wir oft, dass Frauen kooperativer und freundlicher
untereinander sind, aber das ist nicht wahr, wenn Hierarchien ins Spiel
kommen“, erklärt Benenson: „Menschen sind oft sehr verärgert, wenn sie
hören, dass es Geschlechtsunterschiede im Verhalten gibt. Aber je mehr
wir wissen, desto einfacher können wir Fairness fördern.“